Schon seit über einem Jahrzehnt gehe ich an Demonstrationen. Gegen Rassismus, gegen Sexismus, gegen Polizeigewalt, Sparmassnahmen und viele weitere Widerlichkeiten, die die Arbeiterklasse und die Jugend tagtäglich erleben müssen.
Wenn ich heute an eine Demonstration gehe und mit den Leuten spreche, dann spüre ich, dass sich alles geändert hat. Nicht nur im Vergleich zu vor zehn Jahren. Auch im Vergleich zu letztem Jahr, im Vergleich zu letztem Monat. Vor wenigen Jahren sah man an Demonstrationen in erster Linie die üblichen Verdächtigen aus dem linken Kuchen, aus JUSO und Autonomen. Von 2016 bis 2019 ist praktisch nichts gelaufen. Dann kam der Frauenstreik mit einer halben Million Demonstrantinnen und Demonstranten und die zahlreichen Klimademos mit tausenden Teilnehmenden. An den Demos konnte man unter den vielen neuen Gesichtern kaum mehr einen dieser Gewohnheitsdemonstranten erkennen.
Auch jetzt, an den Black Lives Matter-Demos, beteiligten sich neue Schichten von Menschen. Jugendliche, die bisher nie politisch in Erscheinung getreten sind, strömten in der ganzen Schweiz zu tausenden auf die Strasse. Die migrantische Jugend hat zum ersten Mal seit langem das politische Parkett betreten.
Neue Menschen, neues Bewusstsein
Als Unterstützer des Funke verteidige ich an Demonstrationen die Notwendigkeit, die Kämpfe gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie untereinander und mit dem Kampf gegen den Kapitalismus zu verbinden. Denn nur mit dem Sturz des Systems können diese Kämpfe wirklich gewonnen werden. An jeder Demonstration, an jeder Kundgebung, an der wir uns beteiligt haben, haben wir mit unserer Zeitung und in der Diskussion versucht, die Leute von unseren Positionen zu überzeugen. Oft mit mässigem Erfolg. Die Revolution ist solange unmöglich, bis sie unausweichlich wird.
Zehn Jahre nach der Krise von 2008 holt das politische Bewusstsein rapide auf. Nicht wenige verstehen, dass es so nicht weitergehen kann und dass man die Zerstörung der Natur nicht vom Kapitalismus trennen kann. Dann kam die Coronakrise, die allen vor Augen geführt hat, in welch verrottetem System wir heute Leben. Kurz stand die Welt still. Dann ermordeten sie Georg Floyd. Neue Massen strömten auf die Strassen. Massen, die nicht nur genug vom ständigen Rassismus haben, sondern allgemein ihr Vertrauen in die Gesellschaft und den Staat verloren haben. Sie wollen, dass sich alles ändert.
Verkaufe ich heute Zeitungen, will praktisch jede angefragte Person eine Ausgabe haben und ist mit unseren Positionen einverstanden. In Winterthur hatten wir einen kleinen Stand mit Zeitungen, ein paar wenigen Broschüren und Büchern. Als die Demo vorbei war, kamen zahlreiche Personen vorbei, um Zeitungen zu kaufen und um mit uns zu diskutieren. In Bern wurde unser Wagen, mit dem wir Zeitungen und Bücher an die Demos bringen, zum Besammlungspunkt des Flashmobs «Exit racism now». Der Wagen wurde kurzerhand zur Bastelstation für Schilder umgenutzt und einige Jugendliche haben mit unserem Schild «You can’t have capitalism without racism» (Malcolm X) selfies für ihr Instagram gemacht.
Wir führen den Kampf weiter
Wenn 2018 noch wenige der Überzeugung waren, dass der Kapitalismus überwunden werden muss, so findet man heute an den Demonstrationen unglaublich viele Menschen, die zu diesem Schluss gekommen sind. Das ganz einfach darum, weil es nicht mehr möglich ist, weiterzumachen wie bisher. Nichts ist so stark wie Ideen, deren Zeit gekommen ist.
Wir haben natürlich nicht die Illusion, dass das nur daran liegt, dass unsere Ideen so gut sind. Das allein ist es nicht. Tatsache ist, dass die Menschen heute nach Antworten suchen und wir die einzige organisierte Kraft an diesen Demonstrationen sind, die eine Perspektive über die Demonstration hinaus anbietet. Das ist schade. Nur wenn wir gemeinsam Ideen entwickeln, diese diskutieren, sie gegenüberstellen, ja sogar über sie streiten und in der Praxis testen, sind wir fähig, den richtigen Weg zu finden.
Wir wollen, dass der Kampf gegen Rassismus nach der Demo weitergeht. Jeder und Jede welche das auch möchte und mit unseren Ideen einverstanden ist, empfangen wir mit offenen Armen in unsere Reihen.
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