Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Artikel aus dem Funke Nr. 25. Die Ausgabe erschien im Januar dieses Jahres.
Im Herbst 2010 scheiterte die 11. AHV-Revision im Parlament am Widerstand der SP und SVP. Im Jahr 2004 ist die 11. Revision in einer anderen Form bereits vom Volk verworfen worden. Unter „unserem“ SP Bundesrat Alain Berset, welcher im Dezember 2011 in das Amt des Innenministers gewählt worden war, zeichnet sich eine neue Vorlage für die Revision der Altersvorsorge ab. Diese wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres im Parlament beraten.
Weil ein SP-Mann an der Vorlage arbeitet, könnte man zum Gedanken kommen: „Endlich nimmt einer, der im Interessen des Volkes und nicht der Banken handelt, die Revision der Altersvorsorge in die Hand“. Leider stellt sich ein solcher Gedanke rasch als Utopie heraus. Denn als der Tagesanzeiger die Skizzen der Vorlage veröffentlichte, drohten die eigene Partei und die Gewerkschaften umgehend mit dem Referendum. Auch die Juso reagierten an der letzten Delegiertenversammlung und verabschiedeten ein Positionspapier zur Altersvorsorge.
Die Revisonspläne
Wie es scheint, glaubt nun auch Bundesrat Berset der von den Bürgerlichen und den Bundesstatistikern geschürten Panik zum angeblichen Loch in der AHV-Finanzierung. Er möchte deshalb die Mehrwertsteuer anheben – dies müssten die Lohnabhängigen zahlen; das Rentenalter für Frauen erhöhen, eine Schuldenbremse einführen und Frühpensionierungen eindämmen. Dieses Schüren von Panik um die Finanzierung der AHV ist bewusste Propaganda im Dienste der Bürgerlichen und der Banken. Wie bei der Unternehmensreform wird hier gelogen und verfälscht. Wie Paul Rechsteiner, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschafsbund, oft propagiert: Die AHV ist das sicherste Sozialwerk der Schweiz und ihre Finanzierung über Jahre hinaus gesichert!
Erhöhung des Rentenalters für Frauen
Berset will eine Kompromissvorlage erarbeiten, die Bürgerlichen und die Linke sollen beide gleich grosse Opfer bringen. Die Vorlage scheint jedoch hauptsächlich aus Verschlechterungen für uns alle zu bestehen, Opfer der Bürgerlichen sind nicht auszumachen. Der markanteste Änderungsvorschlag ist die AHV-Rentenalter-Erhöhung für die Frauen auf 65 Jahre.
Schon 2004 lehnte das Volk mit einer Mehrheit von 67.9% die 11. AHV-Revision, deren zentraler Punkt die Erhöhung des Frauenrentenalters war, ab. Am UNIA-Kongress brachte es die Frauendelegierte Ilde Cheredito treffend auf den Punkt: „Eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen geht gar nicht. Solange Frauen schlechter bezahlt werden. Solange sie die ganze Gratisarbeit leisten. Solange sie früher aus der Arbeit gedrängt werden. Solange sie auch bei der IV schlechter gestellt sind.“ Solange diese offenen Diskriminierungen nicht beseitigt sind und Frauen und Männer nicht völlig gleichberechtigt sind, genau solange werden wir nicht über eine Erhöhung des Rentenalters diskutieren. Abgesehen davon sollten wir, statt uns anhand des Geschlechts spalten zu lassen, den Ausbau der AHV und eine generelle Senkung des Rentenalters fordern und uns nicht ständig in die Defensive drängen lassen.
Flexible Renten
Nach der Vorlage von Berset sollen Frühpensionierungen erschwert werden. Sowohl in der AHV als auch bei der Pensionskasse soll die Untergrenze zur Frühpensionierung angehoben werden. Im Gegenzug dazu soll dann die Frühpensionierung für tiefere Einkommen (!) erleichtert werden. Dieser Vorschlag ist gleich ein doppelter Affront gegenüber den Werktätigen. Einerseits, weil die tiefen Einkommen ohne eine anständige Rente sowieso nicht in Frühpension gehen können, andererseits finden heute viele ab 60 Jahren sowieso keinen Job mehr und können gar nicht bis 65 arbeiten. Sprich: Entweder Frühpension mit massiven Abstrichen bei der Rente oder Arbeitslosigkeit im Alter. Ein würdiger Lebensabend sieht anders aus, Herr Berset.
Reform der 2. Säule
Im Jahr 2010 gab es einen der wenigen Abstimmungskämpfe, welche die Linke in den letzten Jahren gewonnen hatte, dabei ging es um die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes. Dieser Umwandlungssatz, der bereits vor dem Volk scheiterte, soll nun im zweiten Anlauf gesenkt werden.
Den Rentenumwandlungssatz in der 2. Säule will Berset um 0,4 – 1 % senken. Statt wie heute rund 7000 Franken bei einem Umwandlungssatz von 6.8%, gäbe es dann pro 100’000 Fr. Alterskapital nur noch 6400 Fr. Rente pro Jahr. Dies entspricht einer Rentensenkung von rund 10 Prozent.
