Und dann, nach Monaten der Ungewissheit, hatte die Schweiz eine Art Deal mit Trump. Wir erinnern uns, der US-Präsident hatte im August 39 %-Zölle auf Schweizer Exporte in die USA verhängt. Es war ein beispielloser Schock für die selbstgefällige Schweizer Kapitalistenklasse. Seither sind die Exporte kollabiert und die Arbeitslosigkeit beginnt zu steigen.

Jetzt sollen die Zölle auf 15 % gesenkt werden. Das ist immer noch deutlich höher als die rund 2 % vor Trump. Aber hey, immerhin fällt der desaströse Wettbewerbsnachteil weg, weil Schweiz und EU nun mit gleich hohen Zöllen bestraft werden!

Zweifellos ist das ein kleiner Durchbruch für die Schweizer Kapitalisten, die sichtlich am Rande der Verzweiflung stehen. Nur, erstens ist der «Deal» in Wahrheit erst eine Absichtserklärung. Der Weg zu einem echten Vertrag bleibt voller Hindernisse. Zweitens wird die Schweiz, um den Zugang zum zweitwichtigsten Exportmarkt nicht ganz zu verlieren, faktisch auf die Knie gezwungen.

Diktatur des Finanzkapitals

Das vielleicht Bedeutsamste ist jedoch nicht der Deal an sich, sondern wie dieser zustande kam. Bundespräsidentin Keller-Sutter war im Sommer von Trump gedemütigt und der Bundesrat an die Seitenlinie gedrängt worden.

Der Durchbruch gelang nun, nachdem eine Handvoll Milliardäre im Weissen Haus antrabte: Eigentümer und CEOs der Uhren- und Luxuskonzerne Rolex und Richemont, der Schattenbank Partners Group, der weltgrössten Reederei MSC, von Rohstoffhändlern und Goldraffinerien. Diese Mafiatruppe mit dem Codenamen «Team Switzerland» bestach Trump mit einem gravierten Goldbarren und einer Rolex – und wir alle konnten zuschauen.

Die NZZ fragte verblüfft: «Wer regiert eigentlich dieses Land?». Bam, den Nagel voll auf den Kopf getroffen! Man denke sich noch die abwesenden Pharma-Bosse – deren Interessen dennoch bestens vertreten waren – und den Herrn Ermotti der UBS dazu, et voilà: Da haben wir ein fast perfektes Gruppenbild, mit Namen und Gesichtern, wer dieses Land regiert und ruiniert.

Der Aufschrei der Liberalen und ihrer reformistischen Anhängsel in der SP ist riesig: «Die Oligarchie übernimmt!» Aber wir sehen hier nicht eine unglückliche Entgleisung in der Trump-Epoche. Wir sehen das wahre, nackte Wesen des Schweizer Staates: Hinter der demokratischen Fassade steht die Diktatur des Finanzkapitals.

Die wichtigen Entscheide wurden und werden nie vom «Volk» getroffen, meist noch nicht einmal von gewählten Politikern. Der Staat hat einen riesigen, ungewählten Beamtenapparat, der, wie Lenin erklärte, «durch tausenderlei Fäden mit der Bourgeoisie verknüpft» ist. Neu ist nur, dass wir dieses Spektakel, das sich sonst in Hinterzimmern und Lounges von Edelhotels abspielt, offen gezeigt bekommen. Dafür sollten Linke Trump eigentlich dankbar sein.

Hunderttausende Pflegende lernen gerade durch ihre eigene schmerzhafte Erfahrung, dass dieser Staat den «Volkswillen» nicht umsetzt, sobald er den Interessen der Kapitalisten widerspricht (siehe S. 4). Wer diesen Pflegenden – wie die SP – einredet, wir müssten nur die oligarchischen Auswüchse eines ansonsten neutralen und demokratischen Staates korrigieren, wirft ihnen Sand in die Augen. 

Wir werden unsere Interessen als Arbeiterklasse nur verteidigen können, wenn wir alle Illusionen in diesen Staat ablegen: Er vertritt die Interessen der Reichen, nicht der «Allgemeinheit». Wir können uns nur auf die Kraft unserer Klasse im Kampf gegen die Kapitalisten und ihren Staat stützen.

Niederlage für Schweizer Imperialismus

Und der Deal selbst? Grob soll die Schweiz bis 2028 ihren Handelsüberschuss abbauen und 200 Mrd. Dollar in den USA investieren – dreimal mehr als bisher. Sie soll ihren Markt für US-Agrarprodukte und -SUVs öffnen, Tech-Monopolen besseren Zugang gewähren und sich im Konflikt mit China enger an Washington ausrichten. Offenbar stehen auch Waffenkäufe im Raum.

