Heute noch nicht gelacht? Ein Blick auf die Migros-Webseite genügt. Dort steht: «Die Migros ist bei ihren Kunden, den Mitarbeitern und in der Öffentlichkeit als das führende Unternehmen für die Verbesserung der Lebensqualität anerkannt. Unsere Vision: Täglich besser leben». Die humanitäre Inszenierung des orangen Riesen – schon immer ein Mythos – ist nur noch ein schlechter Witz. 

«Täglich Leben zerstören», lautet die wahre Devise der Migros heute. Ende Mai warfen die Bosse der neuen Migros-Zentrale (Supermarkt AG) 150 Arbeiter, im Juni weitere 415 auf die Strasse. Darunter Schwangere und Frauen im Mutterschaftsurlaub. Bei der Verkündung im Hauptsitz in Zürich sind «einige heulend zusammengebrochen». 

Chefetagen behandeln Arbeiter wie Dreck

Sie sind nicht die ersten, wie Ex-Migros-Angestellte in den Kommentarspalten bezeugen: «Oh je, wie ich das kenne. Mir wurde nach über 20 Jahren gekündigt. Man sagte mir, ich sei zu alt, chronisch krank und hätte zu viele Einblicke in das, was in der Teppichetage alles falsch läuft», sagt einer. Ein anderer: «Mir wurde nach zehn Jahren gekündigt, auch Massenentlassung. Ich bin bald 60 und es gibt keinen Sozialplan. Bin scheinbar zu alt und zu teuer».

Immer wieder dringen auch Fälle von Rassismus oder Sexismus durch Vorgesetzte nach aussen: 2023 wurde eine kurdische Kassiererin fristlos entlassen, weil sie ein Kopftuch tragen wollte. 2021 musste eine Migros-Bank-Sekretärin gehen, weil ihre Beziehung zum CEO – der sie zuvor befördert hatte – für dessen Karriere zum Problem wurde. 

Grösster Kahlschlag der Geschichte steht bevor

Die 150 Entlassungen in der Zentrale im Mai waren erst der Anfang. Der Auftakt zum grössten Kahlschlag der Migros-Geschichte. Von ihren rund 100’000 Angestellten will die grösste private Arbeitgeberin der Schweiz mindestens 8’000 loswerden. Einerseits soll das klassische Supermarktgeschäft «schlanker werden, profitabler arbeiten und den Konkurrenten Marktanteile abjagen» (NZZ). Durch ein standardisierteres Sortiment sollen nicht nur Verkäufer wegradiert, sondern auch die Produktionskosten in der Migros-Lebensmittelindustrie (Micarna, Elsa, Delica etc.) gesenkt werden. Die für 2025 verkündete Schliessung der Micarna-Fabrik in Ecublens mit 84 Entlassungen war nur ein Vorgeschmack. 

Andererseits verkauft die Migros reihenweise unprofitable Geschäftsbereiche: Hotelplan, Mibelle, SportX, Melectronics, Micasa, Do it+Garden und Bike World, nur Obi bleibt vorerst. Ob und wie viele der Stellen erhalten bleiben, entscheiden die Käufer. Wenn denn überhaupt Kapitalisten in Bereiche investieren wollen, die der Migros 2023 das schlechteste Ergebnis seit fast vierzig Jahren beschert haben. Klar ist: Bei 8’000 wegradierten Stellen wird es nicht bleiben (siehe Bericht Melectronics-Verkäuferin).

Vor kurzem hatte die Schweiz noch zwei traditionelle Grossbanken, zwei traditionelle Grossverteiler und ein flächendeckendes Postnetz. Eine Grossbank ist weg. Die Post schliesst bis 2028 jede vierte Filiale. Und mit der Migros fällt die «Schweiz im Ladenformat» auseinander. Der Schweizer Sonderfall ist schon lange nur noch ein Ammenmärchen. Mit dem Wegbruch mehrerer zentraler Stützen entstehen tiefe Risse im mythischen Bild der ewig stabilen, friedlichen Schweiz. 

Nachkriegsboom und Migros-Mythos

«Nicht der Franken ist unser Massstab, sondern der Mensch», verkündete Migros-Gründer Duttweiler 1955. Und ja, auf Basis des langen Aufschwungs der Nachkriegszeit konnte sich die Migros einen sozialeren Anstrich geben. Es stimmte, dass die Migros Lebensmittel lange effizienter (Zwischenhandel umgehen, Grosseinkäufe, tiefe Lagerkosten), mit tiefen Margen und darum günstiger als die Konkurrenz zu den Konsumenten brachte. 

