Die Gemeinderatswahl in der steirischen Landeshauptstadt löste ein politisches Erdbeben aus. Der fulminante Wahlsieg der KPÖ eröffnet die Perspektive einer breiten Offensive gegen Sozialabbau und Investorenträume. Mario Wassilikos und Emanuel Tomaselli berichten.
In Graz blieb nach der Gemeinderatswahl am 26. September kein Stein auf dem anderen. Die ÖVP erfuhr eine Rekordniederlage – sie erreichte nur 25,91 % der Stimmen (-11,88 % im Vergleich zu 2017). Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl, seit 18 Jahren im Amt, trat noch am Wahlabend zurück. Der Juniorpartner FPÖ verlor ebenfalls – sie erlangte 10,61 % der Stimmen (-5,25 % im Vergleich zu 2017). Der schwarz-blaue Rathaus-Bürgerblock bekam von der Grazer Bevölkerung die Rechnung für seine Politik zugunsten von Banken und Konzernen präsentiert.
Verzweifelt stemmte sich der abgewählte Bürgermeister Nagl in der Endphase des Wahlkampfes der von Umfragen prognostizierten Niederlage entgegen – mit plumpen antikommunistischer Propaganda. Er warnte vor „Staatsbankrott, Massenarbeitslosigkeit und einer mit Almosen abgespeisten Bevölkerung ohne Perspektive“ bei einer KPÖ-Stadtregentschaft. Tatsächlich erreichten all das schon 18 Jahre von Nagl als Bürgermeister: Die Gemeindeverschuldung explodierte auf insgesamt 1,26 Milliarden Euro, tausende GrazerInnen sind arbeitslos, Sozialcard-BesitzerInnen wurde der Bezug von Weihnachts- und Energiekostenzuschuss erschwert. Sein blauer Partner setzte hingegen auf rassistische Blendgranaten: Er entwarf eine Plakatserie mit dem Slogan „Graz ist nicht eure Heimat. Garantiert!“ über einer Schwarzweißfotografie von Flüchtlingen. Doch die Grazer Arbeiterklasse fiel nicht auf dieses widerwärtige Spiel herein.
Die große Gewinnerin ist die KPÖ. Sie erreichte mit 28,84 % der Stimmen (+ 8,5 % im Vergleich zu 2017) den ersten Platz – das historisch beste Ergebnis. Sie gilt als tatkräftige Helferin in sozialen Notlagen sowie als konsequente parlamentarische Opposition gegen den Sozialabbau in Stadt und Land. Die Selbstbeschränkung der Politikereikommen auf 2000 € netto macht sie als ehrliche Arbeiterpartei besonders glaubwürdig.
Ein Blick in die Wählerstromanalyse verdeutlicht das: Je 3.000 Stimmen von SPÖ und Grünen, je 2.000 von ÖVP und FPÖ sowie 4.000 von den NichtwählerInnen gewann die KPÖ. Was passiert, wenn der Arbeiterklasse und ihrer Jugend kein glaubwürdiges Angebot zur Verfügung steht, zeigen das Schicksal der SPÖ Graz, die auf ihrem historischen Tiefstand (9,53 %; -0,52 %) stagniert, und die oberösterreichische Landtagswahl, wo die SPÖ ebenfalls stagnierte, im Gegensatz zu verschwörungstheoretisch angehauchten Impfgegner die mit plus 6,3 % die größten Wahlgewinner sind. Die SPÖ hat keine Glaubwürdigkeit, selbst wenn sie „die soziale Frage thematisiert“, ihre Wählerbasis in der Arbeiterklasse reduziert sich zunehmend auf gewerkschaftlich organisierte Großbetriebe, und selbst hier happert die Mobilisierungsfähigkeit zu Wahlen gewaltig.
Die Tradition der österreichischen Arbeiterbewegung ist seit ihren Anfängen von der Sozialdemokratie dominiert. Anders als in anderen Ländern entwickelte die Kommunistische Partei (mit einem kurzen Intermezzo im antifaschistischen Widerstand während des Zweiten Weltkriegs und im Jahrzehnt danach) keine große Bedeutung, da es die Sozialdemokratie stets verstand, starke linke Flügel in der Partei zu halten.
