Die politische Haltung zum Kosovo – innerhalb Serbiens und darüber hinaus im ehemaligen Jugoslawien – beruht häufig auf der Mythologie und den Vorurteilen des serbischen Nationalismus. Soziale Konflikte zwischen SerbInnen und AlbanerInnen und politische Auseinandersetzungen über den völkerrechtlichen Status dieses Gebiets werden als Fortsetzung jahrhundertealter religiös-ethnischer Konflikte gesehen.

Gleichzeitig werden die AlbanerInnen als Eindringlinge in das «heilige serbische Land» betrachtet. Im Gegensatz zu metaphysischen und ahistorischen Ansätzen suchen MarxistInnen die Wurzeln der heutigen «Kosovo-Frage» in der Neuzeit, d.h. im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als die Balkan-Nationen und -Nationalstaaten gebildet wurden. Die ethnische Zugehörigkeit und die Trennlinien zwischen SerbInnen und AlbanerInnen wurden durch die Entwicklung des Nationalbewusstseins und durch die Schwächung der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan bedingt.

Die folgende Resolution wurde Ende April auf dem Kongress der jugoslawischen Sektion der IMT in Banja Luka von den marxistischen Delegierten, die aus dem gesamten ehemaligen Jugoslawien, aus Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Slowenien und Kroatien zusammengekommen waren, einstimmig verabschiedet.

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Die Entstehung der Balkanstaaten

Nach den Beschlüssen des Berliner Kongresses (1878) und der Ausdehnung der Grenzen des serbischen Staates nach Südosten, kam es zu einer erheblichen Bevölkerungsverschiebung. Die ethnische Homogenisierung des neuen Nationalstaates erfolgte Hand in Hand mit der Zwangsumsiedlung von AlbanerInnen und anderen MuslimInnen aus den Städten und Dörfern der Bezirke Niš, Pirot, Toplica und Vranje im Kosovo und in Mazedonien. Andererseits wanderte die serbische Bevölkerung während des 19. Jahrhunderts nach Nordwesten aus. Die Gründe dafür waren die Krise der osmanischen Herrschaft, die wirtschaftliche Unterentwicklung und die Hoffnung auf ein besseres Leben in Gebieten, in denen die SerbInnen ein gewisses Mass an Autonomie genossen.


Parallel zur territorialen Expansion Serbiens, Montenegros und Bulgariens entwickelte die albanische Bevölkerung in der Provinz Kosovo, die noch Teil des Osmanischen Reichs war, ein eigenes Nationalbewusstsein. Die Kriege zwischen Serbien und den osmanischen Truppen (zu denen auch Albaner gehörten), die Ausbreitung des albanischen Nationalismus und der Wunsch, einen unabhängigen albanischen Staat zu gründen, sowie der Groll gegenüber muslimischen Flüchtlingen wegen der Vertreibung aus Serbien führten zu einer anti-serbischen Stimmung unter der albanischen Bevölkerung.
Als Echo des Griechisch-Türkischen Krieges im Jahre 1901 kam es im Kosovo zu einer Welle der Gewalt von bewaffneten Albanern gegen die Kosovo-SerbInnen. Umgekehrt waren albanische Bauern in den Grenzregionen des Kosovo häufig Übergriffen bewaffneter serbischer Kompanien ausgesetzt, die Verbrechen gegen die muslimische Bevölkerung begingen.


Die politische und wirtschaftliche Modernisierung sowie die Schaffung souveräner Nationalstaaten nach europäischem Vorbild führten dazu, dass frühere Formen der Hierarchie und des Nebeneinanders verschiedener Volksgruppen und Religionen in den Balkanländern, die noch aus der osmanischen Ära stammten, langsam, aber sicher ausgelöscht wurden. Diese Prozesse des schnelleren Wandels hin zu einer modernen kapitalistischen Gesellschaft sowie die Vorstellung von ethnisch homogenen Staaten aus «natürlichen» politischen Gemeinschaften führten zu dem, was wir heute als die sprichwörtliche Rivalität und den «Kampf um Lebensraum» zwischen SerbInnen und AlbanerInnen im Kosovo erleben.

Die Balkankriege

Kosovo kam nach den Balkankriegen (1912-1913) unter die Kontrolle von Serbien und Montenegro. Der serbische Staat hatte das Gebiet in Besitz genommen, in dem es nach den bereits beschriebenen ethnischen Konflikten und der Umsiedlung der Bevölkerung eine mehrheitlich albanische Bevölkerung gab, die den Absichten der neuen Regierung skeptisch gegenüberstand. Nach der osmanischen Volkszählung von 1912 bestand die Bevölkerung in den Bezirken Peja, Prizren und Pristina zu etwa 21 Prozent aus SerbInnen. Die vom Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen durchgeführte Volkszählung von 1921 ergab ähnliche Zahlen. In jenem Jahr machten Menschen mit serbokroatischer Muttersprache 26 Prozent der Bevölkerung in den Bezirken Kosovo, Metohija, Zvečan und Prizren aus.


Das Verhalten der serbischen Armee gegenüber der Mehrheitsbevölkerung in den neu annektierten Gebieten trug nicht zum Abbau der ethnischen Spannungen bei. Im Gegenteil: Mit ihrem Vormarsch durch albanische Dörfer führte die serbische Armee eine ethnische Säuberungskampagne durch, deren Ziel war, die nationale Zusammensetzung des Gebiets vor den bevorstehenden Konferenzen der Grossmächte zu homogenisieren (Konferenzen, die neue Grenzen in den Gebieten festlegen sollten, aus denen sich die türkische Armee zurückzog).


Im September 1913 brach ein albanischer Aufstand gegen die neuen Machthaber aus, den die serbische Armee gnadenlos niederschlug. Die damals vor Ort anwesenden MarxistInnen zeichneten sich dadurch aus, dass sie die Verbrechen der serbischen Armee gegen die albanische Zivilbevölkerung ohne jedes Kalkül beschreiben und verurteilten. Im Artikel «Blutrache der Soldaten» und später im Buch «Serbien und Albanien» zögerte der serbische Sozialist Dimitrije Tucović nicht, inmitten der nationalistischen Euphorie, die sich nach der neuen Erweiterung der Staatsgrenzen im serbischen Parlament breit machte, die Wahrheit zu sagen:


«Als der Aufstand ausbrach, erklärte die Regierung durch den Repräsentanten des Aussenministeriums, dass Arbanasi «angemessen bestraft» werden würde. Die bürgerliche Presse forderte eine rücksichtslose Ausrottung, und die Armee führte diese aus. Die Dörfer von Arbanasi, aus denen die Männer rechtzeitig fliehen konnten, wurden in Schutt und Asche gelegt. Dabei handelte es sich um barbarische Krematorien, in denen Hunderte von Frauen und Kindern bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Und während die Aufständischen die gefangenen serbischen Offiziere und Soldaten entwaffneten und freiliessen, verschonten die serbischen Soldaten im Gegenzug deren Kinder, Frauen und Kranken nicht.»

Ohne sich in die Spiele der Grossmächte um den Balkan und in Spekulationen darüber zu verstricken, wer die Nachrichten über die Brutalität der serbischen Armee für seine Interessen nutzen könnte, hielt der russische Revolutionär Leo Trotzki fest, was er als Kriegsberichterstatter für die ukrainische Zeitung «Kijevskaja misl» gesehen hat. Aus einer unabhängigen Klassenposition heraus schrieb Trotzki über die Massentötungen von AlbanerInnen während und unmittelbar nach den Balkankriegen, die von der regulären serbischen Armee, aber hauptsächlich von den paramilitärischen Gruppen begangen wurden. Trotzki stellte fest, dass sich diese paramilitärischen Formationen aus einer kleinen Zahl von Intellektuellen, die sich für nationalistische Ideen begeisterten, und einer grossen Zahl krimineller Elemente zusammensetzten, die durch Plünderungen motiviert waren.


Während sie ihre Beobachtungen vor Ort niederschrieben, waren sich Dimitrije Tucović und Leo Trotzki bewusst, dass sich die Balkankriege rasch von Kämpfen für die nationale Befreiung von den türkischen Machthabern in kleine imperialistische Kriege verwandelten. Obwohl sie noch jung waren, wurden Serbien, Montenegro, Griechenland und Bulgarien – Balkanstaaten, die zwischen 1912 und 1913 die türkische Armee zurückdrängten – bereits von reaktionären Monarchien und konsolidierten Staatsbürokratien beherrscht, die kein Interesse an einer Verbesserung der Lage der Bevölkerung hatten.


