Die Bombe ist geplatzt – die Trump-Administration belegt die Schweiz mit 39%-Zöllen. Es sind die höchsten Zölle in Europa und die vierthöchsten weltweit.
Die Politiker, die selbsternannten Wirtschaftsexperten und die Kommentatoren in der Schweiz sind völlig konsterniert. Sie alle haben seit Trumps «Liberation Day» im April Hoffnungen geschürt in einen vorteilhaften Spezialdeal für die Schweiz.
Die vorgebrachten Argumente reichten über völlige Absurditäten – Bundesrätin Keller-Sutter habe drei grosse Brüder und könne sich daher gut gegen Präsident Trump durchsetzen – bis zur lächerlichen Selbstüberschätzung, dass die winzige Schweiz ein wichtiger Wirtschaftspartner der Weltmacht USA sei.
Die Mystifizierung des Sonderfalls Schweiz in Trumps Verhandlungen glich teilweise jener über den Rütlischwur. Am diesjährigen Nationalfeiertag musste die helvetische herrschende Klasse und ihre Journalisten in der harten Realität erwachen.
Ihre Hoffnungen waren haltloser Zweckoptimismus. Die 39% zeigen deutlich, dass die Schweizer herrschende Klasse und ihre Regierung international ausgeliefert ist und kaum irgendwelche Trümpfe in der Hand hält, um ihre Interessen eigenständig zu verteidigen. Die grossen Versprechen des Bundesrats sind an seiner internationalen Bedeutungslosigkeit zerschellt. Dies wird einen weiteren grossen Vertrauensverlust für die herrschenden Institutionen bedeuten, die bereits in den letzten Jahren an Legitimität eingebüsst haben.
Was ist die Bedeutung?
Bereits am Sonntag wurden der maroden EU-Wirtschaft «nur» 15% Zöllen auferlegt, wofür EU-Chefin Von der Leyen Konzessionen von weit über einer Billion (!) Euro versprechen musste. Dies ist, gelinde gesagt, eine katastrophale Woche für die Schweizer Wirtschaft, die mitten in Europa liegt und deren wichtigster Handelspartner die EU ist.
Auch wenn die Zölle erst am 7. August in Kraft treten werden, so ist der Zollsatz von 39% bereits jetzt ein riesiger Schock für die gesamte Schweizer Wirtschaft. Die Börsenwerte der Schweizer Uhrenhändler in London sind direkt nach Ankündigung um fast 10% zusammschrumpften. Der mächtige Interessensverband Interpharma spricht von «einem schwarzen Tag für die Schweiz». Die Maschinen- und Techindustrie sagt, dass es sie, wie «alle anderen Exportbranchen» hart treffen werde.
Es kann nicht komplett ausgeschlossen werden, dass der Bundesrat bis zum 7. August – wenn die Zölle in Kraft treten sollen – oder danach einen Vertrag mit der USA abschliesst. Doch die Karten liegen auf dem Tisch, die Schweiz wird mit harten Zöllen belegt werden.
Diese verschiedenen Kapitalisten haben einen klaren Plan, wer für diese Krise bezahlen soll: Die Schweizer Arbeiterklasse. Der mächtige Kapitalistenverband Swissmem droht damit, dass «Zehntausende Stellen gestrichen werden müssten». Hinzu werden Firmenschliessungen auf der Tagesordnung stehen. Die FDP zieht die Schlussfolgerung, dass für die Kapitalisten die «Rahmenbedingungen im Inland» verbessert werden müssen. Das heisst: Steuersenkungen für Unternehmen, Sparmassnahmen für die Lohnabhängigen und Jugendlichen, Rentenerhöhungen und vieles mehr.
Die herrschende Klasse erkennt, was die Kommunisten seit Jahren voraussagen: Da die Schweizer Kapitalisten in dieser Periode den internationalen Prozessen machtlos ausgeliefert sind, müssen sie zunehmend die Arbeiterklasse im Inland angreifen, um ihre Profitbedingungen zu schützen.
Wieso wird die Schweiz so hart getroffen?
