Die Redaktion hat für diese Sommer-Ausgabe unserer Zeitschrift entschieden, eine Sondernummer zu kapitalistischer Barbarei in ihrer höchsten Form, zu Imperialismus und Faschismus, zu veröffentlichen. Wir haben seit 2008 und dem Aufbrechen der historischen Krise des Kapitalismus immer betont, dass sich eine neue Epoche eröffnet. Diese ist jedoch nicht nur die Epoche der Revolutionen, sondern auch der Konterrevolutionen, der Kriege und der Reaktion. Es muss uns jederzeit klar sein, in welche Richtung das Pendel der Kämpfe ausschlägt, in welcher Phase des Klassenkampfes wir uns befinden. Nur so können wir die Forderungen und politischen Losungen entwickeln, welche der Lebensrealität und dem politischen Bewusstsein der Lohnabhängigen und der Jugend entsprechen.
Die revolutionären Strömungen der ArbeiterInnenbewegung haben ein reiches Erbe an theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Imperialismus und mit dem Faschismus. Dies kommt nicht von ungefähr. Es ist Ausdruck der historischen Notwendigkeit eines tiefen Verständnisses für die Quellen und Wirkungen der Entwicklung des Kapitalismus und seiner Krisenhaftigkeit. Wollten die GenossInnen der Sozialistischen Jugendorganisation vor 100 Jahren die Barbarei des Krieges bekämpfen, mussten sie sein Wesen verstehen. Die Charakterisierung des Ersten Weltkrieges als einen imperialistischen Krieg war eine ganz zentrale theoretische Errungenschaft. Die Avantgarde der ArbeiterInnenbewegung hat aufgezeigt, dass die wirksame Bekämpfung des Krieges nur über die revolutionäre Massenaktion geführt werden kann, da er eben aus der inneren Logik der historischen Entwicklung des Kapitalismus entspringt.
Heute wird in der bürgerlichen Presse seitenlang über die Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs sinniert. Wir dürfen uns noch auf vier weiter Jahre an Ausfluss bürgerlichen Moralismus’ freuen, der diese oder jene „Ideologie“, dieses oder jenes isolierte Ereignis als Erklärung für den Krieg aufführt. Für uns ist jedoch entscheidend, dass der Krieg nicht verstanden werden kann ohne den Zustand der ArbeiterInnenbewegung zu verstehen. Dieser ermöglichte den Krieg erst, Stichwort Burgfrieden in Deutschland respektive union sacrée in Frankreich. Sie war es aber auch, die den Krieg beendete, massgeblich durch die Oktoberrevolution und die Deutsche Revolution 1918. Ohne ArbeiterInnen kann kein Krieg geführt werden. Wenn die Lohnabhängigen diese Erfahrung nun verallgemeinern, also übertragen auf alle anderen Aspekte der Produktion und Reproduktion in der bürgerlichen Gesellschaft, so kann eine mächtige revolutionäre Bewegung aus dem Krieg und dem Kampf gegen diesen entspringen.
Hier tritt die Aufgabe der politisch organisierten ArbeiterInnenbewegung, der SozialistInnen, hervor. Ein isolierter Kampf gegen Kriege, ohne gleichzeitigen Kampf gegen die Wurzeln dessen, ist wie Krebs mit Homöopathie bekämpfen; irgendwie romantisch, aber durch und durch naiv. Die moralische Verwerfung bspw. der Israelischen Bombardierung von Gaza beeindruckt die israelische herrschende Klasse keinen Millimeter. Eine Hunderttausende zählende Phase von Mobilisierung für soziale Gerechtigkeit, gegen die Besetzung und für arabisch-israelische Solidarität jedoch ganz gewaltig. Die israelische Regierung fürchtet nicht die Raketen der Hamas, sondern eine mögliche dritte Intifada von Palästinas Jugend und ihre Verschmelzung mit einem neuerlichen Aufstand der israelischen Jugend und Arbeitenden. Wir müssen den Krieg natürlich klar verurteilen. Wir müssen jedoch auch sagen, dass dieser nicht der Bosheit der israelischen Regierung entspringt, sondern vor Allem dazu dient, die Kontrolle der israelischen herrschenden Klasse über die Gesellschaft zu wahren. Er lenkt von den sozialen Problemen der israelischen und arabischen Massen und von der astronomischen Korruption der israelischen Bourgeoisie ab.
