Der Kurswechsel der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hatte alle überrascht. Er stellt die ArbeiterInnenbewegung in der Schweiz vor immense Herausforderungen. Eine neue, heftige Angriffswelle der Unternehmer auf alle Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse steht bevor. Darauf müssen wir uns vorbereiten.
Der am 15. Januar 2015 präsentierte Entscheid der SNB, den Franken-Euro Mindestkurs aufzuheben, löste international ein Erdbeben aus. Der Euro-Franken Wechselkurs stürzte innert kürzester Zeit ab, die Aktienkurse des SMI (Swiss Market Index) folgten. Ein Akt in der modernen Wirtschaftsgeschichte der Schweiz wurde abgeschlossen und ein neuer, turbulenter eröffnet. Wir werden hier aufzeigen, dass der Entscheid der Nationalbank in erster Linie dem Finanzkapital dient, dass er eine Welle an spezifischen Angriffen in der Exportindustrie (Tourismus inklusive) auslösen und gleichzeitig von der Schweizer Bourgeoisie zum Generalangriff gegen die ArbeiterInnenbewegung verwendet werden wird.
Die offizielle Geschichte
Im August 2011 führte die SNB den Euromindestkurs (1.20 CHF = 1.00 EUR) ein. Dies war eine direkte Folge der Eurokrise und der politischen Krise in der Eurozone, welche die klassische Funktion des Schweizer Frankens als Fluchtwährung aktivierte. Die Vermögenden Europas wollten Milliarden und Abermilliarden von Euro in der politisch und finanziell stabilen Schweizer Währung parkieren und nahmen dafür Währungsverluste in Kauf. Wenn auf den Währungsmärkten eine grosse Nachfrage nach Franken herrscht, dann verteuert sich dieser und mit ihm die in der Schweiz hergestellten Waren. Der Eingriff der SNB, die Abwertung und Stabilisierung des Frankens gegenüber dem Euro, diente demnach in erster Linie der Stützung der Exportindustrie.
SNB Präsident Thomas Jordan begründet den nun vorgenommenen abrupten Politikwechsel damit, dass die „Überbewertung […] sich seit Einführung des Mindestkurses insgesamt reduziert“ [1] habe. Er schielt dabei auf den Dollar. Nur, der Franken-Dollar Kurs hat aufgrund der Anbindung an den Euro abgenommen, da dieser sich gegenüber dem Dollar in den letzten Monaten stark abschwächte. Nach Aufhebung der Eurobindung verteuerte sich dann auch der Franken in Dollar innert kürzester Zeit massiv. Der Dollar kostete vor der Aufhebung des Mindestkurses ungefähr 1.00 CHF und fiel nun auf unter 0.90 CHF. Die gleichzeitig eingeführten Negativzinsen, welche zum Ziel haben, den Franken unattraktiver zu machen, werden an der aktuellen Situation auch nichts ändern. Diese hatten nicht einmal einen homöopathischen Effekt, unter anderem weil sehr hohe Freibeträge festgelegt wurden. Die Entscheidung, welche Bank und welches Finanzinstitut künftig für ihre Depots bei der SNB bezahlen muss, ist eine politische Entscheidung und dient in erster Linie dem „aussenden von Signalen“. Die von der SNB vorgebrachten Gründe für die Aufgabe des Mindestkurses sind offensichtlich nichtig. Worum geht es der SNB jedoch tatsächlich?
Ein Sieg für den Finanzplatz
Der wahre Grund für den Entscheid der SNB liegt in der Politik der Europäischen Zentralbank. Die EZB ist am 22. Januar 2015 zum massiven Kauf von Staatsanleihen, dem sogenannten „Quantitative Easing“ (QE), übergegangen. Dabei wird sich die Geldmenge im Euroraum um 1‘140 Milliarden Euro (1.14 Billionen) über die nächsten knapp zwei Jahre verteilt, erhöhen. Auch weitere politische und ökonomische Erschütterungen der Euro-Zone könnten erneut zu massivem Aufwertungsdruck führen. Die SNB und die bürgerlichen Ökonomen sprechen vom „Überschiessen“ auf den Währungsmärkten. Andere Ökonomen, SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen betonen das Auseinanderklaffen zwischen Wechselkurs und Kaufkraftparität, wonach der starke Franken nicht gerechtfertigt sei. Nur: den Währungsspekulanten und grossen Kapitaleignern ist dies gelinde gesagt scheissegal. Solange die wirtschaftliche und politische Instabilität der Eurozone (und darüber hinaus) fortbesteht, wird die Flucht in den Franken und der Druck auf diesen ebenfalls weiter hoch sein. Heinz Karrer, Präsident von Economiesuisse, sagt dazu: „Man muss vielmehr damit rechnen, dass die Volatilität und der Aufwertungsdruck auf den Schweizerfranken noch steigen werden.“ [2] Da, wie er weiter ausführt: „Die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Risiken […] zu einer hohen Nachfrage nach Schweizerfranken führt“ [3]. Der einzige Profiteur neben den Spekulanten wird dank, den weiteren Kapitalzuflüssen in die Schweiz, der Finanzplatz sein.
