Das Dorf Lützerath ist spätestens seit den letzten Tagen Vielen ein Begriff. In den Medien wird rauf und runter berichtet, dass es gerade von der Polizei geräumt wird, während Klimaaktivisten dies verhindern wollen. Das Dorf und das Aktivistencamp befinden sich an der Abbruchkante zum Braunkohletagebau Garzweiler und stehen damit dem Energiekonzern RWE im Weg, der die großen Mengen Braunkohle unter diesem Gebiet abbaggern möchte.
Die Klimaaktivsten verweisen immer wieder darauf, dass mit dem Abbau der Braunkohle das Pariser Abkommen nicht mehr eingehalten werden kann. Es zeigt sich ganz klar, dass auch in einem von Grünen geführten Bundesland wie NRW und unter einem grünen Wirtschaftsministerium Klimaschutz nicht an erster Stelle steht. Viele Aktivisten hoffen nun die Räumung durch eine Blockade zu verhindern und spekulieren auf ein von Gerichten angeordnetes Räumungsmoratorium, wodurch das Dorf Lützerath erhalten bliebe und der Abbau der klimaschädlichen Braunkohle verhindert würde. Als Vorbild gilt der Hambacher Forst, wo 2018 die aktive Besetzung des Waldes und ein Gerichtsbeschluss zum Rodungsverbot geführt haben.
In dieser Situation melden sich auch Luisa Neubauer und Pauline Brünger kritisch zu Wort. Beide sind bekannte Aktivistinnen und Sprecherinnen von Friday for Future. Sie berichten, wie 2021 noch geklatscht wurde, als das Verfassungsgericht entschieden hatte, dass man einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Klimaschutz hat, so wie es das Pariser Abkommen vorsieht. Damals war die Hoffnung groß, dass die Grünen in der Ampelregierung ihre ökologischen Ziele verteidigen würden.
Nun sind sie aber enttäuscht von den Grünen. Die Grünen waren maßgeblich verantwortlich für die Verhandlungen mit RWE, die im Oktober vergangenen Jahres zum Abschluss kamen. Der Konzern hat einem früheren Ausstieg zugestimmt, der schon 2030 statt 2038 stattfinden soll. Aber tatsächlich führt dies nicht zur Einsparung von CO2, denn die Menge wird nun einfach in doppelt so kurzer Zeit abgebaut, berichten die Aktivistinnen. Es zeigt sich mal wieder, dass die Klimaziele von Regierungen nur Ablenkungsmanöver sind und in der Praxis einfach weitergemacht wird wie bisher.
Vielmehr verweisen Neubauer und Brünger darauf, dass RWE gerade durch die verkürzte Zeit einen noch größeren Gewinn erwarten kann – von ungefähr einer Milliarde Euro. Der Konzern baut in einer kürzeren Zeit mehr Kohle ab, während der CO2-Preis erst später steigt. Außerdem bekommt der Konzern noch weitere 2,6 Milliarden Euro von der Bundesregierung für die „engültige und sozialverträgliche Stilllegung” der Anlage. Davon wird ganz sicherlich nicht viel bei den dort beschäftigten Arbeitern landen. Die Sprecherinnen der FFF-Bewegung haben also recht, wenn sie sagen, dass der Kohleausstieg keine Klimaschutzmaßnahme ist, sondern eine Profitschutzmaßnahme für RWE. Dabei hat dieser Konzern durch die Gaskrise seinen Gewinn im Vergleich zu 2021 mit 2,1 Milliarden Euro mehr als verdoppelt.
Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter und sagen, dass „solange fossile Konzerne die Regeln für die Energiewende machen“, es keine Energiewende geben wird. Sie haben also richtig erkannt, dass die Konzerne die Bundesregierung in ihrer Tasche haben. Und doch sind sie enttäuscht von den Grünen. Warum? Als die Grünen noch in der Opposition waren, haben sie die Klimabewegung um ihre Finger gewickelt. Besonders ein Teil der Jugend hat die Grünen gewählt, weil sie die Hoffnung hatten, dass es mit ihnen besser wird.
