Die ökonomische und politische Situation scheint katastrophal und ausweglos. Thomas Friesenegg und Ruth Kreuz analysieren die Entwicklungen der letzten Monate und die Lage der Arbeiterklasse.
Der IWF fordert das Land auf, die bereitgestellten finanziellen Mittel zurückzuzahlen, worauf die Märkte mit Besorgnis reagieren. Im Normalfall versuchen bürgerliche Analysten alles, um die Situation auf den Märkten zu beschönigen, um möglichst viel Auslandskapital anzuziehen. In dieser Lage jedoch scheint selbst ihnen die Situation ausweglos.
Die besondere Situation ist nun, dass Russland eine Grenze in den Sand gezogen hat. „Bis hierhin und nicht weiter“ – dieses Stärke zeigen hat bereits 2006 in Georgien begonnen und die Situation in der Ukraine ist nur ein weiterer Ausdruck davon. Obwohl Putin in der Ukraine eigene Interessen verfolgt und sie als propagandistisches Werkzeug in seinem eigenen imperialistischen Vorgehen missbraucht, kann Russland im Moment keinen Vorteil daraus ziehen, den östlichen Teil der Ukraine direkt zu übernehmen. Vielmehr strebt es eine breite Pufferzone an, die es durch die rasche Ostexpansion der NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion verloren hat. Dass Russland jetzt seine Muskeln spielen lässt, ist kein Zufall sondern eine direkte Folge eines zunehmend schwachen US Imperialismus. Die Vereinigten Staaten besitzen weder materielle Ressourcen noch den nötigen Einfluss, um ehemalige Verbündete in ihrer Einflusssphäre zu behalten. Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf die arabischen Staaten und dortigen revolutionären Bewegungen. Aufstrebende Staaten blicken zunehmend Richtung Russland und China, die für das notwendige Kapital und die Gewährleistung ihrer Sicherheit aufkommen sollen. Selbst in den Reihen der in den Massenmedien als Verbündete dargestellten ist vermehrt von Interessenkonflikten die Rede. Deutschland kann von einem Kompromiss mit Russland profitieren und setzt sich für die Stärkung der Handelsbeziehungen ein, und kann daher die Vorgaben der US Politik nicht glaubhaft durchsetzen. Der lange unter dem Deckmantel einer konformen Position abgeschwächte Konflikt, beginnt sich verstärkt öffentlich zu manifestieren.
Die aktuelle Schwäche der EU ist ein entscheidendes Kriterium für den Weg zu den Maidan Protesten. Präsentierte sich die EU einst als starker Investor, der den ehemaligen „Ostblock“ zu Prosperität und Wohlstand führen möchte, beginnt die Fassade immer mehr zu bröckeln. Fakt ist, dass die herrschende Klasse in der Ukraine unter Yanukowitsch mit einer Auswahl von „Deals“ beglückt wurde. Die Darstellung der bürgerlichen Presse, wonach der ehemalige ukrainische Präsident ein Pro-Russischer Oligarch wäre, ist schlichtweg verkürzt. Die Oligarchen in der Ukraine sind nicht dogmatisch pro oder contra der politischen Linie eines der grossen imperialistischen Länder, sondern für sie zählt nur das beste Angebot. Hat die EU ihren Möglichkeiten entsprechend wesentlich weniger Geld, das zudem an striktere Vorgaben gebunden war, geboten, konnte Russland ein hohes Investitionsaufkommen ohne zusätzliche Auflagen anbieten. Die Entscheidung fällt hier leicht, doch bleibt sie nicht ohne Konsequenzen. Wenn der EU Imperialismus unter der Führung Deutschlands mit Hilfe einer friedlichen Herangehensweise nicht zu den gewünschten Resultaten kommt, müssen schwerere Geschütze aufgefahren werden. Um die Maidan Proteste zu verstehen, kann man jedoch nicht nur ausländische Kräfte als einzig relevante Faktoren heranziehen.
