An einem kalten Sonntagabend letzten Winter sah ich mir A Complete Unknown im Kino an. Obwohl ich nicht mit der Musik von Bob Dylan aufgewachsen bin und der Film sich einige künstlerische Freiheiten nimmt, hat mich Dylans Musik tief berührt. Die ersten Alben The Freewheelin’ Bob Dylan (1963) und vor allem The Times They Are a-Changin’ (1964) liefen darauf auf Dauerschleife.
Bob Dylan schrieb diese Alben, als die USA die neue Supermacht geworden waren, der Ausbruch eines atomaren Weltkriegs eine dauernde Bedrohung war und als die USA von der Massenbewegung gegen die Rassentrennung erschüttert wurde.
Er sang seine Lieder über Militarismus, Aufrüstung, Rassismus, Armut und die Propaganda der Herrschenden auch an Demonstrationen mit hunderttausenden Menschen. Damit wurde er zum Ausdruck einer tiefsitzenden Wut auf die herrschenden Zustände.
Masters of War ist eine wütende Anklage an die Kriegstreiber und Waffenproduzenten der Welt: «Ihr Kriegstreiber, ihr seid es, die aufrüsten, die nichts als Zerstörung auf die Welt bringen, ihr hetzt uns in den Krieg und den Tod, aber versteckt euch in euren Villen, ihr zerstört die ganze Welt und schürt Ängste vor dem Leben selbst.»
Und im Gegensatz zu anderen Antikriegsliedern (Imagine) endet Dylan nicht mit einem Appell an Vernunft und Güte der Mächtigen, sondern mit einem wütenden Todeswunsch an die Kriegstreiber: «And I hope that you die, […], and I’ll stand over your grave ‘til I’m sure that you’re dead!»
Dylan schrieb das Lied vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs und der Kubakrise. Es drückt die tiefe Angst (und Wahrheit) aus, dass unsere Herren Kapitalisten zur Not die ganze Welt mit in den Abgrund reissen. Für ihre Kriege müssen die Unterdrückten der Welt ihr Blut vergiessen und ihr Leben lassen, und diesen Kriegstreibern wünscht Bob Dylan nichts anderes als den Tod!
In Only a Pawn in Their Game behandelt Dylan den rassistischen Mord am afroamerikanischen Bürgerrechtsaktivisten Medgar Evers und erklärt: Die rassistischen Politiker missbrauchen die Probleme der weissen Unterschicht, um sie zum Lynchmob und Kettenhund zu erziehen und auf Minderheiten zu hetzen, um alle Unterdrückten unten zu halten. Ihr Rassisten seid nichts als Bauern im Spiel der Mächtigen!
Damit benennt er korrekterweise die wirklichen Verantwortlichen und drückt die revolutionäre Strömung in der Bürgerrechtsbewegung aus, welche den Rassismus mit der Klassenfrage verband. Mit der Zeile «he (der rassistische Mörder) can’t be blamed, he’s only a pawn in their game!» überspannt Dylan bewusst den Bogen: Weil die Kapitalisten eine verschwindende Minderheit sind, müssen sie spalten, um zu herrschen. Rassistische Morde sind keine tragischen Einzelfälle, sondern die Folge der konstanten Hetze der Bürgerlichen in Medien und Politik. Schuld ist nicht einfach der Einzeltäter, sondern die Kapitalisten als ganze Klasse. Rassismus liegt nicht einfach in der Natur des Menschens, aber sehr wohl in der Natur der Klassengesellschaft! Und die Nach-Unten-Treter treffen nicht die Wurzeln des Problems, sondern ihre potentiellen Verbündeten im Kampf gegen den Kapitalismus. Damit schaufeln sie sich nur ein tieferes Grab.
In «With God on our Side» entlarvt Dylan die Herrschenden weiter und erklärt, wie sie ihre Interessen, ihre Kriege, ihre Verbrechen legitimieren und verschleiern: «bei allen Verbrechen, ob beim Genozid an den Indigenen oder den imperalistischen Kriegen, hatten wir immer Gott auf unserer Seite». Und heute, wo Protektionismus und Blockbildung zunimmt, schreien unsere Herrscher für die Verteidigung von «Freiheit und Demokratie». Dylan hat Recht, wenn er sagt: «Du stellst keine Fragen, wenn du Gott auf deiner Seite glaubst».
When the Ship Comes In hat Dylan erstmals mit Joan Baez an der Bürgerrechtsdemonstration 1963 gespielt, an der Martin Luther King seine Rede «I have a Dream» hielt. Es geht es um die Geschichte eines Schiffs, das Stürme und Irrwege durchsteht, bis die Besatzung endlich alle Lügen durchschaut, mit dem Segen von Sonne, Fischen und Vögel den Hafen erreicht und die Feinde stürzt, die glaubten, auf Ewig zu herrschen.
Inspiriert von Brechts Seeräuber-Jenny beschreibt Dylan metaphorisch wunderschön, wie die Unterdrückten die Gerechtigkeit der Geschichte auf ihrer Seite haben, wenn sie die Menschheit von Unterdrückung und Tyrannei befreien.
Bob Dylans Musik lässt uns fühlen, dass es keine perfekte Stimme, keine technisch ausgefeilten Gitarrensolos braucht und dass die Mundharmonika auch etwas quietschen darf, wenn man wirklich etwas zu sagen hat. Und das hat Dylan in diesen Liedern.
In The Times They Are a-Changin’ zeigt er dialektisch auf: Das Heute wird später Vergangenheit sein. Die Verlierer von heute werden morgen die Sieger sein, denn das Rad der Geschichte dreht sich weiter! Die alte Ordnung zerfällt, und wer nicht helfen will, die neue Welt aufzubauen, der gehe zur Seite. Denn die Zeiten ändern sich!
Damit trifft er auch heute den Nerv all jener, die mit offenen Augen empört die Entwicklung auf der Welt beobachten, und genau deshalb resoniert Dylans Frühwerk auch so. Und genau wie er in Masters of War singt, verkünden wir 60 Jahre später:
Wir werden erst ruhen, wenn wir die alte, verfaulte Klassengesellschaft begraben haben!
The Lonesome Death of Hattie Carroll:
Only a Pawn in Their Game:
With God on Our Side:
When The Ship Comes In:
The Times They Are a-Changin’:
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