Vor den Regionalwahlen am 3. August befindet sich Südafrikas Establishment in einer tiefen Krise. Sie widerspiegelt die Spaltung in der herrschenden Klasse. Nach dem Ende der Apartheid setzte die Bevölkerung ihre Hoffnungen in die Führung des ANC. Vorfälle wie das Marikana-Massaker oder die Gupta-Affäre haben diese Illusionen erschüttert.
Dieser Artikel wurde vor den Wahlen publiziert. Die ANC machte das schlechteste Resultat der Geschichte.
Wie immer ist die Jugend ein wichtiger Gradmesser für die soziale Temperatur. So bildete sich letzten Herbst die Bewegung #FeesMustFall gegen die Erhöhung der Studiengebühren. Ihr militanter Streik legte alle grossen Universitäten lahm und verhinderte die Erhöhung der Gebühren im ganzen Land. Unterstützt wurden die Studierenden von der rebellischen Gewerkschaft NUMSA. In einem Statement rief sie die Bevölkerung dazu auf, „ gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen: die neoliberale Politik der ANC-Regierung und der grossen Unternehmen.“
Spaltung der herrschenden Klasse
Seither hat die ANC-Regierung wenig getan um das Vertrauen der Bevölkerung wieder herzustellen. Letzten Dezember ersetzte Präsident Jacob Zuma seinen Finanzminister Nhlanhla Nene durch den relativ unbekannten ANC-Parlamentarier David van Rooyen. Innerhalb weniger Stunden brach die Johannesburger Börse um fast 170 Milliarden Rand ein. Diese massive Kapitalflucht war ein deutliches Zeichen, dass diese Entscheidung gegen die Interessen einer bedeutenden Fraktion des Grosskapitals war. Nach nicht einmal vier Tagen im Amt wurde van Rooyen durch Pravin Gordhan ersetzt, die Märkte stabilisierten sich.
Diese Ereignisse enthüllen die bürgerliche Demokratie als die leere Fassade, die sie darstellt. Wichtige politische Entscheide werden nicht vom Parlament im Interesse des „Gemeinwohls“ getroffen. Die Macht im Staat liegt in den Händen des Grosskapitals. Die Affäre um die Ernennung des Finanzministers hat den ArbeiterInnen gezeigt, dass der ANC gehorcht, wenn das Kapital befiehlt.
Der Konflikt lässt sich durch die Spaltung der herrschenden Klasse in zwei Fraktionen erklären. Auf der einen Seite steht das Grosskapital, die Banken und die Minengesellschaften, welches die wichtigen Sektoren der Wirtschaft kontrolliert. Ihnen gegenüber steht eine jüngere Fraktion des Kapitals. Diese bildete sich kurz nach dem Sturz des ApartheidRegimes aus dem Umfeld des ANC und profitiert durch Staatsaufträge von ihrer Nähe zur Regierung. In den letzten 20 Jahren plünderte diese Fraktion systematisch alle politischen Ämter und Ministerien. Die Sparprogramme aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise bedrohen deshalb direkt ihre Geldquelle. Dies führt sie in den Konflikt mit dem Grosskapital.
Die Krise des ANC
Im März wurde schlussendlich bekannt, dass die schwerreichen Gupta-Brüder bei der Auswahl der Nachfolge beteiligt gewesen waren. Die Familie Gupta ist der wichtigste Vertreter der aufstrebenden Fraktion des Kapitals. Diese Enthüllung war umso brisanter, weil der ehemalige Finanzminister Nene gegen die Vergabe eines Millionengeschäfts an eine Firma der Guptas war. Diese Affäre öffnete innerhalb des ANC erneut eine tiefe Krise. Weitere ehemalige und gegenwärtige MinisterInnen traten mit ähnlichen Vorwürfen an die Öffentlichkeit, eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt. Mittlerweile werden Rufe nach Zumas Rücktritt laut. Dies deutet auf die zweite grosse Spaltung innerhalb der Partei hin: jener zwischen der bürgerlichen Führung und ihrer proletarischen oder kleinbürgerlichen Wählerbasis.
