Das Entstehen von Komitees zur Verteidigung der Republik (CDRs), welche die Bühne während des Generalstreiks gegen die Verhaftung von acht katalanischen Regierungsmitgliedern am 8. November kraftvoll betraten, ist wegweisend.
Prominente Mitglieder der katalanischen Regierung und der beiden Parteien, die in ihr vertreten sind (die bürgerlich-nationalistische PDeCat und die kleinbürgerlich-nationalistische ERC), haben offen zugegeben, dass sie angesichts der brutalen spanischen Repression nicht auf die Verteidigung der Proklamation der Republik vorbereitet waren. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatten sie niemals angenommen, dass die Bewegung soweit gehen würde. Bestenfalls war ihre Strategie hoffnungslos: Voller Illusion, dass die spanische Brutalität angesichts friedlicher Aktionen die Intervention der „internationalen Gemeinschaft“ (d. h. der EU) hervorgerufen hätte, um Verhandlungen mit Spanien zu vermitteln. Die EU stellte sich – wie zu erwarten war – vollkommen auf die Seite Spaniens und der Verteidigung der spanischen Gesetzmässigkeit (einschliesslich der Unterdrückung der katalanischen Institutionen unter Anwendung von Artikel 155).
Staatliche Repression
Andererseits waren die politischen RepräsentantInnen des spanischen Staates bereit, alle zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen, um das, was sie als Bedrohung des gesamten Regimes von 1978 betrachteten, zu beenden. Sie wandten den Artikel 155 der Verfassung an, um die katalanische Regierung zu abzusetzen und das katalanische Parlament aufzulösen, um Neuwahlen zu erzwingen. Dann benutzten sie den Nationalen Gerichtshof (ein Relikt aus der Franco-Ära), um acht Mitglieder der katalanischen Regierung zu verhaften, sie wegen Rebellion und Volksverhetzung in U-Haft zu nehmen und um ebenso Haftbefehle gegen den katalanischen Präsidenten und vier weitere Regierungsmitglieder, die sich gegenwärtig in Belgien aufhalten, auszustellen.
Es ist enthüllt worden, dass sie ein Sonderkommando aufgestellt hatten, um das katalanische Parlament mit einer dreigleisigen Operation (zu Lande, in der Luft und durch Abwasserkanäle) zu stürmen, um den katalanischen Präsidenten zu verhaften, falls dieser sich verbarrikadiert hätte. Der Generalsekretär der ERC hat jetzt erklärt, dass die spanische Regierung der katalanischen Regierung eine Botschaft geschickt habe, in der mitgeteilt wurde, dass sie bereit sei die Armee einzusetzen, falls sie sich dem Artikel 155 widersetze.
Die Gerichtsverfahren gegen die Mitglieder der katalanischen Regierung und die katalanischen Parlamentspräsidenten sind äusserst rachsüchtig. Sie basieren auf Artikeln des Strafgesetzbuches aus der Franco-Ära und sind politisch motiviert. So wurden z. B. die Präsidenten des katalanischen Parlaments unter der Drohung in U-Haft genommen zu werden gefragt, ob sie sich an die spanische Verfassung halten würden.
Komitees zur Verteidigung der Republik
Die Verhaftung der katalanischen Regierung löste am gleichen und dem folgenden Tag Massendemonstrationen aus. Für den 8. November wurde von einer Anzahl kleinerer Gewerkschaften ein Generalstreik ausgerufen. Er wurde von enormen Streikpostenketten, die von Komitees zur Verteidigung der Republik organisiert wurden, unterstützt. Dabei kam es zur Blockade der wichtigsten Strassen und Bahnhöfen sowie zu Massendemonstrationen in den Gross- und Kleinstädten in ganz Katalonien. Am 11. November forderte eine Demonstration mit über einer Million TeilnehmerInnen die Freilassung der politischen Gefangenen.