Nur die gemeinsame Massenaktion der palästinensischen und arabischen mit den israelischen Massen im Kampf für den Sozialismus kann diesen Konflikt nachhaltig beenden. Diese Erfahrung wurde durch den Ausgang des Ersten Weltkriegs voll bestätigt. Die deutschen Arbeiter verweigerten sich unter dem Eindruck der Oktoberrevolution dem Krieg und stürzten den Kaiser. Nur beliess damals die SPD die tiefen Wurzeln der kapitalistischen Herrschaft, das Privateigentum an Produktionsmitteln, unangetastet und somit konnte die Bourgeoisie ihre gesellschaftliche Herrschaft aufrechterhalten. Die Rettung des Kapitalismus durch die Sozialdemokratie ermöglichte, trotz dem Gerede vom „letzten Krieg“, einen neuen „letzten Krieg“ ungeahnt grösseren Ausmasses, den Zweiten Weltkrieg. Diese Erfahrung muss in die politische Auseinandersetzung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung um die Frage des Krieges und des Militarismus fliessen. Ihre Position ist „mehr (bürgerliche) Diplomatie“, Militäreinsätze in Konfliktgebieten unter dem täuschenden Slogan der Friedenssicherung. Unsere ist der konsequente Kampf auf einer internationalistischen Klassenbasis gegen jeglichen imperialistischen Krieg. Diese Perspektive ist im Mittleren Osten heute nicht eine leere Losung, sondern entspricht der Realität der sozialen Kämpfe in einer ganzen Weltregion.
Neben dem Imperialismus hat heute in Europa die Frage nach dem Wesen des Faschismus eine gewisse Bedeutung erlangt. Dieser ist schlussendlich nichts anderes als offener Bürgerkrieg der Bourgeoisie gegen die ArbeiterInnenbewegung unter Mobilisierung des Kleinbürgertums in einer Massenbewegung, um gewaltsam die Disziplin in den Fabriken und somit die Verwertungsbedingungen der Kapitalisten wiederherzustellen. Die ArbeiterInnen sollen in einen Zustand semi-sklavischer Existenz geworfen werden. Es ist nicht erstaunlich, dass es gerade in Griechenland, wo eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung existiert, die offen faschistischen Kräfte am stärksten sind. Der Nährboden für eine Stärkung des Faschismus ist jedoch in ganz Europa vorhanden. So schreibt die NZZ, dass die „bisher gut situierte Klasse [des Kleinbürgertums] in den vergangenen Jahren in vielen industrialisierten Ländern in Bedrängnis geraten [ist], weshalb die Furcht vor dem gesellschaftlichen Abstieg zugenommen hat.“ Gleichzeitig sahen wir eine Explosion der Kämpfe der Lohnabhängigen, die mehr oder weniger offen die gesellschaftliche Dominanz der Bourgeoisie in Frage stellen. Schafft es nun die herrschende Klasse einen Teil des Kleinbürgertums gegen die ArbeiterInnenbewegung in Rage zu bringen, so können verstärkte faschistische Bewegungen entstehen.
Dies ist jedoch kein Fatalismus. Der Verlauf der Ereignisse ist nichts mechanisches, sondern bedingt das bewusste Eingreifen der gesellschaftlichen Kräfte, der sozialen Klassen und ihres organisierten Ausdrucks. Anstatt panisch vor dem Aufstieg der vermeintlich „faschistischen“ extremen Rechten der Bourgeosie zu schreien, müssen wir den subjektiven Zustand unserer eigenen Klasse stärken. Trotz allen Parallelen zu tragischen Geschichte des politischen Versagens der organisierten ArbeiterInnenbewegung, müssen wir auch die Differenzen betonen. Das Kleinbürgertum wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Klasse quantitativ und qualitativ geschwächt. Heute gibt es kaum noch Krämer oder Bauern und Schichten des Kleinbürgertums, wie die öffentlichen Angestellten, sind heute an der Speerspitze im Kampf gegen Sparmassnahmen und somit politisch mit der ArbeiterInnenklasse verbunden. Diese hat auch noch keine entscheidende Niederlage einfahren müssen, ist noch nicht paralysiert, was den Aufstieg und die Machteroberung des Faschismus überhaupt erst ermöglicht.
Die Stärkung des Klassenbewusstseins der Lohnabhängigen geht nur über den Bruch mit der schweren Altlast der Klassenkollaboration an wirtschaftlicher und politischer Front. Die Nostalgie der Partei- und GewerkschaftsbürokratInnen nach der „guten alten Zeit“, die sich nach dem „menschlichen“ Kapitalismus der Nachkriegszeit zurücksehnt, in welcher auf reformistischem Weg Verbesserungen der Lebensbedingungen der Arbeitenden herausgeschlagen werden konnten, gehört entschieden bekämpft. Neben dem Nähren von Illusionen in die Möglichkeiten der Verbesserungen innerhalb dieser Ordnung schwächt sie auch ganz entscheidend die Kampfkraft der Klasse. Dies sind dieselben politischen Fehler, die die deutsche Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit beging und dadurch eine zentrale Verantwortung für den Aufstieg des Faschismus trug. Wir verteidigen nicht die von breiten Teilen der ArbeiterInnen und des Kleinbürgertums verachtete bürgerliche Ordnung, sondern wir kämpfen für eine neue, für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft.
Perspektive — von der Redaktion — 20. 12. 2024
Nah-Ost — von Hamid Alizadeh, marxist.com — 08. 12. 2024
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