Seit der Tod von Königin Elisabeth II. am 8. September bekannt gegeben wurde, liefen die britischen Medien mit minutengenauer Berichterstattung über das königliche Begräbnis sowie die Thronbesteigung ihres Sohnes als König Charles III. auf Hochtouren. Das Vereinigte Königreich ist noch immer eine parlamentarische Monarchie. Noch immer existieren diese Relikte der Vergangenheit und spielen eine besonders reaktionäre Rolle im Klassenkampf.
Während die Berichtserstattung eine Fassade tiefer Trauer im Vereinigten Königreich aufbaute und vorgab das Andenken der verschiedenen Königin zu ehren, hatten die bürgerlichen Medien ein weitaus reaktionäreres Ziel vor Augen. Der Tod der Queen war der perfekte Löscheimer für die herrschende Klasse und ihre Vasallen, um die schwellenden und teilweise schon lodernden Klassenkämpfe zu unterdrücken und der opportunistischen Führung der Arbeiterklasse einen leichten Ausweg aus eben diesen Kämpfen zu geben.
Grossbritannien hatte einen Sommer der Klassenwut und sektorenübergreifenden Streiks erlebt. Die Arbeiterklasse Englands, gebeutelt von der höchsten Inflation seit 40 Jahren und dem langsamsten Lohnwachstum seit über 200 Jahren, zeigte sich kämpferisch und kompromisslos. Zusätzlich übernahm Liz Truss die Nachfolge von Boris Johnson. Sie wurde zur Vorsitzenden der Konservativen Partei gewählt und daraufhin zur Premierministerin ernannt. Sie setzte umgehend auf ein Sparprogramm und Angriffe auf die Gewerkschaften. Noch vor wenigen Wochen rief der Generalsekretär der RMT (Gewerkschaft für Schienen-, Seeverkehr-, und Transportarbeiter), Mick Lynch, zu einem Generalstreik auf, falls Truss tatsächlich Premierministerin werden sollte. Doch wie so häufig in der Geschichte, hinkt die Führung der Arbeiterklasse dieser hinterher und zeigt ihr opportunistisches Gesicht genau dann, wenn der Klassenkampf sich zuspitzt. So auch in diesem Fall.
Tatsächlich hatte Truss dem Parlament gerade erst ihre „Pläne“ zur Bewältigung der Energiekrise angekündigt, als der Tod der Queen bekannt wurde. Daraufhin entschieden die Führungen einiger Gewerkschaften, darunter auch die RMT, die Streiks aufgrund von „Respekt“ vor der verstorbenen Monarchin einzustellen. Unterdessen hat der TUC (britische Gewerkschaftsbund) seine September-Konferenz – die eine Diskussion über koordinierte Streikaktionen im Herbst versprochen hatte – auf einige Zeit nach der Beerdigung der Königin verschoben. Dieses schändliche Zurückweichen wurde von der rücksichtslosen Berichterstattung in den Medien untermalt, wobei sogar ein BBC-Reporter sagte, dass die steigenden Energiekosten jetzt „unwesentlich“ seien! Zumindest hat sein Co-Moderator ihn einigermassen korrigiert, als er antwortete: „Nun, es wurde sicherlich überschattet.“
Während die Nachrichten das Bild einer ganzen Bevölkerung in kollektiver Trauer zeichneten, gab es gelegentlich Berichte über Proteste gegen die Monarchie, nicht zuletzt, weil die Protestierenden oft festgenommen wurden.
Während der Zeremonie zur Proklamation Charles zum neuen König in Edinburgh wurde eine Studentin festgenommen, weil sie ein Schild mit der Aufschrift „Fuck Imperialism! Abolish monarchy“ hochgehalten hatte. Ähnliche Verhaftungen fanden in London statt. Einige Demonstranten wurden verhaftet, weil sie leere Zettel hochgehalten hatten, um die Absurdität dieses eklatanten Angriffs auf die Protestfreiheit hervorzuheben.
Menschenrechtsgruppen haben ihre Besorgnis über diese Verhaftungen zum Ausdruck gebracht, aber solche Besorgnis wird man von Seiten der Führung der Arbeiterbewegung nicht hören. Paradebeispiel: Der gesalbte Ritter des Reiches, „Sir“ Keir Starmer.