Die Komitees zur Verteidigung der Republik entstanden aus den Komitees zur Verteidigung des Referendums, welche die Öffnung und Verteidigung der Wahllokale während der Abstimmung in ganz Katalonien organisiert hatten. Es gibt mittlerweile 280 Komitees in Gross- und Kleinstädten und Stadtvierteln überall in Katalonien und sie haben eine Struktur der nationalen Koordination entwickelt. Sie spielten bei der Organisierung der Streikposten eine bedeutende Rolle und blockierten während des Generalstreiks am 8. November die 50 wichtigsten Verkehrsstrassen und Hauptbahnhöfe
Das zeigt, wie der Kampf weitergehen muss: Massenorganisationen von unten, die unabhängig sind von den schwankenden bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien in der katalanischen Regierung. Denn diese Parteien haben sich als unfähig zur Führung der Bewegung erwiesen.
Regionalwahlen
Das Hauptaugenmerk muss jetzt auf die katalanischen Regionalwahlen am 21. Dezember gerichtet werden. Drei Parteien repräsentieren den „Artikel-155-Block“, also die Parteien, die den Staatsstreich gegen die katalanischen Institutionen betrieben haben: die in Spanien regierende Volkspartei (PP), die rechten Nationalisten von Ciudadanos, und die „sozialdemokratische“ PSC (der katalanische Ableger der PSOE). Obwohl die PSOE mit Pedro Sanchez einen neuen Vorsitzenden hat, der gewählt wurde, um einen Linksruck in der Partei vorzutäuschen, so hat sie sich doch loyal gegenüber dem Regime von 1978 gezeigt und Rajoys Angriffe auf Katalonien stets unterstützt. Diese Parteien werden versuchen, die pro-spanischen Stimmen in Katalonien zu mobilisieren und zu aktivieren. Skandalöserweise hat die PSC einigen Mitgliedern der rechten katalanischen Nationalisten von Unió herausragende Plätze auf ihren Listen besorgt.
Der katalanische Präsident Puigdemont, der sich immer noch in Belgien aufhält, wird sich wieder zur Wahl stellen, nicht aber für die diskreditierte PDeCAT, sondern als Spitzenkandidat einer „breiten Liste“, Junts per Catalunya (Vereint für Katalonien), die vor allem aus Mitgliedern seiner eigenen Partei besteht. Er wird versuchen, von einer Sympathiewelle zu profitieren. Es wird aber erwartet, dass er schlecht abschneidet. Seine Partei hat alle Gespräche über die Unabhängigkeit und eine katalanische Republik aufgegeben. In einem Interview mit Le Soir hat Puigdemont sogar zugegeben, dass „eine andere Lösung als die Unabhängigkeit“ akzeptabel wäre. Der Grossteil der Stimmen der katalanischen Regierungskoalition (PDeCAT und ERC) wird an den Juniorpartner der ERC gehen, die innerhalb des herrschenden Pro-Unabhängigkeitsblocks einen Linksruck offenbart haben. Die ERC wird alleine kandidieren, aber auch einige unabhängige KandidatInnen auf ihrer Liste platzieren; es wird erwartet, dass sie die stärkste Partei wird.
Die antikapitalistische Pro-Unabhängigkeitspartei CUP wird mit ihrer eigenen “separatistischen linken Pro-Unabhängigkeitsliste“ kandidieren, wie es auf einer Nationalen Vollversammlung der Organisation, an der über 1’200 Mitglieder teilnahmen, beschlossen wurde.
Mobilisierung des Pro-Unabhängigkeitslagers
Es wird als Reaktion auf die staatliche Repression zu einer starken Mobilisierung des Pro-Unabhängigkeitslagers kommen. Es ist klar, dass selbst Menschen, die eine föderale Lösung in Spanien bevorzugen, nach der brutalen Repression im Anschluss an das Referendum, Pro-Unabhängigkeitsparteien wählen werden.
