Am kommenden Sonntag wählt Basel eine neue Regierung und ein neues Parlament. Vier Tage vor dem Wahltermin haben aber erst 29,1% gewählt. Warum stösst diese Wahl trotz den turbulenten Zeiten, der Pandemie und der einbrechenden Wirtschaft auf so wenig Interesse?
Die Krise des Kapitalismus zeigt immer mehr ArbeiterInnen und der Jugend auf: Wenn das System so weiterläuft, wird unser Leben nur schlechter, auch im rot-grünen Basel. Der Kapitalismus und der bürgerliche Staat schützen weder Klima noch Gesundheit, sondern das Scheffeln von Profit. Die Systemkrise seit 2008, vor allem die Zeit der letzten Monate, haben bei vielen Arbeitenden und Jugendlichen einen Bewusstseinssprung ausgelöst. Doch das scheint bei der Führung der SP Basel noch nicht anzukommen. Zumindest, wenn man sich ihr Wahlprogramm für die kommenden Wahlen für den Grossen Rat am 25. Oktober anschaut. Es lässt sich als ein generelles «Weiter so» beschreiben, mit viel Eigenlob und wenig konkretem oder kämpferischen Inhalt, um den schlimmen Perspektiven etwas entgegenzusetzen. Viele grosse Verschlechterungen und Entwicklungen werden einfach hingenommen, als wären Mietsteigerungen und steigende Krankenkassenprämien unaufhaltsame Naturkatastrophen, die man nicht bekämpfen kann. Das einzige was die SP gerade machen möchte, ist die schlimmsten Auswirkungen etwas abzufedern.
An der Wirtschaftsleistung gemessen, hat der Kanton Basel-Stadt mit Abstand das höchste BIP pro Kopf in der Schweiz. Das liegt vor allem an den Zugpferden Roche und Novartis, zwei Unternehmen mit jährlichen Milliardengewinnen. Doch auch in Basel leben wir in einer Klassengesellschaft: Während die Pharmagiganten die fette Profite einfahren und mit Steuergeschenken hofiert werden, verschlechtern sich die Zukunftsaussichten der ArbeiterInnen und Jugend zunehmend.
Die Mieten in Basel sind seit 2005 um 20% gestiegen und die Krankenkassenprämien sind schweizweit am höchsten. Es gibt immer mehr Menschen, die ohne Prämienverbilligung finanziell nicht überleben können. Anstatt die Profiteure des Gesundheitssystems wie Krankenkassen, private Spitäler und Firmen zur Verantwortung zu ziehen, bekommen diese AusbeuterInnen eine Subvention in Form von einer Zahlungsgarantie: Wenn der einzelne einfach zu arm für eine Zahlung der Versicherung ist, wird die Prämie vom Kanton aus dem Steuertopf bezahlt. Die Abzocke und deren staatliche Mitfinanzierung werden sich intensivieren, wenn nicht das gesamte Gesundheitssystem inklusive Versicherungen verstaatlicht werden.
Auch auf anderen Gebieten wie am Arbeitsplatz sollen die Lohnabhängigen für die Krise des Kapitalismus zahlen: Die vereinzelten «Rationalisierungen» (Entlassungen) türmen sich immer mehr zu einer Entlassungswelle auf. Diese rollt auf eine breite Schicht ArbeiterInnen zu. Im September stieg die Zahl von Arbeitslosen in Basel gegenüber September 2019 um 1’283 an (+46.3%). Die Jugendarbeitslosigkeit stieg im selben Zeitraum um 39% an. Und dabei stehen wir erst am Anfang von Jahren der Massenentlassungen. Wenn wir uns nicht wehren!
Ohne Kampf gegen die kapitalistische Krise müssen die Arbeiterklasse und die Jugend für die Krisen zahlen. Und das in allen erdenklichen Formen: mit asozialen Gesetzen, wie beispielsweise dem CO2-Gesetz, Lohnkürzungen und Massenentlassungen, Sozialabbau, steigenden Prämien und Mieten.
Eine Grundlage um sich gegen die Verschlechterungen zu wehren, ist ein Programm, das es schafft Antworten auf die Krise zu geben. Es wäre allerdings utopisch anzunehmen, der bürgerliche Staat und die Kapitalisten würden die Probleme lösen, bloss weil Rot-Grün eine Wahl gewinnt. In Zeiten des Frontalangriffs der Kapitalisten dürfen wir uns nur auf die eigenen Kräfte der Arbeiterklasse verlassen. Das heisst, man muss es schaffen aufzuzeigen, dass die ArbeiterInnen die brennendsten Probleme selbst lösen müssen. Denn spätestens seit der Krise 2008 konnte man es flächendeckend sehen: der Staat und die Kapitalisten sind dazu nicht fähig. Gibt es Massenentlassungen, sollen die ArbeiterInnen den Betrieb übernehmen. Sind Mieten nicht mehr bezahlbar, sollen die Immobilienhaie enteignet werden und mit den schon gemachten fetten Profiten neue und günstige Wohnungen gebaut werden. Ein Programm für die ArbeiterInnen sollte es nicht einfach nur geben, um gewählt zu werden, sondern sollte Aufruf und Inspiration zum eigenständigen Handeln der Arbeiterklasse sein. Wir sind die einzigen, die es schaffen können, die kommende Katastrophe abzuwenden.