Die Art und Weise, wie die serbische Bourgeoisie ihre Macht im Kosovo organisiert hatte, spiegelt diese Tatsache gut wider. Belgrad brachte den Menschen im Kosovo keine neuen politischen Freiheiten, keinen wirtschaftlichen Fortschritt und keine Sicherheit. Nach der Machtübernahme vor Ort herrschte Korruption. Kriegsgewinnler aus paramilitärischen Formationen drangen in die lokalen staatlichen Verwaltungsorgane ein und diskriminierten systematisch die nicht-serbische Bevölkerung. Die AlbanerInnen hatten keine Möglichkeit, in ihrer Sprache zur Schule zu gehen. Der serbische Staat führte Kampagnen durch, um albanische Katholiken zur orthodoxen Religion zu bekehren. Das von den Agas und Beys (den osmanisch-muslimischen Grossgrundbesitzern) konfiszierte Land wurde nicht an arme albanische Bauern verteilt, sondern an christliche Kolonisten aus Serbien und Montenegro übergeben.

Zwischen 1918 und 1924 breitete sich im Kosovo erneut ein bewaffneter Aufstand von AlbanerInnen in Form einer Guerillabewegung (Kachak-Aufstand) aus. Einer der prominentesten Anführer der Kachaks war Bajram Curri, ein langjähriger Kämpfer für die Befreiung des albanischen Volkes. Curri begeisterte sich für die Russische Revolution sowie Lenins Herangehensweise an die nationale Frage und begann mit ihm zu korrespondieren. Unter der Führung von Bajram Curri wurde 1918 das Komitee für die nationale Verteidigung des Kosovo gegründet. Curri kam später sogar in Kontakt mit der Dritten Internationale.


Gegen diese Rebellion ging der serbische Staat mit Billigung und Unterstützung der bürgerlichen Presse mit den grausamsten Methoden vor. Häuser von Kachaken wurden niedergebrannt, ihr Eigentum beschlagnahmt und Kachak-Familien in Lagern interniert. Vor diesem Hintergrund sollte es nicht verwundern, dass die meisten AlbanerInnen den serbischen Staat nach dem Ersten Weltkrieg nicht als Befreier, sondern als Besatzer betrachteten. Am politischen Leben des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen waren die AlbanerInnen formell über die konservative Partei Džemijet beteiligt. Diese Organisation vertrat jedoch eine muslimische Grundbesitzer-Elite, die die serbischen Regierungsparteien im Parlament im Austausch für kleinere Zugeständnisse opportunistisch unterstützte. Die einzige politische Organisation in Serbien und Jugoslawien, die sich in der Zwischenkriegszeit klar und vorbehaltlos mit dem Kampf des albanischen Volkes für seine nationalen, kulturellen und wirtschaftlichen Rechte solidarisierte, war die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ).


Die chaotische Herrschaft des Osmanischen Reiches in seiner Zerfallsphase wurde also zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Militärverwaltung des serbischen Staates im Kosovo ersetzt. Die Haltung Serbiens gegenüber dem albanischen Volk während der Zwischenkriegszeit kann nur als kolonial und rassistisch bezeichnet werden. Die AlbanerInnen wurden für unfähig erklärt, ein unabhängiges kulturelles Leben zu führen und einen eigenen Nationalstaat zu bilden. Das von der albanischen Mehrheitsbevölkerung bewohnte post-osmanische Gebiet wurde im Namen «historischer Rechte» und der chauvinistischen Mythologie der Wiederherstellung der Gebiete des mittelalterlichen serbischen Reiches in Beschlag genommen. Diese reaktionäre Politik der serbischen Bourgeoisie führte zu jahrzehntelangem Misstrauen und oft offener Feindschaft zwischen AlbanerInnen und SerbInnen.

Bewaffnete Partisanenbrüderschaft

Den Präzedenzfall, der gezeigt hat, dass nationale Unterdrückung und Misstrauen zwischen den Völkern des Kosovo nicht zwangsläufig von Generation zu Generation erneuert werden müssen, finden wir an einem Zeitpunkt, an dem man es am wenigsten erwartet hätte. Die Rede ist von der bewaffneten Einheit von SerbInnen und AlbanerInnen innerhalb der Partisanenbewegung während des Zweiten Weltkriegs.


Die Aussichten auf ein gemeinsames politisches Handeln über ethnische Grenzen hinweg im Kosovo waren in den ersten Monaten der Besatzung sehr gering. Die italienischen Faschisten nutzten die Spaltungen der Vorkriegszeit geschickt aus, um ihre Macht zu festigen. Sie führten den Unterricht in albanischer Sprache ein, erlaubten die öffentliche Zurschaustellung albanischer Nationalsymbole und präsentierten sich als Befreier der albanischen Massen von serbischer Herrschaft. Unter den politisch rückständigen Schichten der AlbanerInnen rekrutierten die Besatzer verschiedene faschistische Milizen und Kollaborateuren-Formationen, die Terror gegen die serbische Bevölkerung ausübten, insbesondere gegen die ärmeren Siedlerfamilien, die vertrieben oder vernichtet werden sollten. Andererseits drangen Tschetnik-Banden (serbische Nationalisten) aus dem Kosovo in den Sandžak ein, um sich an der albanischen und muslimischen Zivilbevölkerung in den Grenzdörfern zu rächen.


Dieses Szenario beschränkte sich nicht auf Kosovo. Ähnliche Situationen herrschten während des Zweiten Weltkriegs in Dalmatien, Teilen Bosniens und vielen anderen Gebieten im Balkan. Was sich in diesen unterentwickelten, multiethnischen Regionen abspielte, war der systematische Terror der faschistischen Besatzer gegen die serbische Bevölkerung und andere Völker sowie die blutigen Feste der feindlichen einheimischen Nationalisten-Milizen. Diese reaktionären Banden wuchsen unter der Schirmherrschaft der ausländischen Besatzungsarmeen und massakrierten die lokale Bevölkerung, die die Widerstandsbewegung der PartisanInnen unterstützte. Ihre Verbrechen waren durch Rache, die Schaffung ethnisch reiner Gebiete oder durch Plünderungen motiviert.


Der Hauptunterschied zwischen dem Kosovo und den anderen ethnisch gemischten Gebieten Jugoslawiens bestand in der objektiven Schwäche der Partisanenbewegung in Kosovo. Die PartisanInnen waren die einzige politische Kraft, die konsequent gegen die Besatzer kämpfte und die Bevölkerung über ethnische Grenzen hinweg organisierte. Das Anwachsen ihres Einflusses in einem bestimmten Gebiet war daher die einzige Garantie dafür, dass es nicht zu einem Blutvergiessen auf Basis von Nationalität kommen würde. Im Kosovo hatte die KPJ bei Ausbruch des Krieges jedoch nur 270 Mitglieder. Nur zwanzig von ihnen waren albanischer Abstammung. Das Fehlen einer industriellen Arbeiterklasse und das Misstrauen der AlbanerInnen gegenüber einer politischen Organisation, die als «slawisch» wahrgenommen wurde, waren die grössten Hindernisse für die KommunistInnen in der Region.


Die Situation vor Ort änderte sich mit dem Fortschreiten des Krieges allmählich. Im September 1942 wurde die erste albanische Partisaneneinheit gebildet. Ein wichtiger Impuls für die Stärkung des Ansehens der Partisanenbewegung in der albanischen Bevölkerung des Kosovo war der wachsende Einfluss der marxistischen Gruppen und der Guerillaaktionen in Albanien. Die Entschlossenheit der albanischen und serbischen Delegierten des Volksbefreiungskomitees für Kosovo und Dukagjin, das Selbstbestimmungsrecht des Volkes im Kosovo zu unterstützen (Bujan-Konferenz) sowie die selbstlose Unterstützung der albanischen Kameraden durch die jugoslawischen Partisanen während der Kriegsjahre trugen dazu bei, die Vorurteile der AlbanerInnen im Kosovo gegenüber den serbischen KommunistInnen abzubauen.


