Das Krisenjahr 2016 endete in Südkorea mit lautem Krach. Doch es waren nicht festliche Feuerwerkskörper, welche an Silvester den alltäglichen Lärm in den südkoreanischen Städten übertönten, sondern die Parolen von DemonstrantInnen. Eine Million SüdkoreanerInnen haben sich in der Nacht auf Neujahr die Strassen genommen. Somit fügte sich dieser Massenprotest am Ende des Jahres in eine Reihe allwöchentlicher Protestmärsche mit hunderttausenden Teilnehmenden ein. Die Zahl der Protestierenden gegen die korrupte Regierung und Unternehmen beläuft sich von Ende Oktober bis dato auf rund zehn Millionen Menschen.
Park Guen-hye: Marionette der Schamanin
Der Auslöser dieser Bewegung ist in der Enthüllung der Beziehung zwischen der Südkoreanischen Präsidentin Park und ihrer langjährigen Vertrauten Choi Soon-sil zu finden. Die Familie der Chois pflegte bereits während des Militärregimes des diktatorischen Vaters Park Geun-hyes engen Kontakt zu den Parks. Insbesondere die Tochter liess sich nachhaltig für die schamanische Religion der Chois gewinnen. Nachdem Park 2013 zur Präsidentin gewählt wurde, erhielt auch Choi freien Zugang zum Regierungssitz, dem Blauen Haus in Seoul.
In dieser Position nahm Choi grossen Einfluss auf die Präsidentin, indem sie deren Reden verfasste, die Vollmacht über Stiftungsgelder erhielt und ein regelrechtes Schattenkabinett etablierte. Park schien von ihrer Vertrauten dermassen gelenkt zu werden, dass jene als „Rasputin“ Südkoreas gilt. Die zentrale Beschuldigung an Präsidentin Park ist nun, dass sie Choi dabei geholfen habe, vermeintliche Spendengelder in der Höhe von rund 70 Millionen Dollar von verschiedenen koreanischen Unternehmenskonglomeraten (genannt Chaebol) abzuzweigen. Choi konnte durch ihre private Verbindung zum Blauen Haus Vorteile für ihre Tochter gewinnen. Eine der prestigeträchtigsten Universitäten, die „Ewha Womans University“, lockerte für Chois Tochter die Aufnahmebedingungen. Weiter spendierte der Grosskonzern Samsung derselben ein Spitzenpferd für ihre Tätigkeit als Dressurreiterin.
Die Absetzung der Präsidentin ist nicht genug
Dabei sind Vetternwirtschaft und Korruption an Südkoreas Staatsspitze nicht ungewöhnlich. Seit der Demokratisierung 1987 wurden schon gegen sämtliche Präsidenten, spätestens nach Ende ihrer jeweiligen Amtszeit, ermittelt. Doch Park ist die erste Präsidentin, die aufgrund ihrer korrupten Verfehlungen während ihrer Amtszeit suspendiert wird. Dies ist in erster Linie auf die unermüdlichen Aufmärsche der Massen zurückzuführen, die den sofortigen Rücktritt der Präsidentin fordern. Die parlamentarische Opposition, welche aus liberalen Kräften wie der Minju – Partei besteht, kam schliesslich dieser Forderung nach und drängte zur geheimen Abstimmung im Parlament, die entscheidet, ob ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet werden muss. In dieser Abstimmung am 9. Dezember votierten 234 von 299 Abgeordneten für die Amtsenthebung Parks. Damit haben neben der Opposition mindestens 62 Parlamentarier von Parks Saenuri -Partei der Präsidentin ihr Misstrauen ausgesprochen, weit mehr, als erwartet worden war. Das Verfassungsgericht hat nun 180 Tage Zeit, um den Beschluss des Parlaments bezüglich der Amtsenthebung zu prüfen.
