Für die Unionsparteien (CDU/CSU) begann das Jahr schon turbulent. Nach 16 Jahren relativ stabiler Kanzlerschaft Angela Merkels wanken die Konservativen. Im Mai verortete die Mehrheit der Wahlumfragen sogar die Grünen an erster Stelle.
Anfang des Jahres wurde Armin Laschet, ein Bürgerlicher vom Schlage Merkels, zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt. Trotzdem war lange unklar, ob er die Union auch als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl im September führen wird – schlechte Wahlergebnisse (in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erzielte die CDU dieses Jahr jeweils das schlechteste Resultat in der Geschichte), eine schwankende Haltung in der Corona-Politik und miserable persönliche Umfragewerte ließen kaum Optimismus aufkommen.
Dagegen schaffte es der bayrische Ministerpräsident Markus Söder, sich während der Pandemie als „Macher“ und populärer Krisenmanager zu inszenieren. Im April entschloss er sich schließlich dazu, sich selbst als Kanzlerkandidaten ins Rennen zu bringen, und entfachte damit einen Richtungsstreit im bürgerlichen Lager.
Laschet steht, ganz wie Merkel, für ein ruhiges Regieren im Sinne des Kapitals. Würde der Erfolg einer solchen Strategie von Persönlichkeiten abhängen – Laschet wäre sauber aus dem Schneider. In der Realität ist es leider nicht so einfach. Seit Jahrzehnten stagniert oder sinkt der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland und auch sonst gibt es kein Problem, für das die Regierung eine Lösung im Sinne der Arbeiterklasse anzubieten hätte. Am deutlichsten zeigen das COVID und die Klimakrise.
Unter diese Vorzeichen kann von Ruhe keine Rede sein. Söder setzt daher, analog zu Sebastian Kurz, auf Demagogie und eine ordentliche Portion Selbstinszenierung. Damit kann man kurzfristig einige Meter machen, insbesondere dann, wenn man sich auf eine schwache Opposition verlassen kann, auf längere Sicht kann sich so eine Regierung aber auch nicht stabil halten.
Den traditionell besonnenen Bürgerlichen ist diese Perspektive eine Spur zu heiß. Das deutsche Kapital, der zentrale Pfeiler der EU, braucht verlässliches Personal und will sich keine Abenteuer leisten. Obwohl Söder die Unterstützung einiger Teile der Union gewinnen konnte, entschied sich der CDU-Vorstand daher schlussendlich relativ geschlossen für den Stabilitätsgaranten Laschet. Dazu passt auch, dass die Bayern nach anfänglichen Sticheleien gegenüber Laschets Umfragewerten mittlerweile wieder mit voller Kraft die konservative Wahlmaschine mitanheizen – geschlossene Reihen gegen die Kanzlerambitionen der Grünen.
Diese positionieren sich als Sozial- und Umweltpartei, viel wichtiger ist ihnen aber, sich als verantwortungsbewusste Partner für die deutsche Industrie darzustellen. Der Funke berichtete schon im September 2019, als die Grünen in Umfragen zum ersten Mal die stärkste Kraft waren:
„Doch wenn man nur ein wenig an der Oberfläche kratzt, bröckelt der Lack der linksliberalen Sonnenscheinpolitik der Grünen sehr schnell ab. Zum Vorschein kommt eine beinharte bürgerlich-kapitalistische Partei.
So hielt Baerbock Anfang Juni eine Rede beim Tag der deutschen Industrie … Wer jetzt meint, dass ihre Positionen dort auf Ablehnung stießen (immerhin ist die deutsche Industrie mit ihren Stahl-, Auto- und Maschinenbaukonzernen ein riesiges Umweltverschmutzer-Kartell), der täuscht sich.“ (Der Funke Nr. 174)
Daran hat sich seither nichts geändert. Ein Blick ins Wahlprogramm macht deutlich, warum wichtige Teile des Kapitals gut mit den Grünen auskommen würden. Der zentrale Gedanke: Wirtschaftsstandort verteidigen, um jeden Preis, am liebsten in Form von Unternehmenssubventionen für „saubere“ Technologien. So soll „Klimagerechtes Wirtschaften belohnt werden“ – z.B. mit „CO2-Preisen, Anreizen und Förderungen“.
Insbesondere sollen auch teure, für Unternehmen nicht unmittelbar profitable Investitionen vom Staat übernommen werden: Forschungszuschüsse für Technologieunternehmen, ein flächendeckendes Ladesäulennetz für E-Autos, die Eisenbahninfrastruktur usw. Diese Grundlage ermöglicht dann, so die Grünen, einen „fairen Wettbewerb“.
Finanzierungstechnisch gibt sich das Programm etwas bedeckt. Eine wichtige Rolle soll aber das allseits beliebte Konzept der CO2-Steuer spielen. Vermögenssteuern werden zwar zumindest angesprochen, allerdings nur in ein paar Nebensätzen. Während also die hauptsächlichen Investitionskosten auf die Masse der Gesellschaft verteilt werden, verbleibt das spätere Profitrecht exklusiv bei privaten Unternehmern.
Und selbst das angebliche grüne Kernprogramm – Umweltschutzreformen – steht unter Vorbehalt. Man findet im Programm: „Und nein, wir können nicht versprechen, dass jedes einzelne Projekt genau so Wirklichkeit wird. Wir können nicht versprechen, dass niemand durch Klimaschutz belastet wird. Wir können nicht versprechen, welche Spielräume der Staat nach Corona haben wird.“ – verklausuliert geben die Grünen zu, dass ihre „Visionen“ ohne (soziale) Sparpakete schwer zu machen sind.
Alles in allem sind die Grünen nicht die erste Wahl fürs Kapital. Zumindest nicht, wenn sie mehr sein wollen, als ein willfähriger Juniorpartner für eine von der Union geführte Koalition. Das drückt sich in den Medienkampagnen der bürgerlichen Meinungsmacher aus, deren Feuer völlig auf die Grünen gerichtet ist. Insbesondere die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, der Thinktank des Arbeitgeberverbands „Gesamtmetall“, drischt gegen die „10 Verbote“ der Annalena Baerbock, die sich nebenbei auch für eine Plagiatsaffäre verantworten muss.
Die Arbeiterbewegung könnte diese Konflikte mit einer Offensive ausnutzen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die SPD ist durch den Ausverkauf in der Regierung diskreditiert, die Linke-Führung versucht vor allem, sich als „verantwortungsvoll“ darzustellen, beide Parteien können so nicht am Unmut in der Gesellschaft ansetzen. Zusammen erreichen sie in den Umfragen grade noch knapp über 20%. Das Scheitern der sozialpartnerschaftlichen Orientierung des Reformismus liegt auf der Hand, die notwendige Alternative – klassenkämpferische Politik und Vertrauen in die eigene Stärke der Arbeiterbewegung – findet derweil kaum Ansatzpunkte.
Daher wird das Ergebnis der Wahlen sehr wahrscheinlich eine schwarz-grüne Koalition, wer auch immer am Ende sie anführen wird. CDU/CSU und Grüne bedienen dabei mit leicht unterschiedlichen Schwerpunkten eine unterschiedliche Klientel, gemeinsam ist ihnen aber, dass die Kosten für die Krise jedenfalls nicht die Reichen übernehmen werden. Daran wird sich auch nichts ändern, solange die Organisationen der Arbeiterbewegung keinen Widerstand organisieren.
Willy Hämmerle, Der Funke Österreich
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