Mit dem Fall der Sowjetunion spiegelte sich die Krise des Stalinismus auch in der KPÖ wider, wobei sich der Flügel im Bundesland Steiermark fortan auf kommunale Sozialpolitik und einem im Grunde linksreformistischen Ansatz fokussierte. Dabei setzten sie jedoch nicht, wie in Restösterreich, auf linke Wahlbündnisse, sondern behielten ihre Identität als eigenständige Partei bei. Sie verteidigen sowohl den Namen „Kommunismus“ und ihre führenden VertreterInnen bezeichnen sich als MarxistInnen (was sie jedoch betont „unideologisch“ ausgelegt wissen wollen).
Lokalpolitik mit Fokus auf das Thema Wohnen brachte schließlich Ende der 1990er Jahre Erfolge, insbesondere angesichts des Versagens der Sozialdemokratie, die auch in Graz seit Mitte der 1980er Jahre den Bürgermeister stellte. Das Hauptanliegen der KPÖ ist es, Menschen in Not zu helfen, was sie sehr glaubwürdig verkörpern: So beziehen die Funktionäre der KPÖ Steiermark nicht mehr als einen Facharbeiterlohn und spenden den Rest an Sozialprojekte für die Bürger. Sie leiten eine Mieter-Telefonhotline und stimmten im Gemeinderat gegen soziale Verschlechterungen.
Ihr Fokus Gemeinde- und Regionalpolitik mit einer parlamentarisch-institutionellen Orientierung bewies sich in der Vergangenheit jedoch auch als Achillesferse. Beispielsweise präsentierte die kommunistische Gewerkschaftsfraktion (GLB) keinen Aktions- oder Kampfplan, als der größte Autoindustrie-Konzerns in Graz, Magna, 2019 Massenkündigungen ankündigte. Die Forderung lautete, mit der Geschäftsführung eine Alternative zur Abhängigkeit der krisengebeutelten Autoindustrie zu entwickeln. Dabei hätten sie mit immerhin 18,5 % bei den letzten Betriebsratswahlen und fünf Mandaten eine reale Stimme vor Ort. Auch in der Migrationspolitik ist sich die Partei uneinig. Offiziell haben sie eine stalinistisch-„sozialpatriotische“ Ausrichtung, die eine progressive österreichische Nation verteidigt. Zu der rassistischen und spalterischen Flüchtlingspolitik der österreichischen Bundesregierung rund um die Übernahme der Taliban in Afghanistan schwieg die KPÖ inmitten des Wahlkampfs. Auch in der Vergangenheit fielen sie vor allem mit Abwesenheit in Fragen des Antirassismus auf und ein führender Vertreter der steirischen Partei, Werner Murgg, nannte 2015 im Zuge der Welcome-Refugee-Bewegung Staaten ohne strenges Grenzregime „Eunuchenstaaten“.
Der Niedergang der Sozialdemokratie und ihre völlig fehlende Glaubwürdigkeit ist die Basis für den Aufstieg der KPÖ. Dieser Prozess startete schon in den 1980er Jahren im Zuge der Stahlkrise, als eine Reihe kämpferischer Betriebsräte in den Stahlwerken von den Sozialisten (deren Führung sich aktiv gegen Arbeitskämpfe zur Verhinderung von Massenentlassungen stellte) zu der KP-Gewerkschaftsfraktion wechselten. In der Steiermark befindet sich die SPÖ seit 2011 in einer „Reformpartnerschaft“ mit der konservativen ÖVP und trägt dort der Ausdünnung der ländlichen Infrastruktur, der Schließung von Krankenhäusern und Einsparungen bei den vulnerabelsten Gruppen der Gesellschaft etc. aktiv mit. Die Grazer SPÖ stellt diesen Kurs nicht in Frage und macht sich für diese Verschlechterungen damit mitverantwortlich – ganz zu schweigen von der Bundespartei, die in keinem Konflikt der letzten Jahre einen konsequenten Klassenstandpunkt verteidigte.
