In letzter Zeit häufen sich Meldungen von Übergriffen seitens der Polizei gegenüber Linken. Die polizeiliche Gewalt und die Überwachung von politischen Bewegungen sowie die Repressionen ihnen gegenüber nehmen spürbar zu. Auch das Militär hat in Basel wieder einmal geübt, wie es gegen die Bevölkerung vorgehen kann. Neue Überwachungsgesetze werden formuliert. Wir müssen untersuchen, was genau passiert ist und weshalb. Nur so können wir eine Gegenstrategie entwickeln. Grundsätzlich ist wichtig, den Staat als Werkzeug der Klassenherrschaft zu erkennen. Deshalb rappt Tommy Vercetti „jedä cop isch e Bitch“. Nicht weil ein Cop als Individuum betrachtet ein schlechter Mensch wäre, sondern weil er als Teil der Staatsgewalt auf der Seite der Besitzenden steht. Auf der anderen Seite müssen wir die zunehmend unruhige Weltlage beachten. Doch davon später mehr. Was ist denn nun genau passiert?
Polizeigewalt in Zürich und Bern
Am Samstag, dem 5. September 2015 fand in Zürich, eine unbewilligte Demonstration für Flüchtlinge statt. Oder hätte zumindest stattfinden sollen: Die Polizei wartete nach einer Kurve mit den Gewehren im Anschlag auf die Demo und feuerte auf Kopfhöhe mit Gummischrot in die Menge. Der Einsatz gegen die friedliche Gruppe von ungefähr 1000 Personen, davon einige mit Kindern im Kinderwagen, löste grosses Unverständnis aus. Besonders ein Video, welches eine ältere Dame zeigt, die mit erhobenen Armen vollgepfeffert wird, wurde von vielen empört zur Kenntnis genommen.
Eine ähnlich aggressive Haltung gegenüber Linken zeigten ihre Kollegen der Berner Kantonspolizei. Am 12. September 2015 fand in Bern ein Protest der kurdischen Gemeinde gegen den Aufmarsch türkischer Nationalisten und Faschisten statt. Der friedliche Protest, an dem sich auch lokale Linke beteiligten, wurde von der Polizei kurzerhand für illegal erklärt. Der Hauptteil der Demonstration wurde brutal über eine Brücke zurückgedrängt, geschrotet und gepfeffert. Einige der Demonstrierenden flüchteten auf der einen Seite der Brücke eine Treppe hinunter. Dort stiessen sie dann tatsächlich mit Faschisten zusammen. Ein Faschist überfuhr mit seinem Auto mehrere Personen. Ohne den planlosen Polizeieinsatz wäre es wahrscheinlich nie zu dem Angriff auf unsere kurdischen GenossInnen gekommen. Insgesamt wurden 22 Personen verletzt. Damit nicht genug: Vier Tage später fand ein Solidaritätsessen mit der kurdischen Stadt Rojava auf dem Bahnhofsplatz statt. Doch wieder rückte die Berner Polizei mit einem Grossaufgebot in Kampfausrüstung an und kontrollierte die Beteiligten stundenlang. Um die absurde Situation noch auf die Spitze zu treiben, nahmen die PolizistInnen noch das „gefährliche “ Essen mit. Ob ihnen wohl das Kantinenessen nicht mehr schmeckt?
