In Belgrad fand am 15. März mit über 300’000 Teilnehmern der grösste Protest in der Geschichte Serbiens statt.

Schon am Tag vor dem Protest kursierten Bilder und Videos von riesigen Autokolonnen, die auf dem Weg zum Protest in Belgrad waren. Aus ganz Serbien organisierten Studenten und Aktivisten Märsche in die Hauptstadt. Von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt wurden sie wie Helden empfangen und von den Einwohnern unterstützt.

Als die geplante Stunde der Hauptkundgebung näher rückte, schien die Menge endlos zu sein. Der Protest fand an zwei zentralen Orten statt – auf dem Slavija-Platz und vor dem Parlamentsgebäude –, doch es war unmöglich, den Anfang oder das Ende der Versammlung zu bestimmen. Der Protest wirkte wie ein grosses, endloses Fest, bei dem die Menschen ständig in Bewegung und voller Energie waren.

Das verwahrloste Vucic-Regime

Im Vorfeld des Protestes wurde die Verwahrlosung des Vucic-Regimes deutlich. Alle Kräfte Serbiens haben sich, aufgrund seiner repressiven Massnahmen und Lügen, gegen ihn vereint.

Der Staatsapparat ist äusserst schwach. Aus Angst vor seinem Zusammenbruch hat das Regime zu verzweifelten Massnahmen gegriffen. In Vorbereitung auf den Showdown am 15. März kündigte Vucic an, dass es zu grosser Gewalt kommen würde. Jedem war klar, dass er der Initiator sein würde.

Das Regime versammelte ein Lager von Vucics «Anhängern» und stellte sie als Studenten dar, die die Universitätsbesetzungen stoppen wollten. Es füllte sich mit verarmten und kriminellen Lumpenelementen. Viele Menschen, die von der Regierungspartei eine Anstellung erhalten hatten, schlossen sich unter Druck dem Lager an. Die Anwesenheit dort wurde mit viel Geld belohnt. Die Polizei bewachte das Lager, verhinderte aber keine Angriffe durch diese Schläger.

Am Tag vor dem Protest verhaftete das Regime Aktivisten, die abgehört wurden, als sie den Protest vorbesprachen. Einige ihrer Vorschläge wurden genutzt, um sie zu verhaften. Die Anschuldigungen waren natürlich unbegründet und dienten der Einschüchterung.

Am Protest wurden mit 15 Schweigeminuten die 15 Opfer geehrt, die beim Einsturz der Überdachung eines Bahnhofs ums Leben kamen, für dessen gescheiterten Wiederaufbau das Regime verantwortlich war. Während dieser Zeit kam es zu einem weiteren verstörenden Vorfall. Videos zeigen, wie an einer Stelle des Protests plötzlich eine Massenpanik ausbricht und aufs Trottoir flüchtet. Es besteht der schwere Verdacht, dass vom Regime eine Schallkanone eingesetzt wurde. Der Einsatz einer solch hinterhältigen Methode im friedlichsten Moment des Protests spricht Bände.

Später begannen die Spannungen erneut zu steigen, als Steine aus dem Vucic-Lager flogen. Aufgrund der Drohungen von Vucic waren sich viele bewusst, dass die Angelegenheit unkontrollierbar zu eskalieren drohte. Deshalb beschlossen die Studenten, den Protest vorzeitig zu beenden.

Bewertung des Protests

Innert kürzester Zeit war es wieder ein normaler Samstagabend in Belgrad. Doch am Tag danach wurde klar, dass der Kampfgeist in Serbien nicht erloschen ist. Es herrschte ein Gefühl des Triumphs über den grössten Protest der Geschichte Serbiens, der vor Liebe und Solidarität strotzte. Die Studenten hielten eine neue Blockade ab, um zu zeigen, dass sie bestimmen, wann es vorbei ist. Zurückkehrende Studenten wurden als Helden begrüsst und Teilnehmer von Vucics Lager mit Eiern beworfen.

Es wurde offensichtlich, dass Vucic nicht von der Macht zurücktritt, selbst wenn er mit einem Megaprotest konfrontiert wird. Daraus ergibt sich die Hauptfrage, die der Protest aufwarf, nämlich die der Notwendigkeit einer klaren politischen Führung. Die Studenten, die an der Spitze der Bewegung stehen, können ihr keine klare politische Richtung geben. Seit dreieinhalb Monaten fordern sie die Veröffentlichung von Dokumenten über den Sturz des Vordachs. Aber trotz lobenswerter Bemühungen und Kämpfe hat dies keine Ergebnisse gebracht. Der Apparat von Vucic ist verängstigt, aber im Wesentlichen intakt geblieben.

Einerseits ist dies auf die unzureichende Beteiligung der Arbeiterklasse zurückzuführen, die noch nicht genug Vertrauen hat, um einen entschlosseneren Kampf zu führen. Andererseits könnten die Studenten, die das Vertrauen der Arbeiter geniessen, der Bewegung eine politische Richtung geben, um die Mobilisierung der Arbeiterklasse zu erhöhen. Ihre Aufrufe zum Generalstreik und für Vollversammlungen von Arbeitern und Einwohnern sind schon in die richtige Richtung gegangen. Doch damit dieser Aufruf wirklich Wirkung zeigt, müssen sie aus ihren Vollversammlungen eine nationale Führung mit einem politischen Programm herausbilden.

Einige Sektoren der Arbeiterklasse haben bereits gestreikt. Das ist ein Vorbote einer grösseren Bewegung der Arbeiterklasse. Das Regime von Vucic hat den grössten Teil seiner Legitimität verloren. Es ist höchste Zeit, dass die Arbeiterklasse, die alle Hebel der Produktion in ihren Händen hält, ihren Kindern und den Studenten hilft, Vucics kriminelles Regime zu besiegen.