Prominente kosovarische KommunistInnen wie Miladin Popović, Dušan Mugoša, Ramiz Sadiku und Borko «Boro» Vukmirović spielten eine zentrale Rolle bei der Schaffung von Brücken zwischen den revolutionären Bewegungen in Jugoslawien und Albanien. Sie vertraten im Kosovo eine internationalistische Linie, indem sie sich für die Beteiligung der AlbanerInnen an der Agrarreform, die freie Verwendung der albanischen Sprache in der lokalen Verwaltung und im Schulsystem sowie für das Recht der AlbanerInnen auf Pflege ihres kulturellen Erbes einsetzten.

Es ist jedoch nicht so, dass alle Mitglieder der KPJ eine internationalistische Haltung gegenüber der albanischen Nationalfrage einnahmen. Aktivisten wie Sadiku, Mugoša und Popović waren erfahrene Parteikader, die in jahrelanger illegaler politischer Arbeit gegen das serbische monarchistische Regime und den Faschismus in engem Kontakt mit Mitstreitern in Albanien eine Klasseneinheit bildeten. Viele neue serbische Rekruten in den Partisanenkommandos aus dem Kosovo, Montenegro und Südserbien verfügten jedoch nicht über das gleiche politische Niveau, und ihre Ansichten waren zwangsläufig durch den Terror der albanischen Kollaborateure beeinflusst, den ihre Familien während des Krieges erlebt hatten. Sie neigten eher dazu, die AlbanerInnen als Kollaborateure der Besatzer zu betrachten.


Wir dürfen auch nicht die ererbten chauvinistischen Ideen aus den Augen verlieren, die nach dem Krieg weiterhin in den staatlichen Institutionen zirkulierten. Dazu gehörte die Idee der Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo, die noch immer von dem Funktionär Vasa Čubrilović befürwortet wurde. Innerhalb der Volksbefreiungsbewegung und der Nachkriegsbehörden zirkulierten also gegensätzliche Ansichten darüber, wie die nationale Frage im Kosovo zu lösen sei. Aufgrund des Mangels einer demokratischen Kultur der offenen Diskussion über die politische Linie und die Perspektiven in den Reihen der stalinisierten KPJ handelten die neuen Behörden empirisch und reaktiv. Anstatt den bevorstehenden Prozess zu planen und zu lenken, liessen die jugoslawischen KommunistInnen die spontane Entwicklung der Ereignisse vor Ort darüber entscheiden, welcher Ansatz sich durchsetzen würde.


Obwohl kommunistisches Gedankengut in breite Schichten der albanischen Bevölkerung vordrang, waren die meisten immer noch zurückhaltend oder standen unter dem Einfluss nationalistischer politischer Strömungen und ehemaliger Kollaborateure – insbesondere in der Gebirgsregion Drenica im Zentralkosovo, wo patriarchalische Familienverhältnisse das soziale und politische Leben bestimmten. Die Strategie der jugoslawischen KommunistInnen bestand in den letzten Kriegsmonaten im Kosovo darin, die albanische Jugend massenhaft in die Einheiten der Partisanenarmee zu mobilisieren und sie durch den Kampf gegen den Faschismus in anderen Teilen des Landes in die revolutionäre Bewegung zu integrieren. In einem weiteren Schritt sollte die rasche Industrialisierung im Kosovo selbst eine neue Arbeiterklasse schaffen und die patriarchalischen Abhängigkeitsverhältnisse auflösen. Auch stellte sich die Frage, was mit jenen Teilen der albanischen Bevölkerung geschehen sollte, die bereits in reaktionären Polit- und Guerillabewegungen engagiert waren. Wie im Falle der Kollaborateuren-Kommandos in anderen Teilen des Landes planten die KommunistInnen eine Amnestie für die einfachen Mitglieder, die keine Kriegsverbrechen begangen hatten, während die Führer dieser Formationen vor Gericht gestellt werden sollten.


Die Führer der nationalistischen Formationen erkannten, dass ihre Tage gezählt waren, und begannen Ende 1944 einen bewaffneten Aufstand gegen die neuen Behörden. Die genauen Machtverhältnisse und die globale Aufteilung der Einflusssphären zwischen der Sowjetunion und ihren westlichen Verbündeten waren in diesen Monaten noch nicht bekannt. Die Hoffnung der albanischen nationalistischen Organisationen bestand darin, die Aufmerksamkeit der westlichen Alliierten auf sich zu ziehen und sich schliesslich der bewaffneten Intervention der kapitalistischen Staaten gegen den Kommunismus im Balkan anzuschliessen.


Der Aufstand, der seine Hochburg in der Region Drenica hatte, gab zwangsläufig den reaktionäreren Flügeln innerhalb des serbischen Zweigs der Kommunistischen Partei den Vorrang. In der ersten Jahreshälfte 1945 wurde im Kosovo eine Militärverwaltung eingerichtet, und 30’000 Soldaten der jugoslawischen Volksarmee waren mit der Aufgabe betraut, den Aufstand in den Dörfern von Drenica niederzuschlagen. Nachdem der Aufstand durch ein brutales Eingreifen unter Kontrolle gebracht worden war, wurde der formale Status des Kosovo innerhalb des neuen Jugoslawiens im Juli desselben Jahres ohne grosse politische Diskussionen geklärt. Das Volksbefreiungskomitee von Kosovo und Metohija mit 142 Mitgliedern (von denen nur 33 AlbanerInnen waren) stimmte über die Entscheidung ab, das Kosovo als autonome Region in die Republik Serbien einzugliedern.


Es besteht kein Zweifel daran, dass die monatelange Militärherrschaft und der Ausschluss der albanischen Massen von der Entscheidung über die Zukunft des Kosovo die Behauptung nationalistischer albanischer Politiker bestärkte, die kommunistische Herrschaft unterscheide sich nicht grundlegend vom Vorkriegsregime und die AlbanerInnen könnten nur in einem unabhängigen bürgerlichen Staat oder durch eine Vereinigung mit Albanien volle nationale Rechte erlangen. Dies entsprach jedoch bei weitem nicht der Wahrheit. Der neue Arbeiterstaat, der aus der Revolution und der Aktivierung der Massen hervorging, hatte trotz aller Unzulänglichkeiten und Fehler der stalinistischen Führung der KPJ wenig mit dem monarchistischen Jugoslawien gemein.


Die sozialistischen Revolutionen in Bulgarien, Jugoslawien und Albanien sowie das Erstarken der kommunistischen Kräfte in Griechenland eröffneten die Aussicht auf eine radikale Neugestaltung der Region und eine Lösung der albanischen Nationalfrage. Die Führer der Partisanenbewegungen in Jugoslawien und Albanien zogen die Schaffung einer umfassenderen sozialistischen Föderation in Betracht, die über den bürgerlichen nationalen Rahmen hinausgehen sollte. In einer Botschaft des obersten Hauptquartiers der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee an die albanische Volksbefreiungsarmee von Ende Januar 1944 heisst es u. a.:


«Unserer Meinung nach sollten die GenossInnen in Albanien daran arbeiten, ihren Kampf so eng wie möglich mit unserem zu verbinden. Die Beschlüsse des AVNOJ und die föderalistische Organisation Jugoslawiens sollten bekannt gemacht werden, ebenso wie die Möglichkeit, dass andere Balkannationen dieser Föderation beitreten, um einen starken und grossen Balkanstaat aus gleichberechtigten Völkern zu schaffen, der ein starker Akteur in Europa wäre und grosse Möglichkeiten für die allseitige Entwicklung der einzelnen Nationen bieten würde.»


Dass dies keine leeren Phrasen waren, zeigen die konkreten Massnahmen, die in beiden Ländern unmittelbar nach der Befreiung durchgeführt wurden. Belgrad und Tirana unterzeichneten eine Reihe von Verträgen und Vereinbarungen, die den Weg für eine engere militärische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit ebneten. Dazu gehörten: der Vertrag über Freundschaft und gegenseitige Unterstützung (der die militärische Zusammenarbeit garantierte, 9. Juli 1946), das Abkommen über die Harmonisierung der Wirtschaftspläne, die Zollunion und die Angleichung der Währung zwischen der Föderalen Volksrepublik Jugoslawien und der Volksrepublik Albanien (27. November 1946) sowie das Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit (9. Juni 1947). Jugoslawien schickte Militär- und Wirtschaftsberater nach Albanien und genoss ein derartiges Ansehen, dass Serbokroatisch als Pflichtfach in albanischen Schulen eingeführt wurde.


