Die Volkswahl des Bundesrats ist ein altes linkes Anliegen. Bereits 1900 und 1942 wurde über die durch eine Volksinitiative eingebrachte Frage abgestimmt. Mit dem ersten sozialdemokratischen Bundesrat Ernst Nobs 1943 und der Entstehung der Zauberformel 1959 hat sich die Position der Linken allmählich geändert. Nun hat die Schweizer Bevölkerung, durch die von der SVP lancierte Initiative, erneut die Möglichkeit darüber abzustimmen. Anders als vor dem ersten linken Bundesrat, herrscht in der Linken Uneinigkeit über die Frage.
Die wirtschaftliche Konkordanz, die seit 1937 durch die Sozialpartnerschaft herrscht, bröckelt seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008 immer stärker. Die historisch einzigartige Periode der Nachkriegszeit und des in der Schweiz eh schon schwachen Wirtschaftsbooms nach dem Fall der Berliner Mauer sind endgültig vorbei. Der Klassencharakter des bürgerlichen Staats kommt immer stärker zum Vorschein und mit ihm auch die Frage nach der politischen Konkordanz, wie sie auf Bundesebene herrscht. In der wirtschaftlichen Krise enthüllen sich Reformisten als offene Verteidiger der herrschenden Verhältnisse und klammern sich an alles, was sie an die vertraute Stabilität der längst vergangenen Zeit erinnert, so auch an die Konkordanz im Bundesrat.
Doch auf die bürgerliche Politik des Bundesrats, die von den Vertretern der Sozialdemokratie mitgetragen wird, kann es nur eine Antwort von links geben: Nicht „Mitregieren“ muss die Forderung sein, sondern eine eigene linke Regierung muss das Ziel werden. Nicht die bürgerliche Politik etwas sozialverträglicher gestalten, was unter den gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen und dem politischen Kräfteverhältnis sowieso unmöglich ist, sondern eine linke Alleinregierung stellen, die Politik im Interesse der Mehrheit macht. Dass die Linke mehrheitsfähig ist, wenn sie die richtigen Fragen stellt, zeigen die Wahlen von Paul Rechsteiner in den Ständerat oder von Richard Wolff in die Zürcher Stadtregierung. Deshalb kann es durchaus im Interesse der Linken sein, die Initiative zur Volkswahl des Bundesrates zu unterstützen, sofern wir dann auch politisch in die Offensive gehen. So überlassen wir die Wahl nicht, der von der Wirtschaft gekauften, bürgerlichen Mehrheit in der vereinigten Bundesversammlung und den heimlichen Hinterzimmerabsprachen. Sie macht Schluss mit der vorgegaukelten Harmonie, lockt die Kandidaten aus der Rolle „wohlwollender Landesväter und –mütter“ und zwingt sie zum Positionsbezug. Grob: sie müssen öffentlich bezeugen, auf welcher Seite der Barrikade sie stehen.
Wir sind dafür, aber…
Es herrscht einige Verwirrung in der Linken angesichts dieser Initiative. Dies kommt grösstenteils von der offenen Unterstützung der politischen Konkordanz, jedoch nicht nur. Schauen wir uns die Argumente dieser GenossInnen etwas genauer an.
„Das Parlament wird entmachtet und die Bundesräte entfremden sich von ihren Parteien.“ Seit dem die SP im Bundesrat vertreten ist werden nur den Bürgerlichen genehme Kandidatinnen und Kandidaten gewählt. So wurde beispielsweise Simonetta Sommaruga der klar linkeren Jacqueline Fehr vorgezogen. Die Entfremdung der aktuellen SP-Bundesräte von der Parteilinie ist schon so weit fortgeschritten, dass sich Simonetta Sommaruga für die Verschärfung der Asylgesetzgebung aussprach oder Alain Berset gegen die Einheitskrankenkasse. Entfremdeter von der Basis geht wohl kaum! Die Volkswahl würde im Gegenteil die Kontrolle der Basis über ihre Bundesräte stärken. Zudem wird das Parlament nur insofern entmachtet, als dass der Bevölkerung mehr Rechte zuteil kommen. Ihre Hauptaufgabe als gesetzgebende Gewalt bleibt voll bestehen.
