Wie Kometen nach Eintritt in die Erdatmosphäre sind die Regierungskandidaten bei der Bundespräsidentschaftswahl aschefrei verglüht. Dabei waren sie Schwergewichte ihrer Lager.
Rudi Hundstorfer ist ein in Jahrzehnten geeichter Gewerkschafter, überzeugter Sozialpartner und verkörpert den sozialen und politischen Aufstieg der Arbeiterklasse in der Nachkriegszeit wie kein anderer. Doch die Welt vor den gepolsterten Tapetentüren der Sozialpartnerschaft und der Grossen Koalition hat sich gewandelt. Hundstorfers Message wirkte für die meisten wie eine Botschaft aus dem Jenseits. Lohnarbeit, die man als erfüllend empfindet und sicher hat, ist heute rar. Unsicherheit jeder Art umspült uns, und das Limit der Zumutbarkeit sinkt beständig: an den Arbeitsplätzen, in den sozialen Absicherungssystemen, am Wohnungsmarkt, im Bildungssystem etc. Depressionen und Ängste nehmen rapide zu und sind heute Ursache Nummer 1 für Krankenstände. Was Hundstorfer vorgelebt hat, den sozialen Aufstieg aus der Arbeiterklasse heraus, ist heute schon wieder Geschichte. Die heutige junge Generation hat (selbst bei bester Ausbildung) niedrige Löhne, kann nichts mehr ansparen (selbst dann, wenn sie mega-fleissig ist), ist ständiger Unsicherheit ausgesetzt. Kurz: Es ist eine Generation, die schlechtere Voraussetzungen als die vorangegangenen Generationen vorfindet.
Im Windschatten dessen und der Krise von SPÖ und ÖVP schaffte es die FPÖ, 35 % der Stimmen – eineinhalbmal mehr als die Regierungskandidaten zusammen – zu erreichen. Das ist mehrfach bemerkenswert. Norbert Hofer ist ein Burschenschaftler, der über den ganzen Wahlkampf hinweg stramm an den Ideen des deutschnationalen dritten Lagers festgehalten hat. Seine unklare Haltung zur österreichischen Nation und zum Charakter des 8. Mai 1945 (auf die Frage, ob die Kapitulation des Nazi-Regimes ein Tag der Freude oder Trauer sei, gab er keine Antwort) taten seinem wachsenden Zuspruch keinen Abbruch. Regierungsparteien und Medienkonzerne argumentieren Spardruck und Arbeitsmarktkrise mit „Flüchtlingskrise“. Die einen fallen auf diese falsche Argumentation herein, die anderen nicht. Alle jedoch wenden sich angeekelt von den traditionellen Parteien der ArbeiterInnen und des Bürgertums ab.
Die Meinungsforschung unterstreicht diesen Befund. 52% finden, dass sich die Situation in Österreich zum Negativen gewendet hat, 68% sind mit der Regierung unzufrieden und 75% geben an, kein Vertrauen in die politischen Parteien zu haben. Dies ist das Ergebnis der Krisenbewältigungspolitik im Sinne des Kapitals. „Der Arbeiterklasse nehmen, den Banken geben“ – an dieser sklavisch umgesetzten Forderung sind schon andere traditionelle Parteien in Europa zerschellt. Und die FPÖ kann mangels Alternative am stärksten von dieser Stimmung profitieren.
Die SPÖ zerschellt am Gewicht des eigenen Apparates, der verzweifelt an Regierungsgeschäften, Sozialpartnerschaft, also am eigenen Dasein als Mitesser und Musterschüler der Kapitalistenklasse festhält. Wie ein Mühlstein am Hals wirkt der Umstand, dass die Sozialdemokratie in der Asylfrage in der Mitte gespalten ist. Ein Teil der Partei drängt darauf, Menschenrechte und Demokratie über Bord zu werfen, ein anderer steht hier klar dagegen. Wer seine Meinung zum Thema Nummer 1 festmachen wollte, tat dies bei Hofer oder Van der Bellen. Die Mobilisierungsfähigkeit der Gewerkschaft erwies sich als nicht vorhanden, da sie mit Hundstorfer für die Fortführung des Jetzigen warb. Auch eine Mehrheit der ÖGB-Mitglieder und 72% der ArbeiterInnen votierten für Hofer. Eine interessante Beobachtung dabei: Fast doppelt so viele SPÖ-WählerInnen (303.000) blieben lieber zu Hause, als dass sie Hofer (169.000) wählten. 402.000 SPÖ-WählerInnen wählten auch diesmal Hundstorfer, 202.000 Van der Bellen (im Vergleich zur NR-Wahl 2013). Die These von Doskozil und der SPÖ Burgenland, dass man die bessere FPÖ sein müsse, um diese zu stoppen, ist empirisch schlicht widerlegt.
