F: Du bist vor kurzem aus Syrien zurückgekommen. Was hast du dort gemacht und was hat dich hingeführt?
P: Ich bin in erster Linie als politischer Aktivist nach Rojava gegangen. In zweiter Linie als Journalist. Im Zuge der Reise haben sich dann die Betätigungsfelder auch verschoben. Ich wusste, als ich weggefahren bin, nicht, dass ich dort bewaffnet kämpfen werde. Ursprünglich waren zwei Dinge ausschlaggebend: Der Versuch Öffentlichkeit zu schaffen, also festzuhalten, was da tatsächlich passiert und andererseits die Fragestellung, was diese Bewegung erreicht. Gibt es Sachen, die für die deutsche Linke interessant sind, die wir von dieser Revolution lernen können?
F: Du hast den bewaffneten Kampf erwähnt. Wie bist du da vorbereitet worden? Hattest du schon eine militärische Ausbildung als du gegangen bist?
P: Ich hatte keine militärische Ausbildung. Ich gehörte zu den Linken, die das aus einem falschen Bewusstsein von Pazifismus schlichtweg nicht gemacht haben. Ich hatte auch keine Erfahrung an der Waffe. Ich habe eine Ausbildung in der kurdischen Bewegung genossen. Dort war ich einen Monat in der Kriegsakademie. Wobei man auch sagen muss, dass die Ausbildung dort stark auf eine ideologische Ausbildung und auf das Kennenlernen des Lebens innerhalb der Bewegung fokussiert ist. Natürlich lernt man schiessen aber es geht nicht darum, zu Kampfmaschinen abgerichtet zu werden sondern um eine Mischung zwischen ideologischer, inhaltlicher Bildung und Ausbildung an der Waffe.
F: Ein Thema, was Rojava angeht ist ja der Aufbau demokratischer Strukturen. Wie viel ist dran an der Erzählung in der Linken, dass in Rojava an einem revolutionären Projekt gebaut wird?
P: Auf der politischen Ebene gibt es ziemlich schnelle Fortschritte: Bei der Herausbildung von Kommunen, Stadtteilräten und beim kantoneübergreifenden demokratischen Volksrat. Die Wirtschaft ist aber immer noch eine der grossen Schwachstellen, was aber die Bewegung auch selber sieht. Mittlerweile sind 2 – 5 Prozent, der Wirtschaftsleistung, die Rojava erbringt, Kollektiveigentum. Die unmittelbare Direktive ist 50 Prozent in den nächsten zwei Jahren zu erreichen und langfristig soll alles kollektiv sein. Was die kurdische Bewegung nicht machen will, ist Leute zu enteignen, die kleines Familieneigentum haben. Das würde soziale Konflikte produzieren, die man gerade in der Kriegssituation schwer bewältigen kann. Der weitaus überwiegende Teil der Wirtschaft beruht auf Landwirtschaft und davon überwiegende Teil auf Kleinfamilieneigentum. Die meisten reichen Familien haben die Region ja verlassen. Es gibt natürlich noch Grosseigentum. Von den Clans die geblieben sind, haben jedoch einige mit der Waffe in der Hand die Revolution verteidigt und ich weiss nicht wie viele Mitglieder im Kampf verloren. Aber du kannst nicht hingehen und so einen riesigen feudalen Familienverband enteignen, der noch dazu die Revolution verteidigt hat. Da kannst du dann auf Überzeugungskraft setzen und sagen: Kooperativen sind besser als Claneigentum.
F: Und bei der Geschlechterfrage?
In allen Strukturen von der kleinsten Kommune über das Militär bis zum grössten Rat gibt es autonome Frauenstrukturen. Und der Aufbau von den Strukturen funktioniert relativ gut. Man merkt auch – ich kann es jetzt einfach aus dem Militär sagen – dass die Einheiten der Frauen in Raqqa viel disziplinierter waren und auch viel politischer als viele Männereinheiten. Natürlich ist die Hemmschwelle sich da anzuschliessen für Frauen höher. Wenn sie es tun, tun sie es aber oft mit einem höheren Bewusstsein und haben darin mehr zu gewinnen aber auch mehr zu verlieren. Auf dem Gebiet hat die kurdische Bewegung einen ihrer grossen Erfolge. Es gibt Frauenselbstorganisierung, die richtig umfassend ist. Natürlich ist man noch weit davon entfernt, dass man das Patriarchat besiegt hätte. Du wirst wenn du bei Familien zu Gast bist, oft die Situation haben, dass du mit Typen am Tisch sitzt und die Frauen bedienen. Dagegen wird gearbeitet und die Frauenorganisierung ist der beste Garant dafür, dass das besiegt wird aber das braucht auch Zeit. Die Abschaffung des Patriarchats, einer tausende Jahre alte Unterdrückungsform, geht auch nicht so in sechs Jahren Revolution.
Bild: zvg. Lower Class Magazine – lowerclassmag.com
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