Es wird deutlich, dass der formale Status des Kosovo in den ersten Jahren nach der Befreiung vom Faschismus in den Augen der KPJ-Führung eine taktische Frage war, von der sie hoffte, dass sie an Bedeutung verlieren würde, sobald sich die Revolution stabilisiert und ein breiteres Balkanbündnis die jugoslawisch-albanische Grenze überflüssig macht. Laut Milentije Popović, der im Juli 1945 vor dem Volksbefreiungskomitee in Prizren sprach: «Die Frage, welchen Status Kosovo und Metohija heute, in diesem Stadium der Volksbewegung, haben werden, ist eine administrative Frage, nicht eine politische.»

«Hey, Slawen»: Sozialismus in einem Land

Die Spaltung zwischen Moskau und Belgrad im Jahr 1948 und die Hinwendung jedes Balkanstaates zu einem individuellen und gegensätzlichen «nationalen Weg zum Sozialismus» hatte für die AlbanerInnen in Jugoslawien fatale Folgen. Die Stalinisierung der Arbeiterbewegung im Balkan – die sich in der Befolgung der schädlichen politischen Manöver Moskaus und den wachsenden sozialen Widersprüchen des stalinistischen Modells des Aufbaus des «Sozialismus in einem Land» manifestierte – hatte Folgen für alle anderen Aspekte der Emanzipation, einschliesslich der Überwindung der nationalen Unterdrückung.

Im Falle Jugoslawiens bedeutete die Hinwendung zum Aufbau einer Föderation der Südslawen auch eine allmähliche Verwässerung der Ideen des Arbeiter-Internationalismus. Die Einheit der jugoslawischen Arbeiterklasse stützte sich immer mehr auf die Idee des gemeinsamen Interesses der SlawInnen am Staat und immer weniger auf die Idee des gemeinsamen Interesses der ArbeiterInnen. Obwohl die AlbanerInnen zahlenmässig stärker waren als einige der konstituierenden Nationen des neuen Staates, erhielten sie den Status einer «Nationalität» (narodnost), d.h. einer nationalen Minderheit.


Statt als Brücke zwischen den beiden Teilstaaten in einem grösseren Balkanbündnis zu dienen, wurde der Kosovo in den Augen der jugoslawischen KommunistInnen zu einer «Sackgasse» und einem potenziellen Sicherheitsrisiko. Es wurde als ein Ort angesehen, an dem Moskau und Tirana die Souveränität Jugoslawiens durch Einflussnahme auf die albanische Minderheit untergraben könnten. Die rückständigen Gruppen, die Vorurteile gegenüber den AlbanerInnen pflegten, gewannen so wieder die Vorherrschaft in der Partei, und die AlbanerInnen wurden entsprechend an den Rand des politischen und gesellschaftlichen Lebens in Jugoslawien gedrängt.


Der Kosovo wurde zu einem vernachlässigten Gebiet, in dem die Polizei und der Staatssicherheitsdienst die Überhand hatten und die AlbanerInnen als «verdächtige Bürger» eingestuft wurden. Es wird geschätzt, dass der Staatssicherheitsdienst und die Polizei bis zur Entlassung von Aleksandar Ranković (dem Chef der Geheimpolizei) im Jahr 1966 etwa 120’000 Kosovo-BürgerInnen albanischer Nationalität überwachten. Die AlbanerInnen wurden in den gesellschaftspolitischen Organisationen ausgegrenzt. Mitte der 1950er Jahre stellten SerbInnen und MontenegrinerInnen im Kosovo 50 Prozent der Parteimitglieder, 68 Prozent der leitenden Verwaltungspositionen in den staatlichen Institutionen und sogar 87 Prozent des Sicherheitspersonals. All dies, obwohl sie nur 27 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten.


In wirtschaftlicher Hinsicht wurde Kosovo in den 1950er Jahren vernachlässigt. Erst ab 1957 erhielt Kosovo Mittel aus dem Bundeshaushalt für seine unterentwickelten Regionen. Die Pro-Kopf-Investitionen im Kosovo erreichten in diesem Jahrzehnt 43,5 Prozent des jugoslawischen Durchschnitts. 1958 gab es im Kosovo nur 49 Industriebetriebe, die 16’000 ArbeiterInnen beschäftigten. Im Vergleich dazu gab es in Slowenien in jenem Jahr 465 Unternehmen. Dabei handelte es sich hauptsächlich um kapitalintensive Betriebe in der Grundstoffindustrie, die nicht viele Menschen beschäftigten und deren Preise von den Endproduzenten in den entwickelteren Teilen des Landes abhingen.


Trotz des Wirtschaftswachstums in absoluten Zahlen hat sich die Kluft zwischen dem Kosovo und den entwickelteren Teilen Jugoslawiens im Laufe der Jahre vergrössert. Im Jahr 1946 war das Durchschnittseinkommen im Kosovo ein Drittel desjenigen in Slowenien, während sich der Unterschied bis 1964 auf einen Fünftel reduzierte – eine verheerende Zahl für ein Land, das sich selbst als sozialistisch bezeichnete. Unter dem Druck der Unterentwicklung und der polizeilichen Folter verliessen die AlbanerInnen massenhaft Jugoslawien und wanderten in die Türkei aus, was der jugoslawische Staat durch die Unterzeichnung eines speziellen Abkommens über die Aufnahme von MigrantInnen mit Ankara förderte.


Die Geschichte der AlbanerInnen im jugoslawischen Arbeiterstaat beschränkt sich jedoch nicht nur auf Repression und die Rolle des Opfers. Erstens waren die AlbanerInnen AkteurInnen, die in der Lage waren, politische Strömungen zu gestalten – entweder als Teil des Staates und der Partei oder durch Druck von der Strasse in Form einer unabhängigen Organisation von unten nach oben. Zweitens war das Nachkriegsjugoslawien trotz des Mangels an Demokratie und der Entwicklungsdeformationen, die das Konzept des «Sozialismus in einem Land» mit sich brachte, ein revolutionäres Gebilde, das sehr wohl in der Lage war, Fortschritte zu erzielen und den marginalisierten Teilen der Gesellschaft Raum für Emanzipation zu bieten. Wie bereits erwähnt, gab es unter den jugoslawischen KommunistInnen unterschiedliche Ansätze zur albanischen Nationalfrage. Zu Beginn der 1960er Jahre gewannen fortschrittlichere Strömungen wieder an Boden. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen Belgrad und Moskau, aber auch die Abspaltung der albanischen Parteibürokratie in Tirana von ihren früheren Verbündeten in der Sowjetunion schufen die Voraussetzungen für eine Änderung der offiziellen Politik gegenüber dem Kosovo. Abgesehen von diesen geopolitischen Veränderungen waren es vor allem albanische Funktionäre innerhalb des Bundes der KommunistInnen Jugoslawiens (SKJ), die den grössten Einfluss ausübten. Ein weiterer Faktor waren die Strassendemonstrationen der AlbanerInnen im Jahr 1968, die die Öffentlichkeit auf die katastrophalen Lebensbedingungen in der Provinz aufmerksam machten.


Die 1960er und 1970er Jahre lassen eine fortschrittliche Politik gegenüber nationalen Minderheiten erahnen, die ein Arbeiterstaat auf dem Fundament einer Planwirtschaft betreiben kann. Im Jahr 1968 erhielt das Kosovo den Status einer autonomen Provinz mit eigener Verfassung, während 1974 sein verfassungsrechtlicher Status und seine politische Vertretung innerhalb der Föderation fast auf das Niveau einer Republik angehoben wurden. Die lokale Regierung begann, dem Gebrauch der albanischen Sprache im Schulsystem, in kulturellen und staatlichen Einrichtungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, während in den gesellschaftspolitischen Organisationen und in der Öffentlichkeit eine strikte Zweisprachigkeit eingeführt wurde. Dies bedeutete, dass die Türen für ein stärkeres Engagement der AlbanerInnen innerhalb der offiziellen Strukturen geöffnet wurden. Ende der 1970er Jahre machten AlbanerInnen bereits zwei Drittel der Parteimitglieder aus, während auch der Anteil der AlbanerInnen in der Verwaltung und in den Unternehmen deutlich zunahm. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht werden diese beiden Jahrzehnte als Jahre des raschen Fortschritts in Erinnerung bleiben, der durch Infrastrukturprojekte, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Erhöhung des Lebensstandards ermöglicht wurden.