Die KPÖ wurde so zu einer sichtbaren Alternative zur SPÖ in Graz und der Region. Seit 2003 wurde die KPÖ immer zur zweit- oder drittstärksten Partei gewählt, während die SPÖ seit 1988 (42,5%) sukzessive an Stimmen verlor. Wir rufen seit den Wahlen 2015 dazu auf, in Graz und bei Regionalwahlen die KPÖ zu wählen. Heuer titelten wir: Graz 2021: Schwarz-Blau raus, Rot-Rot rein!
Den Wahlsieg der KPÖ Graz nur aus der spezifischen regionalen Konstellation zu erklären, greift aber zu kurz. Der Erdrutsch-Wahlsieg der KPÖ strahlt über die traditionelle Linke hinaus und sorgt auch international für Aufsehen. Selbst Menschen, die nie im Traum daran dachten, irgendwann in ihrem Leben am Kommunismus anzustreifen, finden diesen politischen Umbruch interessant und zeitgemäß, und die meisten ArbeiterInnen und Jugendlichen beurteilen diesen Erdrutsch positiv. Dies ist ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass Graz in breitere gesellschaftliche Umbrüche eingebettet ist. Die Krise und Unsicherheit des Kapitalismus führen dazu, dass viele das Altbekannte hinterfragen und offen für Alternativen sind.
Die Reaktionen der politischen Gegner zeigt dasselbe spiegelverkehrt an: Ihnen ist das Grazer Ergebnis ein blanker Horror. Bundeskanzler Kurz, der noch wenige Tage zuvor meinte, die „Dankbarkeit der Massen“ für Sigfried Nagl zu spüren, findet nun den kommunistischen Wahlsieg „bedenklich“. Politische Kommentatoren wie ORF-Chefkommentator Hans Bürger sieht den „Nährboden für linke Protestbewegungen aufgearbeitet“.
Es gibt nun Gerüchte, dass die Bundesregierung Druck auf die Grünen ausübt, um Elke Kahr als Bürgermeisterin zu verhindern. Dieser Druck zeigt, wie viel Angst die Bourgeoisie vor dem Aufstieg einer Alternative zu ihrer althergebrachten Herrschaft fürchten. Selbst wenn sie scheitern, eine kommunistische Stadtregierung zu verhindern, wird diese feindliche Haltung den politischen Kampf prägen, da die Bundes- und Landesregierungen die Gemeinden finanzieren.
Die KPÖ-Führung rund um ihre Spitzenkandidatin Elke Kahr betont in ihren ersten Statements weiter „nützlich sein zu wollen“ und für „alle da zu sein“ und „mit allen Parteien zusammenarbeiten zu wollen“, kurz einen karitativen-kommunalpolitischen Ansatz. Dies kommt bisher gut an. Ansagen, welche zentralen Reformen nun angegangen werden sollen, blieben bisher aus. Die zentrale soziale Frage in Graz ist weiter das Wohnen. Dort explodieren die Mieten. Man bezahlt heuer durchschnittlich schon 9,59 Euro pro Quadratmeter – eine Steigerung um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr . Gleichzeitig wächst die Zahl leerstehender Anlegerwohnungen. Der Grund dafür: Immobilienspekulanten können ungestört wüten. Alleine 2019 flossen 250 Millionen Euro aus privaten Mitteln in den Grazer Wohnungsmarkt. Einer der jüngsten bekannt gewordenen Coups: Der Investmentfonds „Hamburg Trust“ erwarb im Stadtteil Reininghaus 133 Wohneinheiten (Gesamtfläche: 6.800 Quadratmeter). Das alles geschah mit der Unterstützung der schwarz-blauen Rathauskoalition.
