Eine Reihe von islamistischen Terror-Anschlägen durchzog Europa. Islamistische und kapitalistische Barbarei sind Kehrseiten derselben Medaille. Nur die vereinte Arbeiterklasse kann die Medaille zerschlagen.
In Lugano hat eine Frau in einem Warenhaus PassantInnen erstochen und dabei dschihadistische Schlachtrufe geschrien. Noch verheerendere islamistische Terrorakte passierten davor in Österreich und Frankreich. Wir MarxistInnen verurteilen solche niederträchtigen Attentate auf’s Schärfste!
Macron organisierte nach dem Terrorakt in Österreich hauruck einen EU-Gipfel mit Merkel, dem holländischen Staatspräsidenten Rutte, Kommissionspräsidentin von der Leyen u.a. Man trauere gemeinsam um die Opfer; es brauche jetzt europäische Solidarität, man müsse einen gemeinsamen «Kampf der europäischen Zivilisation gegen die islamistische Barbarei» führen und die europäischen Aussengrenzen vor den barbarischen Eindringlingen schützen. Das ist doppelt und dreifach zynisch.
Es ist die kapitalistische und imperialistische Barbarei, die den islamistischen Fundamentalismus hervorbringt. Und obendrein versuchen dann die kapitalistischen Politiker und Ideologen, die Attentate rassistisch auszuschlachten und ihre wackelnde Herrschaft zu stabilisieren.
Die Menschen sind Produkte ihrer Umstände. Barbarische Kräfte gedeihen auf barbarischen Lebensgrundlagen. Die imperialistischen Abenteuer produzieren Barbarei ohne Ende in der «dritten Welt». Ein aktuelles Beispiel.
Französische Truppen sind seit 2013 in einen Krieg in der Sahelzone verwickelt. Dschihadisten nahmen in Mali Gebiete ein, in denen französische Monopolkapitalisten wie «Total» die Region ausplündern. Der französische Staat verteidigt diese Kapitalinteressen in der Region: Er unterstützt das bestehende, despotische Regime, das den französischen Monopolkapitalisten gut gesinnt ist. Mit mehr als 5000 französischen Soldaten verübt der französische Imperialismus regelrechte Massaker in der Region. Vier Millionen Menschen sind auf der Flucht.
Die Fundamentalisten können sich – unter Absenz einer linken Alternative – als Verteidiger der Armen, der Minderheiten, der Gedemütigten aufspielen. Sie können sich – im Angesicht der Verbrechen des Imperialismus – als Kämpfer gegen den Imperialismus inszenieren und junge arme Malier und Verarmte aus kleinbürgerlichen Schichten rekrutieren.
Das gilt auf etwas andere Weise und auf anderen Erdteilen für den deutschen, französischen, österreichischen, EU- und Schweizer Imperialismus. Aber es gilt im Wesentlichen für alle.
Auch in den imperialistischen Ländern selbst produziert das Kapital den islamistischen Fundamentalismus. Die Arbeiterklasse ist kein homogener Monolith. Das Kapital spaltet und schichtet sie. MigrantInnen werden durch eine Kombination aus handfesten Migrationsregimen und Rassismus schlechtergestellt. Sie werden von den Kapitalisten überdurchschnittlich ausgebeutet, können ungeschützter auf’s Pflaster geworfen werden, wenn die Konjunktur nach unten zeigt – und drücken obendrein noch auf die Löhne der gesamten Klasse. Zum Beispiel war die Arbeitslosigkeit von TürkInnen und MarokanerInnen in den Niederlanden 2011 drei Mal so hoch wie bei den NiederländerInnen und der durchschnittliche Stundenlohn ein Drittel tiefer. In Grossbritannien war die Arbeitslosigkeit von pakistanischen und MigrantInnen aus Bangladesch vier Mal höher, die Löhne einen Viertel tiefer.
Was setzt die herrschende Klasse auf die Perspektivlosigkeit dieser prekären, an den Rand gedrängten Schichten der Gesellschaft obendrauf? Anti-muslimische Propaganda! Macron führt seit Jahren eine rassistische Kampagne gegen Muslime. Unter dem Deckmantel der «Trennung von Staat und Kirche» führt er direkte staatliche Angriffe auf die Religionsfreiheit durch. Genauer: Angriffe auf eine bestimmte Religion, die muslimische. Kopftücher sollen verboten werden. Ähnliches kennen wir aus Österreich und der Schweiz.