Im Jahr 1965 wurde der Fond für die beschleunigte Entwicklung der unterentwickelten Republiken und des Kosovo eingerichtet. Es gibt viele Fehlinterpretationen dieses föderalen Umverteilungsmechanismus. Für Wirtschaftsliberale stellt er einen irrationalen Transfer von Werten in «unrentable» Investitionen dar. Serbische Nationalisten verweisen oft auf diesen Fonds als ultimativen Beweis für die angebliche Faulheit und sogar Undankbarkeit der Kosovo-AlbanerInnen. Die Wahrheit ist jedoch, dass dieser Mechanismus eine Entschädigung für den Verzicht auf eine ausgewogene Entwicklung des Landes durch einen zentralen Investitionsplan auf der Ebene der gesamten Föderation war. Dieser Fond war ein Versuch, ein marktorientiertes Wachstumsmodell zu schaffen, bei dem die wichtigsten Pole der wirtschaftlichen Entwicklung Unternehmen und Regionen waren, die bereits über Vorteile verfügten. Dennoch hat dieses Modell der minimalen «Kompensation» der Entwicklung der Provinz im Vergleich zur früheren Vernachlässigung grosse Fortschritte gebracht, trotz der bürokratischen Verschwendung und Korruption, die es begleiteten.


Trotz des beschleunigten Wirtschaftswachstums in den 1960er und 1970er Jahren blieben die sozialen und wirtschaftlichen Probleme auch in diesen Jahren weiterhin bestehen. Die Investitionen haben es nicht geschafft, die Wirtschaftsstruktur der Provinz zu diversifizieren. Die Energie-, Bergbau- und Metallverarbeitungsunternehmen blieben von den Endproduzenten in den weiter entwickelten Regionen Jugoslawiens abhängig, die die Preise auf dem «sozialistischen Markt» diktierten. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor die höchste im Lande. Bei einer Bevölkerung von 1,5 Millionen hatten nur 178’000 Einwohner eine Beschäftigung im öffentlichen Sektor mit allen damit verbundenen Sozialleistungen. Diese Ungleichheiten hatten auch ein nationales Muster. Die Entwicklung der Verwaltung und ihre Öffnung gegenüber den AlbanerInnen schuf eine schmale Schicht der albanischen Bevölkerung, die in den jugoslawischen Staat integriert wurde. Sie konzentrierte sich in den grösseren Stadtzentren und wurde ein Beispiel für die Politik der «Brüderlichkeit und Einheit» und der Zweisprachigkeit. Andererseits blieben die meisten AlbanerInnen auf dem Lande und kamen nicht in den Genuss von Sozialwohnungen, Sozialleistungen und Konsumkraft, die eng mit der Beschäftigung in staatlichen Einrichtungen und Unternehmen des sozialen Sektors verbunden waren.

Trotz des beträchtlichen Anstiegs des Einflusses albanischer ArbeiterInnen im «selbstverwalteten» öffentlichen Sektor blieben die nationalen Ungleichheiten bestehen. SerbInnen und MontenegrinerInnen, die 1981 15 Prozent der Bevölkerung ausmachten, stellten 30 Prozent der Beschäftigten. Die meisten Führungspositionen in den Unternehmen blieben in den Händen von SerbInnen und MontenegrinerInnen. Eine grosse Zahl von AlbanerInnen wandte sich dem Kleingewerbe zu, wanderte in den Westen aus oder nutzte die neu geschaffenen Möglichkeiten, eine höhere Ausbildung in albanischer Sprache zu erlangen, nur um sich nach dem Abschluss in die Masse der jungen Menschen auf dem Arbeitslosenamt einzureihen. Diese sozialen Ungleichheiten innerhalb der albanischen Bevölkerung führten zu politischen Spaltungen. Die Minderheit wandte sich der Integration in die offiziellen Institutionen zu, während die Mehrheit der politisch aktiven AlbanerInnen sich zunehmend entfremdete und für nationalistische Ideen, die von den hoxhaistischen [Enver Hoxha, stalinistischer Diktator Albaniens] oder bürgerlichen Untergrundorganisationen propagiert wurden, offen war. Die allgemeine wirtschaftliche Rückständigkeit, der wachsende Nationalismus unter den AlbanerInnen sowie der Verlust der Vorrangstellung in den lokalen Institutionen aufgrund der Einführung der Pflicht, die albanische Sprache zu beherrschen, und der strikten Anwendung der nationalen Schlüssel, sorgten für Unzufriedenheit unter den Kosovo-SerbInnen. Zwischen 1961 und 1981 wanderten etwa 85’000 SerbInnen aus dem Kosovo nach Serbien aus.


Im Laufe der 1980er Jahre wurde die Auswanderung von SerbInnen aus dem Kosovo zu einem wichtigen Mobilisierungsthema für Nationalisten in Serbien. Die These lautete, dass die SerbInnen aufgrund des systematischen Drucks albanischer Nationalisten auswanderten. Die Migration von SerbInnen aus dem Kosovo in städtische Zentren in Zentralserbien in jenen Jahren war Teil eines umfassenderen Musters der Bewegung von SerbInnen aus weniger entwickelten Regionen in Jugoslawien (Bosnien und Herzegowina, Dalmatien) in städtische Zentren in Serbien und der Vojvodina. Zweifellos können viele Streitigkeiten zwischen ländlichen Haushalten im Kosovo über Landrechte nationalistische Konnotationen angenommen haben, während sich SerbInnen in lokalen Institutionen aufgrund mangelnder Kenntnisse der albanischen Sprache marginalisiert gefühlt haben können. Es wäre jedoch falsch, von einer vorsätzlichen und organisierten Vertreibung der SerbInnen aus dem Kosovo durch die AlbanerInnen zu sprechen. Die Wirtschaftskrise der 1980er Jahre traf die unterentwickelten Regionen Jugoslawiens am härtesten, und die Hauptmotivation für die Auswanderung ist sicherlich in den sich verschlechternden Lebensbedingungen zu finden. Die Tatsache, dass in den 1970er Jahren auch 45’000 AlbanerInnen das Kosovo verliessen, spricht für dieses Argument. Die Boulevardpresse, die damals in Serbien eine chauvinistische Hysterie schürte, war jedoch nicht an Fakten und einer objektiven Analyse des Problems interessiert. Die Zeitungen starteten eine Kampagne über die angeblichen Massenvergewaltigungen serbischer Frauen, die Gefährdung der serbischen Minderheit und die zunehmende Gesetzlosigkeit im Kosovo.


Diese schädliche Darstellung in den Medien wurde durch die offizielle Haltung des Bundes der KommunistInnen Jugoslawiens unterstützt, welcher nach neuen Protesten der AlbanerInnen für bessere Lebensbedingungen und grössere Autonomie im Jahr 1981 diese Bewegung als «konterrevolutionär» bezeichnete. In der serbischen und jugoslawischen Öffentlichkeit verbreiteten sich allmählich rassistische Vorstellungen über die AlbanerInnen als eine Bevölkerung, die im Kosovo durch hohe Geburtenraten einen «biologischen Krieg» gegen die SerbInnen führte. Es wurde wieder gerechtfertigt, die AlbanerInnen als «fünfte Kolonne» und «Eindringlinge» in Jugoslawien zu bezeichnen. Nach der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten im Jahr 1981 durch die Armee und der Ermordung von acht DemonstrantInnen (nach offiziellen Angaben) wurde im Kosovo erneut eine Militärregierung eingerichtet. In den folgenden Jahren war die albanische Bevölkerung neuen Wellen polizeilicher Unterdrückung und Massenverhaftungen ausgesetzt. Der breitere Kontext für das Aufkommen chauvinistischer Ideen und die Unterdrückung der albanischen Bevölkerung war eine tiefe wirtschaftliche und politische Krise des jugoslawischen Projekts des Aufbaus des «Sozialismus in einem Land». In diesen Jahren wurde selbst eine minimale Umverteilung von Mitteln für unterentwickelte Regionen zu einer Belastung für die marktwirtschaftlich orientierten Wirtschaftsreformisten. Andererseits begannen die politischen Führungen in den einzelnen Republiken, ihre eigenen, nationalen Agenden voranzutreiben und eigennützige lokale Interessen über die gemeinsame Entwicklung der Föderation als Ganzes zu stellen.

