Das Sozialdrama „Souffragette“ erzählt die Geschichte einer jungen Arbeiterin, die sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs der radikalen Frauenbewegung in London anschliesst. Obwohl der Film auf eine tiefere Auseinandersetzung mit der Bewegung zugunsten einer dramatischen Geschichte verzichtet, bietet er viele Anknüpfungspunkte für die aktuelle Frage, wie echte Gleichstellung erreicht werden kann.
[dropcap]D[/dropcap]ie Geschichte folgt der Radikalisierung der ursprünglich auf gewaltfreien Widerstand und zivilem Ungehorsam basierenden Bewegung, welche aufgrund der intensiven Polizeirepression und der Ignoranz der Medien zum Individuellen Terrorismus übergeht. Über eine Arbeitskollegin kommt die Wäscherin Maud Watts (Carey Mulligan) mit den Suffragetten der Women’s Social and Political Union (WSPU) in Kontakt. Ihr erwachendes politisches Interesse führt zum Konflikt mit ihrem Mann Sonny, welcher zunehmend auf dem Rücken ihres Sohnes ausgetragen wird. Viele Szenen zeigen die Unterdrückung der Frau in der Familie, welche auch heute nach der Einführung des Frauenstimmrechts nicht beseitigt ist.
Während des knapp 150 Minuten langen Films ist die Handlung stark auf Mulligans Rolle der Protagonistin Maud Watts fokussiert. Dass dabei den Nebenrollen wenig Platz für Entfaltung geboten wird, ist ein Wermutstropfen, allerdings nur ein kleiner. Denn Mulligan spielt ihre Rolle einer innerlich zerrissenen und zunehmend in die Enge getriebenen Aktivistin sehr überzeugend. Der Eindruck, man schaue direkt über ihre Schulter, wird durch die oft verwendende Kameraführung auf Kopfhöhe verstärkt. Auch die Kostüme, die Drehorte und Kulissen tragen zu der authentischen Stimmung des Films bei. Diese Wirkung wird durch sehr dezente, zurückhaltend eingesetzte Musik unterstrichen, welche hauptsächlich zwischen den einzelnen Szenen überleitet. In der zweiten Hälfte verliert die Handlung etwas von ihrem anfänglichen Tempo. Das ist angesichts der Länge des Films ein klares Minus.
Ökonomische Widersprüche
Der Film blendet leider zu grossen Teilen die ökonomische, klassenbedingte Spaltung der Suffragetten aus. So proklamiert Emmeline Pankhurst (Meryl Streep) im Film:„Wir kämpfen für eine Zeit in der jedes Mädchen die gleichen Chancen wie ihre Brüder hat.“ Für Pankhurst und die weiteren bürgerlichen Mitglieder der Bewegung bedeutet dies, z.B. ein Erbe antreten oder über ihr eigenes Vermögen verfügen zu können. Die Ausbeutung, die Misshandlungen und die schlechten Arbeitsbedingungen, welche Maud im Film erlebt, werden dadurch aber nicht beseitigt, ganz zu schweigen vom Zensuswahlrecht, welches damals über 70% der Bevölkerung von Wahlen ausschloss.
Der erste Weltkrieg und das Frauenstimmrecht
Die Spaltung der Suffragette-Bewegung sollte mit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs offen zu Tage treten. Unter der zunehmend autoritären Führung von Emmeline Pankhurst stellte die WSPU ihre militanten Aktionen ein. Sie unterstützte den Krieg gegen Deutschland und die Ausbeutung der Frauen in der (Kriegs)-Industrie (mehr Informationen). Nach der Februar-Revolution reiste Pankhurst nach Petrograd um einen Separatfrieden zwischen Russland und Deutschland zu verhindern. Der linke, sozialistisch inspirierte Flügel der Suffragette-Bewegung hingegen formierte sich um Emmelines Tochter Sylvia Pankhurst, welche später der Kommunistischen Partei beitrat.
Die Geschichte endet im Film vor dieser turbulenten Periode. Die Schlussszene zeigt die Jahreszahl der Einführung des Frauenstimmrechts in verschiedenen Ländern. Grossbritannien weitete beispielsweise 1918 das bestehende Zensuswahlrecht auf Frauen über 30 aus. Davon profitierten Frauen der Mittel- und Oberschicht. Erst 1928 wurde das Zensuswahlrecht abgeschafft und sowohl Frauen als auch Männer ab 21 zur Wahl zugelassen. Der Film „Suffragette“ zeigt interessante Einblicke in den Alltag einer jungen Arbeiterin, mit besonderem Fokus auf die allgemeine Unterdrückung der Frauen in der Familie und der Öffentlichkeit. Dabei wirft er hochaktuelle Fragen zur Gleichstellung der Geschlechter auf. Auch wenn der Film die Beantwortung dieser Fragen dem Publikum überlässt, ist er aufgrund der stimmigen Geschichte und der überzeugenden DarstellerInnen zweifellos sehenswert.
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