Der Verteidigungsminister des ehemaligen US-Präsidenten Eisenhower hat einmal erklärt: «Was gut ist für General Motors, war gut für das Land, und umgekehrt.» Das gleiche kann man heute auf die deutsche Autoindustrie anwenden: Hustet diese, hat gleich die ganze deutsche Wirtschaft die Grippe. Und das ist ansteckend, denn sie ist die viertgrösste Volkswirtschaft der Welt. Und der wichtigste Handelspartner der Schweiz (18% der Exporte).

Die deutsche Wirtschaft verkraftete die weltweite Krise von 2008 relativ gut. Seither befindet sie sich in einem erneuten Aufschwung, sogar dem längsten seit 1966. Doch auch dieser nähert sich nun seinem Ende. In der Automobilindustrie sieht man dafür die schärfsten Anzeichen.

Die deutsche Autoindustrie beschäftigt direkt 820’000 Angestellte. Zusammen mit Ersatzteilen und Zulieferern macht sie 21% des BIP aus. Doch dieses Standbein der wirtschaftlichen Macht Deutschlands schwächelt. Die Gesamtzahl der produzierten Neuwagen brach alleine im Januar um 19% ein. Be-reits 2018 gingen die Autoexporte um 2.3% zurück, der stärkste Rückgang seit 2009.

Am gravierendsten ist der Rückgang der Neuwagenverkäufe in China. Bereits den dritten Monat in Folge gehen dort die Verkäufe um jeweils über 15% zurück (im Vergleich zu den Vorjahresmonaten). Der chinesische Markt war die grosse Hoffnung der deutschen Autobauer. BMW verkaufte über ein Viertel seiner Neuwagen im Reich der Mitte. Dieser Rückgang spiegelt die zunehmenden Widersprüche in der chinesischen Gesellschaft (siehe Artikel dazu).

Aus diesen Zahlen kann man schliessen, dass sich dieser Sektor also bereits in einer Rezession befindet. Dazu kommt – teilweise als Auslöser der Krise – das krasse Versagen der Industriekapitäne. Der Diesel-Abgasskandal ist nur ein Beispiel davon. Er kostete VW 28 Milliarden € (mehr als der gesamte Börsenwert der Deutschen Bank!).

So unausweichlich wie der Ausbruch der nächsten Krise ist nur der Umstand, dass im Kapitalismus schlussendlich immer die Lohnabhängigen die Zeche bezahlen. VW entlässt 7000 Angestellte, Opel 3700.

Die deutsche Gesamtwirtschaft kränkelt bereits seit einigen Monaten. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte im dritten Quartal 2018 und im vierten stagnierte sie. Das zählt nur technisch nicht als Rezession. Seit Juni letzten Jahres sind die Bestellungseingänge der Industriebetriebe rückläufig. In dieser fragilen Situation begann ein Jahr, welches noch einige mögliche Schocks auf Lager hat: den Brexit, Strafzölle der USA auf (deutsche) Autoimporte etc.

Für die Schweiz ist dies beunruhigend. Über 50% der Exporte gehen in die EU, 18% direkt nach Deutschland. Einige Schweizer Unternehmen mussten bereits wieder zu Kurzarbeit greifen. Der Abschwung in Deutschland wird unweigerlich auf die Schweiz überschwappen.

Der offene Ausbruch der Krise in Deutschland ist nur noch eine Frage der Zeit. Doch die grossen Widersprüche sind nicht neu. Verschiedene Probleme haben sich über Jahre aufgestaut. Heute ist die Schere zwischen Arm und Reich so gross wie letztmals vor dem Ersten Weltkrieg! Von 44 Millionen Vollzeitbeschäftigten haben 21.7 Millionen «atypische» (das heisst mehrheitlich prekäre) Arbeitsverhältnisse. 44% aller Neueinstellungen sind zeitlich befristet. Das Prädikat Exportweltmeister wurde auf dem Rücken einer intensiv ausgebeuteten Arbeiterklasse erobert.

Bedeutend ist aber noch eine andere Beobachtung. Viele Voraussetzungen für den aktuellen Boom haben heute ihre Wirkung umgekehrt und sind Quellen der Instabilität. Zuerst die Einführung des Euros. Die gemeinsame Währung verstärkte Deutschlands Vormachtstellung in der EU und half dem Export. Jüngst orientierte sich der Export verstärkt auf den chinesischen Markt. Beides verhalf der Exportwirtschaft zu enormem Auftrieb. Doch der Euroraum befindet sich in einer tiefen Krise. China kühlt sich ebenfalls ab. Der oben angesprochene riesige Tieflohnsektor, welcher durch die Agenda 2010 geschaffen wurde, war ebenfalls eine weitere Voraussetzung. Nur die Senkung der Lohnkosten erlaubte den Exportboom. Heute bilden die sozialen Bedingungen dieser Menschen die Basis für eine politische Polarisierung und Destabilisierung. So schnell verwandeln sich die Dinge in ihr Gegenteil.

Dass die Koalitionsbildung letztes Jahr sechs Monate gedauert hat, die Kanzlerin noch im Amt von der Parteiführung zurückgetreten ist, all das sind Anzeichen einer sich anbahnenden Regimekrise. Auch der Aufstieg der AfD ist Ausdruck davon. Innerhalb der Krise steigt die Notwendigkeit für die Bourgeoisie, die Arbeiterklasse mit weiteren Konterreformen härter anzugreifen. Dies wird die marode Regierungskoalition weiter unter Druck setzen. Schlussendlich ist es diese Krisenhaftigkeit des Kapitalismus welche in wenigen Jahren das Bollwerk der Stabilität in Europa zum nächsten Krisenherd gemacht hat.

Die Krise tritt in der Schweiz noch nicht offen auf. Nur wenige Vorzeichen lassen sich am Horizont erkennen. Doch die Krisenhaftigkeit ist eine Gesetzmässigkeit des Kapitalismus und dieses System ist weltweit vernetzt. Eher früher als später wird sich die Krise auch in der Schweiz offen erkennbar machen. Zum nördlichen Nachbarn gibt es einige Parallelen: Auch hier konnte eine tiefe Krise mit einem Exportboom noch einmal abgewendet werden. Die Schweizer Wirtschaft ist sogar noch abhängiger vom Export als die Deutsche. Und auch hier baut die politische auf der wirtschaftlichen Stabilität. Unter der Oberfläche spielen sich ebenfalls wichtige Prozesse ab. Der Husten Deutschlands wird beim nächsten Krisenausbruch in der Schweiz eine entscheidende Rolle spielen.

Die Redaktion

Inhalt
Der Funke, Ausgabe 79, März/ April 2019

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