Leider gibt die SP-Basel auf die beschriebenen Entwicklungen der Krise keine Antwort. Das Credo bleibt weiterhin: verwalten wir die Krise etwas sozialer als die Bürgerlichen, aber greifen wir bloss nicht die Reichen und Mächtigen an, die sich weiterhin auf den Rücken der arbeitenden Menschen bereichern.
In ihrem Wahlprogramm steht zum Beispiel, dass man soziale Sicherheit garantieren will, «indem wachsende Krankenkassenprämien weiterhin mit Prämienverbilligungen aufgefangen und ein existenzsichernder Mindestlohn angestrebt wird». Die Menschen, die die Krise am härtesten trifft, sollen also zumindest noch am finanziellen Abgrund bleiben dürfen und die Abzocke der Krankenkasse wird weiterhin subventioniert. Dass Verursacher und gleichzeitig die Profiteure der Krise seit 2008, wie Pharma-Konzerne oder Miethaie endlich mal für wirkliche Lebensverbesserungen der Arbeiterklasse aufkommen sollen, steht dagegen nicht in ihrem Programm.
Auch wenn das neue Co-Präsidium der SP Schweiz aus Cedric Wermuth und Mattea Meyer gerade bei den Pharma-Konzernen zumindest mehr staatliche Kontrolle fordern, ist davon leider bei der SP-Basel gar nichts zu lesen. In ihrem Programm fehlt davon jede Spur.
Auch bei der Wohnungsfrage sind die SP Rezepte wenig hilfreich: Laut ihrem Programm sollen 50% gemeinnützige Wohnungen auf neuen Arealen und eine «griffige Umsetzung der Wohnschutz gegen Verdrängung»–Initiative den akuten Wohnungsmangel und hohen Mietkosten beheben. Wie zahnlos das Gesetz zum Wohnschutz ist, schreibt der Mieterinnen- und Mieterverband (MV) treffend: «Doch wie, wenn nichts wäre, gehen die Massenkündigungen und die Renditesanierungen weiter. Zwar liegt jetzt endlich ein Gesetz parat. Doch wir müssen es per Referendum beseitigen, denn es würde, wenn überhaupt nur für wenige Mieter/innen überhaupt gelten.»
Wie unwichtig vielen Leuten der Wahlkampf ist, zeigen die Wahlbeteiligung der letzten paar Grossratswahlen. Im Jahr 2016 stimmten von 106’407 wahlberechtigten BaslerInnen nur 43’583 überhaupt ab. Ohne eine Partei mit einem Programm, dass die Lohnabhängigen mobilisiert und zwar nicht nur zum Wählen, sondern um sie für politische Arbeit und Organisation zu begeistern, stehen viele ArbeiterInnen so einer Wahl gleichgültig gegenüber. Die Zahlen zeigen gut auf, dass die ArbeiterInnen sich logischerweise von einem Programm mit «Kurs beibehalten» abwenden, wenn der Kurs und die Entwicklung der Gesellschaft seit 2008 bestenfalls in Richtung Stagnation aber meistens Verschlechterung geht. Dass sich Wohnraum und eine Krankenversicherung, notwendige Bestandteile einer menschenwürdigen Grundversorgung, immer mehr Menschen kaum leisten können, sollte eigentlich Anlass genug sein, sich als linke Partei neuen Aufgaben und Ziele zu setzen als diesen Zustand verwalten zu wollen.
Ziel einer Partei der Arbeiterklasse sollte es nicht sein, Wahlbündnisse mit Parteien wie den Grünen einzugehen, welche gerne für die Umwelt bereit sind, bürgerliche Politik unterstützen. In ein solches Bündnis gezwängt, sind der SP für eine kämpferische Politik die Hände gebunden. Für die Linken in der SP sollte das Ziel klar sein: Sie müssen die Interessen der Arbeiterklasse und Jugendlichen wirklich konsequent vertreten, auch gegen den Widerstand der rechten GegnerInnen innerhalb und ausserhalb ihrer Partei.
Das heisst auch, die ArbeiterInnenklasse zu ermutigen, sich selbst zu organisieren und den bisher ungelösten Problemen wie zum Beispiel der Wohnsituation anzunehmen. Das ist nämlich eine Aufgabe, die nicht durch Lockangebote für Investoren und den Markt gelöst werden kann und das sehen wir nicht nur in Basel, sondern in verschiedenen Formen und Schweregraden in vielen Städten weltweit.
Um dieses Elend überwinden zu können braucht es ein Programm, das sich nicht auf Erhaltung des Status Quo beschränkt, sondern den ArbeiterInnen als Kompass für selbstständiges Handeln dient, sich einen Ausweg aus der Misere des Kapitalismus zu bahnen. Denn um gegen die Klimakrise, den Rassismus aber auch für ein menschenwürdiges mit genug Wohnraum, Bildung und Arbeit für alle zu kämpfen, müssen die wichtigsten Industrien und Lebensbereiche von der Arbeiterklasse demokratisch organisiert werden und nicht über den bürgerlichen Staat oder die Kapitalisten. Nur wenn die ArbeiterInnen die Produktion kontrollieren, wird ein Wirtschaften und Funktionieren der Gesellschaft möglich sein, das im Interesse der grossen Mehrheit der Bevölkerung ist und nicht im Interesse einer kleinen Anzahl von KapitalistInnen.
Ivo Müller
Marxist Society Uni Basel
Bild: flickr ActiveSteve
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