Die KoreanerInnen, welche weiterhin jeden Samstag an den Massenprotesten teilnehmen, wollen nicht so lange warten und misstrauen der konservativen Justiz. Längst gehen ihre Forderungen über das Absetzen der Präsidentin hinaus, denn sie haben erkannt, dass nicht einzelne Personen, sondern die Vormachtstellung der Chaebols die Hauptverantwortung für die sich verschlechternde Lage der arbeitenden Klasse tragen.
Korrupte Sonderbeziehung von Politik und Wirtschaft
Unter Chaebols werden familienkontrollierte Unternehmensgruppen verstanden, zu denen die Grosskonzerne Samsung, Hyundai und LG Group gehören. Diese Chaebols machen 80 Prozent des südkoreanischen BIP aus. Es besteht kein Zweifel, dass Chaebols über Jahrzehnte hinweg von staatlicher Unterstuützung profitierten. Ihr Siegeszug wurde durch den Militärputsch 1961 begründet, an dessen Spitze sich der Diktator Park Chung-hee – der Vater der suspendierten Präsidentin – stellen konnte. Dieser überschüttete eine Handvoll Betriebe mit Begünstigungen etwa in Form von Steuervorteilen, preiswertem Strom und vor allem schaffte er hervorragende Bedingungen für die AusbeuterInnen, indem unter seiner Herrschaft gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen verfolgt wurden.
Die Politik seiner Tochter ähnelt in diesen drei genannten Punkten der des Militärdiktators unbestreitbar. Denn obschon Park 2013 mit dem Versprechen gewählt wurde den „Mittelstand“ zu retten, indem sie bessere soziale Verhältnisse, Gesundheitsfürsorge für alle sowie mehr Möglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen ankündigte, wirkte ihre Politik in entgegengesetzte Richtung.
Von der Park-Regierung wurden vor allem die Privatisierung des Gesundheitswesens und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen realisiert. Im vergangenen Jahr wehrte sich die südkoreanische ArbeiterInnenklasse mit Streiks: Im September streikten Angestellte des Universitätsspitals in Seoul, 50’000 ArbeiterInnen von Hyundai streikten und beim öffentlichen Dienst legten 60’000 Lohnabhängige die Arbeit nieder. Park griff in der Folge sogar zur Militärgesetzgebung, um die Arbeitskämpfe brutal niederzuschlagen.
Während die korrupten Sonderbeziehungen zwischen der Regierung und den Chaebols unter der Militärdiktatur Park Chung-hees aufgrund der Modernisierung und des Aufschwungs Südkoreas von der Bevölkerung toleriert wurde, rechtfertigt das schleppende Wachstum im Jahr 2016 diese Verbindung nicht mehr. Denn es wird immer offensichtlicher, dass statt dem ganzen Land nur einige Günstlinge der politischen und wirtschaftlichen Elite davon profitieren.
Die Krise in Südkorea ist grösstenteils auf die sich verlangsamende Wirtschaft in China zurückzuführen, da die chinesische Volkswirtschaft der Hauptempfänger der südkoreanischen Exporte ist. Im Sommer führte die Überkapazität im Schifffahrtssektor dazu, dass die koreanische Reederei Hanjin, welche die siebtgrösste Reederei weltweit ist, Insolvenz anmelden musste. Dass die Jugendarbeitslosigkeit im vergangenen Jahr auf neun Prozent gestiegen ist, passt in das Bild der kriselnden Wirtschaft.
Zusammensetzung der Protestbewegung
Der Prozess um die Amtsenthebungsklage begann Anfang des neuen Jahres. Ein Anwalt der Präsidentin Park stellte zu ihrer Verteidigung die absurde Behauptung auf, dass die Massenkundgebungen von Kommunisten, die mit dem nordkoreanischen Regime sympathisierten, organisiert wurden. Dementsprechend würden die „Kerzenlicht-Proteste“ die wahren Gefühle der Bevölkerung nicht repräsentieren. Dabei setzen sich die Organisatoren der Kundgebungen aus über 1’500 verschiedenen zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Gruppen zusammen. Diese haben das Komitee „Emergency Public Campaign for the Resignation of President Park Geun-hye“ gegründet. Während der Proteste hat die Korean Confederation of Trade Unions (KCTU) eine „Platform for Workers’ Rights“ aufgebaut, welche Forderungen nach fairen Löhnen und Arbeitsplatzangebote für die Jugend aufstellte sowie die Vorherrschaft der Chaebols beenden will.
