In Myanmar ist eine Revolution im Gange. Konfrontiert mit der brutalen Gewalt der Militärjunta beweisen die Massen aktuell enormen Mut. Doch wie kann man die aktuelle Situation in Myanmar erklären? Was sind die Perspektiven für die revolutionäre Bewegung?
Der Staatsstreich vom 31. Januar hat eine Bewegung ausgelöst, mit deren Grösse das Militär nicht gerechnet hatte. Diese Bewegung wurde mit heftiger Brutalität von den bewaffneten Kräften bekämpft und die Zahl der Toten beläuft sich bisher auf über 500.
Verärgert über diesen barbarischen Akt hat das Volk von Myanmar – die ArbeiterInnen und die Jugend – aussergewöhnlichen Mut und Entschlossenheit an den Tag gelegt. Sie sind in den folgenden Protestwellen massenhaft auf die Strasse gegangen und haben dabei ihr Leben riskiert. «Wir werden weiterhin protestieren, komme was wolle. Wir müssen kämpfen, bis die Militärjunta gefallen ist» hat Thu Ya Zaw während einer Demo im Zentrum der Stadt Myingyan den Journalisten von Reuters mitgeteilt, wo mindestens zwei Personen getötet worden sind.
Wie sind wir in diese Situation gelangt? Das Militär war nach Jahrzehnten der Diktatur gezwungen, im Jahre 2008 ein Referendum über die Frage der Parlamentswahlen zu autorisieren. Dabei hat sich gezeigt, dass es massive Zustimmung gab für ein Ende der Militärdiktatur.
Gleichzeitig hat das Militär dafür gesorgt, dass es seine wichtigsten Zügel nicht aus der Hand gibt. Die Verfassung wurde angepasst und so konnte die Junta garantieren, dass sie 25% aller Parlamentsabgeordneten und die wichtigsten Ministerien direkt kontrollieren kann. Nach diesem Akt der Machtsicherung hat das Militär 2011 dann die direkte militärische Macht abgegeben und ihre Partei bildete eine zivile Regierung.
Doch bei den Wahlen 2015 erhielt die Partei von Aung San Suu Kyi‘s (nachfolgend ASSK) – die Nationale Liga für Demokratie (NLD) – die Mehrheit in beiden Kammern. ASSK erhielt 1991 den Friedensnobelpreis und sie gilt als ikonische Figur der Opposition gegen das Militär. Wie eine Heldin wurde sie empfangen, doch kaum war sie an der Macht, begannen sich die Dinge schnell zu ändern. Ihre Aufgabe war es gewesen, das Privatisierungsprogramm voranzubringen. Sie hatte versprochen, eine «Wirtschaft mit gesundem Markt» zu schaffen. Wie der Nachrichtensender Nikkei Asia jedoch schon 2016 über die Privatisierungsversuche sagte, «erwarte man Widerstand von Seiten des Militärs». In seinem Beitrag gab der Sender eine sehr weitblickende Warnung heraus: «Wenn die von ASSK geführte Regierung die Privatisierung weiter vorantreibt, wird sie mit den Interessen des Militärs zusammenstossen» (Nikkei Asia, 22. Mai 2016). Genau das konnten wir kürzlich beim Staatsstreich des Militärs sehen.
Die Militärjunta wird eigentlich von einer Art Kaste gebildet, die steinreich ist und die wichtigsten Unternehmen des Landes kontrolliert. Eine Menge dieser Unternehmen wurden unter die Kontrolle der zwei wichtigsten Handelskonglomerate, die die Armee kontrolliert, gestellt, nämlich die Myanmar Economic Corporation (MEC) und die Myanmar Economic Holdings Limited (MEHL). Als Hauptkommandant des Militärs verfügt Ming Aung Hlaing über jene Konglomerate, wie auch über die Unternehmen, die durch seine Familie kontrolliert werden.
Diese Militärjunta ist das historische Ergebnis einer unvollständigen formellen Unabhängigkeit, die die fundamentalen Probleme der Bevölkerung Myanmars nicht hatte lösen können. Aufgrund der Unfähigkeit der Bürgerlichen und der lokalen Landbesitzer, das Land nach dem Zweiten Weltkrieg weiterzuentwickeln, hat die Armee auf den Staatsapparat gesetzt, um eine Scheinordnung zu wahren.
