Mit diesen zwei klassischen Büchern von Lenin und Trotzki lernen Kommunisten, wie sie beim Bewusstsein der Arbeiter anknüpfen können.
Überall auf der Welt kristallisiert sich eine neue Schicht in der Jugend und der jungen Arbeiterklasse heraus, die revolutionäre Schlussfolgerung zieht und gegenüber den Ideen des Kommunismus sehr offen ist. Es gibt einen Namen für diese Leute. Sie sind die Avantgarde der Arbeiterklasse. Das Ziel der RKP ist es, so viele dieser bewussten und unbewussten Kommunisten wie möglich in die Partei zu integrieren und sie zu einer organisierten Kraft zu machen und auszubilden.
Doch selbst wenn es uns gelänge, Tausende dieser Kommunisten in einer Partei zu organisieren, wären wir immer noch eine winzige Minderheit. Die aktive Arbeiterklasse in der Schweiz umfasst mehr als fünf Millionen Menschen. Sie besteht aus verschiedenen Schichten, die zu unterschiedlichen Zeiten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Die Kommunisten stehen heute vor einer doppelten Herausforderung. Einerseits muss die Avantgarde sofort und ohne Verzögerung in einer Partei organisiert werden. Andererseits müssen wir diese Minderheit erziehen und ausbilden und ihr das Rüstzeug geben, um später die Mehrheit zu gewinnen. Diese Avantgarde muss lernen, wie sie den Rest der Arbeiterklasse für sich gewinnen kann. Für die RKP reicht es nicht aus, nur abstrakt über den Kommunismus zu reden. Die Kunst kommunistischer Politik besteht darin, mit den nächsten Schichten in Verbindung zu treten und zu lernen, ihre Wünsche und Forderungen mit dem Sturz des kapitalistischen Systems zu verbinden.
Zu den unschätzbaren Werkzeugen, um das zu lernen, gehören zwei Bücher, die auf dem Nachttisch eines jeden Kommunisten liegen sollten: Der ‹Linke Radikalismus›, die Kinderkrankheit im Kommunismus von Wladimir Lenin (1920) und Das Übergangsprogramm von Leo Trotzki (1938).
In der kommunistischen Arbeit finden wir zwei Hauptrisiken. Auf der einen Seite gibt es die Gefahr des Opportunismus – das Aufgeben des langfristigen Ziels zugunsten vermeintlicher kurzfristiger Gewinne. Beim Versuch, Arbeiter zu erreichen, die noch nicht zu revolutionären Schlussfolgerungen gelangt sind, kann die Tendenz bestehen, unsere Prinzipien anzupassen und die Ideen zu verwässern, bis sie keine Bedrohung mehr für den Kapitalismus darstellen. Aber der gegenteilige Fehler ist nicht weniger schwerwiegend. Es besteht auch die Gefahr, die sehr realen Bedürfnisse der Arbeiter zu ignorieren und einfach die abstrakten Wahrheiten des Kommunismus zu wiederholen, ohne jegliche Verbindung zur Realität der Arbeiterklasse.
Lenins Linker Radikalismus ist sein klassischer Text, in dem er diese Tendenz angreift, die wir «linksradikal» nennen. Das ist auch eng mit dem verbunden, was Marxisten «Sektierertum» nennen. Ein Sektierer ist ein Kommunist, der der Realität sein vorgefasstes Schema aufzwingt. Wenn die Realität nicht mit den abstrakten Wahrheiten des Kommunismus übereinstimmt, lehnt der Sektierer diese Realität ab. Wie Trotzki in einem anderen Text erklärte: «Ein Sektierer versteht nicht die dialektische Aktion und Reaktion zwischen dem fertigen Programm und dem lebendigen, d.h. unvollkommenen und unvollendeten Klassenkampf.» (Sectarianism, Centrism and the Fourth International, unsere Übersetzung)
Zu Lenins Zeiten spiegelte sich diese Tendenz in einer Reihe von Fragen wider. In Deutschland forderte der linke Flügel der Kommunistischen Partei Deutschlands die Revolutionäre auf, aus den reformistisch geführten Gewerkschaften auszutreten und eigene revolutionäre Gewerkschaften zu gründen. Das war ein Beispiel für krasses Sektierertum. Da die Gewerkschaften von Reformisten geführt werden, müssen sie als Ganzes abgelehnt werden, so die Linksradikalen.
