In den Medien erscheinen täglich neue Schlagzeilen wie „Vermögen werden sich in Luft auflösen“ (Tages- Anzeiger) oder „ Europäische Schuldenkrise – Auch die USA hängen mit drin“ (NZZ). Jüngst warnte auch IWF-Chefin Christine Lagarde in Bezug auf die Schuldenkrise in Europa und den USA, dass wir uns angesichts der steigenden Risiken für die Weltwirtschaft „in einer gefährlichen neuen Phase“ befinden. Weltbank-Chef Zoellick meint, die Situation sei noch viel bedrohlicher als 2008.
Weltweit flaut die Konjunktur ab und die Schulden der westlichen Welt reissen immer mehr Länder in den Strudel von Sparmassnahmen und wirtschaftlichem Niedergang. Der amerikanische Starökonom Nouriel Roubini erschreckte die Bürgerlichen mit seiner Bemerkung, Karl Marx hätte eben doch recht gehabt und der Kapitalismus zerstöre sich selber (Wall Street Journal). Auch wenn Marx niemals behauptet hatte, dass sich das Kapitalistische System selber zerstören werde, beweisen solche Eingeständnisse aus den Reihen der Mächtigen und Reichen erst recht, was wir MarxistInnen seit dem Börsencrash 2008 sagen: Das kapitalistische System steckt weltweit in einer tiefen Krise. Und unter denselben Rahmenbedingungen ist keine Lösung in Sicht.
Noch vor einem Jahr bejubelten die bürgerlichen Politiker und Ökonomen die überstandene Krise von 2008 und klopften sich gegenseitig auf die Schultern für die, aus der Staatskasse finanzierten, horrenden Finanzspritzen zur Bankenrettung. Dass die daraus resultierende Staatsverschuldung nur zu einer noch dramatischeren Krise führen werde, wollten sie nicht sehen. Lieber versuchte man durch Sparpakete und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen die Staatsschulden zu schmälern und gleichzeitig noch den letzten Profit aus den Lohnabhängigen herauszupressen. Was daraus resultiert sieht man nicht nur in Griechenland, das nun erst recht am Rande des Staatsbankrotts steht, sondern in der ganzen westlichen Welt: Die zunehmende Verelendung der grossen Mehrheit, während sich gleichzeitig eine kleine Minderheit sogar in und an der Krise bereichert. So macht die Finanzoligarchie mittels parasitärer Spekulation auf Staatsanleihen auch noch mit dem Elend der Bevölkerung Geld. Der Kapitalismus zeigt auch bei uns sein hässliches Antlitz immer offener. Vorbei sind die Zeiten in denen der Lebensstandard gewachsen ist. Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, Abbau der Sozialleistungen, Arbeitslosigkeit und ständig wachsende Ungleichheit der Vermögensverteilung ist auch im Westen bittere Realität geworden. Auch die Schweiz, welche bis jetzt vergleichsweise unversehrt durch die Krise gekommen ist, kommt langsam in den Engpass. Ratlos steht die Politik vor dem Problem der Frankenstärke und sieht keine Lösung ohne schmerzhafte Folgen, allem voran fürchtet man inflationäre Auswirkungen.
Die Bürgerlichen, oder zumindest die etwas intelligenteren und ehrlicheren unter ihnen, bekennen sich sogar ihrer Ratlosigkeit. Zum Beispiel erklärte der Tagi am 14.September unter dem Titel „Wo Karl Marx recht hatte“, dass die drei allgemein anerkannten Methoden zur Krisenbekämpfung nicht wirken: „Der Staat fällt längerfristig als Retter aus, weil er keine eigene Wertschöpfung betreibt, wenn seine Betriebe privatisiert sind noch weniger. Der Kapitalist fällt aus, weil er sich in der Krise zwar individuell rational, aber kollektiv irrational verhält und mit seinen Sparanstrengungen die Krise verschärft. Institute wie die Zentralbanken fallen aus, weil ihre Instrumente nur die Geldseite beeinflussen können, aber nicht das Grundübel der zu tiefen gesellschaftlichen Produktivität.“
Und trotz dieser nüchternen Einschätzung überschlagen sich die Bürgerlichen bereits mit Ideen für weitere Sparmassnahmen, während gleichzeitig für denselben Lohn länger gearbeitet, Milliarden für das Militär ausgeben und natürlich weiter die Unternehmenssteuern gesenkt werden sollen. Und die Schweizer Nationalbank druckt Geld als Mittel zur Schwächung des Frankens, weswegen sie dafür die Ausschüttungen (immerhin 1/3 ihres Gewinns) an die Kantone einstellt. Die Leidtragenden sind und werden auf jeden Fall die Lohnabhängigen sein.
