Bild: Protest against the Projet de loi El Khomri in Belfort (9 March 2016), by Thomas Bresson
Das ,,Loi El Khomri“ bedeutet einen sozialen Rückschritt in die 1930er Jahre. Zentrale Rechte wie Kündigungsschutz, Arbeitsmedizin etc. werden aufgeweicht, vor allem aber sollen Arbeitszeiten in Zukunft auf Betriebsebene geregelt und gleichzeitig die Rechte der Gewerkschaften dort beschnitten werden. Die Ausweitung der Arbeitszeit ist das zentrale Ziel des Gesetzes. Die Gewerkschaften, mit Ausnahme der sozialistischen CFDT, kämpfen seit Monaten gegen diesen Angriff der Regierung. Dabei vereint sich der Protest mit der Jugendbewegung „nuit debout“ und zahlreichen Betriebskonflikten. In Frankreich herrscht eine explosive Stimmung mit täglichen Streiks, Demonstrationen und Platzbesetzungen. Längst geht es nicht nur um dieses spezifische Gesetz, sondern um den Zorn gegen die allgemeine Situation und andererseits um das Überleben einer immer autoritärer agierenden Regierung. Frankreich ist hoch polarisiert, allerdings nicht wie in Österreich oder Grossbritannien zwischen zwei bürgerlichen Optionen, sondern zwischen Kapital und Arbeit. Die Mehrheit der FranzosInnen steht dabei auf der Seite der ArbeiterInnenbewegung und gegen die Regierung. Dass die Regierungs-Sozialdemokratie dabei sklavisch das Diktat der „Märkte“, also des Profites des französischen Kapitals, vertritt, liegt dabei im Rahmen der europäischen Norm.
Propaganda und Gewalt
Die parlamentarische Demokratie wurde im Mai durch einen Geschäftsordnungstrick umgangen. Damit passierte das Gesetz die Erste Kammer, ohne die Spaltung der sozialdemokratischen Fraktion offen zu provozieren. Gleichzeitig wird die Streikbewegung provokant diskreditiert. Alle grossen Medienkonzerne haben sich vom letzten Schein von Objektivität endgültig verabschiedet. Sie hetzen vor allem gegen die kämpferische Gewerkschaft CGT – „eine Minderheit radikalisierter Streikender“, die die Bevölkerung „in Geiselhaft nimmt“. Die radikalsten Teile der bürgerlichen Propagandamaschine beschimpfen sie als TerroristInnen und VerbrecherInnen. Sie vergleichen die StreikaktivistInnen gar mit dem Islamischen Staat. Besonders provokant agiert dabei der zum rechten Parteiflügel zählende Premierminister Manuel Valls, der extrem übergriffig und provozierend gegenüber den Streikenden und ihren Organisationen auftritt. Immer rücksichtsloser prügelt die französische Polizei nicht nur auf demonstrierende Erwachsene, sondern auch auf minderjährige SchülerInnen ein. Am vorletzten Aktionstag, dem 14. Juni, an dem über eine Million Menschen auf die Strassen gingen, eskalierte die Polizeigewalt bisher am brutalsten. Ein solidarischer Juso aus der Schweiz wurde mutmasslich durch ein Polizeigeschoss lebensgefährlich verletzt. Bereits im Vorfeld verhängte die Präfektur Paris präventiv über 130 AktivistInnen den Hausarrest. Ausnahmezustand samt behördlichen Sonderrechten dient nicht primär der Abwehr des Terrors, sondern der Unterdrückung sozialer Proteste. Alle Illusionen über die bürgerliche Demokratie und den „Rechtsstaat“ werden schonungslos in der Praxis widerlegt.
Die politische Opposition
Die rechtsextreme Front National (FN) griff noch am Beginn der Proteste die Regierung an, die sich „den Diktaten von Brüssel unterworfen hat“ (was formell stimmt), und verfolgte sodann schnell eine Taktik des Schweigens. Seit der Radikalisierung des Widerstandes fordert sie nun ein Verbot aller Demonstrationen und will, dass die Regierung „das Chaos“ mit noch mehr Gewalt beendet. Die sozial-demagogische Maske ist gefallen. Die „Arbeiterpartei“ von Marine Le Pen entpuppt sich als Interessensvertreterin des Kapitals, die nach „Ruhe“ und „Ordnung“ schreit.
