Auch die neuen «Corona-Massnahmen» des Bundesrats stellen die Profite über die Gesundheit. Die Arbeiterklasse braucht ein Programm, um raus aus der Krise zu kommen. Und sie sucht es mehr denn je.

Der Bundesrat hat Mitte Januar die Massnahmen verschärft: Lockdown, weitere Stützung der Wirtschaft, Verschärfung des social distancing, Ausweitung der Kurzarbeit. Während v.a. Teile der SVP von rechts auf den Bundesrat einprügeln, scheint SP-Mann Berset im Bundesrat einen Grossteil der Bürgerlichen auf seine Linie gebracht zu haben. Die neuen Massnahmen mögen darum ausschauen wie ein «Schweizer Mittelweg». Aber wie immer, wenn sie von «Schweizer Kompromissen» reden, dann bekommen die Lohnabhängigen auf die Kappe und die Kapitalisten profitieren.  

Zu wenig, zu spät

Der Bundesrat ist Schuld an der harten zweiten Welle. Er hat null Vorbereitungen getroffen. Sie ist noch nicht am Ende. Jetzt droht die dritte Welle mit der aggressiveren und wahrscheinlich auch tödlicheren Mutation. Die Fälle mit der neuen Virusmutation verdoppeln sich wöchentlich. Expertengruppen des Bundes reden vom Szenario «Explosion der Fallzahlen mit Überlastung des Gesundheitswesens» (NZZ 21.1.). Sie rechnen im schlimmsten Fall mit einer gesundheitlichen Katastrophe (SRF Tagesschau vom 14.1.). Es wäre nicht das erste Mal, dass der worst case eintrifft. Der Bundesrat gibt sich alle Mühe, sich diesmal als wirklich «vorausschauend» und «hart eingreifend» darzustellen. Aber die Zeit des Handelns ist wie immer fünf nach zwölf. Der Westschweizer Komiker Thomas Wiesel hat es auf den Punkt gebracht: Der Bundesrat ist so spät dran mit seiner Reaktion auf die zweite Welle, dass er die Massnahmen schon als Massnahmen gegen die dritte Welle präsentieren kann!

Im Angesicht der Gefahr der dritten Welle mit der Virusmutation sind die Massnahmen nicht «hart», sondern wie immer brutal «weich». Die Homeoffice-Pflicht wird nicht kontrolliert und hat x Schlupflöcher. Die Schliessung der Läden betrifft einen Bruchteil der Wirtschaft. Nur ein kleiner Teil der sozialen Kontakte bei der Arbeit werden verhindert. Skigebiete und Industrie bleiben offen. Resultat? Die Mobilität sinkt nur wenig (KOF-Studie, NZZ, 27.1.). Der Bundesrat stellt die Profite der Kapitalisten über die Gesundheit der Massen – und tut das im internationalen Vergleich weiterhin auf herausragend brutale Weise.

Die ökonomische Krise bahnt sich ihren Weg. Sie übt Druck auf die Lohnabhängigen, die Selbständigen und Kleinunternehmer aus. Ein Fünftel der Bevölkerung hat in letzter Zeit weniger konsumiert, weil das Geld zu knapp geworden ist. Ein Viertel hat das knappe Ersparte anzapfen müssen (SRG-Umfrage, 15.1.). Die Ausweitung der Kurzarbeit und die Lockerung der Härtefälle schmälern diesen Druck kaum. Die  «Berset-Linie» ist alles andere als ein «Kompromiss» zwischen Kapital und Arbeit. Dass die Kapitalverbände sich nur halbherzig gegen wenige der neuen Massnahmen stellen, beweist das.

Bröckelnde Schweizer Stabilität

Die «Corona-Politik» des Bundesrats lädt die Krise voll auf die Massen ab. Immer weniger kann sich diese Regierung der Bonzen als Vertreterin «des Volkes» präsentieren. Es wird klarer, was immer schon der Fall war: dass der Bundesrat für die Interessen der Herrschenden und gegen diejenigen der Lohnabhängigen handelt. Fast zwei Drittel gaben Mitte Januar an, sie hätten (sehr) wenig Vertrauen in die Gesundheitspolitik des Bundesrats. Die Einsicht verbreitert sich, dass der Bundesrat den Föderalismus nur ausnutzt, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Und der Schein, als ob es in der Schweiz allen gut gehe, schwindet unter dem Druck und den Erfahrungen der Krise. Die soziale Frage rückt ins Bewusstsein. Es gebe zu wenig «Abfederung von Lohnausfällen, Härtefällen und Ähnlichem» sagen 66%. (SRG-Umfrage, 15.1.)

Ein stabiler Bundesrat, der Föderalismus und der Schein absoluter sozialer Sicherheit – das sind Pfeiler der Herrschaft der Schweizer Bourgeoisie. Deren jahrzehntelange Stabilität bekommt erste, sichtbare Risse.

Schein-Antwort von rechts

Die SVP-Führung versucht diesen wachsenden Unmut auszuschlachten. Auch zwei Drittel der SVP-Basis (also viele ArbeiterInnen, Selbständige usw.) fordern mehr soziale Absicherung. Die SVP greift den Bundesrat scharf an. Dieser schaue nicht für die Ärmsten (mit Schweizer Pass), was die SVP auf die Alten in den Altersheimen reduziert. Es brauche hier einheitliche Schutzbestimmungen, das löse all die Probleme. Und der Bundesrat sperre «das Volk» ein. Stattdessen müssten die Grenzen geschlossen werden!