Bundesrat Berset möchte mit seiner Vorlage sowohl die erste wie auch die zweite Säule der Altersvorsorge revidieren. Es ist kein Zufall, dass die Bürgerlichen versuchen, die AHV zu schwächen und die Pensionskassen zu „stärken“. Die Pensionskassen sind nämlich, mit ihren Abermilliarden an Einlagen, für Banken und Versicherungskonzerne ein gigantisches Spekulationsfeld. Je schwächer die AHV, desto höher die Profite.
Die Pensionskassen stehen auf der anderen Seite der Barrikade. Nicht nur aus dem Grund, dass sie mit ihren riesigen Vermögen, welche sie verwalten, schamlos spekulieren, sondern weil sie mit unserem Geld Gewinne erwirtschaften müssen. Um diese Gewinne zu erwirtschaften, investieren sie in Firmen, die uns jeden einzelnen Tag ausbeuten. Erkämpfen wir uns nun bessere Löhne, steigen zwar die Beiträge in die Kassen, aber die Profite der Firmen, in welche die Pensionskassen investieren, werden kleiner, was Löcher in unserer Altersvorsorge verursacht. Sollten unsere Löhne aber sinken, steigen zwar die Profite der Pensionskassen, aber da wir weniger in sie einzahlen können, bekommen wir eine niedrigere Rente. Wir sehen: Pensionskassen können uns nicht zu einer angemessenen Rente verhelfen, da sie durch und durch in der Logik des Systems gefangen sind. Die Pensionskasse muss aufgelöst werden und das angelegte Vermögen soll teilweise der AHV zugeführt und für den demokratischen Umbau der Wirtschaft eingesetzt werden. Schlussendlich bringt nur die Beseitigung des Kapitalismus Renten, welche ein würdiges Leben ermöglichen.
Zusammengefasst bedeutet Bersets Revisionsvorschlag: Wer Geld hat, kann früher mit Arbeiten aufhören, wer sein ganzes Leben im Niedriglohnsektor gearbeitet hat, soll länger arbeiten und eine tiefere Rente dank Rentenaltererhöhung, erschwerter Frühpension und Senkung des Pensionskassen-Umwandlungssatzes erhalten.
Berset: Der sechste bürgerliche Bundesrat
Berset eifert in seinen Plänen für die Revisionen der 1. und 2. Säule seinen bürgerlichen Ratskollegen nach und versucht sie in ihrer Sparwut zu übertreffen. Für Berset ist dies keine neue Position. Schon im Abstimmungskampf um die Managed Care Initiative setzte er sich voller Überzeugung – gegen die Arbeiterbewegung und gegen die SP – für die Vorlage ein. Das grösste Lob für diesen Einsatz erntete der „Genosse“ Bundesrat vom Tagesanzeiger, welcher titelte „Es wird Ihnen nicht entgangen sein: Alain Berset ist ein Rechtspolitiker“. Den scharfsinnigen Beobachtern fällt auf, dass sich nicht nur Berset, sondern eigentlich alle Bundesräte der SP früher oder später in ihrer Politik nicht mehr von ihren Amtskollegen unterscheiden. Laut oben erwähntem Artikel erklärte Berset, dass er seine Meinung aus Überzeugung geändert habe, sobald er in sein Ministergewand geschlüpft sei. Ein wenig Kollegialität im Ministergewand schadet noch nicht, aber was der „Genosse“ im Bundesrat macht, ist ein Verrat an der Sozialdemokratie und an der ArbeiterInnenbewegung. Diesen Verrat rechtfertigt er mit einem „Gewand“ – jämmerlich. Die SP Bundesräte müssen trotz ihres Amtes die Positionen der SP verteidigen, auch wenn hin und wieder die „unantastbare“ Kollegialität darunter leidet.
Die SP muss dafür sorgen, dass ihre Bundesräte den SP-WählerInnen und der SP-Basis verpflichtet sind und nicht dem bürgerlichen Staat. Was bringt ein sozialdemokratischer Bundesrat, der sich für tiefere Renten zu höheren Kosten einsetzt? Wir wollen höhere Renten, die gerecht finanziert sind. Dafür muss ein sozialdemokratischer Bundesrat einstehen und kämpfen, und wenn nötig, inklusive der ganzen Partei in die Opposition gehen.
Wie weiter?
Die Altersvorsorge muss allen, ob Mann, Frau, schwarz, weiss, arm, reich, gross oder klein einen lebenswerten Lebensabend ermöglichen. Wie dies im Artikel 112 der Bundesverfassung festgehalten ist: „Renten haben den Existenzbedarf angemessen zu decken“. Um dies zu ermöglichen, braucht es eine gewaltige Revision der Altersvorsorge. Wer kann denn heute schon von einer AHV-Rente leben? Ein erster Schritt in diese Richtung ist die AHV-Plus-Initiative, welche die Gewerkschaften in den Startlöchern haben.
Die Debatten rund um die AHV und die Pensionskassen dürfen aber nicht isoliert geführt werden. Sie müssen verknüpft mit der Mindestlohninitiative und dem Kampf gegen die Abzocker eine Offensive einleiten. Nur mit einem sozialen Programm, welches auf diesen Forderungen aufgebaut ist und die Lohnabhängigen mobilisiert, wird die AHV verteidigt und ausgebaut werden können.
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