Das Jahr 2014 läutete einen Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas ein. Das Land erlebte eine Welle von Massenstreiks und ein breites Aufleben des Klassenkampfs. Im Mai fanden die ersten Wahlen nach dem Tod Mandelas statt, welche mit der EFF (Econimic Freedom Fighters) eine neue linke Kraft auf die politische Bildfläche brachten und im Herbst brach der Gewerkschaftsverband COSATU entlang der Klassengrenzen auseinander.
Schon durch die 52 Millionen Einwohner, die 11 offizielle Landessprachen sprechen und unzähligen Ethnien, Religionen und Konfessionen angehören, ist Südafrika ein Land wie kein anderes. Seine Geschichte, besonders die vierzig Jahre Apartheid, der Widerstand dagegen und die letztlich unvollständige Revolution bieten einen reichen Schatz an Erfahrungen für alle, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung durch den Kapitalismus einsetzen. Die Überwindung der Apartheid ist eine grosse historische Errungenschaft. Für die überwältigende Mehrheit der schwarzen Bevölkerung hat sich aber nichts verbessert. Die Weltbank hat für Südafrika einen Gini-Koeffizienten von 65 errechnet, was eine massive Ungleichheit in der Verteilung des Reichtums bedeutet, die Lebenserwartung ist um 13 Jahre auf 51 gesunken und fast jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos, um nur einige Beispiele zu nennen.
Eine Regierung des Kapitals
Ende der 1990er Jahre, also kurz nachdem Nelson Mandela Präsident wurde, kam die ANC Spitze unter massiven Druck des Kapitals. So wurden unter dem irreführenden Namen „Wachstums-, Beschäftigungs- und Umverteilungsplan (GEAR)“ neoliberale Praktiken eingeführt, die zu heftigen Angriffen auf Gewerkschaften und die Rechte der Lohnabhängigen führten. Diese Politik wurde vor kurzem mit dem Nationalen Entwicklungsplan (NDP) vom amtierenden Präsidenten Jacob Zuma erneuert.
Regiert wird Südafrika von der Dreiparteienallianz zwischen ANC, der kommunistischen Partei SACP und dem Gewerkschaftsdachverband COSATU. Doch ist die wichtigste Stütze der herrschenden Klasse Südafrikas, wie in jedem anderen kapitalistischen Staat auch, die Polizei. Besonders wenn es darum geht, den Arbeitsfrieden zu bewahren, scheint die Staatsmacht nur auf einen Pfiff der Kapitalisten zu warten. Im August 2012 fand bei der Platin Mine bei Marikamba ein wilder Streik für anständige Löhne statt. Die gnadenlose Antwort von Polizei und Minenkonzern Lonmin: 34 Arbeiter verloren durch Gewehrsalven ihr Leben. Dies weckte böse Erinnerungen an das Sharpeville-Massaker von 1960, als die Ordnungshüter des Apartheid-Regimes 69 Schwarze erschossen. Weitere Beispiele für die Niederträchtigkeit des Regimes sind die Bezahlung von Zumas neuer Villa mit 23 Millionen US$ Steuergeldern, das Milliardenloch durch die Fussball WM und die brutalen Zustände auf den Stadionbaustellen.
Sie gossen Öl ins Feuer
Das Marikamba-Massaker hat zudem eine regelrechte Streikwelle ausgelöst, an der sich Zehntausende beteiligten. Ihren Höhepunkt fand diese Welle in einem 21 Wochen langen Streik der Minenarbeiter im Platin-Gürtel. Diese hatten zu diesem Zeitpunkt 40% der globalen Platin-Förderung angehalten. Es wurde mit Massenentlassung gedroht und massiv Polizei aufgeboten. Zum ersten Mal wurde auch das Militär in Stellung gebracht. Diese Situation zeigt ein weiteres Mal die wahre Natur des bürgerlichen Staates als eine Gruppe von Bewaffneten zur Verteidigung des Privateigentums.