Als Pionierin der Selbstbedienungsgeschäfte wuchs die Migros im Nachkriegsboom jahrzehntelang ungebremst. So wurde sie nicht nur zum stärksten Grossverteiler, sondern auch zu einer sozialen und ideologischen Stütze des «Sonderfalls» Schweiz. Überall sonst mag Klassenkampf existieren – nicht jedoch bei uns. Hier spendieren Unternehmer jährlich ein Prozent für kostenlose Freizeitparks und Konzerte (Kultur-Prozent) und übernehmen erzieherische Verantwortung (Alkohol-Verbot) für ihre «Migros-Kinder».  

Migros-Managerin Gasser machte diese Absicht in einem Artikel in der Migros-Zeitung 1959 explizit: «Gerade im Essen sollen die Klassenunterschiede immer mehr verschwinden». Eine utopische Lüge, wie wir 60 Jahre später live erleben. Mit der Corona-Krise kommen die Essensschlangen in die Schweiz zurück – auch weil die Migros ihre einst tiefen Gewinnmargen auf Lebensmittel auf rund 50 Prozent anhob.

Profitmaximierung ist für ein Unternehmen im Kapitalismus keine Wahl. Wer auf dem Markt überleben will, muss sich in der Konkurrenz durchsetzen. Dabei spielt die rechtliche Form – Aktiengesellschaft (bis 1941) oder Genossenschaft (danach) – keine Rolle. Die Gesetze des Marktes kennen keine Gnade, insbesondere in der heutigen Situation der Krise nicht.

90er-Rezession: aggressive Flucht nach vorne

Der Anfang des Endes des Migros-Märchens liegt jedoch weiter zurück. Grundlage dafür war eine zu 180 Grad verkehrte ökonomische Lage. Der Nachkriegsboom schlug in eine Überproduktionskrise um, die den Detailhandel in den 90er-Jahren in Form einer tiefen Rezession traf. Der zuvor jahrzehntelang steigende Umsatz brach ein. Wegen den geschrumpften Absatzmärkten spitzte sich die Konkurrenz zu. Die Migros war zu einer Neuausrichtung gezwungen. Sie verfolgte den gleichen Kurs wie das Schweizer Kapital allgemein.

Einerseits mit harten Angriffen. Die Arbeitsintensität wurde gesteigert: «Als ich anfing, hatte ich 25 Mitarbeiter – heute noch zehn. Das Arbeitsvolumen wurde aber nicht kleiner», sagt eine seit 26 Jahren als Filialleiterin angestellte. Zudem wurden Hungerlöhne zur Normalität, wie ein SRF-Beitrag aus dem Jahr 2000 aufdeckte (siehe unten). Der Beitrag schlug Wellen der Empörung. Unter Druck der Bevölkerung führte die Migros einen 3’000 CHF-Mindestlohn ein, begann jedoch zugleich aggressiv gegen jegliche klassenkämpferischen Initiativen der Arbeiter und der späteren Unia vorzugehen. Bis heute: Beim 5-tägigen Micarna-Streik setzten die Migros-Bosse gezielt Streikbrecher ein und ignorierten sämtliche Verhandlungsangebote der Unia.

Andererseits versuchte die Migros im grossen Stil, ins Ausland zu expandieren. Ein Vorhaben, das grandios scheiterte. Nur in Frankreich konnte sich die Migros etablieren – in Österreich und in Deutschland setzte sie hunderte Millionen Franken in den Sand. Der Schuss ging nach hinten los: Nicht die Migros hat den deutschen Discountern im Ausland Marktanteile abgezwackt, sondern umgekehrt: Seit den 00er-Jahren bedrängen Aldi und Lidl im Inland zunehmend Migros und Coop.

Migros heute? Zur Hälfte eine Bank!

Die Auslandsexpansion ging schief, der Expansionszwang blieb. So startete die Migros eine gigantische Einkaufstour. Nebst Übernahmen im Detailhandel von Globus, Denner und Digitec investierte die Migros – sowohl die Zentrale als auch die zehn Genossenschaften – planlos in alle möglichen Geschäftsfelder. Heute besitzt sie eines der grössten Immobilienportfolios, ist die zweitgrösste Gastrokette und Marktführerin bei privaten Hausarztpraxen. 