Man würde meinen, dass in dieser Situation und mit der Logik der Verteidigung des „Wirtschaftsstandorts Schweiz“ der Mindestkurs noch viel bedeutender sein müsste. Diese Überlegung hat auch durchaus seine Berechtigung. Doch das SNB-Direktorium rechnet nun offensichtlich mit solch massiven Euro-Zuflüssen durch die vorher genannten Ereignisse, dass sie Mühe gehabt hätten, den Mindestkurs zu verteidigen. Wäre dieser einmal durchbrochen worden, hätten sich die spekulativen Angriffe auf den Franken massiv verschärft. Die Verteidigung des Mindestkurses gegenüber dem QE würde Unmengen an Franken auf den Währungsmarkt schwemmen. Fritz Zurbrügg, Mitglied des Direktoriums der SNB, meinte: „In den Tagen vor dem Entscheid wurden die Interventionsbeträge immer grösser. Hochgerechnet auf einen Monat, hätten wir allein im Januar für rund 100 Mrd. Franken intervenieren müssen.“ [4] Diese enormen Summen an freien CHF hätten über kurz oder lang der SNB die Kontrolle über den Wert des Frankens massiv erschwert, da sich dieses Geld nicht so leicht wieder aus dem Verkehr ziehen lässt. Der CHF wäre zum freien Spielball der Währungsspekulanten, was dem Businessmodell des Schweizer Finanzplatzes, welcher auf Stabilität setzt, geschadet hätte. Eine der zentralen Aufgaben der SNB ist es, die Interessen des Finanzplatzes zu verteidigen. So waren es denn auch etliche Schweizer Financiers, die seit Jahresbeginn vermehrt gegen den Mindestkurs plädierten (Oswald Grübel, Martin Ebner, etc.). Die CS habe laut eigenen Aussagen Gewinne erzielt und UBS Präsident Weber beglückwünschte die SNB. Hinzu kam massiver Druck verschiedener ausländischer Staatsfonds auf die SNB, den Mindestkurs sofort aufzuheben. Die SNB hat den gesetzlichen Auftrag, in ihrer Politik die Währungsstabilität und die „Gesamtinteressen der Schweiz“ zu wahren. Dass sie Letzteres mit denjenigen des parasitären Schweizer Finanzplatzes gleichstellt, wurde nun offensichtlich.
Die Exportindustrie kommt unter die Räder
Die Reaktionen der Industriellen und der Tourismusunternehmer sprechen eine deutliche Sprache: Sie sind in Panik. Die ohnehin schon grossen Schwierigkeiten in den Euroraum, der mit Abstand der grösste Absatzmarkt für Schweizer Produkte ist, zu exportieren, verschärfen sich nun stark. In ähnlichem Mass wie der Franken sich verteuert, werden dies auch die in der Schweiz für den Export produzierten Waren tun. Swissmem, der Unternehmerverband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, rechnet im Zuge der Frankenaufwertung mit einer Preiserhöhung von Schweizer Produkten im Euro- und Dollarraum um 15-20%. Die logische Konsequenz sind in vielen Bereichen weniger Aufträge. Eine Profitkrise des schweizer Exportkapitals kündigt sich an. Es ist damit zu rechnen, dass etliche Unternehmen, allen voran KMU’s, ihre Produktion einstellen werden. Der Direktor der Finanzverwaltung, Serge Gaillard rechnet mit „sehr schwachen Wirtschaftswachstum und steigender Arbeitslosigkeit“.
