In Grossbritannien haben die Eisenbahner des grössten Bahnunternehmens (Network Rail) als Mitglieder der stärksten Transport-Gewerkschaft (RMT) dank monatelanger Streiks einen viel besseren Tarifvertrag erkämpft. Doch weitere Angriffe werden kommen, der Kampf muss auf die Verstaatlichung der Bahnbetriebe hinauslaufen.
Der neue Tarifvertrag beinhaltet unter anderem eine Lohnerhöhung von 14,4 % für die untersten Gehaltsgruppen und von 9,2 % für höhere Gehaltsgruppen. Das ist ein grosser Erfolg! Network Rail hatte zu Beginn des Konflikts eine Erhöhung von 2 bis 3 % angeboten.
Entscheidend dabei: Die Einigung ist nicht länger an die Bedingung geknüpft, dass die Gewerkschaft «Modernisierungsvorschläge» akzeptieren muss. Diese sind nichts anderes als Paket von Kürzungen bei Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen, welche die Sicherheit der Fahrgäste, des Personals und die Zukunft der britischen Eisenbahnen selbst gefährden.
Dieser Sieg ist auch eine bedeutende Niederlage für die Tory-Regierung, die allen 15 Bahnunternehmen mit ihrer Forderung nach Kürzungen und Lohnzurückhaltung die Hände gebunden hat, während sie im gesamten öffentlichen Sektor auf Lohnabschlüsse unterhalb der Inflationsrate drängt.
Andere Streikende werden sich zweifellos die Schlagzeilen zum Erfolg ansehen und hoffen, dass sie das Gleiche oder mehr erreichen. Dies sollte die Zuversicht in der breiteren Bewegung stärken, den Druck auf die Bosse und die Torie-Partei zu verstärken. Dieser Sieg wurde vor allem dank der Entschlossenheit und des Mutes Tausender Arbeiter erreicht.
Der Arbeitskampf enthält daher eine Reihe positiver Lehren für die breitere Bewegung:
Eine Strategie des koordinierten Handelns – bei den Eisenbahnen und mit anderen Gewerkschaften. Mutige Kampagnen, von der Gewerkschaftsführung und über ein Netz an Delegierten geleitet, um die Reihen gegen frühere Tarifangebote zu vereinen. Und die kämpferische, klassenbezogene Sprache des RMT-Generalsekretärs Mick Lynch. All das war der Schlüssel zum Erfolg in diesem Kampf.
Dennoch gibt es noch offene Fragen. Die Lohnerhöhung wird die Belastung der Inflation teilweise abmildern. Wie Lynch aber betonte, wird die Lohnerhöhung über zwei Jahre verteilt und sie liegt für die höheren Gehaltsgruppen immer noch unter der Inflationsrate. Es ist sicherlich richtig, wie einige Mitglieder betont haben, dass die Umsetzung der «Modernisierungsvorschläge» ins Stocken geraten ist. Aber diese Angriffe drohen weiterhin. Die RMT-Führung will die Pläne nun auf dem Rechtsweg anfechten. Doch die Gerichte und Regulierungsbehörden sind nicht neutral, sondern an die Regierung und somit an Network Rail gebunden.
Stattdessen müssen wir uns auf unsere eigene Stärke verlassen. Unsere grösste Waffe ist unsere Einheit im Kampf. Welches Urteil die Gerichte und Aufsichtsbehörden fällen werden, hängt letztlich von der Kraft unserer Bewegung ab. Durch Streiks, nicht durch juristische Mittel oder Appelle an Aufsichtsbehörden, werden wir die Bosse aufhalten.
Zugleich darf der Kampf gegen die «Modernisierungsvorschläge» nicht von anderen Konflikten isoliert werden. Im Gegenteil, unser Kampf muss mit dem der anderen Eisenbahner und Streikenden vernetzt werden.
Kurzum, dieser Kampf ist noch nicht vorbei. Die Arbeiter müssen wachsam bleiben gegenüber jedem Versuch der Network-Rail-Bosse, ihre Kürzungen schrittweise durch die Hintertür einzuführen – wie sie es bereits getan haben. Die nächste Zeit muss daher genutzt werden, um sich neu zu formieren und die Reihen der RMT auf einen zähneknirschenden Arbeitskampf vorzubereiten. Nur so können diese Pläne abgeschafft und rückgängig gemacht werden.
Natürlich wollen und können die Arbeiter nicht ewig streiken. Das wirft die Frage auf: Wofür kämpfen wir? Im Kapitalismus werden die Reallöhne durch die Inflation immer weiter ausgehöhlt. Und Mick Lynch hat bereits erklärt, dass in den kommenden Monaten weitere Streiks anstehen könnten, wenn die Preise, Mieten und Rechnungen weiter in die Höhe schnellen.
Während die Bosse ihre Gewinne auf unsere Kosten steigern, müssten wir Jahr für Jahr streiken, nur schon um das Reallohn-Niveau aufrechtzuerhalten. Wir sollten daher für Lohnerhöhungen kämpfen, die an die Inflation gekoppelt sind, das heisst, für eine gleitende Lohnskala.
Gleichzeitig werden die Bosse jede Gelegenheit nutzen, um ihre Kürzungen durchzusetzen. Mick Lynch hat Recht, wenn er sagt, dass die bereits durchgesetzten «Modernisierungsvorschläge» zu massivem Chaos geführt haben. Das heisst aber nicht, dass die Bosse nicht trotzdem versuchen werden, ihre Angriffe durchzusetzen. Es zeigt aber, dass sie keine Ahnung haben, wie die tatsächlichen Bedingungen vor Ort sind.
Das wirft die Frage auf: Warum sollten sie das Sagen haben, wenn es um unsere Arbeitsplätze und -bedingungen oder um irgendeinen Aspekt unserer Arbeit geht? Diese Parasiten müssen vollständig beseitigt werden, indem eine demokratische Arbeiterkontrolle eingeführt wird.
Auch der Reichtum, den wir – die Arbeiter – produzieren, muss vollständig unter der Kontrolle der Arbeiterklasse stehen und darf nicht in die Taschen privater Betreiber, Eisenbahn- und Güterverkehrsunternehmen fliessen.
Diese Parasiten haben sich ins Fäustchen gelacht, während sie kaum einen Rappen in die tatsächliche Modernisierung der Eisenbahn investiert haben. Alle diese Monopole müssen verstaatlicht werden, und zwar ohne jegliche Entschädigung für die derzeitigen Bonzen. Nur dann können wir einen effektiven, erschwinglichen und sicheren Bahnverkehr für alle aufbauen. Wir haben eine wichtige Schlacht gewonnen. Aber der Klassenkampf geht weiter.
Nick Oung (RMT London)
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