Die Zölle der USA gegen die Schweiz ist ein Kampf zwischen zwei imperialistischen Ländern mit gegensätzlichen Interessen. Trump hat erklärt, dass er das US-Handelsdefizit mit einer Vielzahl von Ländern bekämpfen will. Die Schweiz ist eines der Länder mit dem höchsten Handelsüberschuss gegenüber den USA überhaupt. Entsprechend hoch sind die Zölle. Der US-Imperialismus lässt seine Kraft spielen, um dem Schweizer Imperialismus seine Interessen aufzuzwingen.
Die Schweizer Pharmaindustrie sind Trump ein weiterer Dorn im Auge. Aus politischen, demagogischen Gründen will er die Medikamenten-Preise in den USA senken. Gleichzeitig hiessen grosse Zölle gegen die Pharmaindustrie höhere Medikamentenpreise. Deshalb ist die Pharma-Industrie vom aktuellen Zoll-Paket ausgenommen – vorerst. Die Zölle gegen die Schweiz sind daher auch eine Drohung an Novartis, Roche und Co., etwa die Hälfte ihres Umsatzes in den USA machen.
Hinzu kommt, dass Trump aktuell erst mit einer sehr kleinen Anzahl von Ländern einen Zollvertrag abgeschlossen hat – also Grossbritannien, die EU, Japan, etc. zu grossen Konzessionen zwang, um sie mit ein bisschen weniger hohen Zöllen zu belegen. Jede Art von Ausnahmeregelungen würde seinen Interessen in den Verhandlungen mit anderen Ländern widersprechen. Somit gibt es auch für die Schweiz keine Ausnahmen.
Dies trifft den Schweizer Imperialismus mitten ins Mark, schliesslich basiert er sehr grundsätzlich auf Ausnahmen. Die Liste der Schweizer Rosinenpickerei ist lang – und Trump führt explizit einen Kampf gegen Länder mit «unfairen Handelspraktiken». Da wäre beispielsweise der Schweizer Franken, der von der Nationalbank seit Jahrzehnten künstlich tief gehalten wird, um die Schweizer Exportindustrie zu schützen. Die US-Regierung nennt dies Währungsmanipulation und hat damit nicht unrecht. Ein weiterer Pfeiler des Schweizer Imperialismus ist die Vielzahl an hier ansässigen Grosskonzernen, die insbesondere durch die sehr tiefe Steuersätze angelockt werden. Und der Schweizer Bankenplatz hat seine Stellung in erster Linie dem Bankgeheimnis zu verdanken. Bereits im März setzte Trump die Schweiz wohl auf eine Liste der «schmutzigen Länder».
Imperialistische Neuaufteilung
Die tiefere Bedeutung dieses Zollangriffs liegt darin, dass der Platz der Schweiz in der Weltwirtschaft in der kapitalistischen Krise fundamental in Frage gestellt wird.
Wie wir vielfach erklärt haben, stellt Trumps zweite Präsidentschaft das Ende der liberalen Nachkriegsordnung dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach dem Fall der Berliner Mauer dominierte die Globalisierung die Weltwirtschaft. Ab den 90er Jahren waren die USA die einzige imperialistische Weltmacht.
In diesen Bedingungen konnte der «neutrale» Schweizer Imperialismus im Fahrwasser der USA viele Nischen besetzen. Auch nach 2008 konnte die Schweizer herrschende Klasse die Weltwirtschaftskrise zeitweise abwenden, indem sie ihre Wirtschaft massiv auf Exporte in die USA und China orientierte.
Jetzt rächen sich alle Krisenmassnahmen aus der Vergangenheit und verkehren sich in ihr Gegenteil. Die organische Krise des Kapitalismus ist 2008 offen ausgebrochen. Der Protektionismus hat die Globalisierung als dominierendes Merkmal der Weltwirtschaft abgelöst. Jeder Nationalstaat versucht, die Krise auf seine Konkurrenten abzuladen. Trumps «America First» – und somit alle anderen «last» – steht an der Spitze dieser Entwicklung.
Die USA sind zwar weiterhin die mächtigste imperialistische Kraft auf dem Planet, doch der chinesische Imperialismus bedroht zunehmend diese Vorreiterrolle. Der monumentale Kampf zwischen China und den USA um die Hegemonie in der Welt ist der zentrale Konflikt unserer Zeit. Die Welt wird zwischen den imperialistischen Grossmächten neu aufgeteilt.
