Das Verfassungsreferendum endete mit einer verheerenden Niederlage für die Regierung von Premier Renzi. Wie angekündigt erklärte er seinen Rücktritt. Eine Analyse unserer Schwesterzeitung Rivoluzione.
Bild CC BY 2.0, von Francesco Pierantoni
Das Ergebnis des Referendums vom 4. Dezember fügt sich ein in die Welle des Protests gegen das politische Establishment, die wir derzeit weltweit beobachten können. Von der Brexit-Abstimmung über die Präsidentschaftswahlen in den USA, überall sehen wir, wie der Zorn auf „die da oben”, die die Bevölkerung nicht repräsentieren, zu einem allgemeinen Phänomen wird. Wenn vor Wahlen und Abstimmungen vor dem Zusammenbruch der Banken, dem Auseinanderbrechen des Euro oder wachsender Instabilität gewarnt wird, um die WählerInnen einzuschüchtern, hat dies nur einen gegenteiligen Effekt. Was die Massenmedien und die „Experten” nicht verstehen, ist die Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung, wenn auch auf recht konfuse und widersprüchliche Art und Weise, von diesem System und seinen Auswirkungen auf ihr Leben die Nase gestrichen voll hat.
Matteo Renzi ist ein besonders charakteristisches Beispiel für diese Arroganz der Macht. In seiner Amtszeit hat er stets Politik im Interesse des Kapitals gemacht. Diese Politik hat er auch in seiner Rücktrittsrede auf Punkt und Beistrich verteidigt, egal ob es die Schulreform, die Abschaffung des Kündigungsschutzes oder die Arbeitsmarktreform war. Diese Politik wurde bei der erstbesten Gelegenheit, dem Referendum über die Verfassungsreform, abgestraft. Renzi soll seinen MitarbeiterInnen gegenüber gesagt haben:
Ich habe nicht geglaubt, dass sie mich so hassen würden.”
Dies zeigt, wie abgehoben diese Elite bereits ist, wie weit sie sich vom realen Leben und Denken der Menschen entfernt hat. Man fühlt sich dabei in die Zeit der absolutistischen Herrscher vor der Französischen Revolution zurückversetzt. Intelligentere Analysten sehen das auch so. Ein Beispiel liefert Herr Münchau, der in der Financial Times die heutigen Eliten mit Marie Antoinette vergleicht, die bekannter Weise in der Französischen Revolution um einen Kopf kürzer gemacht wurde.
Die Gründe, warum beim Verfassungsreferendum das “NO” (Nein) so überlegen gewonnen hat, gehen weit über die Ablehnung der vorliegenden Änderungen im Verfassungstext hinaus. Vor einigen Monaten hat das Beratungsunternehmen McKinsey eine Studie mit dem Titel „Ärmer als die Eltern“ veröffentlicht. Demzufolge müssen in den entwickelten kapitalistischen Ländern rund zwei Drittel der Menschen mit Einkommen über die Runden kommen, die seit einem Jahrzehnt stagnieren oder gar sinken. In Italien gilt dies für 97% aller Familien!
Das ist die wahre Ursache für den Ausgang des Referendums vom 4. Dezember. Es ist kein Zufall, dass das NO gerade in Süditalien besonders gut abgeschnitten hat, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, und es kaum Zukunftsperspektiven gibt. Das “SI” (Ja) gewann nur in Südtirol, der Toskana und in der Emilia-Romagna.
Besonders signifikant erscheint das Stimmverhalten der Jungen (18-34 Jahre). Hier waren 81% für ein NO. Das NO gewann vor allem durch die Stimmen der Jungen, der Arbeitslosen und der Menschen mit niedrigen Einkommen, so die Wirtschaftszeitung ilSole24ore. In den 100 Kommunen mit der höchsten Arbeitslosenrate erreichte das NO überall mehr als 65%.
Eine Klasse und eine Generation, die für sich keine Zukunftsperspektiven sieht, stimmten also gegen jene ab, die dafür verantwortlich sind, dass sie keine Zukunft haben werden.