Die Instabilität hat auch Konsequenzen für die Drei-Parteien-Allianz aus ANC, der kommunistischen Partei Südafrikas SACP und dem Gewerkschaftsbund COSATU. Sowohl die SACP als auch COSATU haben sich ohne einen unabhängigen Klassenstandpunkt mit der Fraktion des Grosskapitals gegen die Fraktion Zuma/Gupta verbündet. Im innerparteilichen Konflikt um Zumas Nachfolge unterstützten sie den ANC-Vizepräsidenten Ramaphosa, welcher beim Massaker an den streikenden Minenarbeitern in Marikana 2012 eine entscheidende Rolle spielte. Aber wenn man das kapitalistische System nicht als ganzes ablehnt, muss man auch seine Logik und seine Konsequenzen akzeptieren.
Economic Freedom Fighters
Im April sprach das Verfassungsgericht ein Urteil im sieben Jahre alten Nkandla-Skandal. 246 Millionen Rand hat Präsident Zuma für den Bau seiner Familienresidenz aus der Staatskasse genommen. Dies ist nur die jüngste Salve des Dauerbeschusses unter dem Zuma steht. Der Nkandla-Skandal ist eng mit dem Aufstieg der Oppositionspartei der Economic Freedom Fighters (EFF) verknüpft. Nach den Parlamentswahlen 2014 startete der EFF die Kampagne „Pay back the money!“ In den Fragestunden des Parlaments verlangte sie, dass Zuma das Geld zurückzahlen solle. Schlussendlich verklagte sie Zuma beim Verfassungsgericht.
Das Gerichtsurteil hat die Autorität des EFF in der Gesellschaft massiv gestärkt. Wie keine andere Partei seit dem Ende der Apartheid hat sie es mit militanten, linken Auftritten geschafft, die Politik zu prägen. Dies widerspiegelte sich an der Massenversammlung vor 56 000 Menschen in der grössten Township Soweto anlässlich der anstehenden Regionalwahlen. Zum Vergleich: Der ANC konnte zu seiner Wahlkampfveranstaltung nur knapp 44 000 Menschen mobilisieren.
Bürgerliche Experten führen den Aufstieg der EFF allein auf das rhetorische Geschick ihres Vorsitzenden Julius Malema zurück. Das ist falsch. Viel mehr bietet der EFF einen organisierten Ausdruck für die gesellschaftliche Radikalisierung. Die Partei spricht die soziale Frage und die Probleme der arbeitenden Bevölkerung an. Die EFF füllt damit eine Lücke, welche von der SACP hinterlassen wurde, als sie auf kapitalistischer Grundlage in die Regierung eintrat.
Einflüsse der Weltwirtschaft
Zeitgleich zur politischen Krise des Establishment ist auch die Wirtschaft in der Krise. Die Arbeitslosigkeit stieg offiziell auf 25%, die Jugendarbeitslosigkeit sogar auf 35%. Andere Schätzungen gehen von einer Jugendarbeitslosigkeit von über 60% aus. Die Staatsverschuldung ist unter Zuma auf über 750 Milliarden Rand gestiegen, ohne nennenswerten Einfluss auf die Wirtschaft. Das jährliche Wachstum liegt bei knapp 1.3%. Die Kombination aus verlangsamtem Wachstum und hohen Schulden lässt die Zinsen in die Höhe schnellen.
Die Wirtschaftskrise ist Ausdruck der Widersprüche der vergangenen Periode. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Zustand der Weltwirtschaft. Die Krise in der EU führte zu einem Rückgang der Exporte mit Südafrikas zweitgrösstem Handelspartner. Hinzukommt das Verlangsamen der chinesischen Wirtschaft. Die sinkende Nachfrage nach Rohstoffen hat Südafrikas Wirtschaft hart getroffen und zur Abwertung der Währung geführt. Der Rückgang der Rohstoffpreise – beispielsweise Platin oder Eisenerz – auf dem Weltmarkt ist eine direkte Folge der globalen Überproduktionskrise. Deshalb konnte die Exportwirtschaft auch nicht von den Währungsabwertungen profitieren.
