Erfahrungen und Überlegungen des Vorarlberger Schülerstreikkomitees.
Gegen eine dilettantisch eingeführte Zentralmatura und ein neues LehrerInnendienstrecht, das eigentlich ein verstecktes Sparpaket darstellt, hat sich kürzlich in Österreich eine Schülerstreikbewegung erhoben. Dieser wurde von der ÖVP-nahen, also moderat rechten, Schülerunion wieder nicht unterstützt. Im grenznahen Vorarlberg wurde er aber aufgrund der vorbildlichen Arbeit der dortigen sozialistischen Jugend (SJ) wiederholt umgesetzt. Am 12. und am 18. Dezember 2013 fanden Strassendemonstrationen mit jeweils knapp 2000 SchülerInnen statt. Um die Frage zu diskutieren, wie man einen Schülerstreik organisieren kann, fanden sich am 29. Dezember etwa 15 SchülerInnen und SJ-AktivistInnen zusammen. Dieser Bericht ist eine Zusammenfassung der dort geführten Diskussion.
Zuerst einmal ist die Situation für Schülerstreiks eine ganz andere als in der Schweiz. Während in vielen Teilen der Schweiz Erfahrungen, eine konkrete Tradition der Schülerstreiks fehlt (das Tessin, die Romandie und neuerdings auch Luzern ausgenommen), gab es in Österreich bereits 2005 und 2009 Schülerstreikbewegungen, an deren Erfahrungen man nun anknüpfen konnte. Natürlich sind Schülerstreikbewegungen flüchtig. Vier Jahre nach dem letzten SchülerInnenstreik sind es nicht mehr die gleichen SchülerInnen, die in den Streik treten. Ähnlich wie bei Lernenden im dualen Berufsbildungssystem sind die älteren SchülerInnen, die damals gestreikt haben, nicht mehr anwesend. In den Schulen selber eine kämpferische Tradition wie in manchen Betriebenzu erhalten, fällt daher besonders schwer. Findet eine neue Bewegung statt, wiederholt sie unnötig die Fehler der alten Bewegung. Dem entgegen steht der Vorteil einer Organisation. Die Sozialistische Jugend Vorarlberg hat in den letzten Schülerstreikbewegungen oftmals schmerzhaft und durch Fehler gelernt, wie man eine Schülerstreikbewegung führen kann. Eine Organisation kann in der Durststrecke zwischen zwei Bewegungen die gemachten Erfahrungen konservieren, von ihnen lernen und sie dann in eine neue Bewegung einbringen.
Streikvorbereitungen
Die Einführung der österreichischen Zentralmatura ist ein Thema, das unter den österreichischen Schülerinnen und Schülern schon seit ihrer Ankündigung für Unmut sorgt. Die ÖVP-nahe Schülerunion (SU), die neben der SPÖ-nahen Aktion kritischer Schüler (AKS) eine der Organisationen ist, die die SchülerInnenparlamente dominieren, nutzte den Unmut und mobilisierte per Facebook für einen SchülerInnenstreik. Doch die Wiener Koalitionsverhandlungen sollten nicht durch Proteste gestört werden, die SU kam unter Druck von ihrer Mutterpartei. Wenige Tage vor dem geplanten Streiktag, dem 12.12.13, sagte die SU dann relativ unerwartet den Streik ab und verkaufte einen billigen Kompromiss als durchschlagenden Erfolg.