Wir MarxistInnen erklären Vorgänge anhand der objektiven Bedingungen und dem Kräfteverhältnis zwischen den Klassen. Kein Umsturz kommt zur Gänze ohne eine Massenbasis aus. Deals hinter verschlossenen Türen und das Involvieren von Geheimdiensten kann zwar nicht ausgeschlossen werden, die Triebkräfte hinter den Protesten jedoch bleiben unzufriedene Menschen, die nach einer Alternative suchen. Um das Streben nach einem höheren Lebensstandard und die Kluft zwischen dem Westen und Osten der Ukraine, bzw. die Vorgänge in Osteuropa verstehen zu können, muss man sich die Geschichte der Regionen ansehen. In der Sowjetunion waren der Donbass, die Krim oder Mariupol wichtige Stützen der Schwerindustrie. Ein hoher Lebensstandard durch garantierte medizinische Versorgung, niedrige Arbeitslosigkeit und die Aussicht auf sichere Pensionen galten als Eckpfeiler des Systems. Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus bildete sich rasch das Phänomen „der Oligarchen“, die ehemaliges Volkseigentum zu Spottpreisen aufkauften und so ihren Weg zur Macht ebneten. Durch den Verlust der Errungenschaften, die sich die ArbeiterInnenklasse mühselig erkämpft hatte, wurde eine Spiralbewegung nach Unten ausgelöst. Mit niedrigeren Löhnen, längeren Arbeitszeiten und einer Zuspitzung des Klassenkampfes gingen die arbeitenden Massen geschwächt in die nun unabhängige Ukraine.
Der Kampf auf dem Maidan war zu Beginn eine Bewegung, die Richtung Westen gesehen hat und eine Besserung der konkreten Lebensumstände zum Ziel hatte. Ein solches Ziel kann man nicht als etwas Reaktionäres abtun, auch unser Ziel ist es den arbeitenden Massen ein besseres Leben zu ermöglichen, allerdings ist uns klar, dass dies nur passieren kann wenn dieser Kampf in die vollständige Befreiung von der Lohnsklaverei mündet. Schon nach kurzer Zeit merkte man jedoch, dass die überwiegende Mehrheit der an den Maidan Protesten teilnehmenden Organisationen und Gruppen nationalistischer und faschistischer Gesinnung waren. Rote Fahnen wurden zertrampelt, KommunistInnen verprügelt und hinaus gedrängt. Ihren Höhepunkt fanden die Maidan Proteste mit dem vollständigen Einbinden des rechten Sektors und paramilitärischer Verbände. Später kam es auch zu einem Einbinden faschistischer Kräfte in die ukrainische Regierung. Mit dem Unterzeichnen der Waffenruhe konnten zwar nicht alle Kämpfe gestoppt werden, jedoch hat sich eine einigermassen stabile Front herausgebildet.
An eine Rückkehr in die Normalität ist in der jetzt nicht zu denken, allerdings geht mit der Beruhigung der Kämpfe eine Konzentration auf die soziale Frage einher. Vielen wird bewusst, dass sie sich auf ihre eigene Kraft verlassen müssen, um Erfolge zu erkämpfen und dass Putin bei einer neuerlichen Offensive des Kiever Regimes nicht direkt mit Kampfhandlungen einschreiten wird.
Wie hängt dies jetzt mit der Klassenfrage in der Ukraine zusammen? Lange Zeit hat die herrschende Klasse versucht, einen Keil zwischen russische und ukrainische ArbeiterInnen zu treiben, was jedoch an deren tiefer Solidarität und gemeinsamen Geschichte in der Sowjetunion scheiterte. Putin gelang es ein Klima des Misstrauens zu erzeugen und ein neuerliches Aufflammen der nationalen Frage zu bewirken, indem er die Interessen des russischen Staates denen der ukrainischen ArbeiterInnenklasse voran schob. Diese Gefühle mündeten in russischen oder ukrainischen Nationalismus statt in das Bewusstsein der eigenen Klasse. Das führte unter anderem zur Bildung von Teilrepubliken mit dem Bestreben, von Russland ebenfalls annektiert oder zumindest unterstützt zu werden.
Als MarxistInnen können wir nicht Stellung zugunsten Russlands oder Europas beziehen. Zuallererst müssen wir die Lage der ArbeiterInnen in einem Land betrachten. Dies gilt es zu betonen, denn es spielt wohl kaum eine Rolle, welcher Oligarch gerade an der Macht ist. Unser Augenmerk sollte auf der Stärkung der ukrainischen ArbeiterInnenklasse sowie der Unterstützung von Initiativen, die deren Stärkung anstreben, liegen.
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