Jedes Jahr am 1. Mai gehen weltweit Millionen Menschen auf die Strasse, um zu demonstrieren. Der internationale Kampftag der Arbeitenden sollte jedoch mehr sein als ein isoliertes Schaulaufen der ArbeiterInnenbewegung. Er sollte Ausdruck aller aktuellen Kämpfe der Lohnabhängigen sein und Ausgangspunkt für neue gesellschaftliche Kämpfe darstellen.
Dass der 1. Mai eben mehr als blosses Wurstessen sein kann, wird in Frankreich wohl eindrücklich illustriert werden. So stellt er dort dieses Jahr den Ausgangspunkt für Massenmobilisierungen dar, gegen die sich ankündigenden Sparmassnahmen, welche, egal ob nun der Giftzwerg Sarkozy oder der Karrierist Hollande zum neuen Präsidenten wird, durchgeführt werden müssen. Beide werden sie konsequent dem Diktat des Finanzkapitals weichen. Hollande wurde denn auch nach Bekanntwerden der Resultate der ersten Wahlrunde sogleich von Seiten des EU-Wirtschaftskommissars gewarnt, bloss nicht vom Spardiktat abzuweichen. Demgegenüber wird die Mai-Mobilisierung der französischen ArbeiterInnenbewegung, allen voran die der Gewerkschaften und des Front de Gauche, als erste Warnung an die kommende Regierung fungieren: „Mit unserem Widerstand ist zu rechnen, egal welcher Bandit dieses Land regiert“.
Doch in Frankreich ist die Situation noch harmlos, verglichen mit anderen europäischen Ländern. Die Zuspitzung der Klassengegensätze ist bereits so weit fortgeschritten, dass Generalstreiks mit überwältigender Beteiligung, wie in Spanien, und im Fall Griechenlands sogar mehrtägige Generalstreiks keine Wirkung zeigen. Die herrschende Klasse kann keinen Schritt von ihrem Programm der Zerschlagung des Kündigungsschutzes, der Sozialwerke und der Löhne weichen, ohne dass ihr ganzes Wirtschaftssystem, welches einzig und alleine durch die Konkurrenz und die Profitlogik der Besitzenden angetrieben wird, bedroht wird. Die spanische Regierung kann im Zuge eines weiteren Rezessionsjahres, welches vom IWF vorrausgesagt wird, ihr Defizit unmöglich reduzieren und wird daher die Sparbemühungen verfehlen und die Finanzmärkte noch stärker gegen sich aufbringen. Entweder das, oder sie wird, um ihren Budgetplan zu realisieren, wie es die Financial Times vom 15. April auf den Punkt brachte, „so viele Krankenschwestern und Lehrer entlassen müssen, dass daraus ein politischer Aufstand resultiert.“ Die Perspektive eines politischen Bürgerkriegs auf europäischem Boden zeugt vom Charakter der Epoche in welcher wir leben, ganz zu schweigen von weiteren Ausbrüchen von Klassenkämpfen auf allen Kontinenten. Es ist der Beginn einer revolutionären Periode der offenen Klassenauseinandersetzungen, welche momentan in Europa durch die Diktatur des Finanzkapitals gekennzeichnet ist. Die weitere Entwicklung ist dabei jedoch noch völlig offen.
Hier in der Schweiz rufen die Gewerkschaften und die SP, die 1. Mai Komitees und die Arbeiterunionen heuer nach „mehr“. Mehr Schutz, mehr Lohn, mehr Rente. Dies ist richtig, wir brauchen mehr und wir, die arbeitende Klasse, haben vor allem Anrecht auf mehr. Dabei müssen wir uns jedoch im Klaren darüber sein, dass ein Maiaufmarsch nicht ausreichen wird, um diese Forderungen zu realisieren. Ganz zu schweigen davon, dass sich die Bourgeoisie durch gutes Zureden davon überzeugen lassen wird. Auch ist es schön und gut, wenn uns der SGB mit seinem Verteilungsbericht aufzeigt, wie ungleich sich die Einkommens- und Besitzverhältnisse auch in der Schweiz entwickeln. Dabei bleibt leider die einzige Schlussfolgerung mit einem praktischen Wert die Forderung eines Mindestlohns, welcher eh schon mit einer Initiative gefordert wird. Dank einer Studie wissen wir, dass die Abstimmungen von denjenigen gewonnen werden, welche die Millionen springen lassen können. Ein Rückbesinnen der ArbeiterInnenbewegung darauf, was der deutsche Sozialist Wilhelm Liebknecht als Aufgabe der Sozialdemokratie sah, ist heute nötiger denn je, nämlich die Enthüllung der Klassengegensätze in der bürgerlichen Demokratie.
Es reicht auch in der Schweiz nicht mehr aus, bei der herrschenden Klasse die Bittsteller zu spielen. Und vor allem wird eine stärkere Verteilung des Reichtums nicht ausreichen, um die grundsätzlichen Widersprüche des Kapitalismus, welche dieser Krise zugrunde liegen, zu beseitigen. Die Besitzverhältnisse und der Nationalstaat zwängen die materiellen wie auch geistigen produktiven Möglichkeiten bei dem gegebenen technischen Entwicklungstand in zu enge Grenzen.
Natürlich sind in der Schweiz die objektiven Bedingungen nicht dieselben und die Zuspitzung der Klassengegensätze hat noch nicht ein solches Niveau erreicht wie etwa in Griechenland oder Spanien. Doch auch für die Lohnabhängigen dieses Landes stehen die Zeichen schlecht und auch hier muss in der kommenden Periode mit Angriffen der herrschenden Klasse gerechnet werden. Im letzten halben Jahr wurde wieder deutlich, dass es sich unmittelbar auf die Wirtschaftszahlen der Schweiz überträgt, wenn die europäische (und besonders die deutsche) Wirtschaftsleistung schrumpft und dabei sind die wirtschaftlichen Aussichten für Europa bekanntlich alles andere als rosig. Und wer die Last bei einem Konjunktureinbruch trägt, ist ja spätestens seit 2008/2009 klar: die Lohnabhängigen.