Starke Regulierung des privaten Sektors verbunden mit einer Offensive des öffentlichen Wohnbaus können hier die Situation stabilisieren. Die Nutzung des Öffentlichen Raums, die Verkehr-Situation, die schlechte Luftsituation und die ausgehungerten kommunalen Einrichtungen sind weitere gesellschaftliche Konfliktfelder die es zu bearbeiten gilt. Eine KP geführte Stadtregierung bedeutet, dass soziale Kämpfe um das Leben der Stadt und in ihren Betrieben bessere Voraussetzungen vorfinden. Dies gilt es, nicht eng zu denken. Das Grazer Autowerk Magna ist ständig den Schwankungen des Weltmarktes ausgesetzt und seine aktuell 13.000 ArbeiterInnen müssen extrem ausbeuterische Arbeitsbedingungen erdulden. Der GLB gemeinsam mit einem kommunistisch geführten Rathaus hat die Chance, die Anliegen der Arbeiterklasse in kommenden sozialen Konflikten vorwärtszubringen.
Auf Fragen nach dem Parteiprogramm der KPÖ, das die Enteignung von Konzernen und Großbetrieben beinhaltet, reagiert die Grazer Parteispitze nach den Wahlen nun, dies sei kein kommunales Thema, und keine „Monstranz die man vor sich hertragen würde“. Im Kontext wachsender sozialer und politischer Polarisierung kann eine mechanische Trennung zwischen einem langfristigen „Maximalprogramm“ des Sozialismus und den konkreten Aufgaben zur Verbesserung des Lebensstandards eine kommunistische Regierung schwächen. Um diesen etwas leichtfertigen Umgang Kahrs mit den Traditionen der Arbeiterbewegung zu untermauern: Auf die Frage von OE24, wie sie zu Lenin stehe, antwortete sie, Lenin sei ein „netter Kater im Parteibüro “ (OE24, 28.9.2021, S. 4), und auf die antikommunistische Propaganda der „Millionen Tote“ sagt sie, dass das „kein Thema sei, das normale Menschen interessieren würde.“ (ZIB2, 27.9.2021)
Seit Menschengedenken gab es keine so breite Debatte über den „Kommunismus“ aber kommunistische AktivistInnen würden sich eine klare Antwort erhoffen, etwa: „Ja die Kommunistische Partei steht tatsächlich für die Enteignung des Großkapitals und kämpft für eine gesellschaftliche Mehrheit für diese Forderung, um dies zum Wohle von ArbeiterInnen, ihrer Familien und der Umwelt durchsetzen.“
Ein solcher politischer Ansatz würde die politische Situation in Österreich elektrisieren. Der politische Raum den die Sozialdemokratie offenlässt wird immer größer und schreit danach, gefüllt zu werden. Die Steirische KP hat die politische Aufmerksamkeit und Autorität, eine kommunistische Bundeskandidatur anzuführen. Ohne weiteren Entwicklungen vorzugreifen: Angesichts der gegenwärtigen Lage der Sozialdemokratie und insbesondere die ständig wiederholten Kapitulationen und Fehler ihrer Linken, wäre eine ernsthafte Arbeiterklasse-Kandidatur links der Sozialdemokratie ein Schritt vorwärts. Er würde die Arbeiterbewegung wiederbeleben, da die Dominanz der rechten und bürgerlichen Führer der großen Arbeiterorganisationen offen herausgefordert werden würde.
Der wachsende Unmut und Zorn in der Gesellschaft werden weitere Ausdrücke finden. Ereignisse, Ereignisse, Ereignisse werden das Bewusstsein der Massen formen, Ideen und Führungen werden abgetestet werden, Organisationen entstehen und niedergehen. In diesem Prozess wird sich die Arbeiterklasse eine Führung schmieden, die bereit ist, bis zum Ende zu gehen. Der Erdrutschsieg der KP Graz ist ein Element in diesem Prozess. Mögen die Herrschenden zittern und das Kriegsgeheul gegen den Kommunismus anstimmen. Die Periode der Ruhe und des sozialen Friedens kommt zum Ende.
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