Aber jetzt in der Regierung zeigen die Grünen, für wen sie wirklich einstehen. Die Partei ist nicht die Retterin gegen den Klimawandel, sondern die Verteidigerin des Profits. Diese Illusionen werden nun zerstört. Trotzdem klammern sich viele in der Klimabewegung weiterhin an den Gedanken fest, dass die bürgerliche Demokratie ihre Interessen vertritt. Wenn die Grünen verbrannt sind, dann müssen nun die Gerichte her und unser Klima verteidigen, so lautet in etwa der Gedankengang.
Aber die Grünen sind nicht auf magische Weise bekehrt worden und haben erst mit Regierungsantritt ihre Positionen ausgetauscht. Sie waren bereits vorher Vertreter einer gewissen Kapitalfraktion und handeln nun nach deren Interessen. Für uns Marxisten kam das Ergebnis in Lützerath nicht überraschend, so traurig es auch ist. Und auch die Gerichte sind nicht besetzt mit neutralen Verwaltern, die über dem Klassenkonflikt zwischen Proletariat und Kapitalistenklasse stehen. Ähnlich der Polizei sind sie die getreuen Handlanger der Kapitalisten, die ihren Staatsapparat fest im Griff haben. Jeder Richter durchläuft einen Berufsweg, wo er ideologisch geschult und geprüft wird. Kritische Stimmen werden schon früh aussortiert. Das bürgerliche Recht ist darauf ausgerichtet das Privateigentum zu schützen, also die Interessen der besitzenden Klasse zu verteidigen. Und so argumentierten die Gerichte bezüglich Lützerath immer wieder, dass RWE die Häuser und Ländereien rechtmäßig erworben habe. Was passiert hier? Die Kapitalisten verweisen auf das Recht, dass sie selbst geschrieben haben, aber tun so, als ob dieses Recht den Interessen aller entspräche.
Mit den Kapitalisten und ihrem Verwaltungsappart, dem bürgerlichen Staat, wird es keine Bekämpfung des Klimawandels geben. Erinnern wir uns nur daran, dass 100 Konzerne für über 70 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Die Mehrheit der Bevölkerung kann aber eben nicht entscheiden, was diese Konzerne tun, solange diese nicht in Gemeineigentum überführt und von der Arbeiterklasse demokratisch kontrolliert werden. Ganz im Gegenteil bestimmen die Konzerne maßgeblich, welche Politik ausgeführt wird. Diese verfolgen in erster Linie nur ihren eigenen Profit und eben nicht, welche Bedürfnisse wir als Menschheit haben.
Auf eine vorteilhafte Gerichtsentscheidung zu hoffen, wie es 2018 im Hambacher Forst geschehen ist, heißt letztlich, die Entscheidung in die Hände des Staatsapparats zu geben und eigentlich keinen Einfluss auf sie zu haben. Der Berliner Volksentscheid zu „Deutsche Wohnen und Co. enteignen” zeigt, dass obwohl fast 60 Prozent für eine Enteignung großer privater Wohnungsunternehmen waren, der Wille der Mehrheit nicht bindend für die Politik der Minderheit war. Selbst der Berliner Mietendeckel wurde vom Verfassungsgericht wieder aufgehoben.
Auf den staatlichen Apparat zu hoffen, heißt die Mehrheit der Bevölkerung – also die Arbeiterklasse – zu verwirren, indem man ihr Sand in die Augen streut und nicht aufzeigt, dass ihr die bürgerliche Klasse mit grundsätzlich entgegengesetzten Interessen feindlich gegenübersteht. Auf dem Rücken der Klasse der Lohnabhängigen findet die Zerstörung des Planeten zugunsten der Kapitalistenklasse statt, die fette Profite einstreicht. Immer mehr Menschen wünschen sich, dass Maßnahmen zum Schutz des Klimas getroffen werden. Die fehlende Umsetzung einer effektiven Klimapolitik liegt also nicht an einem fehlenden Bewusstsein der Bevölkerung, sondern an den Profitinteressen einer Minderheit und dem Schutz des Privateigentums an den Produktionsmitteln.