Aufgrund der Erfahrungen in den vorhergehenden Jahren trat die sozialistische Jugend Vorarlberg mit dem Anspruch auf, eine treibende Kraft in dieser Bewegung sein. Zu diesem Zwecke lud sie die SchülerInnen am 5.12 zu einem offenen Streikplenum ein (dafür wurden an den Schulen etwa 5000 Flyer verteilt und auf Facebook eingeladen, aus welchem heraus eine Streikleitung demokratisch gewählt wurde. Dieses Streikplenum und die demokratisch gewählte – und damit legitimierte – Streikleitung waren zentrale Faktoren für die erfolgreiche Mobilisierung. An das erste Plenum kamen zwar „nur“ etwa 20 TeilnehmerInnen, doch waren viele davon direkt betroffene SchülerInnen und Schüler, die an den Schulen selber Materialien verteilten und sich Menschen suchten, mit denen sie den Streik und die Forderungen zusammen diskutieren konnten. Die Plena haben die Basis der SJ im entscheidenden Augenblick anständig verbreitert, und sie erst richtig streikfähig gemacht. Die demokratische Form und das bewusste Auftreten als demokratisches Schülerstreikkomitee machten es denn auch einfacher, die dort geführten Diskussionen in die Schulen zu tragen und gegen den aktiven Widerstand der etablierten Schülervertretungen genügend grosse Autorität für eine Mobilisierung aufzubauen. Zudem prangte auf den verteilten Flyern nicht das Logo der SJ, sondern das der Streikorganisation. Dies führte dazu, dass die Forderungen, Flyer und Texte von den SchülerInnen unvoreingenommener aufgenommen und diskutiert werden konnten. Zwar waren sowohl Streikleitung als auch Plenum von der sozialistischen Jugend dominiert, jedoch haben sich die Mitglieder der Streikleitung den gemeinsamen Zielen, den Interessen und Beschlüssen des Plenums und damit der SchülerInnen verpflichtet, ohne dabei ihre ideologische Zugehörigkeit zu verstecken. Dazu kam noch, dass die späteren Plena stärker durch die SJ dominiert wurden als die ersten. Warum? Weil viele TeilnehmerInnen der SJ beitraten.
Auch in den anderen Teilen Österreichs war es klar, dass man gegen die Zentralmatura war. Aber abgesehen davon sind kaum konkrete Forderungen formuliert worden. In allen Bewegungen sind klare und vernünftige Forderungen absolut zentral! Wenn eine Bewegung ideologisch nicht viel mehr gemeinsam hat, als ein allgemeines Unbehagen und Wut aufgrund bestimmter Ereignisse, aber davon abgesehen nicht einmal klar ausdrücken kann, was sie eigentlich will, dann muss sie früher oder später wieder in sich zusammenfallen. Die Leute beginnen, sich frustriert abzuwenden. So waren die im Plenum klar formulierten und demokratisch beschlossenen Forderungen, die sowohl von LehrerInnen, Eltern als auch SchülerInnen getragen werden können, einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg der Vorarlberger Mobilisierung:
Die Streikleitung hat bald nach ihrer Gründung damit begonnen, massiv für ihren Streik zu werben. Für den Streik und die Teilnahme an der Demonstration am 12.Dezember wurden 10‘000 Flyer verteilt. Für das Plenum am 14. Dezember, an dem die Forderungen formuliert und beschlossen wurden, sind an den Schulen weitere 3000 Flyer verteilt worden, 30 Personen kamen tatsächlich. Eine Schwäche der Streikleitung und damit auch des Streiks war, dass die Streikleitung faktisch zeitgleich mit der Leitung und Organisation des Streiks viele Basisaufgaben übernehmen musste. So mussten die aktivsten Mitglieder der Streikleitung 18-stündige Schichten arbeiten, die nur möglich sind, wenn sich bezahlte Mitarbeiter, Beurlaubte, Arbeitslose oder Studenten in den Semesterferien zur Verfügung stellen können. Eine aktive Basis lässt sich jedoch nicht einfach aus dem Hut zaubern. Aber es gibt durchaus Wege, diese zu verbreitern. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass der Umgang mit interessierten Personen während des Flyerns absolut zentral ist. Kommt man mit einer interessierten Person in Kontakt und fordert sie lediglich dazu auf, zu einer bestimmten Uhrzeit an einen bestimmten Ort zu kommen, verliert sie schnell ihr Interesse. In der Diskussion wurde festgemacht, dass die AktivistInnen, statt passiven „StreikkonsumentInnen“, StreikaktivistInnen und aktive Diskussiongruppen an den Schulen gewinnen wollen, und die Leute auch so angesprochen werden wollen.
