Überraschenderweise stand ein weiterer Punkt auf der Traktandenliste. Das SP-Präsidium wolle die 99% Initiative nicht unterstützen, erklärte die JUSO Präsidentin Tamara den Delegierten. Aus diesem Grund beantragte die JUSO Geschäftsleitung die Änderung des Initiativtextes – er müsse auf einen Satz zusammengestrichen werden. Ein alternativer Textvorschlag lag allerdings nicht vor, der Entscheid des SP Präsidiums sei zu kurzfristig kommuniziert worden. Verschiedene Wortmeldungen kritisierten unter anderem die SP und forderten die Geschäftsleitung auf, inhaltlich keine Konzessionen zu machen. Dies wurde auch von Tamara bekräftigt, bevor die Delegierten dem Antrag der Geschäftsleitung folgten – immerhin mit einigen Gegenstimmen und Enthaltungen.
Doch nun zum wichtigsten Traktandenpunkt, der Staatsdebatte. Drei Papiere wurden eingereicht:
Diese Papiere wurden bereits im Vorfeld in zahlreichen Sektionen vordiskutiert. An diesen Diskussionen haben bereits über 150 GenossInnen teilgenommen. Verschiedene JUSO AktivistInnen begrüssten denn auch die Debatte, die auf einem guten Niveau geführt wurde.
Die Diskussion wurde deshalb nur durch eine kurze Vorstellung der Positionen eröffnet. Sarah-Sophia vertrat die Arbeitsgruppe Bürgerlicher Staat und stellte klar: „Der Staat emanzipiert nicht. Wir emanzipieren.“ GL-Mitglied Jonas argumentierte dagegen, dass der Staat eine emanzipatorische und eine repressive Seite habe, je nachdem welche Seite im Klassenkampf die Oberhand erringe. Genosse Simon von der JUSO Wallis, der das Post-Politische Papier vertrat, argumentierte gegen jedes materialistische Staats- und Geschichtsverständnis, wir müssten in erster Linie den Sozialismus in Form der radikalen Demokratie neu erdenken.
Podium
Im Anschluss präsentierten sich die verschiedenen Haltungen auf einem Podium, was sich grundsätzlich gut eignet. Die Fragen der Moderation seien aber viel zu harmlos gewesen, verriet uns eine Genossin, die zum ersten Mal an einer JUSO DV war.
Lukas übernahm die marxistische Position und überzeugte mit verschiedenen, gut fundierten Diskussionbeiträgen. Auch der anarchistische Diskussionsteilehmer Felix, der eingeladen wurde, um eine aussenstehende Position einzubringen, bekam viel Beifall. Die VertreterInnen der zwei Gegenpapiere konnten leider wenig überzeugen. Ein gebetsmühlenartiges Wiederholen des Papier-Inhaltes seitens der GL liess schmerzlich konkrete Beispiele vermissen. Simon bemühte sich dagegen durchgehend um einen Vergleich des Staat mit einem Hammer und verrannte sich teils in verwirrenden Theorieerläuterungen. Vor allem konnten sich die beiden Gegenpapiere nicht klar voneinander abheben.
Ganz klar die Knacknuss war, welche Konsequenz man aus dem Staatsverständnis ziehen sollte. Was macht man konkret? Hierauf konnte leider keine der Gegenpositionen eine abschliessend überzeugende Erklärung liefern. Also: Die Auseinandersetzung muss weitergehen, wenn auch nicht mit gleicher Intensität wie in den letzten Wochen.
Anträge und Abstimmung
Die Bereinigung der Papiere ging relativ rasch. Die umkämpften Anträge ans Papier der AG bürgerlicher Staat wurden alle abgelehnt, so dass das Papier nicht verwässert wurde. Weniger klar war die Situation beim Papier der GL. Allerdings gab es dabei keine Versuche, zentrale Punkte zu entfernen.
Nach einer hitzigen Diskussion mit über zehn Interventionen waren die Meinungen dann gemacht. Viele der Redemeldungen hatten ein hohes Niveau und widerspiegelten ein tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Thema und eine sorgfältige Vorbereitung. Leider versuchten verschiedene RednerInnen jedoch nicht, die Anwesenden von “ihrem” Papier zu überzeugen, sondern redeten ausschliesslich über die vermeintlichen Schwächen des anderen Papiers. Für viele Lacher sorgte der letzte Redner, der mit hochrotem Kopf keinen Punkt ausliess um in verschiedenen hanebüchernen Vergleichen das AG-Papier in den Dreck zu ziehen.
In der Abstimmung wurde als erstes das GL-Papier als das Gegenpapier zu jenem der AG bestimmt, das Post-Politische Papier schied aus. Die Abstimmung ergab dann ein Unentschieden von 43:43 Stimmen zwischen AG- und GL-Papier. Gemäss den Statuten musste die Abstimmung wiederholt werden. Wenn es ein zweites Mal keinen Entscheid gäbe, müsste die Präsidentin einen Stichentscheid fällen. Dank einer zusätzlichen Delegiertenstimme gewann dann jedoch das GL-Papier mit 44:43 Stimmen.
Um das neue Staatspapier dann definitiv zu verabschieden wurde erneut abgestimmt. Verabschiedet wurde es wieder sehr knapp mit 41:39. Die Atmosphäre an der DV und die knappen Abstimmungsresultate zeigten, dass die Staatsfrage in der JUSO umkämpft bleibt. Ob und wie die GL aus dem verabschiedeten Papier Konsequenzen ziehen wird, zeigt die Zukunft.
Vor dem Schlussapéro sprach sich die JUSO für die Unterstützung der Ernährungssouveräntitsinitiative des (bäuerlichen) Produzentenverbands Uniterre aus.
Ein Punkt am Rande: Mit einem interessanten Theaterprojekt trat Genosse Nikolai aus Zürich vor die DV:
Stell dir vor, genau 100 Jahre nach der Russischen Revolution 1917 findet die Schweizer Revolution statt. Über Nacht erringt die antikapitalistische Linke die Macht im Land und kann die bürgerliche Schweiz nach Lust und Laune umbauen. Doch was tun? Wie sieht diese Schweiz aus? Am 8. November, dem Tag nach der Machtergreifung, treffen sich die revolutionären Kräfte im Lenin-Saal des Volkshauses und bestimmen die Eckpfeiler der sozialistischen Schweiz.
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