Wegen des hohen Spezialisierungsgrades der Schweizer Exportindustrie bei relativ geringem Mass an Rohstoffkosten im Endwert sind die Arbeitskosten, sprich die Löhne, entscheidend für den Preis der in der Schweiz produzierten Gütern. So ist es dann auch nur allzu klar, dass die Exportunternehmer ohne Wenn und Aber versuchen werden, einen wichtigen Teil der Preissteigerung durch Angriffe auf die Löhne zu kompensieren. Swissmem bietet seinen Mitgliedern nun auch ein Seminar an, welches „mögliche arbeitsrechtliche Massnahmen“ [5] im Zuge der Aufhebung des Mindestkurses behandelt. In der Beschreibung ist zu lesen, dass die Themen Lohn, Arbeitszeit und Personalmassnahmen behandelt werden. Übersetzt heisst dies: Wie kürze ich die Löhne, wie erhöhe ich die Arbeitszeit und wie führe ich Entlassungen durch?
Bereits seit 2011 stehen die ArbeiterInnen der Exportindustrie unter starkem Druck: Lohndruck, Arbeitszeitverlängerung, Arbeitsintensivierung und Automatisierung wurden massiv vorangetrieben. Damals sank der Euro-Franken-Kurs von 1.55 auf 1.20. Also mussten schon seit 2011 die Lohnstückkosten drastisch gesenkt werden. Die erneute Aufwertung des Frankens wird also für die Exportindustrie aus Sicht der Besitzer schlussendlich nur zu bewältigen sein, wenn sie die Löhne senken, ArbeiterInnen entlassen, die Arbeitszeiten erhöhen, ihre Zulieferer aus der Schweiz durch solche aus dem Euroraum ersetzen oder gleich die ganze Produktion auslagern. Weiter werden die Unternehmer versuchen, die Löhne für die Grenzgänger in Euro auszuzahlen oder sogar die Löhne für alle an den Euro zu binden, um so quasi wieder einen Mindestkurs einzuführen. Für „kreative Lösungen“, die Löhne zu drücken, waren sich die Kapitalisten bekanntlich noch nie zu schade. Bundesrat Schneider-Ammann mahnt: „Alle [müssen] aufeinander zugehen. Erstens müssen wir dank weniger Bürokratie wo immer möglich Kosten senken. Zweitens müssen wir rasch über Arbeitszeiten, Arbeitszeitflexibilität, Löhne, Lohnnebenkosten, Zulagen und Spesen sprechen.“ [6] Weiter fordert er die sofortige Umsetzung des Artikels 57, des sogenannten Krisenartikels, des MEM-Gesamtarbeitsvertrages. Dieser Artikel hebt im Prinzip den Gesamtarbeitsvertrag auf und bedeutet eine massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Schneider-Ammann fordert im gleichen Atemzug natürlich die stillschweigende Zustimmung der Gewerkschaften zum „Wohle“ aller.
Wer sich durch den bürgerlichen Blätterwald müht, stellt fest, dass nun täglich Vorschläge von Bundesräten, Unternehmern, Bankern und Wirtschaftsprofessoren publiziert werden, welche uns weismachen, dass die Arbeitsbedingungen nun verschlechtert werden müssen. Es wird klar suggeriert, dass die Arbeiterklasse jetzt halt den Gürtel enger schnallen muss und wir alle im gleichen Boot sässen. Schneider-Amman meint dazu: „Wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammentun, um im Wettbewerb zu bestehen, finden sie die richtige Lösung.“ Dies ist ein Vorgeschmack, darauf, auf was wir uns vorbereiten müssen.
Einige Bereiche der Exportindustrie waren bereits in den letzten Jahren mit einer Absatzkrise konfrontiert. Mit der weiteren Verteuerung ihrer Waren ist es umso fragwürdiger, ob sie überhaupt Absatzmärkte für diese finden. Die ArbeiterInnen können noch so ausgepresst werden, wenn die Waren nicht abgesetzt werden können, wird auch kein Profit gemacht, sprich die Produktion lohnt sich für die Kapitalisten nicht. Dies ist das wahrscheinliche Szenario für den europäischen Kapitalismus. Die ArbeiterInnenklasse in der Schweiz wird also in der kommenden Periode mit einer Kombination aus Betriebsschliessungen und massivem Druck auf die Arbeitsbedingungen konfrontiert sein. Die Organisationen der Lohnabhängigen, allen voran die Gewerkschaften, sind weder organisatorisch und schon gar nicht politisch dafür gewappnet.