Die 39% sind ein niederschmetternder Beleg dafür, dass das Schweizer Erfolgsrezept des «neutralen» Imperialismus in der Periode der imperialistischen Neuaufteilung jegliches Fundament verliert. Die diesjährige 1. August-Botschaft könnte kaum klarer sein: Für Rosinenpickerei, für «unfaire Handelspraxis», für neutrales Lavieren zwischen China und USA, schlussendlich für den Schweizer Imperialismus gibt es keinen Platz mehr.
Dies hat enorme Auswirkungen für die Situation in der Schweiz. Die relativ hohe Lebensqualität der Schweizer Arbeiterklasse in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ihre Grundlage in der Sonderrolle des Schweizer Imperialismus. Jetzt, da diese Epoche beendet ist, wird es für die Schweizer Arbeiter keine Krümel mehr geben. Im Gegenteil, die alten Sicherheiten und alte Errungenschaften werden abgeholzt. Das Resultat kann nur eine Intensivierung des Klassenkampfes sein.
Für eine Antwort der Arbeiterklasse!
Die Schweizer Kapitalisten und alle Politiker von links bis rechts geben Trump die Schuld für die Krise in der Schweiz. Bundesrätin Karin Keller-Sutter sagte anlässlich des 1. Augusts: «Die Schweiz muss aufstehen, weitermachen und Lösungen finden.» Die symbolische Botschaft, die an diesem Nationalfeiertag übermittelt wird, ist: Wir sind alle im gleichen Boot. Doch die Arbeiterklasse braucht ein eigenständiges, von der herrschenden Klasse vollständig unabhängiges Programm.
Was wir im April nach dem «Liberation Day» schrieben ist auch heute vollumfänglich gültig: Trump ist ein Feind der weltweiten Arbeiterklasse, aber der Hauptfeind der Schweizer Arbeiter sind die Schweizer Kapitalisten. Ob mit oder ohne Trump – sie sparen seit Jahren und Jahrzehnten in Gesundheit, Bildung und Sozialwerken. Sie streichen jedes Jahr Rekord-Dividenden ein, während die Löhne von der Inflation aufgefressen werden. Sie werden ohne zu zögern die Arbeiter und die Jugend unter die Räder der anrollenden Krise werfen.
In der kapitalistischen Krise hat die Arbeiterklasse nichts zu gewinnen, ausser durch den Kampf gegen die Kapitalisten. Dies müsste die vehemente Antwort der Arbeiterbewegung sein: Wir bezahlen eure Krise nicht!
Doch stattdessen fordert die Führung der SP, der traditionellen Partei der Schweizer Arbeiterklasse, vom Bundesrat «endlich Rückgrat zu zeigen und sich den Gegenmassnahmen der EU (gegen Trump) anzuschliessen». Aber Handelskriege sind eine Form des Krieges zwischen den imperialistischen Räubern der Welt.
Mit Gegenzöllen verteidigt die europäische Kapitalistenklasse nicht Jobs, sondern ihre Profite – und zwar ihrerseits auf Kosten der US-Konkurrenz und Arbeiterklasse. Wir können weder Trump bekämpfen noch die Lebensbedingungen der Schweizer Arbeiterklasse verteidigen, indem wir die europäische und Schweizer Kapitalistenklasse in deren Kampf um Profite unterstützen.
Für die Arbeiterklasse lautet die zentrale Frage nicht «liberale Weltordnung oder Protektionismus?» – beides führt sie ins Verderben. Wer ein Ende von Krieg, Krisen und Kürzungen will, muss sich organisieren rund um ein Programm, das mit diesem ganzen verrotteten System bricht. Der Kapitalismus ist faul bis ins Mark und kann nicht reformiert werden. Er muss durch die internationale Arbeiterklasse gestürzt werden.
Schweiz — von Exekutivkomitee — 01. 08. 2025
Kunst & Kultur — von Felix Jan, Basel — 28. 07. 2025
Schweiz — von Flurin Andry, Zürich — 22. 07. 2025
Schweiz — von Martin Kohler, Bern — 07. 07. 2025