Das ist ein brutaler Schlag und eine klare Niederlage für die Schweiz. Sie wird vom US-Imperialismus unterworfen und muss sich diesem stärker unterordnen. Doch die Schweiz ist kein armes, unschuldiges Land. Sie führt gegen die USA keinen anti-imperialistischen Kampf, an dem irgendetwas unterstützenswert wäre. Sie ist selbst ein imperialistisches Land, dessen herrschende Klasse reich geworden ist durch die globale Ausbeutung.

Aber es ist ein kleiner Imperialismus, der stark vom Export und Freihandel mit allen grossen Blöcken (EU, USA, China) abhängig ist. Und die heutige Weltsituation entzieht genau dieser früher so erfolgreichen Position die Grundlage. In Zeiten von Handelskriegen und dem imperialistischen Kampf um die Neuaufteilung der Märkte wird die kleine Schweiz zwischen den grossen Blöcken hin- und hergeschleudert und zerrieben.

 Dieser Druck der Weltsituation übersetzt sich in der zunehmend hitzigen Polarisierung zwischen den Parteien im Inland. Sie streiten sich darüber, welchem Block sich die Schweiz eher unterordnen soll und welchem nicht.

 Die gleiche SVP, die sich stets zur heroischen Verteidigerin von «Neutralität» und «Unabhängigkeit» aufspielt und gegen jede «Unterwerfung» unter die EU tobt, reagiert auf den Deal bemerkenswert ruhig und positiv. Denn eine Verschiebung Richtung USA bedeutet eine Verschiebung weg von der EU. Dagegen ist es nun die SP, die lauthals «Unterwerfung!» schreit. Sie will den Bundesrat per Petition unter Druck setzen, den Deal abzulehnen und sich stattdessen näher an die EU zu schmiegen.

 Diese spiegelbildlichen Positionen zeigen das objektive Dilemma und die historische Sackgasse des Schweizer Imperialismus. Beide repräsentieren auf umgekehrte Weise den unmöglichen Versuch, den Schweizer Kapitalismus vor dem Niedergang zu retten.

 Wir haben schon im Frühling gewarnt:

«Wir müssen um jeden Preis verhindern, uns dem einen oder anderen Flügel auf ihrem sinkenden kapitalistischen Schiff anzuhängen. Das sind Kämpfe innerhalb der Kapitalistenklasse, in denen die Arbeiterklasse nur verlieren kann.»

Perspektiven der Revolution in der Schweiz, 2025

Denn für ihre Sackgasse zahlt im Kapitalismus in jedem Fall die Arbeiterklasse. Bei den 39 %-Zöllen drohten 15’000 gestrichene Stellen. Und jetzt? Grössere Investitionen in den USA heisst Produktionsverlagerungen nach Übersee. Das heisst Jobabbau hier. Die ersten 550 Entlassungen hat Novartis im Werk in Stein (AG) bereits angekündigt. Ob 39 oder 15 %, ob näher an die USA oder an die EU, den Preis zahlt am Ende die Arbeiterklasse.

Der ganze Clash zwischen den Imperialisten ist Ausdruck der tiefen Krise des Kapitalismus. In alledem gibt es nichts Fortschrittliches, weder bei Trump noch bei der Schweizer Kapitalistenklasse. Diese Pharmakonzerne, die Milliardäre und ihre Regierung kümmern sich um ihre Profite, nicht um das Leben von uns Menschen. 

Italien und Romandie weisen den Weg

Aber das ist nur die eine Seite in der Dynamik, die unsere aktuelle Periode kennzeichnet. Von Sri Lanka bis Nepal erhebt sich die Gen Z in Revolutionen gegen die herrschende Klasse (siehe S. 8). In Italien sahen wir diesen Herbst einen echten Wendepunkt. Die Arbeiterklasse trat in einen massiven politischen Generalstreik für Palästina, mit zwei Millionen Teilnehmenden auf den Strassen. Und in der Schweiz stehen die Arbeiter des öffentlichen Dienstes in der Waadt im grössten Kampf seit den 1990ern (siehe S. 6).

In immer breiteren Schichten der Arbeiterklasse reift das völlig korrekte Gefühl, dass alles zusammenhängt und wir von einer korrupten, kranken Minderheit regiert werden, die für uns arbeitenden Menschen keinen Fortschritt mehr bringt. 

Die Massen in Italien streikten spezifisch gegen die Unterstützung der Regierung fürs israelische Genozid-Regime. Doch ein so gigantischer Ausdruck der internationalen Solidarität ist nur verständlich vor dem Hintergrund des generellen Unmuts, der sich nach 20 Jahren Angriffen auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse angestaut hat. Und in der Waadt wird die Kampfkraft gegen die Sparmassnahme befeuert durch den Luxus und die Skandale von denen da oben.