Auch Folgen für den Immobilienmarkt?
Der Immobilienmarkt scheint sich im Jahr 2014 leicht „abgekühlt“ zu haben. Laut dem Immobilien-Report der ETH Zürich und comparis.ch (28.08.2014) ist erstmals seit Anfang 2013 kein einziger Schweizer Bezirk mehr als „kritisch“ einzuschätzen. Jedoch wird darauf verwiesen, dass internationale Entwicklungen, genannt wurde auch der Franken-Euro-Kurs, die Gefahr der Immobilienblase jederzeit erneut auf die Tagesordnung bringen können. Auch Jordan wies im Jahr 2014 mehrmals darauf hin, dass „die Überbewertungen im Vergleich zu den fundamental erklärbaren Preisen weiter zugenommen haben“. [7] Die SNB erhöhte aufgrund dieser Zunahme der „Überbewertung“ den antizyklischen Kapitalpuffer für Immobilienkredite von einem auf zwei Prozent Ende Juni 2014. Diese Massnahme, deren Effekt sowieso eher gering war, wurde nun durch die Negativzinsen praktisch auf einen Schlag zunichte gemacht. Dies drückt sich nun in rekordtiefen Konditionen für Immobilienfinanzierungen aus. Auch muss nun damit gerechnet werden, dass ein bedeutender Teil des neu in Franken gewechselten ausländischen Kapitals in Immobilien zu investieren versucht werden wird. Dies könnte die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt weiter künstlich erhöhen und die Blase weiter ausdehnen. Das andere Szenario zeichnete die NZZ: „Je stärker die Schweizer Exportwirtschaft, der Tourismus und der Detailhandel wegen einer Höherbewertung unter Druck kommen und die Konjunktur leidet, desto stärker wird dies in einem zweiten Schritt auch den Immobilienmarkt bremsen.“ [8] Dies würde laut NZZ Preiskorrekturen von 10% bis 15% zur Folge haben. Eine solche Entwicklung könnte die nun bevorstehende Rezession massiv verstärken und eine jahrelange Stagnation, wie wir dies bei der 90er-Jahre Immobilienkrise erlebt haben, zur Folge haben. Noch ist nicht absehbar, welches Szenario eintreten wird.
Die bürgerlichen blasen zum Angriff
Die Konjunkturforschungsstelle der ETH meint, man könne die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz fürs nächste Jahr über Bord werfen, die UBS korrigierte ihre Wachstumsprognose prompt von 1,8 auf 0,5%. Die nun eingeläutete Krisenphase wird wiederum voll und ganz auf die ArbeiterInnenklasse abgewälzt werden. Dies wird aber nicht nur, wie oben beschrieben, direkt in den Betrieben geschehen, sondern es wird einen Generalangriff auf sämtliche Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse geben.
Neben der Unternehmenssteuerreform III, die notabene jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit beschleunigt und ohne Gegenfinanzierung umgesetzt werden wird, werden weitere Steuersenkungen für die Unternehmen dazukommen. Wie schon bei der Unternehmersteuerreform II wird dies direkt zu Sparmassnahmen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene führen. In welchen Bereichen gespart wird, wen dies treffen wird, haben wir in den letzten Jahren ja zur Genüge erlebt. Durch die nun wohl über Jahre ausbleibenden Gewinnausschüttungen durch die SNB und durch Senkungen von staatlichen Gebühren aller Art für die Unternehmen werden die erneuten Sparpakte noch vergrössert werden.
Die Bourgeoisie wird des Weiteren auch versuchen, die Sozialwerke, von der AHV bis hin zur Unfallversicherung, anzugreifen; zum Beispiel über die Senkung oder Abschaffung der Arbeitgeberbeiträge. Auch die Renten aus den Pensionskassen werden durch die massiven Verluste an der Börse möglicherweise wieder gesenkt werden. Die Bürgerlichen werden auf breiter Front und wo immer möglich die Kosten der Krise auf die ArbeiterInnenklasse abwälzen, um ihre Profite zu sichern. Wir müssen uns nun fragen, was wir diesem kommenden Generalangriff entgegenstellen können.
Und die ArbeiterInnenbewegung?