Die Kombination aus realer Perspektivlosigkeit und anti-muslimischer Ideologie: das ist der Nährboden für den Fundamentalismus auch in den imperialistischen Ländern.
Die tiefste Krise des Kapitalismus – jahrzehntelang vorbereitet, nun getriggert durch die Pandemie – drückt auf die Lebensbedingungen der ganzen Arbeiterklasse. Armut, Elend, Arbeitslosigkeit usw. nehmen zu. Die Klassengegensätze verschärfen sich: der Gegensatz zwischen den Ausbeutern, den Kapitalisten, und den Ausgebeuteten, den ArbeiterInnen.
Die anti-muslimische Propaganda der Herrschenden soll von diesen wirklichen Gegensätzen ablenken. Sie soll einen einen Keil in die Arbeiterklasse schlagen: die Arbeiterklasse in «zivilisierte» Europäer und «barbarische» Muslime, Islamisten und Migranten aufspalten und sie gegeneinander ausspielen. Das Ablenkungsmanöver ist so simpel wie es alt ist: Die Islamisten, die Muslime, die Migranten sind für zunehmendes Elend und zunehmende Perspektivlosigkeit verantwortlich – und nicht etwa der Kapitalismus und die Klasse, die darin herrscht; nicht etwa die Regierungen, welche die Krise dieses Systems im Interesse des Kapitals verwalten! Die «Solidarität», von der Merkel auf dem EU-Gipfel sprach: das ist eine Scheinsolidarität zwischen nicht-muslimischer Arbeiterklasse und Kapitalistenklassen. Sie hat den Zweck, dass die Kapitalistenklasse die ganze Arbeiterklasse (muslimische wie nicht-muslimische) unterdrücken kann.
Es muss nicht islamistischer Terror sein. SVP-Fraktionspräsident Aeschi hat zuletzt auf irgendwelche Gerüchte reagiert, wonach 70% der Corona-PatientInnen MigrantInnen seien. Die Migranten schleppen, so Aeschi, das Virus ein und nützen unser Gesundheitssystem aus. Sie seien verantwortlich, dass die Schweizer ArbeiterInnen überhaupt krank würden und dass jetzt eine noch viel verheerendere «dritte Welle» droht.
Aeschi versucht zu verschleiern, dass es die Logik der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist, die einen Shutdown der nicht-essentiellen Bereiche der Wirtschaft, einen Ausbau des Gesundheitssystems und die Kontrolle der ArbeiterInnen im Betriebe über die Gesundheitsmassnahmen scheut wie der Teufel das Weihwasser. Und dass die laissez-faire-Politik von Bundesrat und Kantonsregierungen genau dieser Logik sich unterwirft, also Profite vor Gesundheit stellt. «Die Migranten» müssen als Sündenbock herhalten.
Kurz, Macron, Merkel und die SVP werden halbe Freudensprünge gemacht haben, als rauskam, dass die Attentate von Islamisten verübt worden sind: ein Geschenk auf dem Silbertablett, um von den 1001 Problemen im (gesundheits-)krisengeschüttelten Kapitalismus abzulenken und «hinter dem rassistischen Vorhang» die ganze Arbeiterklasse für die Krise bezahlen zu lassen! Diese Propaganda wiederum kann den Fundamentalisten Zulauf verschaffen. Kapitalismus und Imperialismus auf der einen, islamistischer Fundamentalismus auf der anderen Seite: das sind keine Gegner, sondern heimliche Zwillinge, die sich gegenseitig in die Hände spielen. Beide sind reaktionär. Es braucht einen dritten Weg unabhängig von Bürgerlichen und Islamisten!
Es ist eine politische Frage, wie weit sowohl die Scheinlösungen des Fundamentalismus wie auch die rassistischen Reaktionen der Herrschenden ziehen. Es ist die Frage, ob eine politische Kraft einen wirklichen Weg raus aus perspektivlosem Dasein, Konkurrenz, Elend und Barbarei im Kapitalismus aufgezeigt. Alle ausgebeuteten und unterdrückten Lohnabhängigen müssen in einen gemeinsamen Kampf gegen die wirklichen Gründe für ihr Elend gezogen werden: gegen das kapitalistische System in seinem Todeskampf, gegen die Kapitalisten und die Bürgerlichen. Im gemeinsamen Kampf selbst werden die Lohnabhängigen erkennen, wer wirklich Freund und Feind ist.
Für die Redaktion
Jannick Hayoz
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