Nominell gegen die Unabhängigkeit und gegen den Artikel 155 stehen Catalunya en Comú, eine Koalition um die Oberbürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, den katalanischen Ableger von Podemos sowie ICV und EUiA, die in lockerer Verbindung zur spanischen Vereinigten Linken stehen. Der Generalsekretär von Podemos in Katalonien, Albano Dante-Fachin, der mit der nationalen Führung im Clinch lag, wurde auf bürokratische Art und Weise abgesetzt. Das Problem mit den Parteien, die hinter Catalunya en Comú stehen, ist, dass sie dazu tendieren, das Verhalten des spanischen Staates mit dem der katalanischen Regierung gleichzusetzen. In Wirklichkeit hat die katalanische Regierung (zwar inkonsequent und aus zynischen Gründen) versucht, das Selbstbestimmungsrecht zu praktizieren, während der spanische Staat brutale Gewalt ausübte, um dies zu verhindern. Diese beiden Verhaltensweisen lassen sich aber nicht gleichsetzen.
Welcher Ausgang bei den Wahlen?
Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Wahlen zu einem ähnlichen Ergebnis führen werden wie die katalanischen Regionalwahlen vom 27. September 2015. Diese Wahlen, bei denen es zu einer sehr hohen Wahlbeteiligung von 77% kam (10 Prozent mehr als bei den vorherigen Wahlen), wurden schon als Plebiszit für eine Unabhängigkeit betrachtet. Zu diesem Zeitpunkt erhielten die Pro-Unabhängigkeitsparteien 47,5% der Stimmen, die ihnen die absolute Mehrheit der Sitze gaben und deutlich mehr Stimmen als die Parteien, welche die Unabhängigkeit ablehnten und nur 39% der Stimmen erreichten.
Im spanischen nationalistischen Block hofft Ciudadanos, die meisten Stimmen zu erringen und umwirbt schon die PP und PSC, um nach den Wahlen eine „konstitutionelle Koalition“ der drei Parteien zu bilden. Aber es ist unwahrscheinlich, dass diese genug Sitze bekommen werden. Der spanische Staat ist über die Möglichkeit einer Neuauflage der Pro-Unabhängigkeitsmehrheit beunruhigt und hat schon angekündigt, dass er die Intervention auf der Basis von Artikel 155 fortführt, bis eine Regierung gebildet wird, die bereit ist, die spanische Verfassung von 1978 anzuerkennen. Diese Verfassung jedoch verweigert entschieden das Recht auf Selbstbestimmung. Führende Stimmen in der katalanischen PP und Ciudadanos haben aufgerufen, die Pro-Unabhängigkeitsparteien und -programme für ungesetzlich zu erklären.
Für das Selbstbestimmungsrecht!
Wie wir in früheren Artikeln erklärt haben, wird die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung in Spanien, angesichts des reaktionären und undemokratischen Charakters des Regimes von 1978, zu einer revolutionären Aufgabe. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien in der katalanischen Regierung haben gezeigt, dass sie nicht bereit sind, revolutionäre Methoden zu benutzen und auch grundsätzlich nicht in der Lage sind, dies zu tun. Die einzige Möglichkeit, den Kampf für eine katalanische Republik voranzubringen, was auch den Beginn der Auflösung des Regimes in ganz Spanien bedeuten würde, kann nur durch die Anwendung revolutionärer Methoden der Massenmobilisierung und Eigenorganisierung erfolgen. Die CDRs sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Die Bewegung für eine katalanische Republik muss sich ein antikapitalistisches Programm gegen die Austerität und den Bruch mit der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führung auf die Fahnen schreiben. Nur so können die Spanisch sprechenden Schichten der ArbeiterInnenklasse, die bisher gezögert haben, sich anzuschliessen, überzeugt und gewonnen werden. Damit wäre es möglich, die Sympathie und Solidarität der ArbeiterInnen und der Jugend in ganz Spanien zu erreichen, die nötig ist, um den spanischen Staat zu besiegen.
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
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