Dabei gibt es mächtige Arbeiterorganisationen, wie beispielsweise der DGB, der ca. 6 Millionen Arbeiter hinter sich stehen hat. Würde der DGB zu einem Streik aufrufen, um das Dorf Lützerath zu schützen, dann würden die Bagger stillstehen. Eine Räumung wäre ausgeschlossen, egal wie das Gerichtsurteil ausfiele. Die Kapitalisten müssten klein beigeben, oder sie würden durch Auseinandersetzungen noch mehr Zorn auf sich ziehen. Die Macht liegt also potenziell in den Händen der Arbeiterklasse.
Dass der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften dies nicht tun, ist aber bezeichnend. Dabei haben sie sich Klimaschutz auf die Fahne geschrieben. Grund für diese Untätigkeit ist der reformistische Ausblick der Führung dieser Gewerkschaften. Für sie gibt es keine Alternative zum Kapitalismus, sie haben sich mit den Bossen arrangiert und verwalten das System mit. Und sie bleiben dabei, während ihre sogenannten Sozialpartner unter ihren Füßen die Grundlage für jegliches menschliches Leben auf diesem Planeten zerstören. Solch eine Politik zwingt die Arbeiter in ein Bündnis mit denjenigen, die ihnen feindlich gegenüberstehen und lässt sie selbst als machtlos erscheinen.
Die Passivität eines Großteils der Bevölkerung liegt also nicht daran, dass ihnen die Forderungen der Klimabewegung nach Umweltschutz zu radikal sind, sondern dass sie sich ernsthaft fragen, wie dies umgesetzt werden soll, bei ihrer eigenen scheinbaren Machtlosigkeit gegenüber den vorherrschenden Verhältnissen. Es fehlt eben an bewusstem Klassenkampf, in dem die Arbeiterklasse ihre eigene Stärke wahrnimmt und an Selbstvertrauen gewinnt. Und der erste Schritt ist, die Feindschaft der zwei großen Hauptklassen aufzuzeigen und sich eben nicht an den Rockzipfel der Bürgerlichen zu hängen. Eine Klimabewegung, die ihren Zielen treu sein will, muss notwendigerweise Klassenkampf führen, denn nur die Arbeiterklasse hat das Interesse und die Fähigkeit, die Ziele der Klimabewegung umzusetzen.
In diesem Sinne ist die Führung der Klimabewegung nicht radikal genug. Luisa Neubauer und Pauline Brünger tragen mit ihrer aktuellen Strategie (Illusionen in die Grünen und den bürgerlichen Rechtsstaat) entscheidend zur Ohnmacht der Klimabewegung bei. Statt nur aufzuzeigen, dass Umweltzerstörung profitabel ist, müssten sie klar und deutlich sagen, dass wir uns den Kapitalismus und die Profite der herrschenden Klasse nicht mehr leisten können.
Deshalb setzen wir Marxisten uns für ein sozialistisches, klassenkämpferisches Programm in der Klimabewegung ein. Dieses Programm beinhaltet notwendigerweise den Kampf gegen den Klimawandel, denn es ist die Arbeiterklasse, die am meisten durch diesen leidet. Damit der Klimawandel aufgehalten werden kann, kommt es darauf an, die Klimabewegung, die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung insgesamt als Einheit um ein sozialistisches Programm zu organisieren. Das ist weit schwieriger als beispielsweise isolierte Klebeaktionen von Aktivisten der „Letzten Generation“ oder Barrikadenkämpfe in verlassenen Dörfern wie Lützerath. Aber es ist der einzige Weg zum Erfolg. Wenn du uns zustimmst, dann werde Teil der International Marxist Tendency, die weltweit für ein Klassenkampf und Sozialismus eintritt.
Michele Rocco Troccolo, Der Funke Deutschland
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