Wiederherstellung des Kapitalismus und der staatlichen Diskriminierung

Die Dominanz engstirniger republikanischer Interessen gegenüber der Perspektive einer gemeinsamen jugoslawischen Entwicklung sowie die Vorherrschaft der Marktreformisten gegenüber den BefürworterInnen der Planwirtschaft in Serbien wurde durch den Aufstieg von Slobodan Milošević an die Spitze des lokalen Parteiapparats in den späten 1980er Jahren gekennzeichnet. Um ihre Position gegenüber anderen Republiken zu stärken, setzten sich die Partei- und Staatsbürokratie in Serbien das Ziel, den autonomen Status in Vojvodina und Kosovo abzuschaffen und die Solidaritätszahlungen für die Entwicklung von Kosovo zu streichen. Anfang 1989 startete Slobodan Milošević eine Initiative zur Verabschiedung von Verfassungsänderungen, die die Autonomie Kosovos erheblich einschränkten, Polizei und Justiz unter serbische Kontrolle stellten und den Einfluss Belgrads auf das Bildungssystem und die Wirtschaft verstärkten. Im Februar desselben Jahres wehrten sich die Kosovo-AlbanerInnen mit einer Reihe von Demonstrationen und einem Bergarbeiterstreik gegen die angekündigten Massnahmen. Belgrad reagierte mit chauvinistisch angehauchten Strassenmobilisierungen, bei denen die DemonstrantInnen die Verhaftung albanischer PolitikerInnen und die Niederschlagung der Proteste im Kosovo forderten. Die Föderation verhängte erneut den Ausnahmezustand über die Provinz, während die Polizei Razzien in den Bergwerken durchführte und einen Bergarbeiterstreik beendete. Die Führung Kosovos wurde kurz darauf im März 1989 entmachtet.


In den kommenden Jahren kam es zu einer erneuten systematischen Diskriminierung der albanischen Bevölkerung im Kosovo durch das Rechtssystem. Zehntausende albanischer Angestellter wurden durch Notmassnahmen entlassen, für die Teilnahme an Demonstrationen bestraft und gezwungen, in lokalen Einrichtungen, Schulen und Krankenhäusern Loyalitätserklärungen gegenüber dem serbischen Staat zu unterzeichnen. Albanischsprachige Medien wurden geschlossen oder unter serbische Kontrolle gebracht, während die Lehrpläne von Schulen und Universitäten von allen Inhalten gesäubert wurden, die nicht in das neue chauvinistische serbische Narrativ passten.


Mit dem Zusammenbruch der jugoslawischen Institutionen und des jugoslawischen Bundes der KommunistInnen wurde die Führung unter den albanischen Massen im Kosovo von Organisationen übernommen, die aus der von Ibrahim Rugova verkörperten, regimekritischen Intelligenz stammen. Statt einer weiteren Konfrontation mit den serbischen Behörden oder Versuchen, sich an der serbischen parlamentarischen Politik zu beteiligen und sich mit antinationalistischen Kräften in Serbien zu verbinden, entschied sich die albanische Führung für den gandhi’schen, gewaltlosen Widerstand und die Bildung paralleler Institutionen. Sie hoffte, dass die westlichen Mächte die Existenz der systemischen Trennung im Kosovo anerkennen und eine Art Autonomie im Rahmen der Lösung anderer Konflikte zwischen Republiken im ehemaligen Jugoslawien wiederherstellen würden.


Die pazifistische Taktik und die Erregung der Aufmerksamkeit ausländischer Machthaber durch selbst-zum-Opfer-Machen waren nicht erfolgreich. Der Kosovo wurde von der «internationalen Gemeinschaft» weiterhin ignoriert und befand sich in den 1990er Jahren innerhalb Serbiens in einer Art permanentem Ausnahmezustand. Der Status quo kam den nationalistischen Politikern auf beiden Seiten entgegen. Durch den Ausschluss der AlbanerInnen aus dem politischen Leben gewann Milošević bei den Wahlen eine sichere Basis an Stimmen, während seine Parteifreunde und die Mafia ein Gebiet gewannen, in dem sie sich an der Gesetzlosigkeit erfreuen und von der Diskriminierung der lokalen Bevölkerung profitieren konnten. Die gesetzlichen Beschränkungen des Rechts auf den Erwerb von Immobilien für albanische BürgerInnen und der Ausschluss von AlbanerInnen aus dem öffentlichen Dienst schufen ein ganzes Netz von Korruption und eine Preisliste für Dienstleistungen, die von AlbanerInnen, die grundlegende staatliche Dienstleistungen benötigten, erzwungen wurden. Auf der anderen Seite behielt Ibrahim Rugova den Status des Präsidenten des albanischen Parallelstaates, der angeblich kurz vor der internationalen Anerkennung stand. Diese Situation war natürlich für die albanischen Massen, die in einem System gefangen waren, das zunehmend an die Apartheid erinnerte, nicht hinnehmbar.


In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre begann die Guerillagruppe «Kosovo-Befreiungsarmee» (UCK) mit Angriffen auf die serbische Polizei. Als MarxistInnen haben wir volles Verständnis für die Ablehnung von passivem Widerstand und bewaffnetem Widerstand gegen das von Slobodan Milošević in der ehemaligen autonomen Provinz errichtete Mafia-Regime. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie die Führung des bewaffneten Kampfes aussah? Was waren ihre Methoden und wofür haben sie gekämpft? Ein flüchtiger Blick zeigt, dass die UCK keine Ähnlichkeit mit den Partisanen des Zweiten Weltkriegs und Helden wie Ramiz Sadiku hat. Die UCK war auch keine Formation, die mit den nach dem Zweiten Weltkrieg im Kosovo aktiven hoxhaistischen Gruppen vergleichbar ist, obwohl ihre Wurzeln mit diesen illegalen Organisationen verbunden sind. Wie ehemalige «KommunistInnen» in Miloševićs Partei, die über Nacht zu Nationalisten wurden und sich an der Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums beteiligten, lehnten ehemalige AktivistInnen verschiedener anti-titoistischer kommunistischer Parteien im Kosovo die «Ideologie» ab und schlossen sich mit liberalen Dissidenten auf einer Plattform des Nationalismus und einer reaktionären prokapitalistischen Politik zusammen.

Diese Situation wurde vom amerikanischen Imperialismus ausgenutzt, der sich zum Beschützer und Mentor der albanischen Unabhängigkeitsbewegung im Kosovo machte. Die amerikanischen Imperialisten haben dies nicht aus echter Sorge um die Menschenrechte und die Freiheit des albanischen Volkes getan. Die Unterstützung der albanischen Nationalbewegung im Kosovo war für die Vereinigten Staaten und die NATO-Länder eine weitere Möglichkeit, ihre militärische Präsenz auf dem Balkan durchzusetzen und gleichzeitig ihren Unternehmen zu erlauben, im Kosovo Fuss zu fassen. Es war auch eine Möglichkeit, Druck auf das Regime von Milošević auszuüben, um es zur Zusammenarbeit zu zwingen oder es so weit zu destabilisieren, dass es gestürzt werden konnte. Mit Hilfe der NATO gelang es der UCK, den serbischen Unterdrückungsapparat aus dem Kosovo zu vertreiben. Dies bedeutete zwar eine Erleichterung für die albanische Mehrheit, aber die arbeitende Bevölkerung des Kosovo zahlte einen hohen Preis für dieses Bündnis mit dem Imperialismus und die Annahme einer bürgerlichen politischen Plattform.


Mehr als zwei Jahrzehnte nach der Ankunft der NATO-Truppen im Kosovo befindet sich das Land immer noch in einer Art Marionettenposition gegenüber seinen ausländischen Unterstützern. Darüber hinaus hat die chauvinistische Politik der UCK gegenüber der serbischen Minderheit im Kosovo diese Gemeinschaft in die Hände der nationalistischen Förderer in Serbien getrieben. Sie hat damit die Tür zu neuen territorialen Teilungen (Nordkosovos) geöffnet und Belgrad einen Vorwand geliefert, um den künftigen Status des Kosovo weiterhin in Frage zu stellen. Diese anhaltenden Spannungen sind ein Vorwand für die ständige Militärpräsenz ausländischer Truppen vor Ort, um «ethnische Konflikte» unter Kontrolle zu halten. Nach dem Raub durch Miloševićs Gefolgsleute fiel das ehemalige soziale Eigentum, das von den Werktätigen des gesamten Kosovos aufgebaut wurde, in die Hände neuer Kriegsgewinnler – ehemalige UCK-Kommandeure und ausländische Investoren. Der Kampf für die Selbstbestimmung des Kosovo unter der Führung der nationalistischen Intelligenz, des Kleinbürgertums und der neuen Lumpenunternehmer endete in einer Sackgasse. Die AlbanerInnen im Kosovo bleiben Geiseln der Verhandlungen der Grossmächte. Gleichzeitig wird die politische Organisierung der Arbeiterklasse und der Jugend in Serbien durch das Beharren auf chauvinistischem Revanchismus gegenüber den AlbanerInnen ins Abseits gedrängt. Wie können wir also aus diesem Teufelskreis politischer Konflikte ausbrechen, die von rivalisierenden nationalistischen Eliten ausgetragen werden; Eliten, die unter dem Vorwand, ihr Volk zu schützen, den gesamten Balkan in Elend und einem halbkolonialen Status halten?