Die Polizei spielt Terroreinsatz…
Die Feindlichkeit, welche die Polizei gegenüber Linken an den Tag legt, ist offensichtlich. Daneben können wir auch noch eine zunehmende Militarisierung der inneren Sicherheit erkennen. Die WOZ berichtete kürzlich über die Einsätze der Berner Polizei gegen Zwischennutzungen: Eine schwer bewaffnete Anti-Terror-Sondereinheit stürmte frühmorgens verschiedene besetzte Häuser in Bern und durchsuchte sie. Angeblich wurde dabei nach einer Person gesucht, die laut Polizei mit einem Farbangriff in Verbindung stand. Das Vorgehen der Polizei lässt aber an dieser Begründung zweifeln: So zitiert beispielsweise die WOZ einen Anwohner wie folgt: „Die Sitzbänke im Kino waren rausgezerrt und kaputtgeschlagen, alle Sicherungen im Haus rausgedreht und mitgenommen worden. Eine Eisentür im Erdgeschoss war von innen nach aussen aufgebrochen worden.“ Dass derartige Einsätze verstören, zeigt die folgende Aussage einer betroffenen Person: „…Du fühlst dich missbraucht und unwohl in der eigenen Wohnung. Wenn du weisst, alles wurde von fremden Männern angefasst, all deine Hosen, deine Unterwäsche. (…) Wenn sie wirklich nach einer Person fahnden, wozu durchwühlen sie dann meine Unterwäsche oder meine Briefe?“ Besonders befremdlich ist, dass die Polizei auch nicht reagierte, als sich die gesuchte Person gestellt hat. Die Kantonspolizei hat wahrscheinlich die Gelegenheit genutzt, um eine Übung durchzuführen und ein Exempel zu statuieren, dass sie die Hausbesetzerszene nicht akzeptiert.
…während das Militär Basel besetzt.
Eine etwas grössere Übung hat Mitte September 2015 in Basel stattgefunden. Der Funke berichtete von dem „Conex 15“ genannten Manöver. Dieses reiht sich in ein fragwürdiges Schema der inneren Militarisierung ein. Bereits seit Jahren häufen sich die Einsätze und Manöver der Armee, die klar gegen Teile der Zivilbevölkerung gerichtet sind. So beispielsweise bei den Einsätzen gegen soziale Proteste im Rahmen des WEF in Davos, dem G8-Gipfel 2004 in Evian oder beim massiven Militäreinsatz zum Schutz der OSZE-Konferenz in Basel im letzten Jahr. Auch bei den Übungen „Stabilo Due“ von 2012 und „Paper“ von 2013 wurde der Einsatz gegen Demonstrierende und soziale Unruhen geübt.
In dieser netten Aufzählung repressiver Aufstandsbekämpfung darf natürlich auch der Geheimdienst nicht fehlen. Auch hier eine zunehmende Repression durch den Ausbau der Überwachung. Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) wird die rechtliche Grundlage für eine massenhafte Überwachung geschaffen. Konkret bedeutet dies: Abhören von Telefongesprächen, Lesen von E-Mails, Facebook-, Whatsapp- und SMS-Nachrichten sowie die Überwachung des Internets durch Stichwortsuchen. Und dafür braucht es nicht einmal einen Verdacht! Allerdings sollen die entsprechenden Instrumente nur zum Schutz des „Schweizerischen Werk-, Wirtschafts- und Finanzplatzes eingesetzt werden“. Falls Sie also eine Bank oder einen Konzern besitzen, können Sie sich freuen. Allgemein ist seit dem Abbau der Überwachung nach dem Fichenskandal in den 90er-Jahren nun wieder eine deutliche Zunahme der Überwachung erkennbar.