An der Wahlurne wurde nicht nur Renzi abgestraft, das war ein Votum gegen die Strategien der gesamten herrschenden Klasse. Diese Verfassungsreform war kein spezieller Einfall von Renzi, sondern entsprach den grundlegenden Bedürfnissen des Kapitals. Die Angriffe der Regierung auf den Sozialstaat und die Rechte der ArbeiterInnen musste durch weitreichende Änderungen auf dem Gebiet der politischen Institutionen begleitet und abgesichert werden.
Mit Renzi verlieren die Bürgerlichen ihren bisher wichtigsten Mann. Was nach ihm kommen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unklar. Die „Repubblica“ beschreibt die aktuelle Lage mit einem „Sprung ins Ungewisse“. Das Problem ist nämlich, dass die italienische und internationale Bourgeoisie seit 2012 schon alle aus ihrer Sicht guten Karten ausgespielt hat. Nach dem Rücktritt von Berlusconi gab es eine Regierung der „nationalen Einheit“, dann der Wechsel zu Renzi und zur Demokratischen Partei. Mittlerweile ist auch diese Option gescheitert. Italien steht somit vor politisch sehr unsicheren Zeiten. Weder die Lega Nord von Salvini noch Berlusconi, und auch nicht die 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo haben die Kraft eine stabile Regierung zu bilden. Das ganze Gerede von der Gefahr einer Wiederkehr des Faschismus entspricht dabei in keiner Weise der realen Situation. So wichtig der Kampf gegen die politische Rechte und deren reaktionäre Politik auch ist, nichts rechtfertigt die Unterstützung des „kleineren Übels” in Form der Demokratischen Partei.
Nicht nur, dass die Rechte gespalten ist und kurzfristig auch keine Regierung bilden könnte, ist es auch so, dass die herrschende Klasse derzeit gar kein Interesse an einer offenen Rechtsregierung hätte. Sie will vielmehr eine Fortsetzung von Renzis Politik durch eine Art Expertenregierung.
Vor allem die Lösung der Bankenkrise ist dabei eine Aufgabe von höchster Priorität. Der Bankensektor ist in der Tat aus der Sicht der Bürgerlichen eine tickende Zeitbombe. Nach dem Votum vom 4.12. wird sich aber jede Regierung sehr schwer tun, das Programm der Bürgerlichen umzusetzen. Und welche Parteien sollen eine solche Expertenregierung auf Dauer im Parlament unterstützen? Baldige Neuwahlen sind daher mehr als wahrscheinlich. Damit ist eine völlige Instabilität des politischen Systems vorprogrammiert. Italien steht vor einer sehr turbulenten Entwicklung.
Für die Linke eröffnen sich dadurch neue Chancen. Sie hat geschlossen gegen Renzis Verfassungspläne mobil gemacht, gleichzeitig ist sie weit davon entfernt eine politische Alternative zum Status quo formulieren zu können. Dies zeigte sich sehr schmerzlich bei den jüngsten Kollektivvertragsverhandlungen für die Metallindustrie und den öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaften haben in beiden Fällen auf voller Linie den Forderungen der Regierung und der Arbeitgeber nachgegeben. Dies ist das Ergebnis der Sozialpartnerschaftsideologie, die von den Gewerkschaftsapparaten nicht hinterfragt wird.
Die politische Schwäche der Linken und der Gewerkschaften lässt natürlich viel Spielraum für die Rechte und speziell für die populistische 5-Sterne-Bewegung.
Das Referendum vom 4. Dezember hat gezeigt, dass es eine starke Stimmung „gegen das System“ gibt. Die 5-Sterne-Bewegung wird dem nicht gerecht, denn wo sie bereits Regierungsverantwortung hat (Rom, Turin…) akzeptiert sie ebenfalls die „Sachzwänge“, sprich den Spardruck. Mit dieser Logik muss die Linke endgültig brechen.
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