Auf die Frage, was er von diesen Bedenken halte, drückte er seinen Wunsch aus, dass diese Demonstranten den trauernden Menschen „etwas Respekt entgegenbringen“ sollten. Kein Wort über Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht! Kein Wort über die Tatsache, dass diese Menschen von der Polizei gewaltsam festgenommen wurden und nun nach dem in diesem Jahr in Kraft gesetzten drakonischen „Police, Crime, Sentencing and Courts“ Gesetz der Torys angeklagt werden! Kein Wort über die drohende und schon bestehende Armut von Millionen Lohnabhängigen!
Als Reaktion auf diese Ereignisse hat der Aktionsgruppe „Republic“ erklärt, sie beabsichtige, im Vorfeld von Charles Krönung Demos abzuhalten.
„Republic“ ist eine politische Kampagne in Grossbritannien, die die Abschaffung der Monarchie und ein gewähltes Staatsoberhaupt fordert. Im britischen Unterhaus sitzen ein paar wenige Abgeordnete mit republikanischen Ansichten – z.B. Caroline Lucas (Grüne) und Jeremy Corbyn – aber keine der grossen politischen Parteien – Torys, Labour, SNP, Liberaldemokraten – hat eine offizielle Haltung zum Republikanismus.
Aber trotz dieses Mangels an republikanischen Ideen in der Mainstream-Politik ist die Unterstützung für die Monarchie alles andere als universell. Tatsächlich ist die Unterstützung für die Monarchie auf dem niedrigsten Stand seit Jahren, wobei eine Umfrage im Mai dieses Jahres ergab, dass nur 57% der Briten eine Monarchie unterstützen, gegenüber 29%, die dafür sind, dass Grossbritannien eine Republik wird. Unter den Jugendlichen und jungen Arbeitern sind die Befürworter einer Republik in der Mehrheit.
Zwar hat diese „Zeit der Staatstrauer“ des Königshauses einen Schub in der öffentlichen Unterstützung beschert, und selbst Charles III., der als einer der weniger populären Royals gilt, ist derzeit beliebter als sonst. Aber das wird nur von kurzer Dauer sein.
Tatsächlich wurde fast unmittelbar nach dem Tod der Königin eine Online-Petition eingereicht, in der die Abschaffung des Titels „Prinz von Wales“ gefordert wurde, ein Titel, der jetzt von Charles an Prinz William weitergegeben wurde. Diese Petition erhielt in der Woche seit dem Tod der Königin über 25.000 Unterschriften. Dieser Titel gilt zu Recht als Erbe der englischen Unterdrückung, die bis ins Mittelalter zurückreicht.
Inmitten einer Krise des Lebensstandards, in der Millionen Menschen diesen Winter vor der Wahl stehen, zu heizen oder satt zu werden, gibt es viele, die sich von diesen pompösen Zeremonien gerechtfertigter Weise verhöhnt fühlen. Die Unterstützung für die Monarchie könnte leicht noch weiter sinken, insbesondere, weil der neue Monarch dafür bekannt ist, seine persönlichen Meinungen kundzutun. Charles III. könnte so leicht die Illusion zerstören, dass die Monarchie politisch neutral sei und als unparteiisches und zeremonielles Aushängeschild über der Politik stehe; eine Illusion, die Elizabeth II. und das britische Establishment sieben Jahrzehnte lang gefüttert haben.
In Wirklichkeit ist die Monarchie nur eine von vielen Säulen des britischen kapitalistischen Staates, deren Aufgabe es ist, den Status quo aufrechtzuerhalten. Dies kann durch die unbegrenzten verfassungsmässigen Befugnisse des Monarchen erreicht werden oder durch das Aufpeitschen nationalistischer Gefühle und das Sammeln von Menschen hinter der Flagge.
Keine herrschende Klasse in der Geschichte hat ihre Macht freiwillig aufgegeben, und die britische Bourgeoisie wird die Monarchie nutzen, im Falle eines Generalstreiks, weit verbreiteter sozialer Unruhen und einer ermutigten arbeitenden Klasse.
Wie wir bereits gesehen haben, werden Menschen verhaftet, nur weil sie sich öffentlich für eine Republik einsetzen. Der Tod der Königin wird in ähnlicher Weise zynisch gegen die Linke und die Arbeiterbewegung im Allgemeinen verwendet werden.
Je länger diese verrottete Tory-Regierung an der Macht bleibt und je tiefer die Wirtschaftskrise in Grossbritannien und der Welt wird, desto mehr Menschen werden in den Klassenkampf hineingezogen. Es ist möglich, dass ein unbeliebter König in so einer Situation zu einem Anstieg der Anti-Monarchie- und Pro-Republikaner-Stimmung führt.