Der wahre Feind steht in unseren eigenen Vorgärten

Die serbische Arbeiterklasse und die Jugend haben kein Interesse daran, Versuche zu unterstützen, die Vorherrschaft der serbischen herrschenden Klasse über das Kosovo wiederherzustellen. Ein solches Programm würde sie nur den serbischen politischen und wirtschaftlichen Eliten unterordnen und eine weitere Militarisierung der serbischen Gesellschaft ermöglichen. Kampfeinheiten und Waffen, die der serbische Staat unter dem Slogan «Rückkehr in den Kosovo» gekauft hat, werden gegen serbische ArbeiterInnen eingesetzt werden, wenn diese sich ernsthafter im Kampf für ihre sozialen und politischen Rechte organisieren. Jahrhunderts hatte der serbische Staat eine Handvoll Gelegenheiten zu zeigen, dass er in der Lage ist, den Kosovo zu entwickeln und das Vertrauen der albanischen Mehrheitsbevölkerung zu gewinnen. Stattdessen verhielt er sich kolonialistisch und rassistisch. Nach einer solchen historischen Erfahrung ist es völlig verständlich, dass die albanische Bevölkerung nicht mehr unter der Herrschaft des serbischen Staates leben möchte.


Der Krieg in Berg-Karabach zeigt uns, dass eingefrorene Konflikte Raum für einen neuen Kriegsausbruch lassen, während uns der Krieg im Donbass zeigt, dass Gebiete mit umstrittenem Status leicht zu einem grösseren imperialistischen Konflikt führen können. Vielen Anhängern des Slogans «Kosovo ist Serbien» ist nicht bewusst, dass dies in letzter Instanz ein Aufruf zum Krieg und zur ethnischen Säuberung ist, der eine grosse Zahl von serbischen und albanischen Menschenleben kosten würde. Es gibt keinen anderen Weg, um die serbische Kontrolle über eine Bevölkerung wiederherzustellen, die dies strikt ablehnt. In allen Kriegen im ehemaligen Jugoslawien waren es die Kriminellen, Politiker und Kapitalisten, die am meisten profitierten, während die arbeitende Bevölkerung, die als «Kanonenfutter» diente, die Hauptlast der Wiederherstellung des Kapitalismus trug. Viele Kriegsveteranen wurden behindert und von ihren neu geschaffenen Staaten im Stich gelassen, sobald sie ihre militärische Pflicht erfüllt hatten. In einem neuen nationalistischen Krieg wird es nicht anders sein.


Die KommunistInnen im ehemaligen Jugoslawien müssen sich darüber im Klaren sein, dass die historische Erfahrung des Lebens in allen früheren Nationalstaaten auf dem Balkan zwangsläufig dazu führt, dass die albanische Bevölkerung gegenüber ihren slawischen Nachbarn vorsichtig und misstrauisch ist. Die Schuld dafür ist in erster Linie, aber nicht ausschliesslich, bei der serbischen Bourgeoisie zu suchen. Die Fehler der titoistischen Bürokratie kompromittierten selbst die jugoslawischen KommunistInnen, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs als kompromisslose Kämpfer gegen Chauvinismus und Rassismus bekannt waren. Die Erneuerung des revolutionären Bündnisses der slawischen und albanischen Völker auf dem Balkan muss daher damit beginnen, dass die KommunistInnen die historischen Bestrebungen der Kosovo-AlbanerInnen, in einem eigenen Staat zu leben, unmissverständlich unterstützen.


Die Unterstützung der jugoslawischen KommunistInnen für das Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-AlbanerInnen bedeutet weder eine Unterstützung des kapitalistischen Kompradoren-Regimes, das den Kosovo seit 1999 regiert, noch eine Unterstützung der gegenwärtigen imperialistischen Besetzung des Kosovo. Im Gegenteil: Indem wir dieses Recht unterstützen, rufen wir die Arbeiterklasse des Kosovo auf, sich einem gemeinsamen Kampf anzuschliessen, um alle imperialistischen Kräfte und ihre Diener aus dem Balkan zu vertreiben – von Pristina bis Ljubljana, Zagreb, Banja Luka, Sarajevo, Podgorica, Belgrad und Skopje.


Unser Aufruf zum gemeinsamen Kampf enthält keine versteckten Wenn und Aber. Wir stellen keine besonderen Bedingungen, die Kosovo-AlbanerInnen erfüllen müssen, um unsere Unterstützung zu «verdienen». Wir unterstützen das Selbstbestimmungsrecht des Kosovo, unabhängig davon, wer diesen derzeit regiert. Wir lehnen den Ansatz ab, der von der unterdrückten Nation verlangt, den Unterdrückern zu «beweisen», dass sie des Rechts auf Selbstbestimmung «würdig» ist! Ein solcher Ansatz ist Ausdruck der nationalen Arroganz der beherrschenden Nationen und ein Hindernis für die Einheit der ArbeiterInnen. Wir widersprechen auch denjenigen in der Linken, die die Frage der nationalen Unterdrückung der Kosovo-AlbanerInnen durch Abstraktionen und die Überzeugung relativieren, dass eine Lösung dieser Frage bis zur Klassenbefreiung warten muss. Heute werden die albanischen Massen zwar von albanischen Kapitalisten und multinationalen Unternehmen ausgebeutet, aber sie sind nicht der direkten Bedrohung durch Schikanen und Verfolgung durch die serbische Armee oder paramilitärische Milizen ausgesetzt. Dies ist eine grosse Erleichterung für das tägliche Leben der lokalen Bevölkerung und eine Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Organisation auf Klassenbasis.


Die Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina werden nicht mit dem Ziel geführt, eine dauerhafte Lösung für den «serbisch-albanischen Konflikt» zu finden, sondern als Deckmantel für den Abschluss neokolonialer «ungleicher Abkommen» mit imperialistischen Kräften, vor allem den Vereinigten Staaten. Diese Abkommen bringen sowohl Serbien als auch den Kosovo in eine tiefere wirtschaftliche Abhängigkeit und geben die Kontrolle über ihre eigenen Länder und Ressourcen an den Imperialismus ab. Die einzige Möglichkeit, den Imperialisten die Trümpfe der «Friedenssicherung» aus der Hand zu nehmen, ist die Versöhnung zwischen Serbien und dem Kosovo, was die Anerkennung des Rechts des Kosovo auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit durch die serbische Arbeiterklasse bedeutet. Nur so können die Grundlagen für eine zukünftige Zusammenarbeit und einen gemeinsamen Kampf gegen das globale Kapital und seine lokalen Vertreter sowie für die Erhaltung des serbischen Erbes im Kosovo und die Rückkehr der vertriebenen serbischen Bevölkerung in ihre Heimat geschaffen werden.


Gleichzeitig ist es unsere Pflicht, der fortschrittlichen Jugend und den ArbeiterInnen im Kosovo offen zu sagen, dass unsere Unterstützung für das Selbstbestimmungsrecht nicht bedeutet, dass wir uns Illusionen darüber machen, dass die nationale Unabhängigkeit die vielen wirtschaftlichen und politischen Probleme lösen wird, mit denen alle Menschen im Kosovo heute konfrontiert sind. Solange die Balkanländer unter der Herrschaft ihrer Bourgeoisie stehen, werden alle historischen Probleme immer wiederkehren, unabhängig davon, wie die Grenzen gezogen werden. Die formale Unabhängigkeit des Kosovo bringt nicht automatisch nationale Souveränität oder wirtschaftlichen Fortschritt mit sich. Die jüngsten Misserfolge von Vetëvendosje bei der Errichtung eines «Wohlfahrtsstaates» im Kosovo nach seinem Wahlsieg, selbst in bescheidenen Ausmassen, zeigen deutlich die Grenzen fortschrittlicher Sozialreformen an der kapitalistischen Peripherie. Trotz aller Unzulänglichkeiten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien und der Tatsache, dass sie die proklamierte Aufgabe der nationalen Befreiung der AlbanerInnen verraten hat, sprechen die emanzipatorischen Errungenschaften, die das Kosovo in den 60er und 70er Jahren erlebt hat, dafür, dass umfassender wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Wohlstand nur im Rahmen des Arbeiterstaates und der Planwirtschaft möglich ist.