Wichtige Faktoren
Der Streik am 12. Dezember entwickelte sich in Vorarlberg zu einem vollen Erfolg. Trotz der widersprüchlichen Tendenzen kamen etwa 2000 SchülerInnen, kurz darauf demonstrierten noch die LehrerInnen gegen das neue LehrerInnendienstrecht. Die Solidarisierung zwischen SchülerInnen und LehrerInnen war geglückt. Das schon weiter oben erwähnte Plenum fand dann am 14.12. statt, wo gleich der 18.12 als nächstes Streikdatum festgelegt wurde. Gleichzeitig wurdeversucht, Signale nach ganz Österreich auszusenden, um den Streik auf eine nationale Ebene zu tragen. Die Mobilisierung musste noch etwas warten. Am 16.12 fanden erneute Verhandlungen zwischen Ministerium und SchülervertreterInnen statt. Das Ministerium hatte jedoch kein Interesse an echten Verhandlungen und machte von Anfang an klar, dass es nur zu Informationszwecken da war. Also blieb nichts anderes übrig, als kräftig auf den 18. Dezember zu mobilisieren. Doch der nächste Rückschlag sollte schon bald folgen: Die verschiedenen tatsächlich streikfähigen Organisationen sagten diesen zweiten Streik ab, vor allem, weil ihnen der Zeitpunkt viel zu kurzfristig war. So wurde der nächste nationale SchülerInnenstreik auf einen unbestimmten Zeitpunkt nach den Weihnachtsferien verschoben. Wie schon bei der ersten Absage wurden die SchülerInnen auch hier wieder durch die widersprüchlichen Meldungen verwirrt und verunsichert. Das Vorarlberger Plenum und die Streikleitung hielten jedoch an ihrem Zeitplan fest, und mobilisierten trotzdem fleissig auf den 18. Dezember, wo etwa 1500 kamen.
Bei den Mobilisierungserfolgen an den verschiedenen Schulen zeigte sich, dass sie an den verschiedenen Schulen unterschiedlich erfolgreich verliefen. In der Diskussion kristallisierten sich wichtige Faktoren heraus. Waren SchülerInnen zwar in der Schule aktiv, bekamen aber keine Unterstützung von Aussen, standen sie mit ihren Mobilisierungsversuchen schnell einmal isoliert da, was für die SchülerInnen ein äusserst frustrierendes Erlebnis bis hin zu Demotivation und Abbruch der politischen Arbeit sein kann. Genauso isoliert waren AktivistInnen, die als schulfremde Personen vor einer Schule flyerten, in der aber niemand aktiv war. SchülerInnen und Schüler, die ihr Umfeld als „mobilisierungsuntauglich“ beschrieben, haben dann an anderen, erfolgsversprechenderen Schulen geflyert und mobilisiert. Das wichtigste Element war demzufolge die Verknüpfung von innerhalb der Schule mobilisierenden und politisierenden SchülerInnen mit externen AktivistInnen, die an die Schulen kamen. Diese Kombination wirkte auf die SchülerInnen eindrücklich, der Autoritätsgewinn der politisierenden MitschülerInnen wurde greifbar. Die Isolierung wurde durchbrochen indem gezeigt wurde, dass die AktivistInnen nicht abgesondert agieren. Sind die Komitees an den Schulen gross genug, können sie noch zu ganz anderen Mitteln greifen. An einer Schule war das Komitee in der Lage, eine Liste mit den SchülerInnen zu sammeln, die sich bereit erklärten, zu streiken. Mit ihren Kontaktdaten konnte ihnen nach dem Streik auch eine Entschuldigung für die Fehlzeit zugestellt werden.