Das ist extrem bedeutend. Genau hier liegen die Lösung und der Ausweg aus der Krise der Menschheit. Nicht auf dem Terrain des bürgerlichen Staates, nicht in der Diplomatie zwischen imperialistischen Nationalstaaten, sondern im Klassenkampf gegen die Reichen, in der Kraft der mobilisierten Arbeiterklasse in den Betrieben und auf der Strasse. Die Arbeiterklasse muss letztlich die Macht selbst übernehmen. Einen anderen Weg aus dem Horror des Kapitalismus gibt es nicht. 



Inhaltsverzeichnis

Der Kommunist Nr. 17 illustriert die Rückkehr des Klassenkampfes anhand der aktuellen Ereignisse. So wird greifbar, dass die Qualität der politischen Führung entscheidet, ob Revolten siegen oder versickern.

Neue Weltordnung

Die liberale Weltordnung hat in diesem Jahr tödliche Schläge erhalten. Alle Länder sind beeinträchtigt vom Kampf der Grossmächte, um die Neuaufteilung ihrer Einflusssphären. Und das drückt ins Bewusstsein. 

  • Der Leitartikel (S. 2-3) analysiert, was der Zoll-Deal der Schweiz mit den USA bedeutet. Es ist eine Niederlage des Schweizer Imperialismus und entlarvt, wer wirklich das Land regiert.
  • Weil Venezuela (S. 17) ins Visier von US-Aggressionen rückt, erklären wir die konsequente anti-imperialistische Haltung. Was passiert, wenn man die Imperialisten gewähren lässt, zeigt das Beispiel der Zerstörung Jugoslawiens (S. 23).
  • In Palästina (S. 22) hat der Waffenstillstand keine Probleme gelöst, sondern zementiert die Unterdrückung weiter. 

Klassenkämpfe in der Schweiz

Die Krise entblösst die wahren Verhältnisse und Klasseninteressen auch in der Schweiz stärker. Doch die Arbeiterklasse hat keine Partei, welche ihr hilft, die eigenen Interessen zu verfolgen. Trotzdem sind die Arbeiter heute daran, radikale Schlussfolgerungen über die Schweizer Demokratie und die Streikwaffe zu ziehen.

  • Weil die Pflegeinitiative (S. 4-5) weiterhin nicht umgesetzt wird, radikalisieren sich die Gesundheitsarbeiter, während die Gewerkschaftsführungen hinterherhinken. 
  • In der Waadt (S. 6) sind die öffentlichen Angestellten korrekterweise gegen Sparmassnahmen in den Streik getreten. Wo die Führung einen Weg aufzeigt, wird gekämpft. Aus dieser Erfahrung müssen wir wichtige Schlüsse ziehen.
  • Die JUSO (S. 7) hat es mit ihrer “Zukunfts-Initiative” nicht geschafft, am Klassenhass anzusetzen, woraus jetzt Lehren gezogen werden sollten.

Lektionen aus der revolutionären Welle

Der Widerstand der Unterdrückten gegen das System drückt sich auf vielfältige Weise auf: Von Wahlen bis hin zu mächtigen Revolutionen. Aber nirgends ist es ein Selbstläufer: Die Notwendigkeit, eine marxistische Führung aufzubauen, zeigt sich schärfer denn je.

  • Vereinigte Staaten (S. 14-15): Auch die Wahl Donald Trumps ist ein – verzerrter – Ausdruck der Radikalisierung der Arbeiterklasse. Weil die breitere Linke das nicht versteht, reagiert sie falsch. 
  • Was mit einem klassenkämpferischen Ansatz möglich wäre, zeigt die Wahl von Mamdani zum Bürgermeister New Yorks (S. 16). 
  • Gen Z-Revolutionen (S. 18-21): Die Bewegungen in Sri Lanka, Bangladesch, Kenia und Indonesien zeigen das gewaltige revolutionäre Potential der Massen, aber auch die verheerenden Effekte einer fehlenden Führung.

Wie geht Parteiaufbau?

Die Arbeiterklasse ist der Krise ausgeliefert, weil sie keine konsequente eigene Führung hat. Das können wir heute nicht ersetzen. Aber die RKP tat in diesem Herbst alles, um dieses Problem so schnell wie möglich zu lösen. Sie interveniert in aktuellen Kämpfen, um die fortgeschrittensten Schichten zu organisieren und mit Ideen zu bewaffnen, welche die Arbeiterklasse weiterbringen. Diesbezüglich konnten wir im Herbst Erfolge feiern. 

  • Im Rahmen der Rekrutierungskampagne (S. 10) unserer Partei dürfen wir 57 neue Mitglieder in unseren Reihen begrüssen. Einen Teil davon haben wir angetroffen an der Pflegedemo (S. 5), den Baustreiks (S. 8) oder der Palästinademo (S. 11).
  • Die wichtigste Aufgabe der Jung-Kommunisten ist es nun, sich den Marxismus anzueignen. Auf S. 12-13 erklären wir, wie das geht.
  • Der Kulturteil(S. 9) antwortet auf linke “Experten”, die in Rap nur Kapitalisten-Propaganda sehen.