Staatliche Repression gegen ArbeiterInnenbewegung
Die staatliche Repression während der Militärdiktatur in den 60er und 70er Jahren gegen die ArbeiterInnenklasse führte zur Abwesenheit einer unabhängigen und schlagkräftigen ArbeiterInnen-Organisation. Im Zuge der Machtergreifung General Parks wurde die gewerkschaftliche Dachorganisation Federation of Korean Trade Unions (FKTU) gegründet und war folglich vollständig vom Staat kontrolliert. Bis heute sucht die Bürokratie dieses Gewerkschaftsverbands bei Arbeitskämpfen den Kompromiss mit der Bourgeoisie.
Daneben entstand die KCTU, welche erst 1995 vom Staat anerkannt wurde. In der jüngeren Vergangenheit der Amtszeit Park Geun-hyes zeigte sich, dass die Tochter dem Vater in nichts nachsteht. Um die Interessen der herrschenden Klasse durchzusetzen, lässt die Präsidentin GewerschafterInnen verhaften, Demonstrationen verbieten und ganze Gewerkschaftszentralen schliessen. Die Streikwelle im Herbst 2016 zeigte aber, dass die Gewerkschaften dennoch fähig sind, die Werktätigen zu mobilisieren. Das ist auf die militante Basis zurückzuführen. Da es auf politischer Ebene an einer linken Arbeiterpartei fehlt, übernahm die KCTU bisweilen diese Rolle.
Kräfte der radikalisierten Jugend und ArbeiterInnen vereinen
Indem die Korruptionsfälle aufgedeckt wurden, erlangt die ArbeiterInnenklasse Südkoreas das Bewusstsein, dass sie von der herrschenden Klasse auch in einer bürgerlichen Demokratie um den von den Werktätigen erwirtschafteten Wohlstand betrogen wird. Denn während eine kleine Elite Privilegien für sich sichert, prahlen die koreanischen PolitikerInnen, dass Südkorea nach den USA an zweiter Stelle der OECD-Länder die meisten Geringverdiener aufbringt und somit einen attraktiven Werkplatz für die Weltwirtschaft darstelle.
Die Protestbewegung bezeugt das politische Erwachen der Jugend. Konkret wird die Politisierung der koreanischen Jugend am Beispiel des SchülerInnenblocks bei der Kundgebung am 19. November bewiesen. Diese Jugendlichen kämpfen für ihr politisches Mitspracherecht. Denn obschon in Südkorea ab 18 Jahren der Fahrschein erlangt, dem Militär gedient und geheiratet werden kann, ist es ihnen untersagt, abzustimmen und Parteien beizutreten. Doch die Theorie des Marxismus sowie Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Korea und weltweit lehrt uns, dass die Partizipation an der bürgerlichen Demokratie keine Befreiung der Ausgebeuteten bringen wird. Der einzige Weg, der Korruption, dem Elend und der Prekarisierung der Arbeit ein Ende zu setzen, ist die Zerschlagung der des kapitalistischen Systems Der Etappensieg der Protestbewegung muss nun die Grundlage sein, um eine linke ArbeiterInnepartei aufzubauen, welche die Kämpfe der Protestierenden verallgemeinert. Darin findet die radikalisierte Jugend zusammen mit der ArbeiterInnenklasse ihren politischen Ausdruck, um vereint die herrschende Klasse und den Kapitalismus zu bekämpfen und schliesslich zu überwinden.
Ariane Müller
JUSO Aargau
Bild © KTCU
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