Der nächste entscheidende Faktor ist das Verhalten der Streikorganisation gegenüber den Schulleitungen. Es zeigte sich, dass man nicht auf die Schulleitungen setzen darf – so sehr sie dem Streik auch positiv eingestellt zu sein scheinen. So gab es einen Direktor, der sich am ersten Schulstreik noch für die Mobilisierung aussprach, was die Mobilisierung an der entsprechenden Schule zunächst sehr vereinfachte. Zum zweiten Streik hatte er aber eine gänzlich andere Meinung, wodurch die SchülerInnen eingeschüchtert wurden und brav im Unterricht blieben. Die Streikorganisation muss in der Streikbewegung ihre eigene Autorität aufbauen und durchsetzen, die SchülerInnen sollen für ihre eigenen Interessen streiken, nicht für die der Direktoren. Setzt man als Streikorganisation auf andere Autoritäten als die direkt Betroffenen und sich selbst, stärkt man die fremde Autorität und untergräbt die eigene.
Drohen die Schulleitungen, muss man diese aufklären und kontern. Jede Streikpublikation muss auf das Thema der rechtlichen Folgen eingehen, darüber aufklären und Sicherheit bieten. Die Streikleitung nahm u.a. auch Kontakt mit dem örtlichen Kinder- und Jugendanwalt auf, der in Österreich sämtlichen Jugendlichen kostenlos zur Verfügung steht. Rechtssicherheit ist für die Betroffenen äusserst wichtig, insbesondere wenn nicht die ganze Schule oder auch nur die ganze Klasse streikt. Wenn nur ein einzelner Schüler einer Klasse in der Streik geht, muss er sich absichern können. Aufklärung über die Rechtslage ist wichtig – zumal SchülerInnen im Gegensatz zu ArbeiterInnen in einer der besten Streikpositionen überhaupt sind, die rechtlichen Folgen sind in meist äusserst überschaubar und beschränken sich auf Nachsitzen, dass zudem in Österreich ohne Einverständnis der Eltern gar nicht legal ist. Schulen, die zu illegalen Methoden greifen – so kamen Einsperrungen vor – muss man soweit möglich, maximal Kontra geben. Einsperrungen sind Freiheitsberaubung, die mit allem was einem eben zur Verfügung steht (Anwälte, Anzeigen, Polizei und freundlich gesinnte ParlamentarierInnen), bekämpft werden können, sollen und müssen. Sind, -wie in Vorarlberg- freundlich gesinnte ParlamentarierInnen und Medien keine realistische Option, muss man mit Schülerzeitungen, Flyern, Streikzeitungen, Blogs, Social Media, Mailverteilern und Massen-SMS eine Gegenöffentlichkeit schaffen. Eine Streikmappe, die alle wichtigen Kontaktdaten, leere Schülerlisten für Streikzusagen und Kontaktdaten sowiedie rechtliche Situation, einen Ratgeber gegen Repressionen, Forderungen und durch das Plenum angenommenen Resolutionen enthalten soll, wird auf den Januar hin erstellt. Sie soll den Streikenden die nötigen Informationen und die Sicherheit geben, um den Streik im Januar erfolgreich weiter zu führen.
Zu guter Letzt ist die Frage der Finanzierung entscheidend, da sonst im Konfliktfall schnell einmal mit dem Abstellen der Finanzen gedroht werden kann – die Finanzierung der AKS hängt beispielsweise am Tropf der SPÖ, die soeben die neue Bildungsministerin gestellt hat. Was für Interessenskonflikte sich da auftun, bedarf keiner weiteren Erklärung. Es muss aktiv nach Möglichkeiten gesucht werden, den SchülerInnenstreik von sich aus zu finanzieren, es darf keine Möglichkeit ausgelassen werden, die Streikkasse aufzustellen und Solipartys/-Verkäufe durchgeführzuführen. Finanziert sich der Streik zudem von selbst, steht einem Mobilisierungserfolg nichts mehr im Wege.
Die nächsten Planungstreffen der AKS werden bundesweit zwischen dem 13. und dem 17. Januar stattfinden. Höchstwahrscheinlich werden wir dann Ende Januar eine weitere Runde SchülerInnenstreiks beobachten können. Wir warten gespannt auf die neuesten Entwicklungen.
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