Die Soldaten sind fest entschlossen, die Kontrolle über ihre lukrativsten Geschäfte nicht irgendwelchen zivilen BürgerInnen zu überlassen, die die imperialistischen Interessen repräsentieren könnten. Ausserdem können sie so von besseren Beziehungen mit China profitieren. Das erklärt auch, wieso die westlichen Imperialisten die Militärjunta als Hindernis sehen. Die Konzerne würden noch so gerne in die Wirtschaft Myanmars eindringen, aber die Armee hält dagegen. Die Tatsache, dass China die stärkste ausländische Kraft im Land ist, vergrössert das Problem für jene westlichen Konzerne.
Somit wird auch erklärbar, wieso der Westen ASSK unterstützt, in der er einen möglichen Weg sieht, die Wirtschaft Myanmars für ihre Profite zu öffnen und die Kaste rund um die Militäroffiziere zu schwächen.
Der Staatsstreich hat eine Bewegung mit revolutionären Proportionen ausgelöst. Die Entschlossenheit der Massen, das Militär daran zu hindern, die Macht zu übernehmen, zeigt sich in einer flächendeckenden Bewegung und einer wachsenden Anzahl Streiks und Demos.
Die Zeitung The Guardian beschreibt in ihrem Bericht vom 20. März, wie junge Menschen über YouTube lernen, Waffen handzuhaben, um sich gegen die schreckliche Repression zu wehren. Laut eines jungen Protestierenden «ähnelt Yangon einem Kriegsgebiet, ausser dass nur eine Seite Waffen hat. Genau deshalb brauchen wir jetzt auch eine Armee. Wir müssen trainieren und gleichzeitig kämpfen; wir haben keine Zeit mehr.» Weiter sagt der junge Mann: «Wir haben die Hoffnung aufgegeben, dass die UNO oder sonst irgendeine Armee uns zur Hilfe kommt. Wir bräuchten eine bundesweite Armee, die aus allen ethnischen Gruppen des Landes besteht. Dann wären wir mehr und die Soldaten würden aufgeben. Diese Volksarmee würde das neue Tatmadaw werden.»
Was wir hier sehen, ist einer Revolution, die im Gange ist. Es gibt keine andere Bezeichnung dafür. Die Schlussfolgerung, zu der die Jungen und die ArbeiterInnen – zumindest die fortschrittlichsten unter ihnen – gekommen sind, nämlich dass es eine bewaffnete Antwort gegen das Regime braucht, ist korrekt. Es ist nicht der Moment, um zu zögern und über diese Frage zu streiten. Es gibt keinen Platz für Kompromisse mit dieser Regierung und die Massen können und müssen auf ihre eigene Kraft setzen. ASSK und die NLD sind unfähig, das Militär zu bekämpfen und ihm alle Machthebel zu entreissen, die es besitzt. Schliesslich unterstützt ASSK die Chefs der Armee ebenso wie die Marktwirtschaft, also den Kapitalismus. ASSK repräsentiert das Interesse des internationalen Kapitals und nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung Myanmars. Sie hat mit den Generälen zusammengearbeitet; sie hat ihre Verfassung und ihre Privilegien akzeptiert. Wäre sie konsequent, dann wäre die einzige Möglichkeit, das Militär von seiner Machtstellung zu stossen, ihnen die ökonomische Macht zu entziehen, was der Enteignung aller Unternehmen gleichkäme, die das Militär kontrolliert. Wenn sich eine Bewegung der Arbeiterklasse zur Enteignung der Militärjunta entwickeln würde, dann würde diese Bewegung nicht dort stehen bleiben, sondern den Kapitalismus in seiner Gesamtheit bedrohen.
Es besteht ein sehr grosses revolutionäres Potenzial in den mutigen Massen Myanmars, wie wir es jeden Tag wieder auf den Strassen sehen. Es gab mächtige Streiks und auch Generalstreiks. Es gab sogar Fälle, wo einzelne PolizistInnen desertiert und nach Indien geflüchtet sind, um nicht auf ihr Volk schiessen zu müssen. Aber damit das revolutionäre Potenzial zu einer erfolgreichen Machtergreifung von Seiten der Massen wird, braucht es eine revolutionäre Massenpartei der ArbeiterInnen, die fähig ist, alle Kräfte zu versammeln, die für den Umsturz des Regimes mobilisiert werden können. Eine solche Partei würde heute zur Revolution aufrufen: Zum bewaffneten Aufstand unter der Kontrolle von Komitees der ArbeiterInnen.
Bryan Chirinos
Unia Genf
Bild: Wikimedia
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