Staat und Revolution
Die Regionalwahlen im August dieses Jahres sind der Beginn einer neuen Periode in Südafrika. Während der letzten 20 Jahre konnte sich der ANC immer auf die Unterstützung der Massen verlassen. Einerseits zehrte er von der riesigen Autorität als führende Partei des Befreiungskampfes. Wie bereits beschrieben ist dieses Image nach 20 Jahren prokapitalistischer Politik stark angekratzt. Andererseits existiert mit den EFF für die Massen eine Alternative links des ANC. Es besteht die Möglichkeit, dass sich die Radikalisierung in der südafrikanischen Gesellschaft in einer starken Unterstützung für die EFF äussert.
Für die Wahlen hat die EFF ein weitreichendes Programm progressiver Forderungen aufgestellt. Trotz ihrer militanten Haltung und ihres radikalen Auftretens verbleibt die Partei dabei im Rahmen des kapitalistischen Systems. Dabei vertritt sie unter anderem die Vorstellung der Übernahme des Staates zur Umsetzung progressiver Reformen. Doch genau dies war das Ziel des ANC während dem Kampf gegen die Apartheid. Heute ist sie offensichtlich gescheitert.
Der Kapitalismus lässt angesichts der tiefen Krise in Südafrika und weltweit progressive Reformen nicht mehr zu. Im Gegenteil: Die Kapitalisten sind gezwungen, eine Errungenschaft der ArbeiterInnen nach der anderen zurückzunehmen um ihre Profitbedingungen zu sichern. Wenn die EFF innerhalb des kapitalistischen Systems verbleibt, muss auch sie seine grundlegenden Gesetze akzeptieren. Die grösste Stärke der EFF ist ihre Orien-tierung auf den Massenkampf und mobilisierungen. Das Programm der EFF bleibt zwar im Rahmen des Systems. Aber wenn die Massen in Bewegung kommen, kann niemand garantieren, dass sie auf halbem Weg stehen bleiben. Dies verängstigt die herrschende Klasse.
Um erfolgreich zu sein muss das System, welches die Ursache der Probleme ist, beseitigt werden. Der einzige Weg, die Hoffnungen der ArbeiterInnen und der verarmten Bevölkerungsschichten Südafrikas zu erfüllen, ist mit dem Kapitalismus zu brechen. Nur eine sozialistische Gesellschaft, basierend auf vergesellschafteter Produktion unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse nach einem demokratischen Plan, kann ihn ersetzen.
Die #FeesMustFallBewegung im letzten Jahr hat den ‚molekularen Prozess der Revolution‘ und die Radikalisierung der Gesellschaft deutlich gezeigt. Letzten Herbst zogen die Studierenden vors Parlament in Kapstadt um dem Bildungsminister – SACP-Generalsekretär Blade Nzimande – ihre Forderungen zu überbringen. Sie verschafften sich Zugang zum Parlamentsgebäude und wurden, die Nationalhymne singend, auf der Schwelle des Ratssaals von der Polizei gewaltsam aufgehalten. Da sich die EFF-Abgeordneten weigerten, die Sitzung weiterzuführen, wurden sie ebenfalls hinausgeworfen. Als Nzimande schlussendlich vor die Studierenden trat, wurde er ausgepfiffen und musste ins Parlamentsgebäude flüchten.
Koordiniert und unter einem sozialistischen Programm stellt diese Radikalisierung eine ernste Bedrohung für den Kapitalismus dar. Als zweitgrösste Volkswirtschaft des Kontinents hätte eine revolutionäre Bewegung in Südafrika weitreichende internationale Konsequenzen. Es würde nichts anderes als den Startschuss für die afrikanische Revolution als Teil der Weltrevolution bedeuten.
Amandla Awetho
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Flo D.
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