Der Mann, der Hunde liebte von Leonardo Padura ist ein Roman zwischen Geschichte und Fiktion. Er erzählt von Trotzkis Exil, der Spanischen Revolution, den Moskauer Prozessen und endet mit seiner Ermordung durch Ramón Mercader.
Die Tat ist bekannt: 1940 erschlägt Mercader Trotzki in Mexiko mit einem Eispickel. Wer also auf überraschende Wendungen hofft, könnte meinen, dieser Roman sei nichts für ihn. Doch Literatur lebt nicht von der Handlung allein, sondern davon, wie erzählt wird. Mit Feingefühl verwebt er historische Fakten mit inneren Perspektiven und macht die Widersprüche des 20. Jahrhunderts spürbar.
Den Mörder Trotzkis zeichnet Padura nicht mit plakativer Verurteilung, sondern nähert sich ihm über dessen innere Zerrissenheit. Besonders eindrücklich ist die Szene, in der er vom Hitler-Stalin-Pakt erfährt: «Er versuchte, die Informationen zu verarbeiten, doch irgendetwas entging ihm, das spürte er. Genosse Stalin paktierte mit Hitler? […] Noch jahrelang würde sich Ramón an diesen bitteren Tag erinnern […]. Das, was Trotzki seit Jahren vorhergesagt hatte, war eingetroffen: Stalin und Hitler hatten sich einander angenähert.»
Als ehemaliger Frontkämpfer gegen den Faschismus in Spanien trifft ihn die Nachricht wie ein Schlag: «Seine stärkste Waffe, der Hass auf den Renegaten, drohte durch Angst und Zweifel stumpf zu werden, und er wusste nicht mehr, ob er aus Überzeugung oder nur auf Befehl aus Moskau handelte.» Mercaders innere Widersprüche stehen exemplarisch für aufrichtige Stalinisten, die an eine gerechte Sache glaubten, ohne zu erkennen, dass sie längst im Dienst der Konterrevolution standen. Der Leser verfolgt diesen inneren Kampf, spürt die Verwirrung und begreift, wie politische Überzeugungen unter dem Druck der widersprüchlichen Realität ins Wanken geraten. Padura schildert diesen Prozess eindrucksvoll und zeigt sein literarisches Können.
Auch Trotzki zeichnet Padura mit literarischem Gespür. Er zeigt dessen Schmerz über die verratene Revolution, den Mord an seinen Genossen, die Einsamkeit im Exil und gleichzeitig seinen ungebrochenen Kampf für den Sozialismus. Padura betont, dass Stalins grösster Sieg nicht nur die physische Vernichtung Trotzkis war, sondern die Zerstörung seiner politischen Wirkmacht: «Der grosse Sieg Stalins war es, Trotzkis Stimme zur Verkörperung des inneren Feindes der Revolution zu machen […] und ihn mit der Propagandamauer eines Systems zu erdrücken, das Trotzki selbst mit aufgebaut hatte, gegen das er sich aus Prinzipien nicht stellen konnte, ohne dessen Fortbestehen zu gefährden.» Als Trotzkis Tod näher rückt, mischt Padura eigene Zweifel mit dessen Gedanken. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt lässt er ihn fragen: War es «nach wie vor möglich, einen qualitativen Unterschied zwischen Faschismus und Stalinismus zu machen […]? Aber wenn […] die Arbeiterklasse ihre Unfähigkeit, sich selbst zu regieren, bewiesen hatte, dann muss man akzeptieren, dass die marxistische Auffassung von der Gesellschaft und vom Sozialismus falsch war.»
An dieser Stelle zeigt sich die Grenze von Paduras Interpretation. Trotzkis Haltung war nicht von persönlicher Zerrissenheit geprägt, sondern Ausdruck einer klaren politischen Methode. Er verteidigte die UdSSR nicht aus Nostalgie, sondern weil sie trotz ihrer stalinistischen Entstellung eine gesellschaftliche Errungenschaft darstellte, die dem Kapitalismus überlegen ist. Padura jedoch blendet diesen Zusammenhang weitgehend aus. Das dialektische Verständnis für die Gesetzmässigkeiten gesellschaftlicher Widersprüche fehlt ihm.
Es ist Paduras Verdienst, dass Trotzki erneut einen Platz im politischen Bewusstsein Kubas einnimmt. Auf der Insel herrschte ein langes Schweigen und systematische Ausblendung Trotzkis: «Aber du weisst doch, dass Trotzki tabu ist.» Und weiter: «In jenen Jahren hatte niemand, den ich kannte, ein erklärtes Interesse an Trotzki oder dem Trotzkismus […], man konnte gleich einen Strick nehmen und sich aufhängen, wenn man sich damit beschäftigte.»
Padura schreibt als linker Intellektueller in Kuba, geprägt vom Scheitern des Sozialismus und der Ernüchterung nach 2008. Ohne Anbiederung an das Regime, aber auch ohne alternative Perspektive, spiegelt er die Haltung vieler Linker wider. Doch im Gegensatz zu ihnen ist seine Annäherung an Trotzki nicht zynisch. Eben deshalb ist sie so wertvoll. Padura zeigt meisterhaft auf, wie sich die grossen historischen Widersprüche als innere Konflikte in den Figuren spiegeln. Hier liegt die Stärke des Romans: Auch wenn die theoretische Schärfe fehlt, macht die literarische Form die Tragweite dieser Widersprüche erfahrbar. Sie ersetzt keine Analyse, aber sie zeigt, wie Geschichte in Menschen wirkt, mit aller Brutalität und aller Hoffnung zugleich.
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