Wir sind nun weltweit in einer Epoche der Krisen und Revolutionen. Wer dachte, die Schweiz würde davon verschont bleiben, irrt gewaltig. Illusionen in die Schweizer Krisenresistenz werden in Staub zerfallen, denn die grundlegenden Probleme, welche sich nun über den Wechselkurs ausdrücken, sind schlussendlich nur Symptome der organischen Krise des Kapitalismus – der Überproduktion. Als Konsequenz davon finden die Bürgerlichen in Europa für ihr Geld keine profitablen Investitionsfelder mehr und parken deshalb ihr Geld in der Hoffnung auf bessere Zeiten im vermeintlich „sicheren Hafen“ Schweiz. Solche werden aber in absehbarer Zeit nicht kommen.
Es ist nicht unsere Aufgabe als MarxistInnen, nur die Symptome zu bekämpfen, sondern wir gehen der Ursache auf den Grund und kämpfen für eine fundamentale Veränderung. Wir haben stets betont, dass die Schweiz keine Insel der Glückseligen ist und dass die kapitalistische Krise auch die Schweiz nicht verschonen wird. Die bürgerliche Propaganda vom Sonderfall Schweiz muss nun schonungslos entlarvt und der jetzigen Situation eine wirkliche Alternative gegenübergestellt werden. Dies sind die Aufgaben der ArbeiterInnenbewegung.
Die Führung des SGB und der SP befürworteten von Beginn weg den Mindestkurs. Sie argumentierten, dass ein solcher Arbeitsplätze in der Schweiz sichern würde. Dies ist zwar nicht gänzlich von der Hand zu weisen, doch jetzt muss Schluss sein mit dieser Nostalgie. Der Mindestkurs ist weg und die SNB wird nur noch punktuell intervenieren können. Die Forderung von linker Seite, jetzt wieder einen Mindestkurs bei zumindest 1.10 wieder einzuführen, zeigt die momentane Hilflosigkeit der reformistischen Führungen der ArbeiterInnenbewegung auf. Zwar kündigte Corrado Pardini, der für die SP im Nationalrat sitzt und als Geschäftsleitungsmitglied der Unia den Sektor Industrie leitet, in der Aargauer Zeitung zur möglichen Einführung von Eurolöhnen für GrenzgängerInnen vollmundig an: „Wir [die Gewerkschaften] werden alle vorstellbaren Widerstände und gewerkschaftlichen Kampfmittel einsetzen, um Eurolöhne zu bekämpfen.“ [9] Doch in einem Interview mit Pardini im Blick kommt das wirkliche „Wirtschaftsprogramm“ der Gewerkschaften und der SP zum Vorschein:
„Wir brauchen nun aber keine Konfrontation zwischen den Sozialpartnern. Und erst recht keine Arbeitgeber, welche die Situation ausnützen und auf dem Rücken der Arbeitnehmer austragen wollen. […] Es braucht einen neuen Pakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Stabilisierung der Wirtschaft. Wir müssen die Auswirkungen und die drohenden, negativen Folgen der Masseneinwanderungs-Initiative und nun der Mindestkurs-Aufhebung meistern. Und zwar gemeinsam! […] Erstens braucht es ein klares Bekenntnis der Arbeitgeber zur Sozialpartnerschaft und gerechten Löhnen. Konkret: Schweizer Arbeit zu Schweizer Löhnen. Zweitens muss die Politik besonders stark betroffenen Unternehmen im Bereich Export und Tourismus Stützungsmassnahmen bieten. Gerade in der Exportbranche müssen wir Auslagerungen verhindern. [Und drittens müssen wir] die Chance nutzen und in den sozial-ökologischen Umbau investieren sowie die Herausforderung der bevorstehenden digitalen Revolution vorantreiben. Es braucht Investitionen in Forschung und Entwicklung, in Arbeitsplätze und Produkte mit hoher Wertschöpfung. Mit dieser Strategie meistern wir die Krise.“ [10]
Die Linke setzt also erstens auf die Sozialpartnerschaft, welche schon lange fast keine Verbesserungen für die ArbeiterInnenbewegung mehr gebracht hat, sondern im Gegenteil der Bourgeoisie jeweils dazu dient, den Widerstand gegen ihre Massnahmen mit Hilfe ebendieser Linken im Keim zu ersticken. De facto haben die Arbeitgeber die Sozialpartnerschaft schon lange weitgehend aufgekündigt und halten diese nur noch verbal aufrecht, wenn es ihnen grad nützt. Zweitens setzt die Linke, wie bereits im Jahr 2008, auf keynesianistische Stimulierungspakete für die Wirtschaft. Doch solche Konjunkturpakete helfen, wenn überhaupt, nur kurzfristig und hauptsächlich den Kapitalisten; bezahlen müssen diese Konjunkturpakete ja schliesslich wieder die Lohnabhängigen, bei der aktuellen Steuerpolitik sowieso. Die dritte und letzte Forderung ist ein sozial-ökologischer Umbau. Doch was dies genau heisst, wird nicht wirklich gesagt. Und wenn doch, wie „der produktive Pakt für die Schweiz“ [11] der Unia besagt, läuft es einzig und alleine darauf hinaus, den Kapitalisten zu helfen, ihre Profite auch zukünftig zu sichern und ihre Risiken noch mehr auf die Allgemeinheit abzuschieben. Solche Ansätze der reformistischen Linken bieten offensichtlich keine wirklichen Alternativen zum herrschenden System.