Die SVP versucht, sich als Partei der «Armen», der Arbeiter, als Volkspartei aufzuspielen – und den Unmut in ungefährliche Bahnen zu lenken und hinterrücks eine noch blutigere Politik fürs Kapital durchzubringen: In Wirklichkeit steht die SVP für keine Lockdowns und keine Staatsausgaben zur Abmilderung der Krise! Ob und wie lange dieser Spagat gelingt, das hängt davon ab, ob die Linke der SVP-Demagogie einen wirklichen Ausweg aus der Krise entgegenstellt.

Programm gegen die Krise

Wir stecken mitten drin in der Gesundheitskrise. Die Wirtschaftskrise wird sich verschärfen und über Jahre, vielleicht Jahrzehnte hinziehen. Wenn es nach den Kapitalisten, ihren Parteien und ihrer Regierung geht, dann bezahlen wir dafür. Die Lohnabhängigen müssen sich verteidigen. Die traditionellen grossen Organisationen der Arbeiterklasse, SP und Gewerkschaften, müssen die Arbeiterklasse in den Kampf gegen die Krise ziehen: mit einem Programm, das ohne Wenn und Aber Gesundheit und Verteidigung des Lebensstandards über die Profite stellt.

Der seit Monaten steigende Unmut in den Massen drückt auch auf die SP- und Gewerkschaftsführungen. Sie stellen unterstützenswerte Forderungen auf, die weiter als die Bundesratsmassnahmen gehen. Aber sie gehen zu wenig weit.

  • Es braucht besseren Schutz am Arbeitsplatz, sagt der Gewerkschaftsbund. Aber das ist nicht einmal ein halber Schutz gegen das Virus. Alle Bereiche der Wirtschaft, die nicht «essentielle» Arbeit leisten, müssen geschlossen werden. In den essentiellen Bereichen müssen sich die ArbeiterInnen in Komitees organisieren und selbst über die Massnahmen entscheiden und deren Einhaltung kontrollieren: Die Patrons finden immer Schlupflöcher. Schülerinnen, Lehrer und Eltern müssen selbst über Schutzbestimmungen in den Schulen und allfällige Schliessungen entscheiden.
  • Ein «Ausbau des Service Public» ist notwendig und eine «Krisengewinnsteuer für die Pharma» (SP) zeigt richtig an, wo das Geld geholt werden muss. Der ganze Gesundheitsbereich und die Pharmabranche müssen den kapitalistischen Händen entrissen werden, verstaatlicht und unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Die Banken müssen verstaatlicht werden, zu einer Institution zusammengefasst werden und unter die Kontrolle der ArbeiterInnen und der Gesellschaft gestellt werden! Nur so kommen wir an die Ressourcen für die notwendigen Investitionen in Produktion und Forschung, in den Gesundheits- und Schulbereich und für die Impf- und Testkampagne!
  • Eine staatliche Lehrstellengarantie (SP) ist absolut korrekt. Das muss verallgemeinert werden: Keine Entlassungen! Volle Lohnfortzahlungen!

Dieses Programm (siehe ausführlicher hier!) ist heute schlicht lebensnotwendig. Alles darunter bedeutet, dass die Massen immer breiter und immer unerträglicher unter die Räder kommen. Die SP muss es zusammen mit den Gewerkschaften in den Betrieben, den Schulen und Quartieren verankern: Nur die Arbeiterklasse selbst hat die Kraft, es umzusetzen.

Klassenkampf gewinnen

Dieses Programm muss gegen die Kapitalistenklasse durchgesetzt werden. Die SP ist Teil des Bundesrats, einer sogenannte Kollegialitätsregierung zwischen bürgerlichen und linken Parteien. Aber es kann heute keine Kollegialität zwischen den Klassen geben. Das Jahr 2020 hat offen gezeigt, dass sich hinter dem «Kollegialitätsprinzip» des Bundesrats das genaue Gegenteil versteckt: dass Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen brutal unkollegial angegriffen werden im Interesse der Kapitalisten. Die SP muss konsequent für die Lohnabhängigen einstehen. Das heisst: Die SP-Bundesräte müssen mit der «Kollegialität» des Bundesrats brechen! Die SP muss in die Opposition zum Bundesrat! (Siehe ausführlicher hier: «SP muss in die Opposition».)

Aber nach der zaghaften Kritik am Bundesrat Ende letztes Jahr ist die SP-Führung jetzt recht «zufrieden» mit den neuen Bundesrats-Massnahmen. Sie verteidigt das Kollegialitätsprinzip gegenüber der SVP-Kritik von rechts: «So kann keine Kolle­gialregierung arbeiten»! (Wermuth im Blick, 17.1.) Die SP-Führung hinkt hinter dem Massenbewusstsein hinterher. Die Opposition zur Regierung der Kapitalisten ist heute möglicher denn je. Nochmals: ⅔ der Bevölkerung können davon überzeugt werden, dass der Bundesrat eine Regierung der Profite und der Banker ist!

Die Massen suchen nach Auswegen der Krise. Die Lohnabhängigen müssen hinter einem sozialistischen Programm vereint werden. So kann die Arbeiterklasse den einzigen gangbaren Weg aus der Krise im Sinn der Massen gehen: Bruch mit Kapitalisten und Bürgerlichen, eine eigene Regierung bilden und die Macht übernehmen, den Kapitalismus stürzen und den Sozialismus errichten.

Bild Quelle: Nau.ch

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