Am 14. April hat der Kandidat der bolivarischen Bewegung, Nicolas Maduro, die Präsidentschaftswahlen in Venezuela gewonnen. Doch die USA und die EU, die im Namen von Aussenkommissarin Lady Ashton spricht, wollen dieses Ergebnis nicht oder zumindest nicht vorbehaltlos akzeptieren. Sie machen sich damit zu Komplizen und Akteuren in einem Destabilisierungsszenario, dass dieser Tage Venezuela mit blankem faschistischem Terror überzieht. Einmal mehr tritt die Revolution an, um ihre sozialen und politischen Errungenschaften zu verteidigen.
In den ersten 48 Stunden nach der Wahl wurden 8 revolutionäre AktivistInnen ermordet, ca. 250 Verletze werden zur Stunde gezählt. Dutzende Polikliniken, Parteibüros der Sozialistischen Partei (PSUV), Radio- und Fernsehstationen, Häuser des nationalen Wohnbauprogramms wurden gebrandschatzt. Zogen die Faschisten in den ersten Tagen in Gruppen durch die Strassen, haben sie aufgrund des zunehmenden Widerstands auf motorisierte Überfälle umgesattelt.
Die Reaktion der revolutionären AktivistInnen liess nicht lange auf sich warten. Schon in der Wahlnacht versammelten sich Tausende auf den zentralen Plätzen, um das Wahlergebnis zu verteidigen. Denn seit Tagen war klar, dass in Falle einer Wahlniederlage die Opposition unter dem Slogan der „Neuauszählung der Stimmen“ für Chaos und Destabilisierung sorgen würde. Der Plan der Opposition ist es: Maduro international zu isolieren, die Autorität der staatlichen Institutionen (angefangen von der Wahlbehörde CNE) zu unterminieren, durch Terror auf den Strassen und wirtschaftliche Sabotage (Löhne werden nicht ausbezahlt, Herbeiführung von Nahrungsmittelknappheit, Sabotage der Stromversorgung,…) die revolutionäre Basis zu demoralisieren, das Kleinbürgertum zu hysterisieren und das Militär zu spalten und so ein Eingreifen von reaktionären Teile des Staatsapparates zu erzwingen. Ausserdem will man so das Überlaufen von korrupten Repräsentanten der bolivarischen Bewegung auf die Seite der Konterrevolution befördern.
Diese Pläne sind nicht nur aus dem Agieren von Oppositionskandidat Capriles ablesbar, sondern entsprechen den von WikiLeaks veröffentlichten Planspielereien der US-amerikanischen Botschaft in Caracas. Wie sehr diese involviert ist, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die US-Botschaft amerikanische Staatsbürger bereits im Vorfeld der Wahlen von „tagelangen Gewaltausschreitungen nach dem Wahlgang“ warnte.
Es verwundert nicht, dass internationale Medien, allen voran CNN-espanol, aber wie gehabt auch „seriöse“ Blätter wie der „Standard“ Teil der Meinungsmache und Destabilisierung sind. Hier ist kein Platz die offenen Lügen und Manipulationen dieser Medien zum Wahlgang, zum Wahlsystem und zu den Ursachen der heutigen Gewalt zu dokumentieren und zu widerlegen. Wir verweisen auf die Seite der internationalen Solidaritätskampagne Hands off Venezuela (und ihre Berichterstattung auf Facebook und Twitter), um sich hier selbst ein Bild zu machen.
Die Strategie, eine Lüge umso glaubhafter zu machen. je massiver sie vorgetragen wird, geht diesmal jedoch nicht vollständig auf. Zu angewidert sind selbst bürgerliche Regierungen in Lateinamerika vor dem neokolonialen Gehabe Washingtons, Brüssels und Madrids. Der entscheidende Faktor in dieser Situation sind jedoch die lateinamerikanischen Massen selbst, und insbesondere die revolutionäre Entschlossenheit der AktivistInnen in Venezuela.
Einmal mehr greifen sie entschlossen in ihr eigenes Schicksal ein, und dies ist die Definition der Revolution an sich, wie sie Leo Trotzki in seinem Meisterwerk „Geschichte der Russischen Revolution definierte:
„Der unbestreitbarste Charakterzug der Revolution ist die direkte Einmischung der Massen in die historischen Ereignisse. In gewöhnlichen Zeitläufen erhebt sich der Staat, der monarchistische wie der demokratische, über die Nation; Geschichte vollziehen die Fachmänner dieses Handwerks: Monarchen, Minister, Bürokraten, Parlamentarier, Journalisten. Aber an jenen Wendepunkten, wo die alte Ordnung den Massen unerträglich wird, durchbrechen diese die Barrieren, die sie vom politischen Schauplatz trennen, überrennen ihre traditionellen Vertreter und schaffen durch ihre Einmischung die Ausgangsposition für ein neues Regime. Ob dies gut oder schlecht, wollen wir dem Urteil der Moralisten überlassen. Wir selbst nehmen die Tatsachen, wie sie durch den objektiven Gang der Entwicklung gegeben sind. Die Geschichte der Revolution ist für uns vor allem die Geschichte des gewaltsamen Einbruchs der Massen in das Gebiet der Bestimmung über ihre eigenen Geschicke.“
Der Enthusiasmus und die Kampfbereitschaft der venezolanischen Massen ist historisch einzigartig. Seit 12 Jahren entfalten sie ihre Revolution, und jeder Versuch der Wiederherstellung einer kapitalistischen Normalität wurde noch durch die Intervention der Massen zurückgeschlagen. Was sich dieser Tage jedoch zeigt, und das ist in dieser Klarheit neu: die organisierte und planmässige Verteidigung der Revolution. Stärksten Ausdruck findet dies in der Bildung von „Komitees zur Verteidigung der Revolution“, die allerorten aus VertreterInnen der Misiones, der Betriebe und revolutionärer Kommunikationsstrukturen (Radios, TV-Stationen) gebildet werden. Diese Komitees haben klar deklarierte und kommunizierte Pläne, wie sie ihr Stadtviertel von faschistischen Banden säubern, wie sie gegen wirtschaftliche Sabotage vorgehen etc.