Doch dies sollte nicht der letzte Massenstreik dieses Jahres sein. Am 1. Juli legten 220’000 Metallarbeiter in über zehntausend Werkstätten ihre Arbeit nieder. Da dieser Industriezweig immer am Limit arbeitet, traf der Streik die Unternehmen viel empfindlicher als der Platin-Streik, bei dem die Konzerne die ersten Monate noch ihre Vorräte verschachern konnten. Die Gewerkschaft NUMSA (National Union of Metalworkers of South Africa), die grösste im Lande mit etwa 350’000 Mitgliedern, nahm sich der Organisation des plötzlichen Streiks an. Sie verlangte unter anderem eine Lohnanhebung von 12% und die Zulassung auf andere Branchen. Während des Streiks rief die NUMSA alle ArbeiterInnen und Organisationen der Arbeiterklasse auf, sich mit den Streikenden solidarisch zu zeigen. Diese Strategie war ein voller Erfolg. Viele Lohnabhängige verschiedenster Branchen waren über die letzte Zeit radikalisiert worden und übten Druck auf die Gewerkschaftsführungen aus. Die National Union of Mineworkers, die in der Leitung von COSATU am rechten Flügel politisiert, hatte es – genau wie das Exekutivkomitee von COSATU im Platin-Streik -unterlassen, für die Streikenden einzustehen. Nun sahen sie sich gedrängt eine Solidaritätsbekundung herauszugeben. Nach vier Wochen akzeptierte die Gewerkschaft ein Angebot der Firmen, das zwar ihre ursprüngliche Forderung nicht erfüllte, aber dennoch einen Sieg bedeutet.
Konflikte innerhalb der Linken
Schon auf ihrem ausserordentlichen Kongress 2013 hatte die NUMSA der Dreierallianz und damit dem ANC die Unterstützung im Wahlkampf verweigert. Im Oktober 2014 verkündete die Gewerkschaft als weiteren Schritt, alle Bindungen zur Allianz zu kappen und eine sozialistische Einheitsfront zu bilden. Diese Entscheidung war auch eine Folge davon, dass die NUMSA kurz davor stand, wegen ihrem konsequenten Klassenstandpunkt von COSATU ausgeschlossen zu werden. Um dies zu vermeiden, forderten sie, einen Kongress abzuhalten, was bereits lange überfällig gewesen war. Die COSATU- Führung um Präsident S’dumo Dlamini weigerte sich jedoch, denn die Mehrheit im Exekutivkomitee war auf Seite des ANC und der SACP, deren Politik seit Jahren gegen die Interessen der Lohnabhängigen arbeitet und ihr revolutionäres Erbe verraten hat. Dieses Gremium spiegelte aber nicht die Situation an der Basis der Arbeiterbewegung und wäre bei einer Wahl wohl weit nach links verschoben worden. Es ist also kaum verwunderlich, dass diese im Grunde bürgerlichen Funktionäre an einer Sitzung beschlossen, dass die NUMSA nicht mehr tragbar sei und Generalsekretär Irvin Jim und seinen Kollegen vorwarfen, sie planten eine Spaltung.
Die Reaktion der geschassten Gewerkschaft war bemerkenswert. Statt sich nun zurückzuziehen und in sektiererische Tendenzen zu verfallen, animierten sie ihre Mitglieder, aktiv auf die Basis der anderen Gewerkschaften und des ANC zuzugehen und ihnen die Falschheit ihrer Führer aufzuzeigen. Durch ihr radikales Programm mit dem Ruf nach einer Verstaatlichung der Wirtschaft hat die NUMSA tausende radikalisierter Arbeiterinnen und Arbeiter herangezogen und wurde so zur grössten Gewerkschaft in der Geschichte Südafrikas. Die komplette Degeneration der Südafrikanischen Kommunistischen Partei hat zudem ein Vakuum gebildet, welches NUMSA teilweise füllen konnte. Dazu tragen auch die Einheitsfront-Strukturen bei, mit denen die Gewerkschaft auf lokaler Ebene mit verschiedenen progressiven Organisationen für die Rechte der Lohnabhängigen kämpft. Was wir hier beobachten konnten, ist nicht einfach ein bürokratischer Kampf innerhalb von COSATU, sondern das Auseinanderbrechen der Befreiungsbewegung an den Klassengrenzen!
Welche Alternative zu der SACP?