Mit dem Aufkauf von Tochterfirmen blähte die Migros in den letzten 20 Jahren ihren Umsatz um 50 Prozent auf. Viele davon entpuppen sich als unprofitabel, die Migros verkauft sie und schreibt Verluste. Ein Beispiel: Globus verkaufte man 2019 mitunter an die Signa-Gruppe, der man beiläufig einen Millionen-Kredit gab. Die Migros spielte in Benkos Spekulationsorgie mit und zahlt nach dessen Konkurs den Preis: Mindestens 125 Millionen Franken sind futsch.

Was ist nur geworden aus der einstigen Pionierin Migros, die die Lebensmittelverteilung in der Schweiz revolutionierte? Zur Hälfte eine Bank! Die Migros Bank liefert heute die Hälfte des Gewinns der ganzen Migros. Letztes Jahr wuchs dieser um 30 Prozent. Nur der Bereich «Gesundheit» wächst noch schneller. Allen voran dank der Medbase-Gruppe, die hauptsächlich Hausarztpraxen und Apotheken aufkauft. 

Die aktuelle Entlassungswelle ist der Beweis, dass die Massnahmen seit den 90ern nicht weit genug gegangen sind. Mit einer Schocktherapie wird nun versucht, die Kernsparte, den Detailhandel, wieder konkurrenzfähiger zu machen. Dank Zentralisierung soll die Effizienz gesteigert werden – auf Kosten der Angestellten.

Der Nachkriegsboom ist definitiv vorbei, die neue Realität heisst Krise. Der Mythos der «sozialen» Migros bröckelt dahin, weil er keine Basis mehr hat. Damit steht sie symptomatisch für den ganzen faulenden Schweizer Kapitalismus: Anstatt produktive Investitionen zu tätigen und neue Arbeitsplätze zu schaffen, schöpft auch die Migros mit spekulativen Geschäften Gewinn ab und zerstört gleichzeitig tausende Arbeiterfamilien. 

Klassenkampf und Planwirtschaft

Dagegen wird sich die Arbeiterklasse wehren. Die Arbeiter bei Micarna im März und bei Vetropack im Mai haben bewiesen, dass mehrtägige Streiks und Teilsiege möglich sind. Gegen den Kahlschlag braucht es jedoch mehr. Zunächst muss sich die Arbeiterklasse gegen jede Massenentlassung stellen. Nicht die Migros-Arbeiter sind Schuld fürs Versagen der CEOs und deren System. Weigern sie sich, unsere Jobs zu erhalten – weigern wir uns, sie im Betrieb zu behalten. Die Bosse haben bewiesen, dass sie die Migros nur ins Verderben führen können. Die Arbeiter können die Migros viel rationaler schmeissen (siehe Bericht Micarna-Metzger).

Das Potenzial hierfür ist gigantisch. Migros (inkl. Denner) und Coop dominieren den Schweizer Lebensmittelhandel mit 80 Prozent Marktanteil. Mit ihren zentralisierten Vertriebssystemen, Lagerhallen, integrierten Lieferketten und enormen Kundendaten verteilen sie die allermeisten Alltagsgüter der Schweiz. Das Duopol bildet die zentrale Schnittstelle zwischen Tausenden Produzenten, Zulieferern und Millionen von Haushalten. Weil zentralisierter aufgestellt, operiert Coop noch effizienter als die föderalistische Migros, was diese nun aggressiv aufholt. Der Punkt ist: Im Detailhandel herrscht bereits Planwirtschaft.

Der Haken? Grosskonzerne planen zur Profitmaximierung und nicht zur Bedürfnisbefriedigung. Die Produktion ist gesellschaftlicher organisiert denn je – doch die Aneignung bleibt privat. Dieser Widerspruch lässt sich mit einer Massnahme aufheben: Enteignung und Zusammenlegung der Grossverteiler unter demokratischer Arbeiterkontrolle. Einer günstigen und hochwertigen Lebensmittelversorgung, guten Jobs und Arbeitsbedingungen, dem Ende von Food Waste etc steht damit nichts mehr im Weg. Dann wird das Leben für mich und dich ein Mehrfaches besser. 