Auch wenn bürgerliche Ökonomen immer wieder betonen, dass der Franken, trotz dem angehobenen fixen Wechselkurs, überbewertet sei, so ist er eine „neue Realität“, mit welchem sich die Unternehmer konfrontiert sehen. Das europäische Finanzkapital, welches ganze Länder in Europa in die Barbarei stürzt, macht auch vor der Schweiz keinen Halt. Teilweise ist der Run auf den Franken eine Fluchtreaktion angesichts des Fehlens profitabler Investitionsmöglichkeiten, teilweise sind es spekulative Angriffe. Ein Abnehmen des Drucks auf den Franken ist mittelfristig nicht absehbar. Die Konsequenz der Frankenstärke ist, dass die Produktionskosten in der Exportindustrie sinken müssen, wenn mit den sinkenden Margen (Profite) auf dem europäischen Markt Schluss sein soll. Dies können sie nur auf dem Rücken der Lohnabhängigen erreichen. Die von den Exportunternehmern als temporär ausgewiesen Arbeitszeiterhöhungen ohne Lohnausgleich werden sich nicht nur in den entsprechenden Sektoren als dauerhaft entpuppen, sondern sie werden sich, wegen des grossen Gewichts der Exportindustrie, als neue Leitlinie im gesamten Arbeitsmarkt durchsetzen. Dabei wird auch der Druck auf die lästigen Sozialabgaben zunehmen und unweigerlich weiter politische Offensiven gegen die Sozialwerke zur Folge haben. Und als was entpuppt sich das Programm der Schweizer Bourgeoisie? Weniger Lohn, weniger Schutz, weniger Rente, etc.!
Die Klassengegensätze zu ignorieren, bedeutet heute willentliche Ignoranz. Weiter oben haben wir gesagt, die Zeichen stünden schlecht für die Lohnabhängigen. Doch dies ist kein Fatalismus, es ist kein Schicksal, welches wir einfach zu akzeptieren haben. Wir müssen vielmehr die politischen und praktischen Konsequenzen aus den sich anbahnenden Ereignissen ziehen. Die Zeiten der Klassenkollaboration sind definitiv vorbei. Daher muss auch Schluss sein mit den institutionellen Überbleibseln aus vergangenen Tagen.
Wir tragen keine einzige Sparmassnahme auf dem Buckel der Arbeitenden, der Jugend oder den Rentnern mit: keine Beteiligung an bürgerlichen Regierungen auf allen Ebenen, sondern konsequente Kampagnen auf den Strassen und an den Arbeitsplätzen gegen jegliche Konterreformen. Wir akzeptieren keine Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen: keine Geheimverhandlungen und faulen Kompromisse, die Friedenspflicht in GAVs gehört ersatzlos gestrichen. Im letzten Spätsommer haben wir gesehen, wie die Unternehmer in Betrieb um Betrieb die Arbeitszeit erhöhten. Die kapitalistische Konkurrenz führt zum Durchsetzen der miesesten Arbeitsbedingungen, insofern auf keinen Widerstand getroffen wird. Das neuste Beispiel ist die Schliessung von Merck Serono, der Genfer Zentrale des deutschen Pharmakonzerns Merck, bei der rund 1250 Angestellte entlassen wurden. Angriffe auf die Arbeitsbedingungen gehören im Betrieb und in der gesamten Branche bekämpft. Doch das reicht nicht aus. Deshalb kämpfen wir für „Mehr Lohn, mehr Schutz und mehr Rente“ und dies heisst eben auch, „weniger Profit, weniger Willkür und weniger Ausbeutung“ für die Bourgeoisie. Die ArbeiterInnenbewegung muss sich wieder trauen, ihre Forderungen nach dem zu benennen, was sie sind: Klassenkampf!
Solidarität der Arbeitenden im Kampf ist unsere Antwort auf die Konkurrenz der Besitzenden. Für dies steht die marxistische Strömung „der Funke“ ein. Wir sind der Überzeugung, dass heute mehr denn je ein sozialistisches Programm mit revolutionärem Charakter entwickelt werden muss, da die Forderung nach „mehr“, wie europaweit offensichtlich geworden, an die Grenzen des kapitalistischen Systems stösst.
Der 1. Mai ist ein internationaler Kampftag und die ArbeiterInnenklasse ist eine internationale Klasse. So wie wir von den Kämpfen unserer KollegInnen und GenossInnen in der ganzen Welt lernen und inspiriert werden, so kommt auch den Lohnabhängigen in diesem Land eine wichtige internationale Rolle zu. Wir müssen Schluss machen mit der Kapitalflucht in Schweizer Bankkonten. Die Banken dieses Landes gehören verstaatlicht und der in ihnen vorhandene Reichtum gehört ihren rechtmässigen BesitzerInnen übergeben, nämlich denen, die ihn produzierten. Also den griechischen, den spanischen, den französischen ArbeiterInnen, den revolutionären Massen der arabischen Welt und allen anderen unterdrückten und ausgebeuteten Lohnabhängigen dieser Welt. Diese Verantwortung tragen wir heute alle und sie wird, neben unserer eigenen Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung, die eigentliche historische Mission der Lohnabhängigen dieses Landes sein.
Vertrauen wir in unsere eigene Stärke!
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