Nach 20 Jahren in den Kreisen der Macht haben die Funktionäre der SACP den Sozialismus bequem ins nächste Jahrhundert verbannt und überbieten sich selbst mit immer noch reaktionärerer Politik. Wenn man sich in der südafrikanischen Parteienlandschaft nach einer linken Alternative umschaut, drängt sich die EFF (Economic Freedom Fighters) auf. Sie wurde nur ein halbes Jahr vor den Mai-Wahlen aus der ehemaligen Jugendliga des ANC und deren Vorsitzenden Julius Malema gegründet. Ihre Basis hat sie vor allem bei den Minen- und Industriearbeitern und in den Townships. Durch ihr radikales Programm und unermüdlichen Einsatz wurde sie drittstärkste Kraft im Parlament. Als kleine Partei können sie im Parlament ihre radikalen Ideen nicht durchbringen, benützen es dafür aber als Sprachrohr. Tatsächlich sind die Zuschauerränge jeweils gefüllt und Zehntausende verfolgen die Debatten in Radio und Fernsehen. Dabei kommt es nicht selten zu Tumulten während den Debatten, wie etwa am 21. August, als Parteipräsident Malema den Präsidenten schlicht fragte: „Wann bezahlen Sie das Geld zurück?“, womit das Geld für die Villa gemeint war. Nachdem Zuma ausweichend antwortete, kam es schliesslich zu der Situation, dass die gesamte EFF Fraktion stehend „Wir wollen unser Geld zurück!“ skandierte und gegen jedes Recht aus dem Saal geführt wurden. Solche Aktionen verfehlen ihre Wirkung nicht: jedes Kind kennt nun den Slogan.
Die Schwächen der EFF
Eines der Probleme der Partei ist aber ihr Verständnis von Verstaatlichung. In einem Interview liess ein Funktionär durchblicken, dass „60 Prozent staatliche und 40 Prozent private Steuerung der wichtigsten Wirtschaftszweige“ ausreichen würde.
Wenn jedoch eine Verstaatlichung der Industrie wie in England oder den USA im zweiten Weltkrieg angestrebt wird, was Malema schon als Beispiel anführte, heisst das nicht anderes als ein Fortbestehen des Kapitalismus unter den ihm nützlichsten Bedingungen. Verstaatlichung muss einhergehen mit konsequenter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeitenden selbst und nicht durch korrupte Gremien des bürgerlichen Staates.
Die EFF hat das Potential, eine grosse revolutionäre Partei zu werden. Nur hat sie dabei immer noch einige Probleme, sowohl theoretische als auch strategische. Es würde sich eigentlich anbieten, dass sich die Fighters der Einheitsfront der NUMSA anschliessen. Gerade dabei hat die Partei aber schwerwiegende Fehler begangen. Malema hatte im August die Einladung an das internationale linke Symposium der Gewerkschaft abgelehnt, weil die NUMSA nicht zuvor Gespräche mit ihm aufgenommen hatte. Gleichzeitig lehnte die EFF aber Gespräche ab, solange NUMSA noch Teil von COSATU war und damit der Dreiparteienallianz. Es wäre wichtig zu verstehen, dass nicht organisatorische Unabhängigkeit das Kriterium sein darf, sondern politische. Die Aufgabe bleibt so oder so dieselbe: Geduldig den Arbeitern und Arbeiterinnen die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution und der Einheit der Klasse zu erklären.
Die Kräfte des Marxismus aufbauen
Die Jugend, ob angestellt oder arbeitslos, wurde über die letzten Jahre stark radikalisiert. Die Economic Freedom Fighters sind eine eindeutige Reflektion davon. In Südafrika wird die Frage der Nationalisierung so offen diskutiert wie an kaum einem anderen Ort. Um diesem Streben nach dem Umsturz der herrschenden Verhältnisse zum Sieg zu verhelfen, braucht es eine marxistische Kaderpartei, die geduldig aufgebaut wird und sich in den Ideen und Traditionen des Marxismus schult, welche aus zweihundert Jahren erbittertstem Kampf gegen den Kapitalismus entstanden sind. Sie muss sich der Masse lohnabhängigen und arbeitslosen Bevölkerung zuwenden wo immer möglich und die Alternative zum kapitalistisch Albtraum aufzeigen. Unsere Organisation, die International Marxist Tendency IMT, steht mit der Leitung der NUMSA in Kontakt um genau diese Notwendigkeit in die Tat umzusetzen.
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