Diese Genossen waren unfähig, die Beziehung zwischen kommunistischen Ideen und dem widersprüchlichen Charakter der Entwicklung des Bewusstseins der Arbeiter zu verstehen. Anstatt die Arbeiter dort zu erreichen, wo sie waren, boykottierten sie die Gewerkschaften – unter dem Vorwand, dass sie von den Reformisten beherrscht wurden.
Diese Haltung entsprang einer berechtigten Ablehnung des Reformismus der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsführer. Diese hatten die Massen völlig verraten, hatten nicht die Absicht, den Kapitalismus zu stürzen, und passten sich dem Parlament an und setzten auf Hinterzimmerverhandlungen mit den Bossen. Mit ihrer Ablehnung des Reformismus gingen diese linksradikalen Schichten jedoch zu weit und versuchten, ihre eigene «reine» kleine Arbeiterbewegung zu erschaffen, die vor den Reformisten sicher war.
Ebenso verfolgten einige «Linke» einen völlig abstrakten Ansatz für den Klassenkampf und setzten die Revolution den unmittelbaren Kämpfen der Arbeiter entgegen. Anstatt den wirklichen Kampf der Arbeiter zu unterstützen, kritisierten sie die Arbeiter dafür, dass sie sich nicht bewaffnet hatten, um sofort die Macht zu übernehmen.
Diese abstrakte und sterile Herangehensweise war unter jungen Kommunisten weit verbreitet. Auf diesem Weg werden die Kommunisten niemals die Massen für sich gewinnen können. Gegen diese «Kinderkrankheit im Kommunismus» führte Lenin einen Kampf.
Dem Linksradikalismus liegt eine Ungeduld zugrunde – eine Unfähigkeit zu akzeptieren, dass verschiedene Schichten der Arbeiterklasse in unterschiedlichem Tempo zu revolutionären Schlussfolgerungen kommen. Lenin erklärt: «Es ist klar, dass die ‹Linken› in Deutschland ihren eigenen Wunsch […] für die objektive Wirklichkeit halten. Das ist der gefährlichste Fehler, den Revolutionäre machen können.» Überzeugt von der kommunistischen Perspektive, unterschätzen sie die Bedeutung der geduldigen Arbeit, um Arbeiter und junge Menschen von unseren Ideen zu überzeugen.
In seinem Buch führt Lenin aus: «Solange es sich darum handelte (und insoweit es sich noch darum handelt), die Avantgarde des Proletariats für den Kommunismus zu gewinnen, solange und insoweit tritt die Propaganda an die erste Stelle; sogar Zirkel mit allen dem Zirkelwesen eigenen Schwächen sind hier nützlich und zeitigen fruchtbare Ergebnisse. Wenn es sich um die praktische Aktion der Massen, um die Verteilung – wenn man sich so ausdrücken darf – von Millionenarmeen, um die Gruppierung aller Klassenkräfte einer gegebenen Gesellschaft zum letzten und entscheidenden Kampf handelt, so kann man allein mit propagandistischer Gewandtheit, allein mit der Wiederholung der Wahrheiten des ‹reinen› Kommunismus nichts mehr ausrichten.»
Wichtig sind hier die beiden Aufgaben, die Lenin unterscheidet. Die erste besteht darin, die Avantgarde der Arbeiterklasse zu gewinnen, die Tausenden von jungen Menschen, die sich dem Kommunismus öffnen. Die zweite Aufgabe besteht darin, mit den Massen in Kontakt zu treten – zu lernen, wie man zu einer Menge von Arbeitern spricht, von denen die meisten keine überzeugten Revolutionäre sind. Das ist eine Kunst, die alle RKP-Genossen lernen müssen.
Solange wir eine Minderheit sind, können wir natürlich nicht erwarten, dass die Massen einfach zu uns kommen. Wir müssen gezielt Mittel und Wege finden, um mit der Arbeiterklasse in einen Dialog zu treten. Aber wir brauchen unbedingt einen Sinn für Proportionen. Zu versuchen, heute als sehr kleine Partei die Massen zu gewinnen, würde uns das Genick brechen. Es gibt keine Abkürzungen zu den Massen der Arbeiterklasse. Der Weg zu den Massen geht über die Avantgarde. Die Hauptaufgabe der Kommunisten besteht heute darin, die allerbesten Elemente der Arbeiterklasse und der Jugend zu rekrutieren und auszubilden. So bereiten wir uns darauf vor, in den kommenden Kämpfen intervenieren zu können.
