Seit dem 22. März sind die Lohnabhängigen und Studierenden in Frankreich erneut in Bewegung. Seither haben die Bahnangestellten an acht Tagen (Stand 20. April) gestreikt. Sie kämpfen gegen die Privatisierung des staatlichen Eisenbahnunternehmens, der SNCF. Ihr Widerstand bleibt in der sehr angespannten politischen Lage Frankreichs nicht ohne Wirkung: Inzwischen sind landesweit weitere Wirtschaftssektoren in den Kampf getreten, unter anderem die Angestellten der Air France (sie haben vier Tage gestreikt), der Post und der Spitäler. Auch die Studierenden sind Teil des Widerstands. Sinnbildlich für diese «Convergence des luttes» («Zusammenführen verschiedener Kämpfe») steht der Einmarsch der PostbeamtInnen vom 12. April an der Uni von Paris Nanterre, einem der Epizentren der StudentInnenbewegung von Mai 68.
Währenddem die Basis protestiert, spielen die Führungen der Gewerkschaften dem Präsidenten Emmanuel Macron in die Hände. Für den Kampf der Bahnangestellten entschieden sich die Gewerkschaftsoberen beispielsweise für einen sogenannten perlenden Streik, der aus 36 Streiktagen in drei Monaten besteht. Bei dieser Strategie ist vorprogrammiert, dass den Streikenden der Atem ausgehen wird. Auch die Gewerkschaftsleitungen der weiteren erwähnten Sektoren führen alle ihren eigenen Widerstand. So wird die Kraft der Bewegung zerstückelt und gehemmt. Zudem schüren die Gewerkschaften weiterhin Illusionen in Verhandlungen mit der Kampfregierung. Auf diese Weise verhindern sie, die Machtfrage tatsächlich zu stellen.
Diese Stellvertreterpolitik ist in den Gewerkschaftsführungen tief verankert. Das letzte Mal, als Frankreich von einem Generalstreik lahmgelegt wurde, war 1968. Obwohl die
Gewerkschaften seinerzeit den Streik vom 13. Mai auf 24 Stunden limitiert hatten, entwickelte sich daraus eine landesweite Generalstreikbewegung. Innerhalb von sieben Tagen streikten bereits zehn Millionen Menschen! Der Streik breitete sich damit auf ausserhalb des gewerkschaftlichen Kontrollbereichs aus. Die Gewerkschaften verhinderten bereits damals die Vereinigung der an der Streikwelle beteiligten Menschen. Nur der historische Deal der Kommunistischen Partei Frankreichs und der grössten Gewerkschaft CGT mit der herrschenden Klasse hatte den Sturz der De Gaulle-Regierung verhindern können.
Sie sehen nicht, dass nur ein Sturz der Regierung Macrons den Liberalisierungsmarathon stoppen kann.
Geprägt von dieser Erfahrung, weigern sich die Gewerkschaftsspitzen seither beharrlich, das Wort «Generalstreik» in den Mund zu nehmen. Zu gross ist die Gefahr, die Kontrolle über die ArbeiterInnen zu verlieren. Sie sehen nicht, dass nur ein Sturz der Regierung Macrons den Liberalisierungsmarathon stoppen kann.
Auch die Studierenden befinden sich momentan im Kampf gegen Macrons Regierung. Sie wehren sich gegen die Unireform, welche den Studienzugang erschweren soll. In über 30 Fakultäten finden regelmässig Vollversammlungen mit hunderten oder gar tausenden Studierenden statt; täglich kommen neue hinzu. Macron und seine Klassenalliierten versuchen die Studierendenbewegung mit einzelnen, aber brutalen Repressionen im Zaum zu halten. An verschiedenen Unis kam es gar zu faschistischen Übergriffen gegen StudentInnen, in Montpellier wurde ein solcher gar vom Dekan der Fakultät persönlich initiiert. Dass die mitunter gewalttätigsten Polizeiaktionen an den berühmten Pariser Unis – der Sorbonne und Nanterre – erfolgten, ist reine Ironie der Geschichte: Vor fast genau einem halben Jahrhundert begann da der revolutionäre Mai 68 aufgrund brutalster Repression.
Genau die Polizeirepression rief damals eine Solidaritätswelle hervor. Die Gewerkschaften antworteten am 13. Mai mit der historischen Demonstration in Paris, an der über eine Million Menschen teilnahm. Auch heute mobilisiert die Polizeigewalt tausende zusätzliche Lohnabhängige und Junge an die verschiedenen Vollversammlungen, Demos und Streiks. Die Repression unterstreicht, dass die Zusammenführung der Kämpfe nicht irgendein fernes Ideal darstellen darf, sondern eine dringende Notwendigkeit ist. Es ist unsere Aufgabe – die der MarxistInnen, ArbeiterInnen und kämpfenden Studierenden – die Gewerkschaften in diesen Kampf zu
treiben. Wie im Mai 68!
Die Redaktion
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