Auch von linker Seite konnte sich die Protestbewegung noch keine konsequente Unterstützung erwarten: Die Linkspartei (PG) und die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) übten sich bis dato nur in Phrasendrescherei. Taten liessen sie noch nicht folgen. In Worten greifen sie die Regierungspolitik an. In der Praxis sind sie jedoch noch nicht bereit, mit der Sozialistischen Partei (PS) endgültig zu brechen. So verzichteten sie etwa darauf, einen Misstrauensantrag gegen die Regierung zu stellen, die einzige formelle Möglichkeit das „Loi El Khomri“ noch ins Parlament zu bringen. In der PCF dominieren noch immer Strömungen, die das Prinzip einer Allianz mit der PS verteidigen. Die politische Linke verabsäumt es völlig, sich auf Basis des Massenkampfes von Regierung und Staatsapparat zu lösen und eine vorwärtstreibende Rolle im Kampf einzunehmen. Damit garantiert sie der Front National einen massiven Aufstieg bei den kommenden Wahlen.
Protestdynamik
Die aktuellen sozialen Proteste zeigen vor allem auch eines – eine beeindruckend hohe Eigeninitiative und Selbsttätigkeit der Massen. Seit März wird unermüdlich demonstriert, blockiert, gestreikt. Die Belegschaften organisieren sich in Betriebsversammlungen und Streikkomitees. Dort werden der Verlauf des Streikes und weitere Aktionen geplant und die Verantwortlichen gewählt. Man tritt unübersehbar und unüberhörbar im öffentlichen Raum auf – brennende Autoreifen, Nebelkerzen und Böller – all das gehört zu jeder Streikbewegung in Frankreich dazu. Zur Abwehr der brutalen Polizeigewalt bilden streikende ArbeiterInnen Schutzgruppen. Diese sind mit Schutzausrüstung, Schlagstöcken und Schaufeln teilweise imstande, die Demonstrationen und Streikposten zu verteidigen. Die Intelligenz und Kreativität der Klasse zeigten sich dabei etwa im französischen Elektrizitätsunternehmen EDF. Die KollegInnen kappten den Strom für die Wochenendvilla von Pierre Gattaz, dem Präsidenten der grössten französischen Unternehmervereinigung MEDEF, während sie gleichzeitig mehr als eine Million Haushalte mit billigerem Strom versorgten. Das war die richtige Antwort darauf, dass er in seinem unbändigen Hass auf die Arbeiterklasse die sozialen Proteste mit einer „stalinistischen Diktatur“ gleichsetzte. Mit solchen Aktionen können sich die streikenden ArbeiterInnen der Sympathie vieler sicher sein.
Doch diese Dynamik muss genutzt werden. Sonst tritt eine Ermüdung ein und die Bewegung stirbt ab. Ohne die komplette Lahmlegung der Wirtschaft Frankreichs durch den Generalstreik, wird man die Regierung nicht von ihrem Vorhaben abbringen können. Die vereinzelten Aktionstage, zu der die Gewerkschaft CGT aufruft, haben zunehmend den Charakter der vorsätzlichen Ermüdung der Streikenden, denn das Signal zum grossen Ausstand bleibt aus. „Drei Tage landesweiter Generalstreik und die Gesetze wären weg“, bringt eine Eisenbahnerin in Nancy die Situation auf den Punkt.
Stattdessen traf sich CGT-Vorsitzender Philippe Martinez nach der Millionen-Demo vom 14. Juni mit der Ministerin Myriam El Khomri zum Gespräch, obwohl die Regierung keinerlei Einlenken signalisierte. El Khomri glaubte, in diesem Gespräch ein gewisses Verständnis für die Regierungsposition herausgehört zu haben. Dementsprechend gestärkt wagte es die Pariser Präfektur, die Demonstration am letzten Aktionstag vom 23. Juni zu untersagen. Dies ist das erste Mal seit 1962, dass der Staat so offensiv die Arbeiterbewegung illegalisiert. Schlussendlich wurde die Demonstration in einem von der Polizei hermetisch abgeriegelten Kreisverkehr zugelassen. Die TeilnehmerInnenzahl an dieser Farce fiel im Vergleich zum 14. Juni um 90%. Genüsslich berichteten die Behörden, dass dieser „Kompromissvorschlag“ von der Gewerkschaftsführung selbst vorgeschlagen worden war. Durch das politische Zögern der Gewerkschaftsführung, die Wut und die Initiative der Klasse zu einem umfassenden Kampf gegen die Regierung und Austeritätspolitik zu bündeln, droht sich der wunderbare französische Frühling von 2016 in eine Niederlage zu verwandeln.
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