Einen Einblick in das Wesen dieses Prozesses bietet folgender Bericht von Carlos Munoz, Arbeiter im besetzen Betrieb Grafitos del Orinoco in Ciudad Bolivar und Unterstützer von Lucha de Classes, der Schwesterzeitung des Funke in Venezuela, den wir gestern erhalten haben: „Die Faschisten in der Stadt sind auf Motorrädern unterwegs und schiessen wahllos auf Menschen. In der letzen Nacht haben sie wieder drei Häuser, die im Zuge des nationalen Wohnbauprogramms errichtet wurden, angezündet. Der Angriff auf das Hauptquartier der PSUV konnte jedoch zurückgeschlagen werden. Die Faschisten sind sehr ängstlich und weichen zurück, wenn sie auf organisierte RevolutionärInnen stossen. Die Volksmiliz patrouilliert, und es haben sich zusätzliche Milizen von Arbeitern aus den besetzen Betrieben gebildet. Beide Milizen sind leicht bewaffnet, aber bisher mussten sie keine Waffengewalt einsetzen, weil die Faschisten jede direkte Konfrontation mit der organisierten Arbeiterbewegung meiden.“ Carlos berichtet weiter, „dass sie mit der lokalen Kaserne vereinbart haben, dass sie Waffen bekommen, wenn es notwendig wäre. Die Moral sei gross, und nach dem Vorbild von Caracas würde ein ‚Komitee zur Verteidigung der Revolution’ gebildet. Die Stimmung unter den AktivistInnen ist sehr gut, und der kollektive Wille ist, dass nun mit allem, inklusive den Korrupten, Schluss zu machen und die Revolution nach vorne zu tragen sei“ Dokumentierte Berichte über den aktuellen Kampf gegen die Konterrevolution und die Bildung der Verteidigungskomitees finden sich auf Aporrea.
Wie so oft ist es die Peitsche der Konterrevolution, die der Revolution einen nächsten Schritt nach vorne weist.
Um die Ereignisse in Venezuela richtig verstehen zu können, muss man sich bewusst sein, dass „eine Mehrheit zu haben“ nicht ident ist mit „Macht auszuüben“. Die venezolanische Revolution ist so gut demokratisch legitimiert wie keine andere Regierung der Welt. In 17 von 18 nationalen Wahlen und Referenden hat sich in den letzen 15 Jahren eine Mehrheit für die Revolution ausgesprochen. Dies ist erstaunlich, und historisch ohne Beispiel. Diese Mehrheit wurde jedoch nicht in Macht umgewandelt. Noch immer herrschen in Venezuela kapitalistische Verhältnisse, in der Wirtschaft und im Staat. Dies ist kein theoretisches, sondern ein praktisches Problem für das Leben der Menschen und das Überleben der Revolution.
Die ökonomische Sabotage äussert sich in massiver Ressourcenverschwendung durch Korruption und Selbstbereicherung von Unternehmern und Bürokraten, die neben ihren Einzelinteressen in letzter Konsequenz die Interessen multinationaler Konzerne (wie etwa Glencore in der Grundstoffindustrie) vertreten. In der Nahrungsmittelversorgung gibt es massive logistische Probleme und es kommt sehr oft zu Stromausfällen. Nur durch die vollständige Etablierung der Arbeiterkontrolle in den Betrieben kann diese Sabotage abgestellt werden. Auch der Justizapparat und grosse Teile der Polizei agieren weiter im Interesse des Kapitals. Dies äussert sich darin, dass die Missachtung von Gesetzen und Dekreten des Präsidenten (etwa zum Schutz der indigenen Bevölkerung, oder Investitionsentscheidungen in der Grundstoffindustrie) nicht durchgesetzt werden. Politisch motivierte Morde an streikenden Arbeitern werden oft nicht einmal polizeilich verfolgt, im Arbeitskampf bei Mitsubishi wurden die tödlichen Kugeln sogar von Polizisten abgefeuert. Auf der anderen Seite sehen sich hunderte Revolutionäre juristischer Verfolgung ausgesetzt. Die Liste liesse sich beliebig erweitern.
In diesen Tagen geht es in erster Linie darum, den faschistischen Terror zurückzuschlagen. Es ist gut, dass allseits deklariert wird, dass es dabei nicht bleiben darf, sondern dass die revolutionäre Offensive, die hier unter den Schlägen des Faschismus geschmiedet wird, weitergehen muss. Die Massenmobilisierungen müssen genutzt werden, um mit dem Kapitalismus, der Oligarchie und ihren staatlichen Institutionen aufzuräumen. Die „Komitees zur Verteidigung der Revolution“ können hier potentiell die gleiche Rolle spielen wie einst die Sowjets in der russischen Revolution.
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