An der Jahresversammlung der JUSO Schweiz am 9. und 10. Februar 2019 stehen sich zwei Positionspapiere gegenüber: das Grundlagenpapier: Care-Arbeit der Geschäftsleitung und das Grundlagenpapier: Soziale Reproduktion. Wie wir den Kampf gegen Frauenunterdrückung führen der marxistischen Strömung Der Funke. Im zweiteiligen Artikel erklären wir die wichtigsten politischen Differenzen zwischen beiden Papieren: Willkommen zu Teil 2.
Weltweit brechen in den letzten Jahren Frauenbewegungen auf – nicht ohne Grund. Die Bourgeoisie wälzt seit einem Jahrzehnt die kapitalistische Krise auf die Lohnabhängigen ab und Frauen trifft es dabei am härtesten. Sozialabbau – die präferierte Strategie der KapitalistInnen zur Krisenbewältigung – treffen feminisierte Berufsbranchen (Bildung, Pflege, …) besonders stark. Frauenverachtende Rhetorik ist für die reaktionärsten Teile der Bourgeoisie, verkörpert durch Trump, Bolsonaro und Co., zur beliebten politischen Taktik geworden. Streiks von Pflege- und Lehrpersonen sowie Kämpfe für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper brechen nicht zufällig aus. Sie sind im Kontext des sich zuspitzenden Klassenkampfs zu verstehen.
Aber nur weil diese Frauenbewegungen so stark sind, heisst das nicht, dass die Gruppe «Frauen» das neue revolutionäre Subjekt sind. In manchen Kämpfen mögen Frauen verschiedener Klassen dieselben Forderungen teilen, doch in ihrer praktischen Umsetzung trennt sich die Bewegungen entlang von Klassenlinien. Revolutionäres Subjekt sind nicht einfach diejenigen Teile der Gesellschaft, die im Moment am entschlossensten kämpfen, sondern diejenigen, welche durch ihre Position in der Gesellschaft das Potential haben, eine tatsächliche Veränderung herbeizuführen. In unserem Papier schreiben wir:
Ihre Position im Produktionsprozess und somit der Gesellschaft macht die Lohnabhängigen zum revolutionären Subjekt – unabhängig von Geschlecht, Sexualität und Herkunft. Die ArbeiterInnenklasse ist die tätige Klasse. Alles, was um uns herum erbaut und produziert wird, entspringt ihrer Arbeit. Das heisst, dass sie geeint am Hebel der Macht sitzt, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst ist. Die ArbeiterInnenklasse ist das revolutionäre Subjekt, weil sie aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess die Macht hat, die Bourgeoisie zu stürzen und die Gesellschaft selbstständig zu leiten. (Z. 264-270)
Dieses Kriterium gilt eben nicht für «Frauen» als Solche. Eine Kapitalistin hat trotz ihres Geschlechts ein objektives Interesse daran, die herrschende Ordnung aufrechtzuerhalten. Und die herrschende Ordnung erfordert auch die Unterdrückung lohnabhängiger Frauen. Vielmehr stehen Frauen als Teil der ArbeiterInnenklasse im Zentrum revolutionärer Bewegungen – so wie sie es schon immer getan haben und so wie sie es in Zukunft auch weiterhin tun werden.
Der Streik als mächtigstes Kampfmittel der Arbeitenden ergibt sich aus dieser Stellung im Produktionsprozess. In dem Moment, wo sie sich weigern zu arbeiten, sind die KapitalistInnen aufgeschmissen: Woher sollen ihre Profite kommen, wenn sie die Arbeitenden nicht ausbeuten können?
Doch was passiert, wenn die Reproduktionsarbeit bestreikt wird? Wer hat dann in erster Linie ein Problem? Sicher nicht die KapitalistInnen, denn ihre Profite werden so nicht beeinträchtigt. Hingegen leiden die Lohnabhängigen selbst, insbesondere diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, wenn diese Arbeit bestreikt wird. Natürlich gäbe es die Möglichkeit, dass die Männer während eines solchen Streiks in die Bresche springen und die Reproduktionsarbeit übernehmen. Aber müssten sie dann nicht auch streiken? Folglich müsste sich ein solcher Streik zwingend auf die Sphäre der Lohnarbeit ausweiten. Was dies zeigt, ist also genau, dass der Kampf nicht zwischen den Geschlechtern, sondern zwischen den Klassen geführt werden muss. Und, dass die Emanzipation der Frau die Emanzipation von der kapitalistischen Ausbeutung erfordert.
Dazu kommt, dass die KapitalistInnen davon profitieren, dass die Reproduktionsarbeit privat und damit gratis verrichtet wird. Deswegen dürfen wir nicht dabei stehenbleiben, einfach innerhalb des Privaten eine Umverteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern zu fordern (was aufgrund des ungleichen Zugangs zum Arbeitsmarkt von Männern und Frauen in vielen Haushalten heute auch schlicht nicht möglich ist). Vielmehr müssen wir von den KapitalistInnen holen, was uns zusteht: Sie sollen für ein kostenloses öffentliches Netz an Kitas, Kantinen und Pflegeheimen bezahlen, so dass ALLE einen ausreichenden Zugang zu Betreuung und Care haben UND vollumfänglich und gleichberechtigt am öffentlichen Leben teilnehmen können.
Wir haben also gesehen, dass der zentrale Unterschied zwischen den Papieren der Geschäftsleitung und der marxistischen Strömung darin besteht, dass ersteres keine Perspektive der sozialen Reproduktion einnimmt und damit keine Klassenanalyse verteidigt. Ihr Papier macht das Problem an einer «Verschränkung des Patriarchats und des Kapitalismus» fest. Somit gibt es zwei verschiedene Kämpfe, die sich zwar überschneiden können, aber nicht an sich zusammengehören: Den Kampf zwischen Lohnabhängigen und Kapitalisten auf der einen, und den Kampf zwischen den Geschlechtern auf der anderen Seite. Daraus folgt dann, dass die Kämpfe auch getrennt geführt werden müssen. Folglich soll die JUSO als sozialistische Partei Frauenbewegungen auch nur “unterstützen”, statt in diesen aktiv für ein sozialistisches Programm zu kämpfen und sie damit anzuführen.
Wir hingegen schlagen vor, dass die JUSO aktiv mit einem sozialistischen Programm in diese Bewegungen intervenieren und dabei einen konsequenten Klassenstandpunkt vertreten soll: Die Unterdrückung der Frau ist integraler Teil des Kapitalismus – somit ist Frauenkampf Klassenkampf! Natürlich reproduziert die ArbeiterInnenklasse die Unterdrückung der Frau und den Sexismus, doch der entschlossene Kampf dagegen ist ein Teil davon, die Klasse zu einem handlungsfähigen Subjekt zu machen: Indem die gemeinsamen Klasseninteressen mit einem sozialistischen Programm und die Notwendigkeit des Kampfs gegen die Unterdrückung der Frau und den Sexismus aufgezeigt werden, wird der gemeinsame Kampf der Lohnabhängigen gegen den Kapitalismus möglich – unabhängig des Geschlechts.
Helena W. und Julian S.
JUSO Stadt Zürich und Stadt Bern
Hier geht es zum ersten Teil des Artikels: «Soziale Reproduktion vs. Care und Patriarchat»
Nordamerika — von Alan Woods, marxist.com — 27. 11. 2024
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024