Das heisst aber nicht, dass die zweite Aufgabe, die Lenin feststellt, nicht heute schon wichtig wäre für die Kommunisten. Die fortgeschrittensten Schichten sind durchdrungen von einem tiefen Hass auf Unterdrückung und diejenigen, die sie verteidigen oder verharmlosen. Aber auch diese Schichten müssen überzeugt und gewonnen werden. Das beinhaltet, an ihrem heutigen Bewusstsein anzusetzen, die progressive Elemente bis zur vollen Konsequenz zu entwickeln und die noch vorhandenen reaktionären Elemente zu widerlegen, und nicht unvermittelt die Wahrheiten des Kommunismus zu verkünden. Bei jedem Einzelgespräch, jeder Intervention in einem Streik, bei Demonstrationen usw. ist es wichtig, von den unmittelbaren Forderungen auszugehen und die Kluft zwischen diesen Fragen und der Notwendigkeit der Revolution auf eine Weise zu überbrücken, die jeder verstehen kann.
Es reicht nicht aus, den Kapitalismus zu hassen. Wir müssen die Kunst lernen, mit den Arbeitern in Verbindung zu treten. Lenin erklärt dies folgendermassen: «Der Verfasser des Briefes ist erfüllt von edelstem proletarischem Hass auf die bürgerlichen ‹Klassenpolitiker› […] Dieser Hass des Vertreters der unterdrückten und ausgebeuteten Massen ist wahrlich ‹aller Weisheit Anfang› […] Aber der Verfasser berücksichtigt offenbar nicht, dass die Politik eine Wissenschaft und Kunst ist, die […] einem nicht in die Wiege gelegt wird.»
Das lernt man nur durch eine Kombination aus praktischer Erfahrung und einem gewissenhaften Studium der marxistischen Theorie. Das braucht Geduld und Zeit.
Die Bestrebungen der Arbeiter mit dem kommunistischen Programm zu verbinden – zu dieser Frage gibt es keinen besseren Text als das Übergangsprogramm von Leo Trotzki. Das war das Gründungsdokument der 4. Internationale, die 1938 ins Leben gerufen wurde. Diese Organisation ist tot, aber Trotzkis Ideen leben weiter.
Das Übergangsprogramm ist eine Fortsetzung und Weiterentwicklung der von Lenin dargelegten Ideen. Trotzki erklärt die Aufgabe wie folgt: «Die strategische Aufgabe der nächsten Periode – der vorrevolutionären Periode der Agitation, Propaganda und Organisation – besteht darin, den Widerspruch zwischen der Reife der objektiven Bedingungen der Revolution und der Unreife des Proletariats und seiner Vorhut (Verwirrung und Entmutigung der alten Generation, mangelnde Erfahrung der Jungen) zu überwinden. Man muss der Masse im Verlauf ihres täglichen Kampfes helfen, die Brücke zu finden zwischen ihren aktuellen Forderungen und dem Programm der sozialistischen Revolution.»
Er erklärt dann, worin diese «Brücke» besteht: «Diese Brücke muss in einem System von Übergangsforderungen bestehen, die ausgehen von den augenblicklichen Voraussetzungen und dem heutigen Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterklasse und unabänderlich zu ein und demselben Schluss führen: der Eroberung der Macht durch das Proletariat.»
Es gibt das Vorurteil, dass Kommunisten den Kampf um Reformen ablehnen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Tatsächlich besteht unsere Kritik an den Reformisten gerade in ihrer Unfähigkeit, Reformen zu erkämpfen. In seinem Übergangsprogramm erklärt Trotzki, dass Kommunisten dafür kämpfen, jede Errungenschaft der Arbeiterklasse zu verteidigen und ihr Los überall verbessern wollen. Aber unsere Aufgabe ist es, den Arbeitern zu helfen, das grosse Ganze zu sehen und die Teilkämpfe mit dem allgemeinen Kampf für den Umsturz des gesamten Systems zu verbinden. Das ist der Sinn der Übergangsmethode – zu zeigen, dass der Sturz des Kapitalismus der einzige Weg ist, die Forderungen der Arbeiter und der Unterdrückten zu erfüllen.