Diese Perspektivenlosigkeit der reformistischen Führungen darf uns aber nicht dazu verleiten, anzunehmen, dass sich die Belegschaften der von der Krise betroffenen Betriebe einfach alles gefallen lassen werden. Im Gegenteil, sie haben bereits in den vergangen Jahren einiges ertragen: Keine Reallohnerhöhungen, Kurzarbeit oder Arbeitszeiterhöhungen. Erneute Einschnitte in ihre Arbeits- und Lebensbedingungen werden sie nicht mehr einfach so schlucken. Die direktesten Konfrontationen werden nun auf betrieblicher Ebene beginnen. Der massive Druck, welcher sich hier aufbaut, wird auch die Gewerkschaften, zumindest ein Stück weit, dazu zwingen, effektiv zu beginnen, die Kämpfe in den Betrieben zu organisieren, denn die letzten Jahre haben ihre Spuren im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse hinterlassen und diese erneute Konfrontation wird das Klassenkampfniveau merklich heben.
Fest steht, es werden Kämpfe ausbrechen. Doch diese dürfen auf keinen Fall isoliert bleiben, sondern müssen verbunden und auf der Basis eines sozialistischen Programms generalisiert werden. Die sich nun durch das Aufgeben des Mindestkurses stellende Frage für die ArbeiterInnenbewegung „Wie kämpfen gegen die Verschlechterungen unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen?“, kann nur auf revolutionärem Weg beantwortet werden. Eine zugespitzte Situation wie die jetzige bedeutet: „Kapitulation oder Kampf“.
1 Tagesschau am Abend, www.srf.ch, (Stand: 15.01.2015)
2 www.nzz.ch/wirtschaft/der-politische-druck-auf-die-snb-waere-gestiegen-1.18462936, (Stand 16.01.2015)
4 www.nzz.ch/wirtschaft/mindestkurs-haette-im-januar-100-milliarden-franken-gekostet-1.18466362, (Stand: 22.1.2015)
5 www.swissmem.ch/aktuell/einzelansicht/event/ausgebucht-aufhebung-des-euro-mindestkurses-moegliche-arbeitsrechtliche-massnahmen-aus-or-und-gav/eventBack/61.html, (Zugriff: 25.01.2015)
6 www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/wef/Der-Bundesrat-fordert-Diskussion-ueber-Loehne/story/22560011?dossier_id=2521, (Stand: 23.01.2015)
7 www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/Die-Sorgen-des-NationalbankPraesidenten/story/15216791?track , (Stand: 08.03.2014)
8 www.nzz.ch/wirtschaft/immobilien-werden-eher-noch-attraktiver-1.18462347, (Stand: 16.01.2015)
9 www.aargauerzeitung.ch/wirtschaft/gewerkschafter-will-alle-kampfmittel-gegen-euroloehne-einsetzen-128763243, (Stand: 23.01.2015)
10 www.blick.ch/news/politik/gewerkschafter-pardini-ueber-franken-krise-darf-mir-der-chef-jetzt-den-lohn-kuerzen-id3418140.html, (Stand: 19.01.2015)
11 www.unia.ch/fileadmin/user_upload/user_upload/Industrie-Pakt-fuer-Produktion.pdf
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