Mit der zweiten Runde der Parlamentswahlen am 17. Juni endete in Frankreich ein monatelanger Wahlkampf. Die französische Sozialdemokratie – die Sozialistische Partei/PS – hat nun alle formalen Machtmittel in der Hand, um ihre eigene Politik umzusetzen. Auf den Sieg des PS-Kandidaten François Hollande (siehe Foto) in der Präsidentenwahl folgte ein großer Sieg im Parlament.
Mit 305 von 577 Abgeordneten hat die PS die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Damit ist sie auf keinen Partner angewiesen. Eine linke Mehrheit besteht auch in der zweiten Kammer, dem Senat, sowie in fast allen Regionen Frankreichs – mit Ausnahme des Elsass und einiger Überseegebiete. Für Verfassungsänderungen wird sich die SP in beiden Kammern voraussichtlich auf die Grünen, die Linksfront und vielleicht auch einige Zentrumsabgeordnete stützen. Ein wichtiger Punkt hierbei dürfte ein kommunales Wahlrecht für Ausländer sein.
Mehr Stimmen, aber weniger Abgeordnete für die Linksfront
Das Preis für die politische Unabhängigkeit der Linksfront von der SP ist hoch. Mit 6,91% der Stimmen bei der Parlamentswahl hätte die von der Kommunistischen Partei PCF und der Linkspartei PG gebildete Linksfront etwa 40 Abgeordnete, wenn das Parlament nach den Regeln des Verhältniswahlrechts zusammengesetzt wäre. In die Nationalversammlung gewählt wurden aber nur direkt gewählte Kandidaten in den Wahlkreisen. So hat die Linksfront jetzt nur 11 Abgeordnete, also weniger als 2% der Parlamentssitze. Im Gegensatz dazu haben die Grünen mit 5,46% der Stimmen 17 Abgeordnete. Die Grünen arbeiten schon in der Regierung mit den Sozialisten zusammen und profitierten vom Wahlabkommen mit der PS, während in einigen Wahlkreisen kommunistische Kandidaten mit rund 30% den Kürzeren zogen, da PS-Kandidaten noch besser abschnitten. So verloren die Kommunisten Mandate in einigen historischen Wahlkreisen in der Normandie, im Grossraum Paris, in Lyon und Somme (Nordfrankreich). Nur in zwei Departements (Allier und Oise) haben kommunistische Kandidaten neue Sitze erobert. Jean-Luc Mélenchon, der als Kandidat der Linksfront (Front de Gauche) mit 11,1% im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl das beste Ergebnis eines von der PCF unterstützen Kandidaten seit 1981 errungen hatte, hat nicht geschafft, in das Parlament gewählt zu werden. Er kämpfte in Nordfrankreich, in Hénin-Beaumont, wo er gegen die Kandidatin der rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, antrat. In der Parlamentswahl konnte die Linksfront in diesem Wahlkreis 6000 Stimmen mehr als in der Präsidentenwahl. Das reichte aber nicht aus, weil der PS-Kandidat vorne lag. Es zeigt aber, dass die Linksfront das Potenzial hat, gegen den Rechtextremismus zu kämpfen. Marine Le Pen, die FN-Präsidentschaftskandidatin und Tochter des Parteigründers, schaffte es nicht, ins Parlament zu kommen. Aber ihre 22-jährige Nichte Marion Maréchal Le Pen und der auf Medienrecht spezialisierte Anwalt Gilbert Collard sind die beiden ersten FN-Parlamentsabgeordneten seit mehr als zehn Jahren. Sie wurden in Südfrankreich direkt gewählt. Mit einem Verhältniswahlrecht hätte die FN rund 78 Sitze in der Nationalversammlung. Positiv an der aktuellen Situation ist, dass die Kommunisten sich ganz klar gegen eine Regierungsbeteilung ausgesprochen haben, im Gegensatz zu 1997, als sie viele Privatisierungen und die Kriege gegen Serbien und Afghanistan unterstützen.
Reformisten mit geringem Spielraum für Reformen
Gleich zu Beginn hat die neue sozialiste Regierung einige symbolische Massnamen eingeleitet. So wurden die Gehälter der Minister – wie im Walkampf versprochen – um 30% gesenkt. Der offizielle Mindestlohn SMIC wurde um zwei Prozent erhöht. Das SP-Wahlprogramme verspricht 65.000 neue Arbeitsplätze in Schulen, Polizei und Justiz. Aber alle blicken gespannt darauf, wie die Regierung dies ohne massive Vernichtung von Arbeitsplätzen in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes schaffen wird. Die Regierung muss 10 Miliarden Euro auftreiben, um den Haushalt 2012 zu verabschieden. Es wird zwar öffentlich gesagt, dass die Reichen einen wichtigen Teil dieses Geldes auftreiben sollten, aber man spricht auch mehr über allgemeine Steuererhöhungen. Mehr Klarheit wird bei Beginn der neuen Legislaturperiode im Juli erwartet.
Entstehung eine Massenbewegung
Einige der wichtigsten Erfahrungen im Wahlkampf war das Interesse vieler Menschen an der Politik. Die öffentlichen Kundgebungen mit Mélenchon in Paris am Bastille-Platz, aber auch in Toulouse und in Marseille waren riesig. Mehr als 400.000 Exemplare des Programms der Linksfront wurden für zwei Euro verkauft. 6000 neue Mitglieder sind zur KP gestossen, viele anderen arbeiten in der Linksfront als Parteilose mit. Es wird nun diskutiert, ob die Linksfront zu einer Partei werden soll. Die Wahlen in Griechenland haben gezeigt, wie wichtig eine gute Organisation zur Mobilisierung der Menschen ist.
Nach den Wahlen wird sich der Blick wieder auf den Klassenkampf richten. Viele Medien fragen nun direkt, wie die Linksausterität funktionieren soll. Schon am 18. Juni traf der neue Industrieminister Arnaud Montebourg Gewerkschaftsvertreter von der Autofabrik PSA-Aulnay, wo 3300 Arbeiter schon 2014 ihren Job verlieren könnten. Solche Probleme existieren in vielen Betrieben und Branchen. So hat der Luftfahrtkonzern Air France angekündigt, in den nächsten beiden Jahren über 5000 Arbeitsplätze zu vernichten, um damit die Profitabilität zu erhöhen.
Frankreich geht langsam aber sicher den gleichen Weg wie Griechenland und Spanien. Die Folgen werden auch in Deutschland spürbar sein. Viele verstehen, dass wir sehr schnell von diesen verschiedenen Bewegungen lernen müssen. Wir müssen diese Bewegungen besser vernetzen. Unsere Erfahrungen in der Internationalen Marxistischen Strömung (IMT) sind dabei sehr hilfreich
Arbeiterbewegung — von Martin Kohler, Bern — 10. 10. 2024
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