Am 25. September fanden die Parlamentswahlen statt: Melonis Fratelli d’Italia (FdI) und ihr Mitte-Rechts-Bündnis gewinnen komfortabel. Bedeutet dies ein Rechtsrutsch in der Arbeiterklasse? Und weshalb stehen mit diesem Ergebnis alle Zeichen auf Sturm?
Italien steckt mitten in einer tiefen politischen Krise. Seit der letzten Parlamentswahl 2018 mussten dreimal neue Regierungen gebildet werden. Über ein Jahr regierte der europäische Zentralbanker Mario Draghi. Diese Technokraten-Regierung war der letzte Versuch der herrschenden Klasse, mit einer breiten Koalition praktisch aller Parteien (ausser den FdI) Stabilität herzustellen. Im Juli zerfiel die Draghi-Regierung jedoch innerhalb kürzester Zeit – die vermeintliche Stabilität verkehrte sich ins Gegenteil und löste Historisches aus: Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik mussten Wahlen vorgezogen werden. So hat die neue Regierung keinen Moment der Ruhe vor der Budgetdebatte im Herbst.
Die rechtsnationale Partei Fratelli d’Italia (FdI) gewinnt die Wahlen – sie holt rund 26 % der Stimmen. Ihr Mitte-Rechts-Bündnis mit Salvinis Lega und Berlusconis Forza d’ Italia kommt auf 43 % und erreicht damit eine klare Mehrheit in beiden Parlamentskammern. Das Mitte-Links-Bündnis schafft nur 26 %, ihre Hauptpartei Partito Democratico (PD) fällt unter die 20 % Marke. Und die Movimento 5 Stelle (M5S) kommt noch auf 15 % der Stimmen.
Das eindrucksvollste Ergebnis dieser Wahlen ist aber nicht der Sieg der FdI, sondern die historisch tiefe Wahlbeteiligung. Im Vergleich zu 2018 ist die Wahlbeteiligung um 9 % gesunken. 36,1 % der Wahlberechtigten, also mehr als 16,5 Millionen Menschen, gingen nicht an die Urne. Die Zahl derjenigen, die sich enthalten, ist jetzt der grösste Block, viel grösser als der des Wahlsiegers FdI. Ein klares Zeichen dafür, dass die italienische Arbeiterklasse das Vertrauen in die parlamentarische Politik verloren hat.
Der unterliegende Grund für die italienische Regimekrise ist die tiefe Krise des Kapitalismus. Die Kosten der Krise werden auf die italienische Arbeiterklasse abgewälzt. Seit den 1990er Jahren erfuhr sie deshalb Angriff nach Angriff. Das Resultat: Zwischen 2010 und 2020 ist der Reallohn um 3,5 % gesunken und gehört zu den tiefsten in der EU. Fast jeder zehnte Italiener lebt heute in absoluter Armut. Und drei von vier Familien müssen heute bei den Essens- und Gesundheitsausgaben sparen.
Die jahrzehntelangen Angriffe auf die Arbeiterklasse wurden von allen traditionellen Parteien mitgetragen. Das hat zu grosser Wut gegenüber allen etablierten Parteien geführt. Insbesondere die traditionell starke Linke (Kommunisten) zerstörte sich mit ihrer bürgerlichen Politik. Insbesondere durch das Vakuum in der Linken drückte sich die Radikalisierung der Arbeiterklasse in einer Polarisierung aus: Seit 2009 sah man den Aufstieg sowohl der EU-kritischen Protestpartei Movimento 5 Stelle (M5S) als auch der rechten Lega. Die zwei Sieger der Protestwahlen 2018 waren in den letzten 4 Jahren direkt in der Regierungsverantwortung und haben sich durch deren arbeiterfeindliche Politik gründlich delegitimiert. Die M5S konnte nach mehreren Spaltungen ihre völlige Implosion nur durch den Regierungsaustritt im Juni verhindern. Und die Lega hat nach gewissen Umfragen bis zu 40 % ihrer Wähleranteile an Melonis Fratelli d’Italia (FdI) verloren und steht heute nur knapp besser da als Berlusconis Forza.
Es fand also hauptsächlich eine Verschiebung innerhalb des rechten Lagers statt. Das Rechtsbündnis konnte im Vergleich zu 2018 nur 150 Tausend Stimmen dazugewinnen (auf heute 12 Millionen 300 Tausend). Doch warum siegte die Fratelli d’Italia? Ganz einfach: Sie war die einzige Partei, die nicht Teil der verhassten Draghi-Regierung war. Das aktuelle Wahlergebnis zeigt, dass die italienische Arbeiterklasse Parteien immer schneller testet und abstraft, wenn sie nicht liefern.
Der Sieg der Rechten bedeutet nicht die Machtübernahme des Faschismus, sondern eine weitere bürgerliche Krisenregierung. Melonis FdI trägt die volle Regierungsverantwortung zu einer Zeit, wo der italienische Kapitalismus in seiner tiefsten Krise steckt. Die neue Regierung wird sich mit einem historischen Schuldenberg von 152 %, mit steigender Inflation (heute bei 9 %), dem Ukraine-Krieg und einer für die italienische Industrie verheerenden Energiekrise auseinandersetzen müssen. Und die Arbeiterklasse dafür zahlen lassen.
Meloni präsentiert sich als «zuverlässig», trotzdem fürchtet sich die herrschende Klasse vor den Folgen ihres reaktionären Programmes «Gott, Vaterland und Familie», um das die Partei aufgebaut ist und von dem sie sich nicht lösen wird. Es wird unweigerlich zu Angriffen gegen MigrantInnen, LGBT-Menschen, Abtreibungsrechte usw. kommen. Die Angst der herrschenden Klasse dabei: Die Jugend und die ArbeiterInnen werden sich diese Provokationen nicht gefallen lassen.
Alle Zeichen stehen damit auf Sturm: Da die politische Ebene versperrt ist, wird sich die Wut der Arbeiterklasse zunehmend in die Betriebe und auf die Strasse verlagern. Die Rechten haben im Parlament gewonnen, aber das bereitet nur eine neue Etappe im Klassenkampf vor!
Jelena B., Unia Zentralschweiz
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