Die Regierungskoalition in Deutschland ist auseinandergebrochen. Deshalb stehen am 23. Februar Neuwahlen an. Die neue Regierung wird vor der unmöglichen Aufgabe stehen, den deutschen Kapitalismus aus seiner Sackgasse zu manövrieren.
2021 kam die Ampel-Koalition von Sozialdemokraten (Rot), Grünen (Grün) und FDPlern (Gelb) an die Macht. Damit endete eine Ära der politischen Stabilität, in der die zwei grössten Parteien, die konservative CDU/CSU und die sozialdemokratische SPD, um die 70 % der Wählerstimmen auf sich vereinten und während 70 Jahren abwechslungsweise relativ stabile Regierungen gebildet hatten.
Die brutale Sparpolitik und die intensivierte Ausbeutung der deutschen Arbeiterklasse haben über die letzten Jahrzehnte das Vertrauen in allen Parteien und Institutionen untergraben. Heute vertrauen nur noch 14 % der Regierung! Bereits vor drei Jahren hatte keine Partei genügend Rückhalt, um eine stabile Regierung zu bilden. Deshalb mussten sich drei Parteien zusammenschliessen, die von Anfang an unterschiedliche Prioritäten hatten.
Im November 2024 ist die Ampel im Streit um das Budget auseinandergebrochen. Im Auftrag der Kapitalisten verlangte die FDP härteste Sparpolitik. SPD und Grüne konnten diesen Frontalangriff auf die Arbeiterklasse nicht mittragen, ohne den Rest ihrer Wählerschaft zu vergraulen. An diesem Widerspruch zwischen den Interessen der Kapitalisten und dem politischen Überleben werden auch die nächsten Regierungen scheitern. Deshalb belegt der Fall der Ampel, dass die Ära der politischen Stabilität in Deutschland unwiderruflich vorbei ist.
Just als die Ampel-Regierung die Zügel übernahm, brachen alle Schwachstellen des deutschen «Erfolgsmodells» auf. 2022 war für Deutschland ein besonders schmerzhafter Wendepunkt. Seit zwei Jahren schrumpft die Wirtschaft. Mit der Eskalation des Ukraine-Krieges wurde Deutschland von der USA gezwungen, ganz mit Russland zu brechen.
Die Industrie profitierte enorm vom billigen russischen Gas und Öl, das auf einen Schlag wegfiel. Die Ampel-Regierung hat mehr Steuergelder in Energiesubventionen gepumpt als die restlichen EU-Länder zusammen. Aber das war nicht genug.
Gleichzeitig hat der Ukraine-Krieg die globale Blockbildung beschleunigt. Die neuen Importzölle der grossen Blocks (USA, China) schnitten die deutschen Export-Unternehmen von den Absätzen ab.
Schliesslich hat der Ukraine-Krieg für Deutschland die «Zeitenwende» eingeleitet, also die Wiederaufrüstung. Der deutsche Staat konnte sich lange hohe Rüstungsausgaben sparen. Nach dem Bruch mit Russland beschloss die deutsche Bourgeoisie zum ersten Mal seit 1945 wieder «kriegstüchtig» zu werden. Dazu hat die Ampel-Regierung auf einen Schlag 100 Milliarden Euro locker gemacht.
Der deutsche Kapitalismus steckt in einer akuten Krise. Die Wirtschaft schrumpft und ihrem Motor, der Industrie, geht es besonders schlecht. 2024 werden ca. 15 % weniger Autos, Chemieprodukte und Maschinen produziert als noch vor acht Jahren. Die Zeitungen vermelden täglich neue Werksschliessungen (VW), Entlassungen (Bayer) und Lohnkürzungen. Das hat Folgeneffekte auf Zulieferer, lokale Dienstleister etc. Hunderttausende der bestqualifizierten und -bezahlten Arbeiter verlieren ihre Existenzgrundlage.
Die deutsche Bourgeoisie hat jahrzehntelang Investitionen in Maschinen, Technologie (z. B. Elektroautos) und Infrastruktur vernachlässigt. Jetzt verlangen die Kapitalisten Subventionen vom Staat und Deregulierungen von 1’400 Milliarden Euro bis 2030, um ihren Platz auf dem Weltmarkt zu behaupten. Bezahlen soll dafür die Arbeiterklasse: mittels Sparmassnahmen, tieferen Löhnen und längeren Arbeitszeiten. Das war der Inhalt des FDP-Vorschlages, den die Regierung hat platzen lassen. Jede Regierung, die nicht mit dem Kapitalismus bricht, wird versuchen müssen, dieses Programm umzusetzen.
Die Arbeiterklasse ist aber zu wütend und enttäuscht, um die Rechnung zu begleichen. Deshalb beginnt sie sich zu wehren: 2023 war ein Rekordjahr der Streiks und die Gewerkschaften wachsen zum ersten Mal seit Jahrzehnten.
Keine Klasse wird sich in den nächsten Jahren klar durchsetzen können. Keine Regierung wird stark genug sein, um das Programm der Bourgeoisie vollumfassend umzusetzen. Die Kapitalisten bleiben aber am Drücker und werden die Arbeiterklasse nach und nach ausbluten. Für effektive Gegenwehr muss sich die Arbeiterbewegung erneuern und eine politische Partei, sowie neue Gewerkschaftsspitzen aufbauen, die ihre Interessen wirklich verteidigen.
Diese politische Pattsituation drückt sich im sprunghaften Stimmengewinn der populistischen Protestparteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) sowie das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) aus, die demagogisch die Wut über den Status quo aufnehmen. Einen echten Ausweg kann aber nur eine revolutionäre kommunistische Partei aufzeigen. Der Embryo einer solchen Partei wurde am 1. Dezember in Berlin gegründet. Aber bis sie erwachsen ist, werden Krise, Instabilität und Klassenkampf Deutschland in den Klauen halten.
International — von der Redaktion — 20. 02. 2025
Arbeiterbewegung — von Philipp Trummer und Elia Keel, VPOD Fribourg — 14. 02. 2025
Nah-Ost — von Jorge Martín, Internationales Sekretariat der RKI — 12. 02. 2025
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