Schon vor dem Ausbruch von Covid-19 war «Pflegenotstand» ein Schlagwort. Zu wenig Personal, fehlender Nachwuchs, viele Berufs-AussteigerInnen, eine immer älter werdende Gesellschaft. Das Problem ist eindeutig, wird aber gerne verdrängt, solange man nicht selber auf Pflege angewiesen ist oder diese selber bietet.
Während sich viele Pflegefachpersonen verzweifelt an die Pflegeinitiative klammern und sich seit Jahren durch diese Besserung erhoffen, haben sich die Missstände mit der Pandemie nur verschlimmert. Die Initiative fordert unter anderem anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen, besser definierte Zuständigkeitsbereiche und genug Ausbildungsplätze, um den Bedarf an Pflegenden zu decken. Im Parlament und in den Medien wurden die Probleme in der Pflege in letzter Zeit zwar öfter thematisiert, der öffentliche Diskurs dreht sich aber mehrheitlich nur um den Lohn der Pflegenden. Für viele der Arbeiterinnen und Arbeiter im Gesundheitswesen ist die miese Bezahlung jedoch nur die Spitze des Eisberges der Probleme – die chronische Überlastung und Unzufriedenheit mit den schlechten Arbeitsbedingungen dominieren den Alltag. Niemand wählt einen Beruf in der Pflege wegen des Geldes oder sonstigen Vorteilen, sondern, weil man etwas Gutes tun möchte für andere Menschen. Wenn man dies aber im Arbeitsalltag konstant nicht tun kann, weil die materiellen Bedingungen es nicht zulassen, belastet das einen psychisch. Diese Belastung kommt zur physischen hinzu. Um den Problemen und Forderungen der ArbeiterInnen im Gesundheitswesen Aufmerksamkeit zu schenken, lassen wir sie hier von ihren Forderungen und Problemen erzählen:
Valentina, Pflegeassistentin: «Im Sommer habe ich fast drei Monate lang sechs Tage pro Woche gearbeitet und selten mehr als einen Tag frei gehabt. Und das, obwohl ich nur 70 Prozent angestellt bin. Weil wir zu wenig Personal haben, musste ich halt einspringen. Zwar habe ich im November häufiger frei, aber das ist mir egal – die freien Tage hätte ich im Juli und August gebraucht, um Energie tanken zu können. Die Arbeit ist sehr anstrengend: ständig ist es laut, da Maschinen piepsen, die Glocke läutet und alle etwas wollen. Wir sind pro Tag mindestens 7 Stunden auf den Beinen, laufen die langen Gänge auf und ab, schieben schwere Betten, mobilisieren bettlägerige Patienten, bücken uns und tragen schweres Material umher. Wenn ich nach Hause komme, mag ich manchmal nicht mal mehr Abendessen kochen.»
Rainer, Pflegefachmann: «Die Pflege bekommt quasi jedes Jahr mehr Kompetenzen übertragen, die die ÄrztInnen nicht mehr wahrnehmen können. Von uns wird erwartet, dass wir invasive Massnahmen (also Massnahmen, die wortwörtlich “unter die Haut gehen”, wie zum Beispiel venöse Zugänge legen oder Ähnliches), Organisatorisches und Medizinaltechnisches innerhalb kurzer Zeit beherrschen und die Aufgaben zusätzlich zu unseren Grundtätigkeiten nebenbei ausführen. Gleichzeitig werden Stellenprozente gestrichen. Wo sollen wir diese Zeit hernehmen?»
Anita, Pflegefachfrau: «Die Patientenzahl pro Pflegekraft nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Ausserdem wird jeder Patient gleich gezählt, egal, ob die Person bettlägerig und pflegebedürftig oder selbstständig ist – obwohl das für uns einen riesigen Unterschied macht! Wir haben zu viele Patienten, um uns die Zeit zu nehmen und sie wirklich pflegen zu können. Wir halten die Patientinnen am Leben bis Schichtende, mehr können wir oft nicht tun. Das ist aber nicht, was ich unter Pflege verstehe… Wir brauchen mehr Personal und einen besseren Patienten-Pflegeschlüssel!»
Lisa, Fachangestellte Gesundheit: «Ich bin FaGe geworden, weil ich mich gerne um Leute kümmere. Es gibt mir viel, wenn ich jemandem helfen kann und dabei zusehen kann, wie es der Person jeden Tag etwas besser geht und sie mehr Selbstständigkeit erlangt. Jedoch habe ich oft keine Zeit, um Leute wirklich “pflegen” zu können, sondern ich muss mich einfach möglichst kurz halten, damit die Dinge erledigt sind. Statt älteren Leuten die Zeit zu geben, sich selber zu waschen und so aktiviert zu werden und wieder Selbstvertrauen zu fassen, waschen wir sie wegen dem Zeitdruck lieber selber. Das geht schneller. Statt jemanden auf die Toilette zu begleiten, bringen wir den Nachttopf und so weiter. Mir macht es keinen Spass so und es schlägt mir auf die Psyche, dass ich ständig meine Patienten enttäuschen muss und gezwungen bin, auf eine Art und Weise zu handeln, die nicht optimal ist.»
Nicole, Pflegefachfrau: «Für das, was wir tun jeden Tag, kriegen wir zu wenig Lohn. Wir tragen solch eine Verantwortung, müssen so viel lernen und wissen, stehen ständig unter Druck, sind körperlich und psychisch gefordert. Ausserdem arbeiten wir im Schichtsystem, was das ganze Sozial- und Familienleben lahmlegt. Von uns scheint erwartet zu werden, dass wir all das aus Gutherzigkeit einfach hinnehmen ohne Entschädigung.»
Silvia, Studierende Pflege HF im 1. Jahr: «Auszubildende werden in unserem Betrieb im Einsatzplan als vollwertige Pflegefachkräfte eingeplant. Obwohl wir noch nicht das nötige Wissen und die Kompetenzen haben, um selbstständig alle Aufgaben auszuführen und unser Lohn nur ein Bruchteil dessen ist, was eine diplomierte Pflegefachkraft verdient! Das ist doch ein Risiko für die Patienten, wenn wir etwas aus Versehen falsch machen, oder übersehen. Wir sind hier, um zu lernen und brauchen dafür Zeit und Begleitung. Und Patienten brauchen kompetente Pflegefachkräfte, die um ihre Sicherheit besorgt sind, nicht nur Auszubildende…»
Bild: der Funke
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