Wir schreiben das Jahr 1844. Karl Marx lebt aufgrund seiner politischen Publikationen mit seiner Frau Jenny im Pariser Exil. Geldsorgen plagen den Alltag der jungen Familie. Gleichzeitig beobachtet Friedrich Engels in der Fabrik seines Vaters in Manchester, die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der Fabrikarbeiter*innen.
Kurz darauf treffen sich die beiden in Paris. Aus der anfänglichen Abneigung ergibt sich kurzerhand eine innige Freundschaft, als sie gegenseitig beginnen, ihre publizierten Analysen und Überlegungen zu komplementieren.
Marx entwickelt sich
In den nächsten anderthalb Stunden werden, um es in den Worten unseres deutschen Genossen Hans-Gerd Öfinger zu sagen, «zwei glänzende junge Intellektuelle präsentiert, die wesentlich dazu beitrugen, der damals in den Kinderschuhen steckenden Arbeiter*innenbewegung Orientierung, Perspektiven und Programm zu vermitteln.
Der Film zeigt, dass sich Marx und Engels aber nicht mit einer sektiererischen Randexistenz als Literaten und Kritiker zufrieden geben wollten, sondern um ihren Zugang zur Organisation der fortschrittlichsten Kräfte im Proletariat kämpften und beim Übergang und der Umbenennung vom «Bund des Gerechten» zum «Bund der Kommunisten» eine massgebliche Rolle spielten.
Jedoch waren sie keine Wohltäter, die sich aus Mitleid an den Proletarier*innen erbarmten. Vielmehr setzten sie darauf, dass sich das Proletariat als einzige wirklich revolutionäre Klasse organisiert und darauf vorbereitet, die Staatsmacht zu erobern.»
Historische Beziehungen
Neben diesen Leitideen stehen klar zwischenmenschliche Beziehungen im Zentrum des Films, sei es zwischen Marx und Engels, deren Lebensgefährtinnen Jenny und Mary, welche im Film eine dominante Rolle einnehmen, oder Zeitgenossen wie Proudhon. Gerade in dieser Vermenschlichung der beiden Hauptpersonen liegt eine Stärke des Films, so macht er die grossen Vordenker für die Zuschauer*innen greifbar.
Gleichzeitig öffnet die damit einhergehende Romantisierung den Film auch der Kritik der historischen und theoretischen Unschärfe, die auch durch den Einsatz verkürzter und teils deplatzierter Zitate zum Ausdruck kommt.
Die Botschaft kommt an
Wer vom Besuch des Films «Der junge Karl Marx» eine historisch getreue Abbildung der frühen Jahre von Marx erwartet, wird enttäuscht sein. Der Spielfilm bleibt seinem Genre – gerade in Bezug auf die künstlerische Freiheit – treu, was seiner zugrunde liegenden Botschaft aber nicht im Weg steht.
Vielmehr gelingt es dem Regisseur Raoul Peck gekonnt, an die Gefühlswelt heutiger Marxist*innen, und jenen die es werden könnten, anzuknüpfen und den Bezug zu den Anfangsjahren des revolutionären Doppelgespanns Marx und Engels herauszuarbeiten. Als solches eignet sich der Film auch als Einstieg in antikapitalistische Denkweisen für theoretisch weniger versierte Kinobesucher*innen. Seinen Abschluss findet der Film übrigens mit der Fertigstellung des Kommunistischen Manifests, dessen berühmte einleitende Worte über Szenen der Arbeitsbedingungen während der industriellen Revolution gesprochen werden.
Marxismus ist aktuell
Der Übergang im Abspann zu echtem Bildmaterial von bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Ereignissen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute verdeutlicht noch einmal die Relevanz, welche marxistische Ideen bis zum heutigen Tag noch haben.
Helena
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