Ein kürzliches Beispiel für diese Methode war die kommunistische Herangehensweise an die pro-palästinensische «Encampment»-Bewegung, wo die Forderungen «Divest and Disclose» (Rückzug der Investitionen, die Netanjahu die Mittel für den Genozid geben, und die Offenlegung, wo die Universitäten investieren) Zehntausende von jungen Menschen in verschiedensten Ländern mobilisierten. Kommunisten unterstützten diese Bewegung von ganzem Herzen und beteiligen sich aktiv an ihr.
Aber es wäre sinnlos, wenn wir einfach wiederholt hätten, was alle anderen sagen und schon wissen. Genauso wenig konnten die Kommunisten die konkreten Probleme der Zeit ignorieren und einfach abstrakt behaupten, dass der Kommunismus die Lösung sei.
In Anwendung der Übergangsmethode haben wir erklärt, dass die Forderungen richtig sind, dass wir aber noch einen Schritt weiter gehen müssen. Die Forderungen weisen auf den Kern der kapitalistischen Herrschaft über die Bildungseinrichtungen hin, indem sie die Frage aufwerfen: Warum werden die Universitäten wie kapitalistische Unternehmen geführt? Warum haben wir kein Mitspracherecht bei der Verwaltung unserer Schulen – und können wir es erlangen? Den nicht gewählten Cliquen in den Vorständen der Universitäten kann man nicht trauen. Deshalb forderten wir, dass die Universitäten demokratisch von Gremien aus Arbeitern und Studenten geleitet werden und nicht von reichen, ungewählten Bourgeois. So gingen wir von der Bewegung aus, wie sie war, und führten sie in Richtung der Notwendigkeit einer radikalen Umgestaltung der Gesellschaft.
Wir erfinden nichts absolut Neues: Diese Forderungen stammen direkt aus dem «Übergangsprogramm». Angesichts des wirtschaftlichen Chaos, der Fabrikschliessungen und der Korruption forderte Trotzki die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses – d. h. die Offenlegung der Geschäftsbücher, damit die Arbeiter wissen, woher das Geld kommt und wohin es fliesst – und die Bildung von Fabrikkomitees, die das Management überwachen sollten.
Sind diese Forderungen utopisch, wie manche sagen? Trotzki antwortet: «Wenn der Kapitalismus unfähig ist, die Forderungen zu befriedigen, die unausweichlich aus den Übeln hervorgehen, die er selbst erzeugt hat, dann soll er untergehen! Die ‹Möglichkeit› oder ‘Unmöglichkeit’, diese Forderungen zu verwirklichen, ist hierbei eine Frage des Kräfteverhältnisses, die nur durch den Kampf gelöst werden kann. Auf der Grundlage dieses Kampfes werden die Arbeiter – was auch immer seine unmittelbaren praktischen Erfolge sein mögen – am besten die Notwendigkeit begreifen, die kapitalistische Sklaverei zu liquidieren.»
Alles deutet darauf hin, dass sich eine tiefe Wut in den Massen am Entwickeln ist, die in der einen oder anderen Form ihren Ausdruck finden wird. Das mag dauern, aber es wird passieren. Früher oder später wird auch die Schweiz Schauplatz von Klassenkämpfen sein, wie wir sie seit langem nicht mehr gesehen haben.
Die Revolution wird von der Arbeiterklasse selbst gemacht werden. Aber die Geschichte aller Revolutionen zeigt, dass Arbeiteraufstände, wenn es keine revolutionäre Partei gibt, die in der Lage ist, den Kampf zu führen, im Sande verlaufen.
Darum müssen wir uns mit grösster Dringlichkeit auf die grossen Ereignisse, die kommen werden, vorbereiten. Wir können es uns nicht leisten, die vergangenen, hart erkämpften, Erfahrungen zu ignorieren.
Eine Zusammenfassung kann den beiden grundlegenden Texten von Lenin und Trotzki nicht gerecht werden. Jeder Kommunist muss sie genau studieren. Die Theorie ist der Grundbaustein der RKP. Jeder Kommunist muss sich diese Ideen und die marxistische Methode zu eigen machen.
Lenin: Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus
Deutsch, CHF 14.- plus Versand
Trotzki: Das Übergangsprogramm
Deutsch, CHF 16.- plus Versand
Nordamerika — von Revolutionary Communists of America — 30. 12. 2024
Theorie — von Julien Arseneau, RCI Kanada, gekürzt und angepasst — 28. 12. 2024
Schweiz — von Martin Kohler, Bern — 23. 12. 2024
Perspektive — von der Redaktion — 20. 12. 2024