Ende Februar hat Deutschland eine neue Regierung gewählt. Sie ist schwach und sie rüstet auf – im Interesse der Kapitalisten und auf Kosten der Arbeiterklasse. Ohne revolutionäre Kraft, die sich diesen Kriegstreibern konsequent entgegenstellt, wird die AfD weiterhin den Unmut der Leute für ihre Zwecke kanalisieren können.
Die Wahlergebnisse vom Februar bestätigen, dass ein Ablösungsprozess vom Establishment stattfindet. Immer mehr Leute erkennen, dass die eingesessenen Politiker nicht in ihrem Interesse handeln und wenden sich wütend von ihnen ab. Deshalb wurden die bisherigen Regierungsparteien hart abgestraft. Die SPD hat das schlechteste Wahlergebnis seit 1887 eingefahren, die Grünen sind abgestürzt und die FDP wurde sogar aus dem Parlament geworfen! Gleichzeitig gewannen die Rechtspopulisten der AfD massiv an Stärke (20.8 %), aber auch die Partei Die Linke feierte ein kleines Comeback und wurde zur stärksten Partei in der Jugend.
Diese Polarisierung überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass die vorherige Regierung am Klassenwiderspruch zerbrochen ist. Der deutsche Kapitalismus befindet sich im scharfen Niedergang. Die Bourgeoisie braucht Kürzungspolitik und Aufrüstung, um ihre Profitinteressen zu schützen. Doch für ihre politischen Vertreter wird es immer schwieriger, diese Angriffe auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, ohne abgewählt zu werden.
Die neue Regierung steht vor demselben Widerspruch. Der konservative Friedrich Merz tritt sein Amt als unbeliebtester Kanzler je an. Seine erste Amtshandlung bewies seine politische Schwäche. In einem historischen Akt hat er den bereits abgewählten Bundestag wieder einberufen, um eine Aufhebung der Schuldenbremse für Militärausgaben und 500 Milliarden «Sondervermögen» für Infrastruktur zu beschliessen. Weil ihm im neuen Parlament die Mehrheiten für so eine Verfassungsänderung fehlen, setzt er sich einfach über den Wählerwillen hinweg. Damit stellt sich die neue Regierung komplett in den Dienst des Grosskapitals und ebnet den Weg für ihre Kriegskredite.
Dabei war die Schuldenreform noch der einfache Teil. Die Schulden zurückzuzahlen wird massiv schwieriger. Klar ist, dass jeder Cent aus den Taschen der Arbeiterklasse kommen soll. Sparmassnahmen laufen seit Jahrzehnten und die Bosse in der Industrie entlassen massenhaft Arbeiter. Jetzt fordern sie noch härtere Angriffe: Schlechtere Arbeitsbedingungen, eine Verlängerung der Arbeitszeit, Deregulierung der Arbeitsverträge etc. Doch die deutsche Arbeiterklasse hat seit Pandemie und Ukrainekrieg schon mehrere Jahre an Inflation und Angriffen hinter sich und wird eine neue Welle nicht kommentarlos hinnehmen.
All das führt zu stärkerer politischer Zerrüttung und enormer Instabilität. In dieser Situation wird die AfD in der Opposition gestärkt und sehr wahrscheinlich in Zukunft mit ihrer Demagogie noch mehr am Unmut in der Gesellschaft anknüpfen können. Ihr Programm ist nicht im Interesse der Arbeiterklasse, doch sie vermag sich als einzige echte Oppositionspartei zu positionieren.
Der gleichzeitige Wahlerfolg der Linken beweist, dass es sich bei diesem Prozess nicht um einen Rechtsrutsch der Gesellschaft handelt. Sie wurde zur stärksten Kraft bei den Erstwählern und gewann die Wahlen in Berlin. Sie hat in den Wochen vor der Wahl vermehrt soziale Fragen wie die Wohnungsnot oder fehlende Kitaplätze in den Vordergrund gerückt und versprochen, gegen die AfD «auf die Barrikaden» zu gehen. Ihr Erfolg beweist, dass die Jugend und der fortgeschrittenste Teil der Arbeiterklasse echten Widerstand gegen die mörderische Politik der Bürgerlichen und auch der AfD wollen. Jetzt müsste die Linke diese Schichten organisieren. Der erste Schritt wäre es, sich als die konsequente Opposition gegen die arbeiterfeindliche und kriegstreiberische Politik der Regierung zu positionieren und auf eine Massenmobilisierung dagegen hinzuarbeiten.
Die Führung der Linken macht das Gegenteil. Ihre Spitzenpolitiker gehen auf Kuschelkurs mit der Regierung und haben sowohl national als auch auf Länderebene für die Aufhebung der Schuldenbremse – und damit für die Kriegskredite! – gestimmt. In seiner Rede zur Eröffnung des Bundestags macht Gregor Gysi klar, auf welcher Seite seine Partei steht. Kein Wort zur Sparpolitik, stattdessen reicht er den Kriegstreibern die Hand und sagt, die EU müsse zur vierten Weltmacht werden. So wird die Linke mitverantwortlich für die Misere, weil sie die Arbeiterklasse schutzlos den Angriffen der Bourgeoisie ausliefert.
Die Ereignisse in Deutschland zeigen, wie dringend notwendig es heute ist, einen unabhängigen Klassenstandpunkt zu verteidigen. Die Herrschenden versuchen mit Hysterie und Patriotismus zu verdecken, dass es ihnen eigentlich um die Verteidigung des deutschen Imperialismus geht und dass sie dafür bereit sind, das Leben der Massen mit dem Zerfall der Zivilisation und blutigen Kriegen zu opfern. Und alle Parteien spielen mit. Doch den Niedergang des deutschen Kapitalismus werden sie nicht aufhalten können. Und die Arbeiterklasse wird ihre Lehren daraus ziehen und sich früher oder später in Bewegung setzen.
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