Es ist wichtig festzuhalten, dass eine grosse Anzahl von einfachen ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen aller Ethnien im Kosovo ein friedliches Leben als Nachbarn führten, selbst in Zeiten der turbulentesten nationalistischen Hysterie, die von nationalistischen Eliten geschürt wurde. Das ist mancherorts auch heute noch der Fall. Nachbarn helfen einander, besuchen sich gegenseitig zu Hause und verstehen teilweise die Sprache der anderen Gemeinschaften. Der Fokus der bürgerlichen Medien auf Makropolitik und Konflikte verdeckt diese Solidarität auf der Mikroebene, die eine wichtige Grundlage für eine völlig neue Art von Politik sein kann. Die meisten SerbInnen im südlichen Teil des Kosovo stammen aus armen Bauernfamilien, die nirgendwo hin fliehen konnten. Ein Programm der nationalen Gleichberechtigung und eine soziale Plattform in diesen Gemeinschaften hätten sicherlich mehr Anziehungskraft als die chauvinistische Politik Belgrads. Andererseits haben viele albanische Familien weiterhin kulturelle und wirtschaftliche Bindungen zu Serbien und anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens. Dies bleibt ein ungenutztes Potenzial und eine solide soziale Basis für eine neue marxistische Organisation im Kosovo.


Das albanische Volk im Kosovo wird niemals frei sein, wenn es nicht für die Freiheit der Minderheitenvölker in seiner Umgebung kämpft. Wir können viel von den Partisanenbewegungen in Albanien und Jugoslawien im Kampf gegen den Faschismus lernen. Die uneingeschränkte Achtung der nationalen Rechte von Minderheitsvölkern und die Herstellung von Solidarität vor Ort waren keine blossen «ideologischen Leitsätze», sondern der wirksamste Weg, um für nationale Befreiung und sozialistische Revolution zu kämpfen. Wenn sie eine wirkliche Unabhängigkeit erreichen wollen, sollten die fortschrittlichen Kräfte im Kosovo darauf hinarbeiten, die serbische Minderheit auf ihre Seite zu ziehen. Andernfalls riskieren sie, eine reaktionäre Basis für den serbischen Nationalismus im Norden Kosovos zu schaffen, die es Belgrad und ausländischen Mächten ermöglicht, sich weiterhin in die lokale Politik einzumischen. Die Rechte von Minderheiten zu respektieren, bedeutet nicht, parlamentarische Quoten und nationale Schlüssel in Institutionen nach den bürokratischen Modellen der Europäischen Union einzuführen. Es bedeutet, durch den gemeinsamen Kampf und die Verteidigung der Nachbarn gegen chauvinistische Angriffe greifbare Solidarität vor Ort zu schaffen. Nur so kann zwischen-ethnisches Vertrauen geschaffen und den SerbInnen eine Perspektive für ein menschenwürdiges Leben im unabhängigen Kosovo eröffnet werden.


Um eine echte Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zu erreichen, müsste die fortschrittliche Bewegung im Kosovo daher die politischen Bündnisse mit den albanischen nationalistischen und bürgerlichen politischen Strömungen auflösen. Der Kampf für die nationale Befreiung dieser privilegierten Schichten und der Massen des Volkes sind widersprüchliche Bestrebungen. Wie wir sehen, sind die ehemaligen UCK-Führer wie auch die Erben von Ibrahim Rugova bereit, den halbkolonialen Status des Kosovo zu akzeptieren, solange sie in diesem Rahmen weiterhin ihren privaten Reichtum anhäufen können. Die nationale Unabhängigkeit kleiner Nationen in einer imperialistischen Weltordnung ist eine Illusion, denn die lokale Kompradoren-Bourgeoisie ist fest mit dem globalen imperialistischen Kapital verbunden. Sie alle suchen in den imperialistischen Mächten nach Beschützern. Als Gegenleistung für die ausländische Unterstützung bieten sie ihre Mitarbeit an bei der Ausbeutung des eigenen Volkes und der Unterdrückung anderer kleiner Nationen, insbesondere der Nachbarländer.


Letztendlich erschöpft die Unabhängigkeit des Kosovo nicht das umfassendere Dilemma der albanischen nationalen Frage auf dem Balkan. Die Forderung der AlbanerInnen, in einem einzigen Land auf dem Balkan zu leben, ist völlig legitim. Dies gilt auch für jede andere Balkannation. Nicht zuletzt die SerbInnen, die wie die AlbanerInnen in teilsouveränen Gebieten unter ausländischem Protektorat (Republik Srpska) oder als nationale Minderheiten in Nachbarstaaten leben. Die von den albanischen bürgerlich-nationalistischen Politikern vorgeschlagene Lösung ist die Perspektive der Schaffung eines «Grossalbaniens». Die Aufteilung des Territoriums von Montenegro und Mazedonien und deren Vereinigung mit Albanien und dem Kosovo ist jedoch ein klarer Weg zu Krieg, ethnischer Säuberung und neuem Blutvergiessen auf dem Balkan. Solche Schritte würden den Hass zwischen den Balkanvölkern weiter schüren und künftigen Generationen eine zusätzliche Last aufbürden. So wie die SerbInnen nur im Rahmen eines jugoslawischen Projekts in einem gemeinsamen Staat leben können, können die AlbanerInnen ihre nationale Einheit nur innerhalb der grösseren Balkangemeinschaft gleichberechtigter Völker erreichen.


Die historische Chance, die in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verpasst wurde, zeigt uns den Weg in die Zukunft. Im Zusammenhang mit der Verbindung der sozialistischen Revolutionen in Jugoslawien, Bulgarien, Albanien und Griechenland hätte der Status der albanischen nationalen Frage innerhalb der Sozialistischen Balkanföderation gelöst werden können. Statt einer vernachlässigten, peripheren Region des jugoslawischen Staates hätte Kosovo ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum werden können, das grössere Regionen in einer koordinierten Entwicklung miteinander verbindet. Eine Balkanföderation hätte Raum für die Entfaltung der nationalen Kulturen sowohl des albanischen als auch des serbischen Volkes bieten können, in Kommunikation mit den Mehrheitsgesellschaften in Albanien und Serbien. Sie hätte Kosovo auch mit anderen komplementären Wirtschaftsräumen in der Region verbinden und ihm freien Zugang zu den Häfen in Thessaloniki und Dürres ermöglichen können. Stattdessen wandten sich die örtlichen KommunistInnen dem «nationalen Weg zum Sozialismus» zu und bahnten den Weg für die Restauration des Kapitalismus und der nationalen Intoleranz auf dem Balkan.


Die nationale Befreiung der Balkanvölker ist nur durch eine sozialistische Revolution möglich, bei der die arbeitenden Massen die Kontrolle über ihre Ressourcen, ihre Infrastruktur und die von ihnen aufgebaute Industrie übernehmen. Die Geschichte zeigt uns, dass die sozialistische Revolution auf dem Balkan nur dann erfolgreich sein kann, wenn die ArbeiterInnen des Balkans gemeinsam dafür kämpfen. Die Logik der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung diktiert, dass die revolutionäre sozialistische Ordnung nur durch die Überwindung nationaler Grenzen und die Schaffung einer Föderation von Arbeiterstaaten gedeihen kann. Damit eine solche Föderation erfolgreich sein kann, ist es notwendig, dass alle Nationen ihr vollkommen freiwillig beitreten und vollkommen gleichberechtigt sind. Deshalb befürwortet die marxistische Organisation «Crveni» (die Roten) die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts des Kosovo als Voraussetzung für die sozialistische Revolution auf dem Balkan und die Vereinigung aller ArbeiterInnen des Balkans in der Sozialistischen Föderation auf dem Balkan.

24. april 2022, Crvena Kritika, IMT