Zur selben Zeit sehen wir jedoch, wie in Israel, Griechenland, im arabischen Raum, in Spanien, in England, in Chile usw. die Unter- und Mittelschicht nicht einfach hinnehmen, dass sie die Krise ausbaden müssen. Auch in Italien hat am 6. September ein achtstündiger Generalstreik stattgefunden, bei dem Hunderttausende von ArbeiterInnen und SchülerInnen in über 100 Städten auf die Strassen strömten. Und das ist erst der Anfang. Selten zuvor fanden auf der ganzen Welt so viele und so breite Volksbewegungen statt, und dies auch in den sogenannt „reichen“ Ländern des Westens. Noch nie konnten Milliarden Menschen diese Bewegungen im Internet und im Fernsehen „live“ mitverfolgen. Wer vor einem Jahr von Revolution gesprochen hat, wurde noch belächelt. Jetzt entstehen auf der ganzen Welt Bewegungen, welche das politische und wirtschaftliche System offen in Frage stellen. Es sind Bewegungen der privat und öffentlich Angestellten: von den StudentInnen, über die Arbeitslosen, den Beamten, bis hin zu den IndustriearbeiterInnen. Gerade nicht der Ärmsten, sondern derer, die etwas zu verlieren haben und es am verlieren sind. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage, wird die Zukunft noch turbulenter werden. Die Bürgerlichen haben weltweit gezeigt, dass sie zu keinerlei Kompromissen bereit sind.
Diese weltweite Verschärfung der Klassenkämpfe wird auch an der Schweiz nicht spurlos vorübergehen. Es wurde immer behauptet, wir seien die grosse Ausnahme in der Krise, die Insel im stürmischen Meer. Nun sieht man deutlich, dass dies nicht stimmt. Als Exportland, 50% des BIP wird mit dem Export gemacht, ist die Schweiz in hohem Masse vom Weltmarkt abhängig. Wie das Konzept der vermeintlichen Schweizer Sonderrolle weder auf die Wirtschafts- und Finanzkrise, noch auf die bürgerlichen Massnahmen dagegen (Sparpakete und Bankenrettung) angewandt werden kann, so stimmt sie genau so wenig in Bezug auf die Arbeitskämpfe. Auch in der Schweizer ArbeiterInnenklasse brodelt es. Viele gewinnen die Erkenntnis, dass der Kapitalismus ihnen nichts mehr bieten kann: Zu viele Angriffe auf ihren Lebensstandart mussten sie ertragen. Vor allem bei den MigrantInnen und der Jugend, welche am stärksten von der Krise betroffen sind, dem öffentlichen Sektor und der Exportindustrie sind wirtschaftliche und politische Kämpfe nicht nur möglich, sie haben auch bereits begonnen. Die Bauarbeiter stehen aufgrund des Angriffs der Baumeister auf den Landesmantelvertrag vor Streikmassnahmen, am 22. September findet der Kampf- und Aktionstag des Schweizer Gesundheitspersonal statt, die Lehrer des Kanton Zürichs wollen mit allen Mittel eine Reduktion der Arbeitszeit erreichen und die SchülerInnen haben ihre Entschlossenheit gegen die Atomlobby zu kämpfen mit einem Schülerstreik bewiesen. Auch dass sich ein Büchlein wie „Aufstand des Gewissens“, worin Jean Ziegler den Kapitalismus frontal angreift, innerhalb von zwei Wochen 25‘000 mal verkaufte, zeigt die wachsende Bewusstseinsbildung der Massen.