SRF-Beitrag «Migros-Lohn»


Im Jahr 2000 enthüllte ein SRF-Beitrag die Hungerlöhne der Migros. «Wie viel verdienst du?», fragt die Reporterin eine Reihe von Angestellten. «2’500 Franken netto», sagt eine junge Kassiererin. Ein seit zehn Jahren angestellter Verkäufer, der 2’800 Franken verdient, sagt: «Aus finanziellen Gründen wohne ich bei meiner Tante.» Ein Rayonleiter im Verkauf und zweifacher Vater kriegt 3’200 Franken. Ob er die Familie damit ernähren könne? «Nein. Ich muss zur Fürsorge und erhalte dort zusätzlich 550 Franken pro Monat.» Mit den Sozialhilfe-Fällen trotz 100%-Pensum konfrontiert, sagt der damalige Leiter der Migros-Genossenschaft Aare: «Für mich sind das Einzelfälle. Ich empfehle ihnen eine Budgetberatung.» Apropos Einzelfälle: Laut der SRF-Recherche hat ein Drittel der Migros-Aare-Angestellten einen Netto-Lohn von weniger als 3’000 Franken.

Hier gehts zum SRF-Beitrag.


Eine Melectronics-Verkäuferin erzählt …


Ich bin im letzten Lehrjahr als Verkäuferin bei Melectronics. Wir Angestellten in den Fachmärkten (auch bei SportXX, Do-It-Garden, Micasa etc.) haben von der wahrscheinlichen Schliessung der Geschäfte nicht etwa von der Migros, sondern aus den Zeitungen erfahren. Seit diesen News ist die Stimmung komplett gekippt. Seither bauen sie Personal ab und schicken Leute zum Aushelfen in andere Abteilungen. Das ist in nur wenigen Monaten in der ganzen Migros zur Norm geworden. Es ist eine bekannte Taktik der Migros, Leute bis zum Äussersten zu treiben, sodass sie dann selber kündigen. Jetzt ist es einfach noch viel schlimmer. Auch Kassiererinnen werden zusätzlich in andere Abteilungen geschickt, weil es sie hier angeblich «nicht mehr braucht» – was nicht stimmt: Es herrscht krasser Personalmangel und Stress, viele werden krank, einige verletzen sich. Bei uns sind oft nur noch 1 bis 3 Angestellte gleichzeitig im Einsatz. Es ist unmöglich, so fünf Paletten Waren abzufertigen und gleichzeitig Kundenservice zu machen. 

Ich sehe seit Wochen jeden Tag mindestens eine Person, die am Ende des Arbeitstags weint. Das ist nicht normal. Natürlich wirkt sich das auf die Stimmung und die Beziehungen zwischen allen aus. Die Leute regen sich sehr leicht auf, beschweren sich ständig und das ist sehr demoralisierend. Nach den News der möglichen Schliessungen hatten wir uns mit dem Team 1-2 Monate zusammengerauft. Aber jetzt, wo sie sogar den Supermarkt angreifen, trifft es  offensichtlich alle. Bei permanenter Angst vor Entlassungen und ständigem Druck der Vorgesetzten – wie soll man da abends schlafen können? Wir fühlen uns unfähig, erschöpft, ungehört und regelrecht ausgebeutet. Obwohl die Migros im letzten Jahr Rekordzahlen schrieb. Uns sagt man, dass sie alles kürzen müssen, weil alles zu teuer ist. Sie wagen es, die Schuld auf uns zu schieben. Auf die Leute, die wegen ihren Arbeitsbedingungen krank und verletzt wurden. Was für ein Schlag ins Gesicht! (S.K., 21)


Ein Micarna-Metzger erzählt …


Ich arbeite im Schlachthof von Courtepin. Dort werden jedes Jahr 84 Millionen Tiere getötet, davon 80 Millionen Hühner – das ist fast die Hälfte aller in der Schweiz getöteten Hühner und nicht ganz die Hälfte aller zum Verzehr getöteten Tiere. Kurzum: eine intensive und konzentrierte Todesindustrie. 

Mir werden oft Fragen gestellt wie «Warum bist du Metzger?», «Wie schaffst du es, Tiere zu töten?», «Warum bist du nicht vegan?». Oder auch philosophische Fragen: «Wie schaffst du es, ständig mit dem Tod in Kontakt zu sein und ein Nahrungsmittel herzustellen, das die Umwelt so stark belastet?»

Meine Antwort ist, dass ich als Proletarier nicht lebe, um mich in der Arbeit zu verwirklichen. Ich arbeite, um zu überleben – wie ein Ochse auf seiner Ranch. Arbeit im Kapitalismus ist keine Wahl, sondern eine Pflicht. Denn wenn nicht ich an dieser Stelle stehe, wird ein anderes Maschinen-Anhängsel die gleichen Aufgaben erfüllen. Wirklich selten habe ich Arbeiter getroffen, die den Beruf des Metzgers aus Leidenschaft ausübten. 