Der Charakter des Staates
Aus dem Gesagten geht klar hervor, dass eine verstärkte Repression stattfindet und/oder vorbereitet wird. Um zu begreifen, weshalb sich diese Massnahmen schlussendlich fast immer gegen Linke und soziale Bewegungen richten, müssen wir auf den Charakter des Staates eingehen. Es ist klar, dass auch Demokratien in kapitalistischen Staaten kein neutrales Pflaster sind. Seit der Entstehung des Privateigentums ist die Gesellschaft in Klassen gespalten. Diese haben entgegengesetzte Interessen, was zu fortwährenden Konflikten – den Klassenkämpfen – führt. Diese gefährden das Funktionieren einer Gesellschaft als Ganzes. Staaten entstanden, um das Funktionieren der Gesellschaft – insbesondere der Ausbeutung – zu regulieren. Sie sollen zwischen den Klassen „vermitteln“ und eine Ordnung herstellen. Allerdings steht der Staat nur scheinbar neutral „über“ den Klassen. In der Geschichte wurden Staaten immer von der Klasse geschaffen oder eingenommen, die im Klassenkampf die Oberhand gewonnen hat. Mit dem Staat sichert eine herrschende Klasse dann ihr eigenes Interesse, vor allem mit Waffengewalt. Sie sind also immer Klassenstaaten: Nach Marx ist der Staat ein Organ der Klassenherrschaft, ein Organ zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere. Er bedeutet die Errichtung derjenigen „Ordnung“, die diese Unterdrückung bestätigt und festigt, indem sie den Konflikt der Klassen dämpft. Das bedeutet nicht, dass die Polizei den einzelnen ArbeiterInnen immer nur feindlich gegenübersteht. Tatsächlich gibt es im Alltag unzählige Fälle, in denen die Interessen der herrschenden Klasse – der Bourgeoisie – mit denen der Arbeitenden einhergehen. Beispielsweise hat niemand ein Interesse daran, dass Leute auf der Strasse beraubt oder ermordet werden. Wenn sich allerdings entgegengesetzte Interessen ausdrücken, merken wir auf welcher Seite der Staat grundsätzlich steht. Besonders krass tritt dies bei Arbeitskämpfen oder Protesten der Unterdrückten hervor. Fast immer stellt sich die Staatsmacht gegen die „Unruhestifter“ und richtet sich damit auf die Seite der Unterdrücker.
Krise in Europa
Nun, der beschriebene Charakter des Staates hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Weshalb stellen wir trotzdem eine Zunahme der Überwachung und Repression fest? In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, besonders wenn es eine zunehmende Verbesserung der Löhne gibt, akzeptieren die Beherrschten grösstenteils die Ordnung. Sie sind also zumindest passiv einverstanden und merken gar nicht, dass sie die Beherrschten sind. Die herrschende Klasse regiert also scheinbar gewaltlos. In der Krise ändert sich das: Die Klassengegensätze werden offensichtlicher und die Herrschaft durch Akzeptanz reicht nicht mehr aus. Deshalb tritt die staatliche Gewalt durch die Repression immer offener zum Vorschein.
Derzeit ist nicht klar absehbar, wohin sich Europa entwickeln wird. Einige Tendenzen sind allerdings sichtbar: Die wirtschaftlichen Probleme werden grösser, die Flüchtlingsthematik aktueller und der Klassenkampf gewinnt an Intensität. Polizei, Militär und Geheimdienst nehmen diese Entwicklungen ebenfalls beunruhigt wahr. Spanien hat ein neues Polizeigesetz verabschiedet, welches soziale Proteste kriminalisieren soll. Dies ist nur ein Beispiel für viele derartige Meldungen aus den Ländern Europas. Weder die wirtschaftlichen und sozialen Probleme noch die Gewalt von Seiten des Staates sind in der Schweiz derart gross wie in der EU. Allerdings gehen die Tendenzen auch hier klar in diese Richtung. Deshalb bereitet sich die Armeespitze, welche in der Schweiz traditionell den Wirtschaftseliten nahe steht, darauf vor, das Militär gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Die Geschichte der Schweiz erzählt von zahlreichen Beispielen solcher Anwendung von Notrecht und militärischen Interventionen im Innern.
Handlungsfähig werden
Die zunehmende Gewalt zeigt, dass die Probleme tief in der Gesellschaft verankert sind. Wenn wir die Ursachen von Krisen und Flucht beseitigen wollen, steht uns also der gesamte bürgerliche Staat entgegen. Dieser wird die herrschende Ordnung bis aufs Letzte verteidigen. Für die Lösung der Probleme kommen wir also um die Zerschlagung dieses Staates schlussendlich nicht herum. Für einen derart fundamentalen Wandel ist der Aufbau einer starken marxistischen Strömung notwendig. Als SozialistInnen stellen wir uns klar gegen alle Tendenzen der Militarisierung der Polizei und gegen Einsätze des Militärs gegen die Bevölkerung. Ausserdem müssen wir den Ausbau der Überwachung durch die Nachrichtendienste bekämpfen.
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