Vor über 200 Jahren machte ein gewisser Herr Malthus Furore. Er behauptete die Bevölkerung wachse exponentiell, die Nahrungsmittelproduktion dagegen nur linear, und gab dieser Erkenntnis den Namen „Bevölkerungsgesetz“. So malte er das Bild einer Bevölkerungsfalle, welches die Erde, die darauf lebenden Menschen, nicht mehr ernähren kann. Um das Problem zu lösen, predigten die Anhänger des Malthusianismus der arbeitenden Klasse sexuelle Enthaltsamkeit. 200 Jahre später zeigt sich, dass das Bevölkerungsgesetz von Malthus vor der Geschichte nicht bestanden hat. Doch mit der Ecopop-Initiative versucht gerade eine Gruppe  konservativer Ideologen in besorgtem Tonfall aus eben jener Argumentation ein Gesetz zu giessen.

Das vornehmliche Ziel der Ecopop-Initiative ist eine Bremsung des Bevölkerungswachstums auf 0,2% der Bevölkerungszahl pro Jahr. Damit sollen vorgeblich „die ECOPOPnatürlichen Lebensgrundlagen [der Schweiz] dauerhaft sichergestellt“ werden. Das ist utopischer Unsinn. Wir leben in einer international arbeitsteiligen Welt. Beinahe jedes Produkt, welches wir in der Hand halten, enthält Komponenten aus mehreren Kontinenten, pro Kopf werden jedes Jahr 400 kg Lebensmittel importiert. Mit der Ausdehnung des Kapitals über die Welt hat sich auch der Traum ausgeträumt, dass ein Land autark vor sich hinwirtschaften kann. „An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander“ [1], schrieb Marx schon vor 165 Jahren. Die natürlichen Lebensgrundlagen der Schweiz, genauso wie die  jedes anderen Landes, sind längst die natürlichen Lebensgrundlagen der Welt. Daran wird keine Initiative der Welt mehr etwas ändern.
 
Die Bremsung des Bevölkerungswachstums durch eine gesetzliche Barriere ist ebenso reaktionär, wie die Rückbesinnung auf die natürlichen Lebensgrundlagen utopisch ist. Die Menschen suchen sich den Wohnort nicht einfach nach freiem Willen und Empfinden aus. Auswandern ist ein tiefer, schwieriger, gut abzuwägender Schnitt in der Biographie. Ausgewandert wird sicher nicht aus dem Grunde, sich ein schlechteres Leben zu versprechen. Wer auswandert, sucht bessere Lebensbedingungen. Bessere Lebensbedingungen sind im Kapitalismus da, wo es Arbeit gibt. Arbeit gibt es da, wo Kapital ist. Die Bevölkerung folgt den Bewegungen des Kapitals, nicht umgekehrt. Die Einwanderung in die Schweiz ist eine Zug- keine Druckbewegung. Eine Aufenthaltsbewilligung gibt es nur gegen Vorlage eines Arbeitsvertrages. Um die kontingentierten Arbeitsbewilligungen für Osteuropäische BilligarbeiterInnen gibt es regelrechte Rangeleien unter den Arbeitgebern. Marx schrieb im vorher schon zitierten Buch: „Das Kapital hat die Bevölkerung agglomeriert“ [2]. Es agglomeriert die Bevölkerung noch immer. Sich dagegen zu stellen, bedeutet die Teilnahme an besseren Lebensbedingungen aktiv verhindern zu wollen. Fortschrittliche, sozialistische Politik basiert auf dem freien Niederlassungsrecht für alle. Wer Migrationsbewegungen wirklich verhindern will, muss für gleich gute Lebensbedingungen in allen Ländern sorgen.

Das zweite, weitergehende Ziel der Ecopop-Initiative ist die „Förderung der freiwilligen Familienplanung“ durch mindestens 10% der Entwicklungshilfegelder.  Wem das Geld zugutekommen soll, ist schnell klar. Auf der Website der Initiative wirbt die „Stiftung Weltbevölkerung“, die sich folgende Ziele setzt: „Wir wollen durch unsere Arbeit Armut verhindern, bevor sie entsteht. Angesichts der rasant wachsenden Weltbevölkerung steht im Fokus unserer Arbeit, allen Menschen den Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsfürsorge zu ermöglichen“, ergreifend illustriert mit Bildchen von PrimarschülerInnen aus Uganda.

Mit besorgter Miene und ausgestrecktem Zeigefinger wird auf die Armut in der dritten Welt hingewiesen; die Menschen in  Afrika sind arm, und dann sind es auch noch so viele. Doch statt daran zu arbeiten, dass die Menschen weniger arm sind, wird daran gearbeitet, dass arme Menschen weniger werden. Man stelle sich vor, mit dem gleichen Ansatz würde in Spanien die Jugendarbeitslosigkeit „bekämpft“ werden.

In Afrika leben auf einer Fläche von 30 Millionen Quadratkilometern  etwa 1 Milliarde Menschen. In Europa leben etwa 750 Millionen Menschen auf einem Drittel der Fläche. Afrika ist nicht arm, weil so viele Menschen dort leben. Afrika ist arm, weil alles, was irgendwie wertvoll ist, aus Afrika in die kapitalistischen Zentren transportiert wird. Mit einem Bonmot drückt es Jean Ziegler so aus: „Es kommt nicht darauf an, den Menschen der dritten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen“. Aber in der Denke der Ecopop-AnhängerInnen spielen solche Überlegungen keine Rolle. Nein, die Ursache für die Armut sei die Überbevölkerung. „Der Schwarze schnackselt gerne“ wollen die  Damen und Herren von Ecopop eigentlich sagen, und hier sehen sie auch schon das ganze Problem. Genauso, wie die Malthusianer vor 200 Jahren von der arbeitenden Klasse sexuelle Enthaltsamkeit forderten, wollen die Damen und Herren von Ecopop den AfrikanerInnen das „Schnackseln“ am liebsten mit eine geballten Ladung „sexueller Gesundheitsfürsorge“ wieder  austreiben. So bekämpft man keine Armut. So bekämpft man die Armen.
 
Das Malthusianische Bevölkerungsgesetz sei „den Reichen eine sehr erfreuliche Formel, die Missgeschicke der Armen zu ertragen“, sagte schon David Ricardo, bei weitem kein Kommunist. Und wie vor 150 Jahren Marx und Engels die abstrusen Ideen von Malthus bekämpften, so ist es heute an der Linken, die besorgt dreinschauenden Damen und Herren von Ecopop als das zu entlarven, was sie sind: Chauvinisten und Rassisten.


[1] Manifest der kommunistischen Partei
[2] ebenda