Das chinesische Wirtschaftswachstum galt lange als Zugpferd des Welthandels. Die Weltwirtschaft hoffte auf China, um sich aus der Überproduktionskrise zu retten. Heute, acht Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise, erlahmt das Pferd immer mehr. Die globale Bourgeoisie zittert: Bricht China ein, droht der Kapitalismus weiter im Moor zu versinken. Wie konnte es soweit kommen?
Seit den 80er–Jahren ist Chinas Wirtschaftsführung kapitalistisch. Die chinesischen StalinistInnen um Mao wandelten sich von einer bürokratischen Kaste zu einer KapitalistInnen–Klasse. Dies gelang mithilfe Deng-Xiao Pings (Maos Nachfolger) Marktreformen. Viele Unternehmen und alle Grossbanken sind zwar bis heute formell in staatlicher Hand, doch sie dienen lediglich der Bereicherung von Chinas neuen KapitalistInnen. Deren Profite hängen in der aktuellen globalen Überproduktionskrise in der Schwebe. Eine Überproduktionskrise bedeutet, vereinfacht gesagt, dass die Lohnabhängigen sich die Masse der Produkte, die sie produzieren, nicht mehr leisten können. Riesige Mengen an Kapital stauen sich an, weil sie nicht gewinnbringend investiert werden können. Bestehende sowie neue Märkte werden deshalb immer stärker umkämpft und ausgebeutet.
Vom Aufschwung zur Krise
Genau das spielt sich in China ab. Zwar verzögerte seine Stellung in der globalen Arbeitsteilung den offenen Ausbruch der Krise gegenüber den Industrienationen um einige Jahre – der marxistische Begriff für dieses Phänomen ist die „kombinierte und ungleiche Entwicklung“ des Kapitalismus. Als die globale Finanzkrise 2008 ausbrach, lancierte China das größte Konjunkturpaket in der Geschichte des Kapitalismus. Es sollte mit billigen Krediten das realwirtschaftliche Wachstum in Gang halten.
Die von der chinesischen Zentralbank aufgedrehten Kredithähne retteten vorerst tatsächlich die chinesische Wirtschaft und bewahrten den globalen Kapitalismus vor einem noch viel größeren Zusammenbruch. Gleichzeitig wuchs der chinesische Schuldenberg von 200% (2012) auf 300% (2016) des BIP (Quelle: IIF). Die Angst vor Zahlungsausfällen hat seit Juni 2015 bereits drei Börsencrashs verursacht. Doch viel besorgniserregender ist das Verlangsamen der chinesischen Industrie. China ist die zweitgrößte Wirtschaft der Welt – der Werkplatz der Welt. Ein vermindertes Wachstum droht die ohnehin instabile Weltwirtschaft in eine neue Rezession zu stürzen.
Antizyklische Massnahmen
In China zeigt sich die fundamentale Schwäche der keynesianischen Programme. Das Herz des Keynesianismus sind die staatlichen Pakete zur Ankurbelung der Investitionen: Der staatliche Sektor tritt als Nachfrage in der Privatwirtschaft auf und übernimmt Schulden, um den kränkelnden Kapitalismus vor einer Krise zu bewahren. Diese Schulden sollten dann durch das nachfolgende Wirtschaftswachstum ausgeglichen werden. Soweit die Idee.
Doch in einer Periode, in welcher sich die Einbrüche verallgemeinern (zur organischen Krise werden), können die Schulden nicht mehr abgebaut werden. Sie häufen sich an und werden zu einem Klotz am Bein des Kapitalismus.
Denn auch ein Staat kann sich nicht beliebig verschulden. Irgendwann erwarten die Kapitalbesitzer, dass sie ihr Geld zurückbekommen. In einer Krise verwandeln sich jedoch immer mehr Schulden in so genannte „schlechte Schulden.“ Alle Beteiligten wissen eigentlich, dass diese nie zurückbezahlt werden können. Dieses Kapital muss zwangsläufig von den Gläubigern abgeschrieben werden. Und wenn sich Kapital in Luft auflöst, kann es nicht mehr in die Produktion investiert werden. Die Produktion muss also zurückgestuft werden. Die Wirtschaft gerät ins Stocken.
In der Realität lässt sich zwischen „schlechten“ und „guten“ Schulden kaum unterscheiden. Die Finanzgeschäfte hängen oft auf undurchsichtige Art und Weise miteinander zusammen. In China sind solche dubiosen Schulden, „Schattenvermögen“ genannt, jedes Jahr um 30% gestiegen, während der Schuldenberg jedes Jahr um das doppelte der Realwirtschaft wächst (Economist).
China ist geradezu süchtig nach Schulden: Die Regierung nimmt Schulden auf, um Zinsen auf alte Schulden zu bezahlen, gleichzeitig führt jeder aufgenommene Kredit zu immer weniger Wachstum. Vor der Finanzkrise generierte jeder geliehene Yuan durchschnittlich einen Yuan Wirtschaftswachstum. Nun muss China vier Yuan leihen um einen Yuan zu generieren. Die chinesische Regierung versucht sich nun strategisch auf eine wachsende Binnennachfrage zu orientieren, um die in der globalen Wirtschaftskrise ausfallenden Exporte zu kompensieren.
Ein kapitalistischer Ausweg aus der Krise?
Doch woher soll diese steigende Nachfrage kommen? Die chinesische Bevölkerung will einen höheren Lebensstandard, aber sie kann ihn sich schlicht nicht leisten. Um die Nachfrage zu steigern, müssten die Löhne gehoben werden. Das schmälert aber die Profite und stellt für die KapitalistInnen ein Nullsummenspiel dar. Auch die Kreditvergabe an Haushalte wächst gemäss Bloomberg bereits doppelt so schnell wie die an Unternehmen. Doch dies befeuert die Spekulation im Immobiliensektor und birgt die Gefahr von weiteren Zahlungsausfällen.
Der oben beschriebene Widerspruch des Kapitalismus besteht eben darin, dass es nur Wachstum gibt, wenn neue Märkte erobert oder die alten stärker auspresst werden können. China stellt sich aber darauf ein, den Binnenmarkt stärker auszubeuten (Tagesanzeiger). Dies bringt die chinesischen KapitalistInnen auf Kollisionskurs mit ihrer Bevölkerung. Gleichzeitig gewinnt Chinas ArbeiterInnenbewegung an Militanz: Alleine im Januar 2016 verzeichnete das Chinese Labour Bulletin 503 Streiks in ganz China.
Alle Zeichen deuten auf eine Krise ungekannten Ausmaßes hin. Die chinesische Bourgeoisie ist immer weniger in der Lage, ihrem Führungsanspruch gerecht zu werden. Während sie zuvor Probleme frühzeitig erkannte und löste, hinkt sie nun den objektiven Entwicklungen hinterher. Sie reagiert lediglich und verstrickt sich nur noch mehr in Widersprüche. Die Enteignung der KapitalistInnen unter ArbeiterInnenkontrolle sowie der Sturz der Parteibürokratie sind der einzige Weg für eine Lösung der wirtschaftliche und politische Probleme im Interesse der chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter.
Frank Fritschi
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