Die Wahlen im vergangenen Frühling haben die Situation in Frankreich weiter zugespitzt: Einerseits fordern die KapitalistInnen die dringend benötigten Reformen. Auf der anderen Seite zeigt sich erneut der Unmut der Lohnabhängigen – in den Umfragen und auf der Strasse.

Unmittelbar nach seinen Wahlsiegen im Mai und Juni hat Emmanuel Macron begonnen, die ArbeiterInnenklasse im Auftrag der französischen Bourgeoisie zu attackieren. Sein erstes Reformpaket hat zum Ziel, jene Massnahmen einzuführen, welche beim letzten Arbeitsgesetz 2016 nicht durchgedrückt werden konnten. Es geht darum, die Entlassungen weiter zu vereinfachen sowie die Gewerkschaftsrechte der Arbeitnehmenden einzuschränken. Dabei handelt es sich um eine wirtschaftliche Dringlichkeit für den französischen Kapitalismus, dessen Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren unter dem EU-Durchschnitt lag (Coe-Rexecode). Um diesen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich wieder wettzumachen, muss die französische ArbeiterInnenklasse noch gründlicher ausgepresst werden.

Zustimmungswerte im Sinkflug
Doch solche Frontalangriffe bleiben nicht unbeantwortet, insbesondere in Frankreich nicht. Die französische ArbeiterInnenbewegung hat eine kämpferische Tradition und hat auch in den letzten Jahren mit den grossen Massenbewegungen 2010 und 2016 konkrete Erfahrungen gemacht. Folglich lagen die Zustimmungswerte von Macron – dem selbsternannten „Jupiter-Präsidenten“ – bereits 3 Monate nach seiner Wahl bei nur 38%. Dabei ist sein Fall noch schneller als beim verhassten Vorgänger Hollande, der bei seinem Abtritt noch bei 4% lag. Der Widerstand verlagert sich – wie gegen die Loi Travail 2016 – zunehmend auf die Strasse.

Vorläufiger Höhepunkt war die 150’000 Menschen grosse Demonstration von Mélenchons France Insoumise (FI) in Paris Ende September. Die Verknüpfung von parlamentarischer Politik und Strassenmobilisation gab der Demo einen sehr politischen Charakter, der sich gegen Macrons Programm als Ganzes und damit gegen die Bourgeoisie richtet. Somit hat sich die FI nun definitiv als einzige linke Opposition zu Macron in Frankreich etabliert.

Was machen die Gewerkschaften und die Bürgerlichen?
Gewisse Gewerkschaftsführungen (CFDT und FO) kapitulieren vor Macron und verraten so offen die ArbeiterInnenklasse. Doch auch die sonst kämpferischere CGT hat aus dem kläglichen Scheitern von 2016 nichts gelernt und ruft weiterhin nur zu isolierten „Aktionstagen“ auf. Die CGT kritisiert nur “einzelne Massnahmen” der Reform. Dies lässt die Kraft der grossen Demos verpuffen und ringt Macron und den KapitalistInnen höchstens ein paar zynische Bemerkungen (Macron: „Faulpelze und Extremisten“) ab.

Es ist schwierig abzusehen, in welche Richtung sich dieser intensive, aber aufgrund des Versagens der Gewerkschaften wieder mehrheitlich unter der Oberfläche schwelende Klassenkampf entwickeln wird. Auf parlamentarischer Ebene sind auch vorgezogene Neuwahlen nicht ausgeschlossen. Darauf bereitet sich das bürgerliche Lager aktuell vor: Eine noch härtere Gangart der Bourgeoisie – das heisst eine Allianz der traditionellen Parteien gemeinsam mit dem rechtsextremen FN – wird mit Macrons abstürzenden Umfragewerten wahrscheinlicher. Auch die PS steht vor folgenreichen Entscheidungen, schlicht zu gross sind die Spannungen zwischen dem Macron-affinen rechten und dem bisher sehr stillen linken Flügel. Sie alle – von links bis rechts – werden sowohl von den Grossmobilisierungen auf der Strasse als auch von der Schwäche des französischen Kapitalismus unter Druck gesetzt. In einer solchen Situation richten sich die Augen der französischen Lohnabhängigen, Jugendlichen und Prekären auf die Gewerkschaften und die FI. Einzig ein verlängerbarer Generalstreik kann die herrschende Klasse zurückdrängen.

Macron löst gar nichts!
Die europäische Bourgeoisie schien sich nach dem Brexit-Erdbeben und dem Ende der Massenbewegungen gegen das Arbeitsgesetz in Frankreich einigermassen stabilisiert zu haben. Doch die Wahlen in Deutschland und Österreich haben gezeigt, dass die heftige Polarisierung der Gesellschaft weiter voll im Gang ist. Der scheinbar unausweichliche Erfolg der 5-Sterne Bewegung bei den italienischen Wahlen 2018 wird dies noch einmal bekräftigen. Hinzu kommt das Pulverfass Katalonien. Dabei kann die Situation in Frankreich ein Faktor sein, an dem die aktuelle Periode von schwächlicher Stabilisierung wieder abrupt zerbricht. Die Wahl Macrons hat eine turbulente Phase abgeschlossen, doch er wird rein gar nichts lösen können. Sogar – oder erst recht – der Jupiter-Präsident kann die grossen Widersprüche der französischen Gesellschaft nicht überwinden: Die Unverträglichkeit zwischen den Interessen der KapitalistInnen und jenen der ArbeiterInnenklasse. Nur der politische Kampf der Massen kann das Kräfteverhältnis zugunsten der Lohnabhängigen ausfallen lassen.

Dersu Heri
JUSO Genf