Faymann verlautbart, dass er „eine sehr breite und starke Unterstützung spüre“. Diese kommt allerdings nur aus den Vorstandsetagen der Konzerne und der Kapitalinstitutionen wie der EU. Das eine Prozent der Reichen und Krisengewinner will die FPÖ als Rammbock gegen die Arbeiterklasse, nicht als Dirigentin des Kapitalisten-Orchesters – zumindest noch nicht. Ein klares Bekenntnis zur Sozialabbauagentur EU muss der FPÖ vorher noch abgerungen werden. Ausserdem ist das bürgerliche Lager momentan extrem gespalten und instabil, wie das Match Khol vs. Griess zeigte. Auf dieser Grundlage gibt auch die Industriellenvereinigung der Regierung eine allerletzte Chance auf einen Neustart – die KapitalistInnen in Europa und Österreich brauchen noch etwas Zeit, bis der Bürgerblock solide ist und rangelassen wird.
Eine Rettung der in der realexistierenden Sozialdemokratie noch lebendigen positiven Traditionen der Arbeiterbewegung ist nur in mutiger Konfrontation mit der Parteispitze möglich. Es gilt, vor allem Faymann und seine Riege inhaltlich und personell, mutig und ohne Angst vor der Rache des Apparates herauszufordern. Wer selbst jetzt zögert, nachdem die SPÖ-Spitze mittels Notstandsgesetz regieren möchte, ist Teil des Problems geworden.
Van der Bellen bezog als einziger Kandidat vorsichtig Position gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft, indem er Andeutungen machte, eine FPÖ-Regierung nicht ohne Weiteres anzugeloben: Er erreichte in etwa so viele Stimmen wie die Kandidaten von ÖVP und SPÖ zusammen. Dies wird sich im zweiten Wahlgang noch verstärken – viele werden in einer Stimme für Van der Bellen die einzige Möglichkeit sehen, Hofer und die FPÖ zu verhindern. Doch Van der Bellen, ein neoliberaler Professor, wird im weiteren Wahlkampf weiter in die Position des staatstragenden Stillstandverwalters im Sinne des Kapitals gerückt werden. Ein Wahlsieg Van der Bellens gegen Hofer wird nichts Grundlegendes lösen: Die Sparpolitik und Bankenrettungen werden weitergehen, die Regierung wird weiterhin rassistische Gesetze beschliessen, die FPÖ dadurch nur weiter gestärkt. Diese Perspektive darf nicht aus den Augen verloren werden. Die reaktionäre Wende in Österreich wird nicht zu stoppen sein, indem man das Bestehende verteidigt, sondern nur, indem man mutig gegen die Zumutungen der Reichen und ihrer politischen Kaste kämpft.
Hofer und die FPÖ sind letztendlich nur zu besiegen, wenn der Nährboden für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aktiv bekämpft wird. Gegen jede Verschlechterung am Arbeitsplatz, an der Schule und an der Uni sowie in der gesamten Gesellschaft muss aktiver Widerstand organisiert werden. Die FPÖ nährt sich von der Perspektivenlosigkeit, die die Bundesregierung mit ihrer Politik zusätzlich verstärkt. Die einzige Alternative ist, klar Stellung zu beziehen: Nein zu jedem Notstand! Aktiver Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft! Nein zu jeder Sparpolitik!
Eine sozialistische Alternative ist längst überfällig: Wir kämpfen für sie innerhalb der Organisationen der Arbeiterbewegung, auf der Strasse und in den Betrieben!
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