Wir unterstützen uneingeschränkt die Abschaffung der Monarchie. Aber als Marxisten müssen wir gleichzeitig erklären, dass ein gewähltes, anstatt erbliches Staatsoberhaupt die Probleme der Arbeiterklasse in Grossbritannien nicht lösen wird.
Im Wesentlichen ist „Republic“ eine bürgerlich-liberale Bewegung, die Grossbritannien eher als bürgerliche Republik denn als konstitutionelle Monarchie sehen möchte. Aber beide Systeme dienen der Wahrung der Interessen des Kapitals.
Die Monarchie einfach durch ein gewähltes Staatsoberhaupt zu ersetzen, ist für Grossbritannien nicht unbedingt ein Fortschritt. Es wird im Wesentlichen darauf hinauslaufen, eine Form der bürgerlichen Herrschaft durch eine andere zu ersetzen. Solange der Kapitalismus selbst unangetastet bleibt, ist die Frage, ob das Oberhaupt dieses kapitalistischen Staates gewählt wird oder nicht, eine Kleinigkeit.
Aber ein Wachstum der republikanischen Ideen und Bewegung wird Arbeiter und junge Menschen anziehen, die nach radikalen Alternativen zum kaputten System suchen. Dies wird einen fruchtbaren Boden für sozialistische Ideen innerhalb einer aufkeimenden republikanischen Bewegung schaffen.
Laut „Republic“ ist das Mittel, mit dem Grossbritannien eine Republik werden kann, einfach eine öffentliche Abstimmung in einem Referendum. Dies zeigt die Beschränktheit bürgerlich-liberaler Bewegungen und ihre Unfähigkeit die Dynamik des Klassenkampfes sowie der Klassengesellschaft zu erfassen und richtige Schlüsse zu ziehen.
Wie oben skizziert, wird angesichts der aktuellen Krise, mit der Grossbritannien konfrontiert ist, eine Zunahme der öffentlichen Unterstützung für die Abschaffung der Monarchie durch eine Zunahme des Klassenkampfs zum Ausdruck kommen und daraus resultieren; eine weitere Streikwelle ist in den kommenden Monaten geplant, ein Generalstreik kann nicht ausgeschlossen werden. Millionen von Arbeiter sind von Armut betroffen. In diesem Zusammenhang wird die herrschende Klasse die Monarchie – wie auch andere Waffen des Staates – benutzen, um der Arbeiterklasse Einhalt zu gebieten.
Der Kampf für die Abschaffung der Monarchie muss Teil des umfassenderen Kampfes für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft sein. Das heisst, die wichtigsten Hebel der Wirtschaft – einschliesslich der grossen Banken – zu verstaatlichen und sie unter demokratische Arbeiterkontrolle zu bringen. Mit anderen Worten eine Arbeiterrepublik, keine bürgerliche Republik. In diesem Sinne ist die Abschaffung der Monarchie eine „Übergangsforderung“.
Die Arbeiterklasse lernt aus ihren Erfahrungen. Wenn der Ruf nach einer Republik in der kommenden Zeit lauter wird, hat die herrschende Klasse zwei Möglichkeiten: dem öffentlichen Druck nachgeben und ein Referendum einberufen oder hart gegen die Bewegung vorgehen. Die Erfahrung der letzten Wochen legt nahe, dass letztere Option wahrscheinlicher ist. Die Arbeiterklasse wird daraus ihre eigenen Schlüsse ziehen, dass es nicht einfach darum geht, das Staatsoberhaupt durch ein gewähltes zu ersetzen, sondern um den britischen bzw. kapitalistischen Staat selbst.
Für den Fall, dass der britische Staat dem britischen Volk eine demokratische Republik zugestehen würde, geschähe dies zu den Bedingungen der Kapitalistenklasse und der bürgerlichen Elite. So eine Erfahrung würde zeigen, dass eine demokratische Republik die inhärenten Widersprüche der Klassengesellschaft nicht lösen wird. Man muss nur auf Deutschland, die USA oder irgendeine andere „liberale Demokratie“ ohne Monarchie schauen, um zu sehen, dass eine Republik keinen materiellen Unterschied zu einer parlamentarischen Monarchie macht, solange das Privateigentum an Produktionsmitteln und Tauschmitteln unberührt bestehen bleibt.
Deshalb fordern wir nicht nur eine Republik, sondern eine sozialistische Arbeiterrepublik als Teil der sozialistischen Weltrevolution.
Kieran T. Patrick, IMT
13.10.2022
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