„Die Bundesräte machen nur noch Wahlkampf und die Chefbeamten führen die täglichen Geschäfte.“ Die Macht der Beamten ist und war schon immer riesig, dies musste bereits Ernst Nobs seinem ewigen Kritiker und Freund Hans Mühlstein in einem persönlichen Brief einräumen, als er ihm über seinen Gestaltungsrahmen im Bundesrat berichtete. Dies stellt vielmehr die Frage nach der politischen Kontrolle der Chefbeamten und hat per se mit der Bundesratswahl durchs Volk kaum etwas zu tun. Auch führen Bundesräte aller Parteien seit jeher Wahlkampf und dies ist auch gut so. Wir wollen doch keine vorgespielte Neutralität, sondern offenen Positionsbezug.
„Wir sind für die Volkswahl, wenn die Parteienfinanzierung offengelegt wird.“ Dieses Argument, so intuitiv es auch scheinen mag, schiesst völlig am Inhalt vorbei. Natürlich spielen die Finanzen eine wichtige Rolle und die Parteienfinanzierung ist in der Schweiz total intransparent. Dies ist aber bereits heute nicht anders bei den Parlamentswahlen auf nationaler und kantonaler Ebene. Sollen wir diese darum auch ablehnen, weil sie intransparent sind? Dass die SVP und die FDP wesentlich mehr Geld haben, ist allen klar. Dass sie die Kapitalisten vertreten ebenso. Dafür müssen wir nicht wissen, wieviel Blocher der SVP zahlt und wieviel die FDP von Economiesuisse bekommt. Wir müssen vielmehr politische Antworten auf die finanzielle Übermacht der Bourgeoisie geben. Die SP konnte ihre grössten Wählererfolge in der Vergangenheit nicht auf Grund ihrer finanziellen Mittel feiern, sondern durch dezidiert linke Politik und eine aktive Parteibasis mit einer Verankerung in der Arbeiterschaft. Der Kampf für die Offenlegung der Partei- und Wahlkampffinanzierung ist wichtig und muss sowieso weitergehen.
„Die Stabilität der Schweiz wird aufs Spiel gesetzt.“ Die Stabilität ist ein leeres Wort, denn sie ist nur ein Argument der Bürgerlichen, um die Arbeiterbewegung durch die Sozialpartnerschaft zu knebeln. Diese Stabilität nützt in erster Linie den Banken, den Reichen, den Steuerhinterziehern aller Länder und zur ungestörten Ausbeutung der Arbeitenden. Einige Genossen suchen wohl die Harmonie in dieser durch und durch unharmonischen Gesellschaft. Ihr politisches Amt ist ihnen wohl wichtiger als die materielle und politische Interessensvertretung der Lohnabhängigen.
„Der Röstigraben vertieft sich und es herrschen bald belgische Verhältnisse in der Schweiz.“ Im Grunde ist dieses Argument eine Anpassung an die bürgerliche Spaltung der Arbeiterklasse in unterschiedliche Gruppen. Es ist uns doch egal, ob die Kapitalvertreter im Bundesrat Romanisch, Italienisch, Französisch oder Deutsch als Muttersprache haben. Bürgerlich bleibt bürgerlich und gekauft bleibt gekauft, so lange wir keine linke Mehrheitsregierung in der Schweiz haben. Dabei halten wir ihnen die Einheit der Arbeiterklasse des ganzen Landes entgegen.
Es kann uns egal sein, ob die Idee der Volkswahl von linker oder rechter Seite aufgegriffen wird. Wie bei der Frage zum Referendum gegen das Steuerabkommen, gehört eine solche Frage mit linkem politischem Inhalt gefüllt. Aus eigenen Stücken hätte wohl niemand in der Arbeiterbewegung für eine solche Initiative gekämpft, gibt es doch wichtigeres zu tun. Jetzt ist sie aber hier und sie bloss abzulehnen, weil sie von der SVP kommt, wäre grundfalsch. Die Linke stellt sich mit der „Nein-Parole“ auf die Seite derjenigen, welche den Status Quo verteidigen und die den Bundesrat lieber als Ausdruck der Machtspielereien im Parlament haben, als aufgrund politischer Positionen gewählt. Wir verteidigen die vom bürgerlichen Staat abgerungenen demokratischen Mittel und bauen sie wenn möglich auch aus. Diese Gelegenheit bietet sich am kommenden 9. Juni und wir werden dazu JA sagen und trotzdem den bürgerlichen Klassenstaat bei jeder Gelegenheit demaskieren.
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