Ausserdem kann ich die rassistischen Handlungen während meiner Lehre nicht zählen. Sie zielten alle darauf ab, mich zu entmenschlichen, mich auf die Stufe eines Tieres zu erniedrigen. 

Das Spielen mit Tierorganen, das Werfen eines Ochsenherzens am Laufband, das Zerquetschen eines Auges – all das sind Möglichkeiten, sich von der ständigen Arbeit mit dem Tod zu distanzieren. Von einer Funktion, die wir nur widerwillig ausüben, weil wir dabei nicht uns selbst sind. 

Tatsächlich ist die Art und Weise, wie der Mensch mit dem Tier umgeht, immer ein Abbild der Art und Weise, wie der Mensch mit dem Menschen umgeht. Die Micarna-Schlachthöfe sind ein echter Beweis dafür, dass man in einer Gesellschaft, die auf der Ausbeutung des Menschen beruht, keine harmonischen Beziehungen zwischen Mensch und Lebewesen erwarten kann.

Für die Freisetzung des menschlichen Potenzials in Einklang mit unseren natürlichen Grenzen mögen die Streiks in Micarna fortgesetzt werden – und sich die Bauern in den Kampf einreihen. Es lebe das Lebendige, es lebe der Kommunismus zu unseren Lebzeiten! (Démon Banimaudit, 25)  


Eine entlassene Migros-Verkäuferin erzählt …


Bis vor Kurzem arbeitete ich bei der Migros im Verkauf. Ein Alptraum. Am ersten Arbeitstag ging es los. Beim Vorstellungsgespräch wurde ich gefragt, ob ich (bald) schwanger sei. Ich nahm die Stelle an, weil ich dringend eine brauchte. 

Der Lohn war erschreckend tief. Ich sollte Stellvertreterin werden. Der Chef gab erfahrenen Angestellten den Auftrag, mich auszubilden. Einige waren eifersüchtig, weil sie den Job wollten und erklärten mir darum Dinge nur halb richtig oder ganz falsch. Dadurch geschahen Fehler, für die ich verantwortlich gemacht wurde. 

So musste ich immer wieder zum Chef antraben. Ich war gewarnt, wusste von einem anderen Mitarbeiter, dass der Chef herablassend über mich herzog. Einmal eskalierte die Situation so krass, dass er mit Büromaterial nach mir warf. 

Ich war bei weitem nicht die Einzige, die unter dem schlechten Arbeitsklima litt. Nur wer sich beim Chef einschleimte, kam zu den besten Arbeitsschichten, den gewünschten Urlaubstagen und weiteren Vorteilen.

Von diesen Leuten kam auch Mobbing und Sexismus. Kommentare über Aussehen und Verhaltensweisen – bei mir auch über mein Engagement gegen Frauenunterdrückung. Manchmal ging es auch über sexistische Sprüche hinaus: Einmal kam ein Arbeitskollege zu mir und sagte, dass er unbedingt Geschlechtsverkehr mit mir haben wolle – und ich solle doch ja sagen. Ich nahm meinen Mut zusammen, stellte ihn im Pausenraum vor anderen zur Rede – bis er sich zumindest halbherzig entschuldigte. 

Das alles führte bei mir zu physischen und psychischen Problemen, die sich auf die Arbeit auswirkten. Nach einer Krankschreibung fragte ich die Zentrale, ob ich nicht die Filiale wechseln könne. Ich wurde in die Zentrale zitiert, diese spielte die Vorfälle trotz Zeugen herunter und gab mir schlussendlich eine gesetzeswidrige Kündigung. 

Ich bin kein Einzelfall. Dieses Vorgehen gegen «aufmüpfige» Angestellte ist Standard. Die Gewerkschaft war abgesehen von einer halbherzigen Rechtsberatung keine Hilfe.

Streiken wie bei Micarna? Das ist eigentlich das einzig richtige. Wer als Einzelproblem aufmümpft, hat die Kündigung. Sie können aber nicht allen kündigen. Wenn sich Leute zusammentun und sich dann halt auch sicher fühlen, also wenn zum Beispiel ein Gewerkschafter wirklich in den Betrieb kommen würde und das Aufgleisen täte, dass es dann mit einem Streik laufen könnte. Denn wir müssen etwas machen gegen diese tiefen Löhne, gegen diesen Umgang und auch zum Schutz der Angestellten vor Sexismus, Rassismus etc. (Marta, 36)