Die Bürgerlichen haben verständlicherweise Angst vor dieser Entwicklung, sie versuchen abzulenken, die Sozialpartnerschaft zu beschwören und mit Hetzkampagnen gegen AusländerInnen und MigrantInnen die Arbeiterklasse zu spalten. Doch leider hat die Linke nicht minder Angst, sich in einer Auseinandersetzung von Unten und Oben positionieren zu müssen. Lieber leben sie noch in den „angenehmen“ Zeiten der Sozialpartnerschaft und Klassenkollaboration, ohne einzusehen, dass so nicht einmal mehr kleine Zugeständnisse für die Lohnabhängigen herausspringen. Im Gegenteil! Die Linke schafft es nicht einmal mehr frühere Errungenschaften zu verteidigen und hinkt stattdessen den Sparprogrammen und Kürzungen mit lahmen Gegenvorschlägen und Referenden hinterher. Die SP hat sich ihr Nestchen im Bürokratentum seit Jahrzehnten gebaut und das wird weiterhin in diesen turbulenten Zeiten mit aller Hingabe gehegt und gepflegt. So besteht ihre Politik praktisch nur noch auf parlamentarischer Ebene und die geeinte Jagd auf Pöstchen. Inhaltlich schreibt die SP sich die Konkordanz und den Konsens auf das Banner und stellt sich so freiwillig als Feigenblatt für die bürgerliche Politik des Kapitals zur Verfügung. Anstatt sich in der Krise klar zu positionieren und für die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung einzustehen, trägt die Linke nur mit geringem Widerstand Bankenrettung und Sparprogramme mit.
Es gilt nun die Zeichen der Zeit zu erkennen, denn diese stehen auf Sturm. Die politische und wirtschaftliche Situation verschärft sich, ob wir das wollen oder nicht. Wir müssen uns von der Illusion befreien, dass wir von den Bürgerlichen noch irgendetwas erwarten können. Die Sozialdemokratie muss nun zusammen mit den Gewerkschaften konsequent gegen die Krisenpolitik der Bürgerlichen ankämpfen, denn diese zerstört unseren Lebensstandard. Bereiten wir unsere Partei für die kompromisslose Opposition gegen die Bürgerlichen vor. Ein Schritt dazu können wir nach den Wahlen im Oktober tun. Treten wir aus dem Bundesrat aus! Dieser vertritt einzig und alleine die Interessen der Banken und Bonzen. Wir müssen der ganzen Bevölkerung klar machen, dass wir in keinster Weise mit den Bürgerlichen unter einer Decke stecken. Doch dies alleine ist nur ein kleiner Schritt. Wir müssen die Sozialdemokratie wieder zu einer Partei aufbauen, welche fähig ist die Lohnabhängigen zu organisieren, welche fähig ist den Kampf nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Strasse und in den Betrieben zu führen. Wir müssen das Vertrauen der breiten Schichten der Lohnabhängigen wieder gewinnen und sie wieder für die Politik aktivieren. Wir müssen unser eigenes Programm ernst nehmen und eine Perspektive jenseits des Kapitalismus aufzeigen.
Die internationalen Bewegungen haben gezeigt, dass sie einen organisierten politischen Ausdruck benötigen, um tatsächlich etwas zu verändern. Doch keine der bestehenden Parteien waren fähig diesen darzustellen. Es ist die Aufgabe der Sozialdemokratie genau das zu werden. Der Aufbau der SP als politische Organisation der Lohnabhängigen und einer kompromisslosen Oppositionspolitik wird zweifellos ein harter Weg werden. Doch wir haben nichts zu verlieren.
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